Freitag, 29. Juli 2011

Krieg im 19. und 20. Jahrhundert Teil 2/3

Von Stefan Sasse

Konzeptzeichnung Suezkanal 1881
Im späten 19. Jahrhundert erreichte die europäische Weltdominanz ihren Zenit. Die späte Expansion dieses „Hochimperialismus’“ verlief anders als bisher: man kämpfte nicht mehr militärisch gegeneinander, sondern konkurrierte nur mit Gesellschaften und anderen Mitteln. Man einigte sich bilateral oder internationalen Konferenzen; die erste fand 1884 in Berlin statt (Internationale Afrikakonferenz, an der auch die USA teilnahmen). Man versuchte dabei, international gültige Regeln für die Kolonialherrschaft zu vereinbaren. Carl Schmitt analysierte dies dahingehend, als dass Kolonialherrschaft zum Bestandteil des Völkerrechts wurde. Herrschaft musste damit direkt ausgeübt werden; es reichte nicht mehr, mit lokalen Herrschern Schutzverträge zu schließen. Man übertrug die Zeichen des Staates direkt auf die Kolonien, der Staat trat als alleiniger Träger des Machtmonopols auch in den Kolonien auf. Dieses Prinzip wird auf der Berlinkonferenz auf die Gebiete übertragen, die die europäischen Staaten als Kolonien beanspruchten. Es war also nötig, eigene Verwaltungen aufzubauen und Herrschaft direkt aufzubauen. Allein die Kooperation mit den örtlichen Eliten reichte nicht mehr, wiewohl man sie in die Verwaltung einbauen konnte. Um nicht ins Hintertreffen im Weltmachtstreben zu geraten, drängten alle Länder nach Kolonien. Ein Beispiel: mit dem Bau des Suezkanals, der den Seeweg zwischen Europa und Indien auf ein Drittel verkürzte, führte zur Intervention europäischer Staaten im beinahe unabhängigen Ägypten. Dies führte zu einer einheimischen Protestbewegung, die mit den Forderungen von 1882 kulminierte – und von den Briten militärisch niedergeschlagen und vernichtet wurde.

Die dazugehörige Philosophie ist die einer Stärkung durch Expansion, die notwendig ist bevor irgendjemand anderes sie durchführt – und damit das eigene Land schwächer werde. Dabei stürzt man sich auf so genannte „herrenlose Länder“. Gleiches gilt für wirtschaftliche Macht, auch diese war mit einem Kolonialreich untrennbar verbunden. Die Aufteilung der letzten Reste der Welt war von dem Versuch beseelt, gleichrangig zu sein. Dazu gehörte auch eine Gleichrangigkeit beim Militär, was ein wichtiger Grund für das Flottenwettrüsten von Deutschland und Großbritannien war. Die Verbindung mit wissenschaftlichem Fortschritt rückte die Kriegsfähigkeit damit in den Rang eines Modernitätsbeweises. In dieser Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts beginnen auch außereuropäische Staaten, in die Manege der Weltmächte zu drängen: mit Krieg.

Kavallerieangriff 1870
Der Volks- oder Nationalkrieg steht im Gegensatz zum gehegten Staatenkrieg seit dem Dreißigjährigen Krieg, der mit der französischen Revolution passé schien. Im 19. Jahrhundert definiert bereits das Lexikon den Krieg als feindliche Auseinandersetzung zwischen Völkern und Selbsthilfe des Volkes. Dies allerdings ist ein Zerrbild, in dem eine liberale Öffentlichkeit versucht, ein Bild von einer Nation zu entwerfen, die souverän über Krieg und Frieden zu entscheiden; die Nation wird quasi souveräner Kriegsherr. Diese Vorstellung entmachtet die autokratischen Monarchen zugunsten der Bürgerlichen. Der gehegte Staatenkrieg wurde als Nationalkrieg imaginiert und gerechtfertigt; das machte es zunehmend schwieriger, ihn zu kontrollieren und einzuhegen. Besonders gut sichtbar wird dies im deutsch-französischen Krieg von 1870/71.

Der französische Kaiser kapitulierte nach der Entscheidungsschlacht von Sédan. Die Franzosen akzeptierten das jedoch nicht; sie revolutionierten die Innenpolitik, schufen die Republik und beschlossen, nach Vorbild der französischen Revolution bis zum bitteren Ende zu kämpfen. Als dieses bittere Ende nach Monaten harter Kämpfe kam, akzeptierte die Bevölkerung es wieder nicht; die Folge war der innerrepublikanische Bürgerkrieg, der seinen Kulminationspunkt in der Pariser Kommune fand. Es geschah zusätzlich etwas, womit niemand gerechnet hatte: der Krieg griff nach Algerien über, wo französische Siedler Autonomie zu erreichen versuchten. Das verband sich bald mit einem Aufstand der Einheimischen gegen die Kolonialherren. Im April 1871 – noch wurde in Frankreich gekämpft – riefen die Aufständischen den Djihad aus. Der Krieg blieb geprägt vom Kampf fester Formationen, die sich bemühten, den Unterschied zwischen Kombattanten und Zivilisten einzuhalten. In der Phase der Bürgerkriege fielen diese Schranken vollständig.

Carl von Clausewitz
Die Wandlung des Kriegs zu Beginn des 19. Jahrhunderts erschien eine Flut von Schriften über die „neue“ Kriegskunst. Auch von Clausewitz schrieb in dieser Zeit, ohne große Anteilnahme zu erfahren: man berief sich auf Giomini. Beide Autoren propagierten eine neue Form des Kriegs, den Volkskrieg. Clausewitz hielt diese Form für gesellschaftlich gefährlich, aber militärisch unverzichtbar. Er hoffte, sie von ihrer „revolutionären Wurzel“ zu lösen. Diese Vorstellungen verschmolzen in der preußischen Militärverfassung mit der allgemeinen Wehrpflicht. Clausewitz wollte den Namen „Nationalkrieg“ nur dem eng umgrenzten Rahmen eines nationalen Befreiungskriegs geben. Clausewitz wollte den Guerilla-Krieg, den er unter Napoleon in Spanien kennen lernte, nur zu gerne zerstören. Die „gute alte Zeit“ werde aber nicht zurückkommen; mit Napoleon ging sie unwiderruflich zu Ende. Clausewitz bewunderte Napoleons Genie, aber ihm grauste vor den Folgen. Clausewitz’ und Giominis Theorien und Werke dienten ab dem deutsch-französischen Krieg als Theoriegrundlage; man versuchte, den Nationalkrieg als gehegten Staatenkrieg zu führen, indem man auf eine schnelle Vernichtungsschlacht setzte. Der Krieg müsse kurz sein wie ein Duell, um die volle wirtschaftliche und demographische Kapazität nutzen zu können, ohne es zu ruinieren. Diesen Krieg hatte Moltke vor Augen, als er seine Armee 1870 nach Frankreich führte; er ahnte jedoch bereits, dass diese Strategie des schnellen Vernichtungskrieges der Vergangenheit angehören könnte, wenn die gesamte Nation in diesen Kriegen mobilisiert wird und die Führung übernimmt. Wer jedoch sich nicht auf die Seite des Volkskrieges stellte – wie die Sozialisten – wurde verfolgt.

In zwei Bereichen waren Konflikte zwischen Militär und Zivilbevölkerung unvermeidlich: die deutschen Soldaten mussten mit einer Bevölkerung rechnen, die bereit war, bewaffnet und individuell Widerstand gegen die Besatzer vorzugehen (wofür die Deutschen das Wort vom franc terreur fanden und dessen Ängste sich auch im Ersten Weltkrieg auf Seiten der Deutschen fanden), und zum anderen waren die großen Städte wie Paris im 19. Jahrhundert zu Festungen ausgebaut worden, die der Feind erobern müsste. Das musste zwangsläufig die Bürgerschaft und ihr Eigentum der Vernichtungsgefahr aussetzen.

Franc-Tireurs im Kampf
Unmittelbar nach dem Krieg erschien ein Werk der deutschen Kriegsführung, und auch hohe Offiziere veröffentlichten sehr ereignisnah ihre Erinnerungen. In all diesen Schriften wird zwischen Linientruppen und Freischärlern präzise unterschieden. Die französische Militärführung wollte keinen Guerilla-Krieg; dies erkennt man daran, dass die französische Militärbehörde die Freischärler dem Kriegsministerium unterstellte und uniformierte. Die Deutschen akzeptierten das, betrachteten sie jedoch nicht als richtige Soldaten. Die französische Oberschicht forderte bisweilen von den Deutschen, die Freischärler gezielt zu jagen; man sah es auf deutscher Seite als unerwünschte Begleiterscheinung des Krieges, nicht aber als revolutionäre Neuerung. Man hatte Respekt dafür, dass die Franzosen nach der militärischen Niederlage so viele Truppen so schnell aufstellen konnten; man sprach von einem „zweiten Krieg“, den das französische Volk „aufgezwungen“ habe. Auf beiden Seiten versuchte die militärische Führung, eine Enthegung des Krieges zu vermeiden, auch wenn es Stimmen gab, denen die Schonung der Zivilisten zu weit ging: der deutsche Generalfeldmarschall Waldersee, der sich auf den amerikanischen General Sheridan berief, der als Kriegsbeobachter in Frankreich war und den Krieg nur merkwürdig fand. Man schreibt ihm das Zitat zu, es müsse mehr brennende Dörfer geben, sonst würde man nie mit den Franzosen fertig. Waldersee wollte die Kavallerie „Vernichtungszüge à la Sheridan“ führen lassen, um den Franzosen „die Lust am terreur Spielen vergehen“ zu lassen. Er empfand den Krieg als unmenschlich und trachtete danach, ihn schnell zu beenden und es sei menschlicher, dafür Häuser niederzubrennen statt „unschuldige Soldaten“ zu erschießen. Sheridan war verwirrt ob des „friedlichen“ Vorrückens der Deutschen auf Frankreich und der Unkompliziertheit der Versorgung mit Nahrungsmitteln der Deutschen in Frankreich. Er hatte einen Volkskrieg wie im amerikanischen Bürgerkrieg erwartet und spottete über den harmlosen deutsch-französischen Krieg. Die deutsche Führung versuchte stets, den Krieg einzuhegen; auch die Beschießung von Festungsstädten fügt sich in dieses Bild, auch wenn sie die Zivilisten stark in Mitleidenschaft zog.

Moltke und die deutsche Führung sahen den Krieg nach Sédan als beendet; das Heer zerschlagen, das andere chancenlos. Die französische Republik aber rechnete das Ende des Krieges nicht nach militärischen Regeln, weswegen der Krieg fortgesetzt wurde. Die Preußen wussten, dass ihre Artillerie nicht ausreichend sein würde, um Paris zu nehmen, dessen Festungen genommen und die Stadt zur Aufgabe gezwungen werden mussten. Die französische Metropole wurde zur Geißel einer Kriegführung, die anders verlief, als von beiden Seiten erwartet. Die oft zitierte „Beschießung von Paris“ richtete sich gegen die Forts; man geht von etwa 80 bis 180 Toten während der gesamten Belagerung durch Artillerie aus, inklusive Soldaten! Am Ende von Metz setzte man einen Kapitulationsvertrag auf, der einen Passus enthielt, Offiziere auf Ehrenwort zu entlassen, dass sie nicht mehr in den Krieg eingriffen. Das war die alte Art. Ein weiterer Passus sagte, dass jeder mögliche Zweifel am Vertrag zugunsten der französischen Armee ausgelegt werde.

Bismarck und Napoleon III. im Gespräch nach Sedan
Das deutsche Bürgertum indessen hatte den Krieg in einer Flut von Werken und Artikeln als Nationalkrieg erklärt und damit das Bürgertum für genauso wichtig wie das Militär; die Deklarierung des Krieges als Volkskrieg war also ein innenpolitisches Kalkül. Die Art der Kriegführung wurde dabei von den Liberalen kaum untersucht, man erkannte nichts Neues. Man verlangte aber einen Frieden ohne Kompromisse, ein eindeutiger Friede wird einem schnellen Frieden deutlich vorgezogen. Im gesamten Krieg ging es (wahrscheinlich wegen der starken Pressebeobachtung) sehr zivilisiert zu, es kam praktisch nicht zu Vergewaltigungen.
In Frankreich schufen die Formationen der Hilfsarmee einen Gegenpol zur regulären Armee, die mitsamt ihrer Armeeführung durch die Niederlage diskreditiert wurde. Viele Soldaten folgten ihren Offizieren nicht mehr, Offiziere wurden unter Hausarrest gestellt. So erhielt „Volkskrieg“ in Frankreich eine völlig andere Bedeutung als in Deutschland; man erkannte ihn als Versagen der eigenen politischen Führung, während in Deutschland eine Unterordnung unter die traditionelle militärische Hierarchie und ein Katapultieren der preußischen Offiziersklasse in höchste gesellschaftliche Weihen stattfand. Im späteren Kampf der Franzosen gegen die Kommune wurden die bisher geltenden Grenzen systematisch niedergerissen, nicht im Volkskrieg. Man nannte ihn den „dritten Krieg“ (nach dem Krieg bis Sédan und dem der bürgerlichen Republik), der sehr schnell brutalisiert wurde. Man verteufelte den Gegner als sozialen Feind, der kein Pardon verdiene und zudem auch mit dem äußeren Feind paktiere. Man sprach dem Besiegten die Ehre ab, massakrierte sie oder verbannte sie in die Strafkolonien. Zu dieser Art von enthegtem Krieg kam es ansonsten nur in Algerien, wo etwa 100.000 Mudjaheddin dem Aufruf folgten; insgesamt sind etwa 800.000 Menschen an den achtmonatigen Kämpfen beteiligt; zwischen Militär und Zivilisten unterschied keine Seite, auch die französische Republik nicht, die nach dem Sieg Algerien ungeheure Kontributionen auferlegte, auch, um den Verlust von Elsass-Lothringen zu kompensieren.

Nach den Napoleonischen Kriegen lernte Europa, Staatenbildungen ohne gewaltige Kriege und Revolutionen ablaufen zu lassen. Gleichfalls wurde eine gewaltige territoriale Neuordnung betrieben, ohne dass das internationale System dies nicht verkraftet hätte. Am Ende der langen, blutigen Kriegsphase 1815 wurde Europa mit dem Wiener Kongress zu einer Insel der Ruhe – vergleichsweise gesehen.

Außerhalb Europas war das anders. Im 19. Jahrhundert war die Welt voller Kriege, woran die europäischen Staaten erheblichen Anteil hatten. Exemplarisch soll dabei der Krieg der jungen deutschen Nation gegen die Hereros dienen. Er wird in der Forschung gerne als genozidaler Krieg bezeichnet, inklusive einer gezogenen Linie zu den Vernichtungskriegen des 20. Jahrhunderts.
Im 19. Jahrhundert gab es kriegstechnisch besehen drei Typen von Kolonien, die durch die kriegerische Invasionen landesfremder Mächte entstanden waren.
-          Die Beherrschungskolonien. Bei diesen geht es nicht um Besiedlung, sondern um Machterweiterung und wirtschaftliche Ausbeutung. Die Kolonialmacht entsendet Militär und Bürokratie. Beispiele sind Indien, Togo oder die Philippinen.
-          Die Stützpunktkolonien. Sie sollen die weltweit agierende Flotte imperialer Mächte autark zu machen. Es geht um Wettbewerbsvorteile. Außerdem will man sich wirtschaftliche Vorteile bei der Durchdringung des Gebiets schaffen. Beispiele sind Hongkong, Singapur und Tsingtao.
-          Die Siedlungskolonie. Dieser Typ ist für die autochtone Bevölkerung der gefährlichste. Es geht um Siedlungsland für Menschen aus den Kolonialmächten. Wenn diese Besiedlung gelingt, ist die Chance für die Kolonie, selbstständig zu werden relativ groß. Ein Erfolg der europäischen Völker bei dieser Unabhängigkeit hat oft drastische Folgen bei der Verdrängung der eingeborenen Völker, besonders wenn diese als wirtschaftlich nicht brauchbar gelten. Beispiele dafür sind die USA und Australien. Eine Abart sind die karibischen Siedlungskolonien, wo Sklaven importiert wurden, so auf Kuba.Verbunden sind die Kolonien mit einer Entrechtung der Einheimischen.

Im Gegensatz zu den seltenen europäischen Kriegen richteten sich die Kolonialkriege selten gegen bestehende Staaten, obwohl das auch vorkam. Viel häufiger trafen sie auf segmentäre Gesellschaften, die keine übergeordnete Organisation hatten. Diese zu unterwerfen forderte andere Mittel als der Krieg zwischen Staaten; in solchen Fällen war die Trennung zwischen Militär- und Zivilgesellschaft weder möglich noch angestrebt, von beiden Seiten nicht.
Washinton überquert den Delaware (Propagandazeichnung)
Was man die Besiedlung Nordamerikas nennt, wäre ohne ständige Kriege nicht möglich. Erst der Unabhängigkeitskrieg, dann die massive Zuwanderung aus Europa, die eine rasche Durchdringung des Kontinents ermöglicht; die autochtone Bevölkerung wird dezimiert, zusammengedrängt und in Reservate gezwängt. Diese Art des Kriegs unterscheidet sich vollkommen von der europäischen. Es ist ein Krieg aus der Gesellschaft heraus gegen eine andere Gesellschaft. Es folgt der Bürgerkrieg, der auch die Zivilbevölkerung stark berührte; kurz: die Kriege bei der Erschließung, Besiedlung und Verteidigung der Einheit waren Staatsbildungskriege anderer Art als in Europa. Das hatte man in Europa durchaus gesehen; wer in Europa den Krieg einhegen wollte betonte den Unterschied zwischen Europa und Nordamerika, oft verbunden mit dezidierten politischen Einschätzungen gegen die Demokratie und ihre ungehegten, blutigen Kriege in Nordamerika. Die Vernichtungsgewalt gegen die Indianer wurde in Europa aber nur selten thematisiert, sie galt als legitim, übte man sie doch auch in den eigenen Kolonien aus.

Auch Lateinamerika wird im 19. Jahrhundert zum Kontinent ständiger Kriege; Unabhängigkeits-, Staatsbildungs- und Bürgerkriege. Dabei war die Zivilbevölkerung unterschiedlich stark betroffen. Es gab Staatenkriege, aber viel häufiger und verlustreicher waren andere. Denn die lateinamerikanischen Staaten waren nicht stark genug, das gesamte beanspruchte Gebiet zu durchdringen und das Gewaltmonopol zu sichern. Viele von ihnen besaßen außerdem offene Grenzen in unerschlossene Grenzen wie in den Amazonas, die immer weiter voran geschoben wurden. Riekenberg nennt diese Kriege „ethnische Kriege“. Sie fanden vor allem in Grenzräumen statt. Er geht in seiner Analyse, warum diese Kriege so verlustreich waren, von drei Raumtypen aus. Diese zeigen auch, warum Europa das Glück hatte, ohne die Erfahrung der anderen Typen zum gehegten Staatenkrieg zu kommen.
-          Der geordnete Raum, organisiert von Staaten. Wie in Europa dominiert hier die Staatsmacht, und wenn sie Krieg gegen andere Staaten führt, sind das Kriege zwischen Truppen. In Europa wurde das zum Normalfall, außerhalb Europas war das sehr selten.
-          Der fragmentierte Raum. Dies lässt sich mit dem verbinden, was die Sozialwissenschaften segmentierte Gesellschaften nennt. Es gibt keine Verstaatlichung von Gesellschaften und feste staatliche Organisation des Raumes. Stattdessen gibt es lokale Organisation, beispielsweise über Stammesstrukturen.
-          Der Grenzraum. In Südamerika meist Übergänge zwischen spanischen, kreolischen und indianischen Gesellschaften mit stark wandernden Grenzen.

Im fragmentierten und Grenzraum konnte es keinen gehegten Staatenkrieg geben, stattdessen auf Vertreibung einer Rasse angelegte, enorm verlustreiche ethnischen Kriege. Diese Form von Krieg ist charakteristisch für Kolonialkriege. Sie sind nicht der einzige Typus; es gibt auch Kolonialkriege zwischen Staaten. Dieser Krieg wurde für die Kolonien so zum Normalfall, wie der gehegte Staatenkrieg in Europa zum Normalfall wurde.

Türkische Maschinengewehrstellung um 1915
In Europa findet sich der ethnische Krieg ebenfalls, beschränkt auf den vom Osmanischen Reich beherrschten Balkan. Das Osmanische Reich wurde immer schwächer, erlebte einen Verfall der organisierten Staatsmacht. Das schuf Raum für neue Staaten auf der Suche nach neuer Identität. Diese Identität wurde über die Religion (christlich-orthodox) und die Verbindung mit „Nation“ gefunden. Damit entstand eine Definition von ethnischer Zugehörigkeit. Mit der Verdrängung des Osmanischen Reichs mussten neue Staaten geschaffen werden. Diese Verdrängung fand in einer Kette von Kriegen statt, in die die europäischen Mächte mit Kriegsgewalt eingriffen und/oder durch Schiedssprüche auf Konferenzen lenkend wirkten. Diese europäischen Staatsbildungskriege waren aufgrund der unlösbaren territorialen Vermischung ständig bis in die heutige Zeit mit ethnischen Kriegen verbunden, die auf die „feindliche“ Zivilbevölkerung zielten; sie sollte vertrieben und vernichtet werden. Besonders betroffen war die muslimische Bevölkerung, besonders durch die Zerstörung des Gebiets, das man damals die „europäische Türkei“ nannte. So lernte auch Europa, wenn auch nur an der Peripherie, den ethnischen Krieg kennen. Diese Form des Krieges haben europäische Beobachter als Barbarei empfunden, dem Kulturstand Europas nicht angemessen.

In Afrika waren Kriege ebenso Selbstverständlichkeit wie in Europa, die nicht auf Kriege Europäer gegen Afrikaner beschränkt werden dürfen, die jedoch im Rahmen dieser Abhandlung behandelt werden sollen. Die Konstitution von Nationalstaaten in Afrika scheiterte im 19. Jahrhundert. Exemplarisch sei dabei Ägypten: die Briten betrachteten es als ihren kolonialen Raum und zwangen den Staat, die Armee stark zu reduzieren und den Markt komplett für Europa zu öffnen. Die Armee war dabei das hauptsächliche Nationalbildungsinstrument, was man auch in Äthiopien sehen konnte. In solchen Gebieten stießen die europäischen Staaten auf starke Armeen, wenn sie diese Länder in ihren Herrschaftsbereich zwingen wollten. Hier kam es zu genozidalen Kriegen, so Italiens in Lybien oder Äthiopien. In Westafrika entstand damals ohne europäische Beteiligung durch Krieg ein Kalifat Ototo. Geführt wurden diese Kriege als Djihad. Das Kalifat wurde zur letzten großen Sklavenhaltergesellschaft der Welt. Diese (meist Stammes-)Herrschaften entstanden aus Kriegen, die keine gehegten Kriege waren, sondern die gesamte Gesellschaft einbezogen und Teile der besiegten Gesellschaft versklavten. Es ist also zu sehen, dass auch die Afrikaner ungehegte Kriege führten. Die Voraussetzung für gehegte Kriege gab es schlichtweg nicht. Damit ist auch zu sehen, warum der gehegte Krieg Europas eine Ausnahme weltweit war und sein musste. Der Normalfall war der ungehegte Krieg. An dieser Art des Krieges beteiligten sich auch die Europäer (außerhalb Europas), aber sie waren nicht der Erfinder. Wohl jedoch brachten sie ein neues Element hinein.

2. Marinefeldkompanie in Deutsch-Südwestafrika 1904
Exemplarisch soll hier der Krieg des deutschen Kaiserreichs gegen die Hereros und Namas betrachtet werden.  1884 begann die deutsche Kolonialherrschaft in Deutsch-Südwest. Der Staat war kaum präsent; es waren private Gesellschaften, die das Land übernahmen und Hilfe durch staatliche Organisationen, vorrangig Truppen, erhielten. Schutzverträge wurden abgeschlossen; von Seiten der Stammesherrscher allem, um sich gegen konkurrierende Stammesherrscher durchzusetzen. Die Nama lehnten solche Vorträge meist ab, im Gegensatz zu den Hereros, die sich damit gegen die Nama-Ausdehnung schützen wollten. Das Gebiet war vor dem Eintreffen der Deutschen also nicht friedlich. Es gab eine segmentierte Gesellschaft, in der Gewalt durch den Versuch der Zentralisierung von Herrschaft durch einheimische Clanschefs stets präsent war.

Auf der Konferenz der Kolonialmächte wurde beschlossen, dass zur Anerkennung der Kolonien durch andere Mächte Herrschaftsausübung erforderlich war; es reichte nicht, wie bisher Schutzverträge abzuschließen. Die Machtkonflikte innerhalb der autochtonen Gesellschaft werden durch diesen neuen Mitspieler Kolonialmacht komplexer. Dabei dominierte die Kolonialmacht anfangs keineswegs.

Überlebende Herero
In Afrika gab es in dieser Zeit Bestrebungen, größere, feste Herrschaftsgebiete abzustecken und zu organisieren. In Deutsch-Südwest versuchten dies die Nama, nicht wie in Europa, denn die Gesellschaften waren nomadisch. Das änderte sich durch das Eintreffen der Europäer und ihre Vorstellung von Privatbesitz. Die Nama unternahmen Raubzüge ins Hereroland und versuchten, Hererostämme unter ihre Herrschaft zu bringen. Deshalb zeigten sich diese auch für Schutzverträge bereit, um gegen die Nama bestehen zu können. Dabei spielten auch die christlichen Missionen eine starke Rolle; besonders die Herero schickten ihre Kinder in Missionsschulen, und ihre Oberschicht schloss sich dem Christentum an (was allerdings nicht bedeutet, dass eine Konversion im klassischen Sinne bedeutet). Zum Teil wurde diese Zentralisierung von Herrschaft also mit, zum Teil gegen sie betrieben. Die Situation der gegenseitigen Angewiesenheit änderte sich 1896; eine verheerende Rinderpest vernichtete einen Großteil der Rinderherden und damit die traditionelle Lebensweise der Hereros – und ihre Sozialstruktur. Denn die Rinder waren nicht in Privatbesitz, sondern war in Gemeinbesitz, und die Autorität des Clanchefs rührte darauf zurück, die Rinderherden zu erhalten. Diese Notlage wurde von deutschen Farmern und Händlern ausgenutzt, und auch die Kolonialbehörden verschärften ihre Politik. Man beschlagnahmte Land für den Eisenbahnbau, plante Reservate für die Hereros und begann auch, sie einzurichten. Das alles drohte die traditionelle Lebensgrundlage der Hereros zu zerstören. Landbesitz bedeutet für sie nicht Eigentum, sondern die Nutzung für das Vieh. Das kontrastierte mit der Vorstellung der Europäer. Für die Europäer ist das Allerheiligste das Eigentum. Viele Hereros mussten sich nun verschulden; sie erhielten Kredite und vor allem Waren von den Deutschen. Konnten sie sie nicht zurückzahlen, wurde restliches Vieh gepfändet und Land enteignet. Es kam auch zu individuellen Verschärfungen mit symbolischen Bestrafungen. Die Prügelstrafe wurde vermehrt eingesetzt, es kam zu individuellen Tötungen und Vergewaltigungen. In dieser neuen, verschärften Lage sieht die Forschung heute die Kriegsursache, was auch durch einheimische Quellen bestätigt wird. Im Januar 1904 begann der Krieg.

Es konnte kein gehegter Krieg nach europäischer Vorstellung werden. Das darf nicht im Vornherein moralisch aufgeladen werden; ein gehegter Krieg war unmöglich. Weder hatten die Hereros einen Staat, noch traten die Deutschen ihnen als solcher gegenüber. Dennoch kannte auch dieser Krieg Regeln. Diese Regeln wurden vor allem auf Seiten der Hereros aufgestellt und eingehalten. Entgegen aller Gräuelberichte über Schwarze, die Frauen und Kinder töteten, führten die Hereros den Krieg gegen Männer und Besitzungen. Auf ausdrücklichen Befehl des Herero-Chiefs sollten Frauen und Kinder nicht angegriffen werden. Alle Berichte, abzüglich der Propaganda, hielten sich die Hereros auch an diese Regel. Sie töteten und brannten nieder, richteten den Gegner aber nicht zugrunde. Die deutsche Bevölkerung zog sich, gewarnt vor den Angriffen, in Festungen und feste Gebäude zurück, die die Hereros nicht angriffen.

Lothar von Trotha
Zu Beginn des Krieges waren die Hereros in der Übermacht und verfügten über etwa 8000 Männer und 4000 Gewehren; der Rest benutzte Speere. Ihnen standen etwa 2000 gut ausgerüstete deutsche Soldaten gegenüber; darin enthalten sind jedoch, in kolonialer Tradition, auch Einheimische, meist anderer Stämme. Deutschland war dabei zunächst keineswegs überlegen. Die Hereros vermieden große Gefechte, gingen gezielt gegen kleine Truppenteile vor und überfielen Siedlungen. Man suchte außerdem einen Verhandlungsfrieden. Der deutsche Gouverneur wäre dazu bereit gewesen; der neue militärische Befehlshaber von Throta jedoch, der im Juni 1904 die uneingeschränkte Befehlsgewalt erhielt und den Gouverneur faktisch entmachtete. Er zielte auf die Vernichtung der Hereros, nicht im europäischen Sinne, sondern auf die Vernichtung einer Gesellschaft. Das sieht man vor allem in der Zeit, nach der der Krieg militärisch entschieden war: in der Schlacht am Waterberg im August 1904. Man weiß nicht, warum sich die Hereros einer Schlacht stellten, anstatt die Guerillakriegsführung fortzusetzen. Das bedeutete nach traditioneller Kriegführung, dass in einem inneren Kreis die Frauen und Kinder sowie das Vieh untergebracht waren, die durch Gesänge die Männer im äußeren Kreis motiviert. Das wirkte für die Deutschen wie ein Schock und wirkte stimulierend für Gräuelberichte über die Hererofrauen. Der Verdacht des Kannibalismus, interessanterweise, bestand auf beiden Seiten – und war auf Hereroseite etwas begründeter. Der deutsche Vorwurf baute vor allem auf den Kriegsgesängen und Einzelfällen von Verstümmelungen. Es gehörte traditionell zur Kriegführung der Afrikaner, den Gefallenen die Kleidung abzunehmen, was die Europäer nicht gewohnt waren und Grundlage für den Kannibalismusverdacht, für den es im Übrigen keinen Beleg gibt. Der Hereroverdacht ist in Berichten von Missionaren verbürgt. Nach der Niederlage mussten die Hererofrauen die Schädel von Hereros von Fleisch befreien, damit diese an verschiedene anthropologische Institute in Deutschland geschickt wurden. Dazu kam noch, dass die Deutschen Dosenfleisch aßen. Darauf fußte der Hereroverdacht.

Bis zu der Schlacht am Waterberg war es ein üblicher Kolonialkrieg zwischen Aufständischen und Kolonialmacht. Jetzt, nach der Entscheidung, wurde aus diesem traditionellen Krieg ein Vernichtungskrieg der deutschen Truppen gegen die Hereros. Berüchtigt ist die Proklamation von Throtas vom 2. Oktober, die besagte, dass die Hereros keine deutschen Untertanen seien und das Gebiet nicht betreten durften; Hereros sollten, angetroffen auf dem Gebiet, erschossen werden. Die Versuche des Gouverneurs, die Hereroangebote auf Verhandlung anzunehmen, wurden von von Throta unterbunden. Dieser riegelte die Grenze zur Wüste im Osten, in die die Hereros geflüchtet waren und hielt den Terrorismusverdacht gegen die Hereros aufrecht. Es gibt Belege dafür, dass von Throta einen Rassenkrieg führten wollte. Damit setzte er sich jedoch nicht durch; der Kaiser hob die Proklamation im Dezember auf. Der Kampf zur Unterjochung ging jedoch weiter und wurde auf den Süden ausgedehnt. Man führte Konzentrationslager und Zwangsarbeit ein (eine Erfindung der Spanier, verfeinert von den Engländern). Gegen diese Praxis erhoben sich die Nama. Diese führten, aus der Erfahrung der Hereros klug, einen Guerillakrieg. Von Throta versagte mit seinen 15.000 Mann gegen die maximal 2.000 Nama-Krieger und wurde abgelöst. Im Reichstag wurde scharfe Kritik an der Kolonialisierungspolitik geübt. Nicht nur die Sozialisten, sondern auch Konservative und sogar der Kanzler bestürmten den Kaiser, die Vernichtungspolitik einzustellen. Opposition kam von den deutschen Farmern, die nicht auf schwarze Arbeiter, und von der Mission, die nicht die „Früchte ihrer Arbeit“ verlieren wollten.

Von Throtas Krieg erfüllt dabei aber alle UN-Definitionen von Vernichtungskrieg; obwohl 15.000 Hereros überlebt haben (etwa 15-40% der Bevölkerung, die Quellenlage ist unklar), ist allein der Wille entscheidend. Von den eingesetzten 14.000 deutschen Soldaten fielen etwa 1500 Mann. Die Fixierung auf „Vernichtungskrieg“ verdeckt, dass es sich um einen Staatsbildungskrieg gehandelt hatte, in dem Nama und Herero versuchten, einen Staat zu bilden. Aus diesem Krieg ging letztlich (u.a.) Namibia hervor.


Britische Soldaten 1916
Der Erste Weltkrieg wird in Frankreich und Großbritannien noch immer der „Große Krieg“ genannt und gedacht. In Deutschland hat der Zweite Weltkrieg erinnerungstechnisch den Ersten verschlungen, was besonders an den Verlustzahlen liegen mag. Der Erste Weltkrieg zieht fast ganz Europa in seinen Bann; eine Einhegung des Krieges misslingt, Europa wird gleichsam in seiner Ganzheit zum „Kriegstheater“. Gleichzeitig steht der Krieg auch für das Ende der Weltdominanz von Europa; statt ihre Kriege in ganzer Welt zu führen, kommt alle Welt zum Krieg nach Europa. Die Ziele der Staaten bei Kriegseintritt waren sehr unterschiedlich; die Kolonialmächte setzten ihren Wettbewerb um den besten Platz fort, denn der Sieger würde die Kolonien des Verlierers erhalten. Junge Mächte wie Japan wollten vor allem ihre Machtposition ausbauen (was auch gelang, wenn auch wegen US-Intervention nicht so durchschlagend wie gewünscht). 

Die Neuverteilung der Welt schien in zwei Räumen möglich: zum einen die mächtigen Reiche, deren Verlierer abgeben müssen würden, zum anderen die vom Zerfall bedrohten Großmächte wie Russland und das Osmanische Reich. Auch die Habsburger Monarchie würde bei einer Niederlage sich in zahlreiche Nationalstaaten auflösen. In einem Krieg zwischen homogenen Nationalstaaten konnte sie sich nur in Nationalstaaten aufteilen oder in einen Nationalitätenstaat verwandeln. Ein weiteres Konfliktfeld war der Balkan, wo junge Nationen im Rückgang des Osmanischen Reichs kriegerisch entstanden waren. Jeder wollte wachsen, und so nutzten die Balkanländer den Großen Krieg für ihre kleinen Kriege. 

Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Mittelmächte ihn nicht gewinnen konnten. Das war jedoch für die Zeitgenossen nicht absehbar, zumindest nicht sofort. Warum die deutsche Führung das nicht rechtzeitig erkannt hat, ist die Frage. Sie verschloss die Augen so fest vor diesem Sachverhalt, dass die Bitte um Waffenstillstand September/Oktober 1918 die deutsche Öffentlichkeit so überraschte. Auch im Nachhinein ist dies der deutschen Öffentlichkeit nicht wirklich klar geworden, andernfalls hätte die Dolchstoßlegende kaum solche Wirkung entfalten können. 

Versailler Vertragsverhandlungen 1919
Die erste Zäsur ist damit das Ende der europäischen Dominanz. Die zweite Zäsur ist die Entwicklung des Krieges zum Weltanschauungskrieg. Mit dem Kampf der Weltanschauungen wird der Krieg mit zunehmender Dauer ebenso wie seine Opfer legitimiert. Während des Krieges wurden teils ausufernde Kriegsprogramme entwickelt; interessant ist jedoch, dass sich jeder Staat als Bedrohter und Angegriffener darstellte. Man musste, um die Bevölkerung zu motivieren und „mitzunehmen“, tief ins Arsenal der Propaganda greifen: man appellierte an die eigene Nation und die europäische (und später Welt-)Öffentlichkeit um die Existenz des eigenen Staates und entwarf starke Feindbilder. Die Entente trat in ihrer Selbstdarstellung für die „zivilisierte westliche Gesellschaft“ ein. Ebenso instrumentalisiert wurden Kirche und Wissenschaft. In Frankreich beschwor man den Geist von 1789, in Deutschland wurde der Krieg als Kampf um die Selbstbehauptung der deutschen Kultur stilisiert. Man war überzeugt, einen anderen – besseren – Weg in die Moderne zu haben als der Westen. Dadurch wurde der Krieg zum Entscheidungskampf über die Staatsformen der Zukunft. Das hatte drei Konsequenzen:
1)      Die Mittelmächte mussten das westliche Demokratiemodell übernehmen. Das hatten auch Kräfte im Inneren gefordert, sich jedoch nie durchsetzen können. Allerdings geschah dies auf eine Art, die die Westmächte nicht wollten: Revolution.
2)      Die multinationalen Großreiche der Osmanen und Österreicher hörten auf zu existieren. Die Westmächte hatten, auch für den Kriegseintritt der USA, das Selbstbestimmungsrecht der Völker zum Kriegsziel erhoben. Das galt natürlich nicht für die Kolonien, unter denen sich Großbritannien und Frankreich, auch über die Treuhandschaft durch den Völkerbund, neue einverleibte.
3)      In Russland siegte das westliche Modell nicht; stattdessen wurde ein attraktives Gegenmodell geschaffen.
Der weltanschauliche Krieg kannte somit, zumindest gemessen an den westlichen Kriegszielen der westlichen Mächte, keinen klaren Sieger, eröffnete jedoch gänzlich neue Möglichkeiten, die das 19. Jahrhundert weder kannte noch sich vorstellen konnte. Doch auch die Siegermächte hatten keine Ahnung, was sie mit ihrer Schöpfung tun sollten. Der Siegeszug der parlamentarischen Demokratie dauerte nicht lange. Im kommenden Jahrzehnt entstanden zahlreiche totalitäre Regime. 

In Deutschland wurde, besonders von Ludendorff, die Theorie des Totalen Kriegs entworfen. Man zieht dabei vier Kriterien zur Bewertung heran, ob ein Krieg total ist: Kriegsziele, Art der Kriegführung, Mobilisierung der gesellschaftlichen Ressourcen und Folgen des Krieges. Zu 1) Dabei gebührt das Prädikat dem Zweiten Weltkrieg viel mehr als dem Ersten, der nicht auf Vernichtung abzielte und anfangs auch keine Kriegsziele kannte. In Großbritannien wurde die Debatte blockiert; in den anderen Ländern entfalteten sich bald muntere Debatten. Frankreich wollte erst Elsass-Lothringen zurückgewinnen; später kamen Saarland und Rheingrenze als Forderungen hinzu. Traditionelle Gebietserweiterung also; kein totaler Krieg hier. Auch in Deutschland uferte die Debatte aus, die zeitweise von Politik und Militär zu unterbinden versucht wurde. Man erhob Forderungen auf Belgien und Siedlungsgebiete im Osten. Die deutsche Führung dagegen zielte nicht auf Gebietserweiterung, sondern wirtschaftliche Dominanz. Die Russen wollten die Meerengen und Konstantinopel und bekamen diese auch von den Westmächten konzediert. Die Westmächte außerdem legten außerhalb Europas diese Zurückhaltung ab und verteilten die Kolonien sowie das Osmanische Reich und versprachen den Juden eine Heimstätte in Palästina. Italien wollte die Brennergrenze. Man dachte in Denkschriften bereits über ethnische Säuberungen nach; im Osmanischen Reich geschah dies gegenüber den Armeniern auch.
Einen Gegensatz setzte die Oktoberrevolution mit ihrer Forderung nach status-quo-Frieden, ebenso Wilson in seinen 14 Punkten. Da sämtliche Ziele nicht auf die Vernichtung des Gegners zielten, kann man hier nicht von Totalem Krieg sprechen. 

Ypern 1917
Zu 2 und 3) Die militärische Führung fixierte sich ganz auf die Entscheidungsschlacht, deren Sieg den Gegner zur Aufgabe zwingen sollte. Das geschah jedoch nicht; in der Somme-Offensive fielen allein am ersten Tag 60.000 Briten. Beide Seiten radikalisierten den Einsatz an der Front gegen den Feind wie sich selbst. Auch an der Heimatfront (der Begriff kam erst im Krieg auf) wurden alle Ressourcen mobilisiert; im Hindenburg-Programm wurde die ganze Heimatwirtschaft auf Krieg ausgerichtet. Auch in anderen Ländern wurden solche Schritte ergriffen; GB etwa führte die Wehrpflicht ein. Auch die besetzten Gebiete wurden für die Kriegführung herangezogen, besonders Belgien durch die Deutschen. All das signalisiert zweifellos eine starke Radikalisierung in der zweiten Hälfte des Krieges; dazu gehören auch die britische Seeblockade und der deutsche unbegrenzte U-Boot-Krieg.
Das alles darf als Tendenz zum Totalen Krieg gesehen werden; im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg ging es jedoch nicht um die Vernichtung der Bevölkerung, sondern deren Kapazität, den Krieg weiterzuführen. Somit war es ein begrenzter Schritt zum Totalen Krieg

Zu 4) Die Westmächte sahen Versailles als Versuch, Deutschland zu schwächen und seine Wirtschaftsmacht und militärisches Potenzial zu zerstören. Stärker traf es Deutsch-Österreich und Ungarn; deren Dominanz wich einem Schrumpfen zu Kleinststaaten. Ein Anschluss wurde verboten. Sehr hart traf es das Osmanische Reich, das anfangs sogar Teile des türkischen Kerngebiets verlieren sollte; erst das Weiterkämpfen ihrer Armee verhinderte das. 1923 wurde die türkische Republik gegründet. In Osteuropa konnten die Westmächte nicht einmal den Frieden durchsetzen: Russland versinkt im Bürgerkrieg, Polen und die Ukraine kämpfen gegeneinander, ebenso Polen und Russland.
Die Art der Beendigung des Krieges weicht vom 19. Jahrhundert stark ab und bereitet den nächsten Krieg mit vor, ohne ihn zwangsläufig zu implizieren. Die Frage nach der Deutung des Kriegsendes als Totalen Krieg ist nicht eindeutig zu beantworten; es kommt viel auf die Perspektive an.  

Bildnachweise:
Suez - Young Persons' Cyclopedia of Persons and Places (gemeinfrei)
Kavallerie - Canadian Illustrated News (gemeinfrei)
Clausewitz - Karl Wilhelm Wach (gemeinfrei)
Franc-tireurs - Alphonse-Marie-Adolphe de Neuville (gemeinfrei)
Bismarck und Napoleon - Walter Stein (gemeinfrei)
Washington - Emanuel Leutze (gemeinfrei)
Türkische MG - unbekannt (CC-BY-SA 3.0)
Marinekompanie - St. Krekeler (gemeinfrei)
Herero - unbekannt (gemeinfrei)
Trotha-  unbekannt (gemeinfrei)
Soldaten - Royal Engineers No 1 Printing Company (gemeinfrei)
Versailles - William Orpen (gemeinfrei)
Ypern - Frank Hurley (gemeinfrei)

Die dreiteilige Serie basiert auf der gleichnamigen Vorlesung von Prof. Dr. Langewiesche.

2 Kommentare:

  1. "Der deutsche Gouverneur wäre dazu bereit gewesen; der neue militärische Befehlshaber von Throta (?) jedoch, der im Juni 1904 die uneingeschränkte Befehlsgewalt erhielt und den Gouverneur faktisch entmachtete."

    Bitte in den verschiedenen Artikelteilen die Stellen mit den "(?)" noch einmal durchgehen, um zumindest die Namen zu verifizieren. Hier fällt es besonders negativ auf, da direkt daneben ein Foto mit der richtigen Schreibweise als Bildunterschrift gezeigt wird. Außerdem ist der Satz irgendwie unvollständig.

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