Mittwoch, 17. September 2025

Rezension: Markus Brechtken - Aufarbeitung des Nationalsozialismus: Ein Kompendium (Teil 1)

 

Markus Brechtken - Aufarbeitung des Nationalsozialismus: Ein Kompendium

Die Aufarbeitung des Nationalsozialismus ist, wie bereits in Magnus Brechtkens Einleitung deutlich gesagt wird, ein Prozess, der niemals abgeschlossen sein wird. Die jüngsten Debatten um die Vergleichbarkeit des Holocaust etwa mit den Kolonialverbrechen oder die Forderung nach einem Schlussstrich und einem Ende der Aufarbeitung weisen von zwei Enden des politischen Spektrums auf die weiterhin bestehende Relevanz des Themas hin, die durch stets weitere historische Forschungsarbeit wie etwa die Auftragsarbeiten der Behörden (die, ihrerseits nicht unproblematisch, im Buch beleuchtet werden) untermauert wird. Doch nicht nur neue Erkenntnisse sollen im Zentrum des Bands stehen, sondern die Frage, wie der Holocaust rezipiert wird, sowohl in Deutschland als auch darüber hinaus. Zu diesem Zweck versammelt das "Kompendium" zahlreiche Aufsätze von Fachwissenschaftler*innen. So leitet Brechtken in den ersten Abschnitt, "Einführende Perspektiven", ein.

Sonntag, 14. September 2025

Rezension: Jürgen Osterhammel/Jan C. Hansen - Dekolonisation: Das Ende der Imperien

 

Jürgen Osterhammel/Jan C. Hansen - Dekolonisation: Das Ende der Imperien

Das Ende der Imperien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist einerseits ein Prozess, der in der europäischen Geschichtsschreibung vorrangig als ein Kapitel der jeweiligen europäischen Nationalgeschichten erzählt wird, allzu oft mit einer theleologischen und nostalgisch verklärten Note. Die Größe dieses Umbruchs geht darüber oft verloren, auch, weil die betroffenen Regionen üblicherweise als "3. Welt" subsumiert und damit als nicht sonderlich bedeutend kategorisiert werden. Dabei ist der Prozess der Dekolonisation einer, der einen fundamentalen Wandel der Weltordnung nahelegt. Bedenkt man, dass die UNO von kaum 50 Staaten gegründet wurde, von denen gerade drei aus Asien und zwei aus Afrika waren, und heute 193 Staaten Mitglied sind, erkennt man die Bedeutung für zwei Kontinente, auf denen die Hälfte der Weltbevölkerung lebt. In den letzten Jahren ist diese Epoche vermehrt in die Aufmerksamkeit von Historiker*innen geraten und seit Neuestem auch in den Geschichte-Bildungsplänen fest verankert. Sinnvoll also, ein Grundlagenwerk zu kennen und sich dazu der bekannten Reihe von C. H. Beck zu bedienen, die gleichzeitig den Vorteil hat, sehr übersichtlich zu sein.

Donnerstag, 11. September 2025

Götz Aly, der Volksstaat und die Staatsschulden

 

Ein neues Buch über die Nazizeit ist erschienen. Das wäre erst einmal wenig erwähnenswert, wenn es sich beim Autor nicht um Götz Aly handeln würde, einen der profiliertesten Holocaustforschenden der Bundesrepublik, mit einer seit den frühen 1980er Jahren währenden Karriere auf dem Feld. Er gehörte zu einer neuen Generation von Historiker*innen, die sich von den bis dato herrschenden strukturalisierten Totalitarismusthesen lösten und somit die erstarrte Sichtweise des Holocaust als ein von oben verordnetes und gelenktes Werk darstellten und damit einerseits die Deutschen grosso modo entlasteten als auch andererseits dafür sorgten, dass der Massenmord letztlich eine wenig erforschte Fußnote in der deutschen Geschichtsschreibung war. Aly war ein Spezialist dafür, mit breiter Quellenforschung aus den unteren Ebenen der Tötungsmaschinerie ein differenzierteres Bild zu entwerfen helfen, das unser Verständnis des Holocausts bis heute prägt. Sein Werk "Endlösung" (1995) bildete die Zusammenfassung seiner Erkenntnisse.

Montag, 8. September 2025

Rezension: Matthias Waechter - Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert

 

Matthias Waechter - Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert

C.H. Becks Reihe zur Geschichte des 20. Jahrhunderts hat mit Ulrich Herberts Mammutwerk zur deutschen Geschichte (hier rezensiert) einen ebenso prominenten wie lesenswerten Blickfang. Aber die Grundstruktur einer Mischung aus Quer- und Längsschnitten durch die Geschichte, die der Reihe zugrunde liegt, ist grundsätzlich ebenso erhellend wie dem Lesefluss zugänglich, so dass Matthias Waechters Eintrag in die Reihe für die Geschichte Frankreichs für mich eine Art Lackmustest des Serienkonzepts darstellt: da ich in der Geschichte der Republik nicht so sehr bewandert bin, kann ich auf wesentlich weniger Vorwissen zurückgreifen als bei Herberts Mammutwerk. Ob Waechter es für mich trotzdem verständlich machen kann? Immerhin hat er nur ein starkes Drittel des Umfangs von Herbert, aber nichtsdestotrotz ist die Fülle an Informationen, Analysen und Einordnungen und ihre große Dichte durchaus eine Herausforderung. Ich habe mich mit großer Freude an sie gemacht.

Freitag, 5. September 2025

Rezension: Matthias Waechter - Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert (Teil 3)

 

Teil 2 hier.

Matthias Waechter - Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert

Der vierte Teil, "Vom Boom zur Krise", behandelt die Jahre 1962 bis 1981.

Kapitel 13, "Frankreich um 1965: Auf dem Höhepunkt des Nachkriegsbooms", betrachtet die sogenannten "Trente Glorieuses", was dem deutschen "Wirtschaftswunder" entspricht, unter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Perspektive. Die Jahrzehnte sahen einen präzendenzlosen Anstieg des Lebensstandards. Die Kaufkraft des durchschnittlichen Franzosen verdoppelte sich in nur 20 Jahren. Autos, Fernseher etc. verbreiteten sich. Modernisierungsfortschritte machten die hohen Erwerbsanteile in der Landwirtschaft obsolet, so dass die Menschen in die Städte zogen und dort Angestellte wurden, was zu allerlei Klagen über den Verlust der französischen Identität Anlass gab. Eine neue Schicht von Angestellten, den "cadres", entwickelte sich, die in keine traditionellen Kategorien passte und eine eigene, mächtige Gewerkschaft aufbaute. Auch die Kultur erlebte eine Blüte, etwa mit dem Aufstieg des experimentellen französischen Films. Wurden Frauen zu Beginn der Nachkriegszeit noch in die häusliche Sphäre verbannt, begannen sie bald stetig, sich Raum zu bahnen, wofür Simone de Bouveoir stellvertretend stehen kann. Indessen konnte sich das Land trotz regen Bemühens nicht von amerikanischen Einflüssen freimachen; die US-Jugendkultur breitete sich auch auf die französische Jugend aus, ob in Rock-Imitaten oder der Übernahme von Hippie-Chic.

Mittwoch, 3. September 2025

Rezension: Matthias Waechter - Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert (Teil 2)

 

Teil 1 hier. 

Matthias Waechter - Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert

Das Land verschleppte zudem weiterhin den wirtschaftlichen Strukturwechsel. Die großen Konzerne bildeten Kartelle, um Konkurrenz auszuschließen und so international konkurrenzfähig zu bleiben, während die kleingewerbliche und agrarische Struktur der Wirtschaft sich zäh hielt. Der Wertverlust des Franc gegenüber Dollar und Pfund konnte nur durch einen Währungsschnitt erreicht werden, der unter der Schirmherrschaft des Kriegshelden Poincaré von der Bevölkerung trotz der riesigen Verluste auch akzeptiert wurde (man stelle sich vor, die deutsche Rechte hätte sich so hinter die unpopulären wirtschaftlichen Maßnahmen gestellt).