Von Stefan Sasse
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Emblem "Schwerter zu Pflugscharen" |
Die Proteste innerhalb der DDR
benötigten wegen der Unterdrückung von Opposition durch die SED Schutzräume,
innerhalb derer sie sich entfalten konnten. Ein Schutzraum war die evangelische
Kirche, die zwar im durch die DDR verordneten Staats-Atheismus keine große Rolle
spielte und deren Stellung stets prekär war, die aber auch nicht einfach
angegriffen werden konnte – das internationale Ansehen der DDR war so schon
schlecht genug, ohne einen Kulturkampf vom Zaun zu brechen, und die
abzusehenden Propagandabilder von aufgelösten Gottesdiensten und misshandelten
Pfarrern ließen die staatlichen Stellen vorsichtiger agieren als bei den
meisten anderen Oppositionsgruppen. Dazu kam, dass der Protest auf einer
breiten, nicht grundoppositionellen Stimmung genährt wurde: der Afghanistankrieg
der Sowjetunion und die Verschärfung des Tonfalls in den 1980er Jahren,
verbunden mit der Wiederaufrüstung (Stichwort NATO-Doppelbeschluss) hatten
viele Menschen auch in der DDR mit Sorge um einen neuen Krieg zurückgelassen.
Durch die Selbststilisierung in der Propaganda des Sozialismus als „Kraft des
Friedens“, konträr zum kriegerischen „Imperialismus des Westens“, konnte die
Friedensbewegung, die aus dieser Furcht resultierte, ebenfalls nur vorsichtig
angegangen werden.
Getragen wurde diese
Friedensbewegung, die seit langem die erste zivilgesellschaftliche Massenbewegung
der DDR außerhalb der Parteigrenzen darstellte, auch von der evangelischen
Kirche. Das berühmte Motto war das Bibelzitat „Schwerter zu Pflugscharen“, das
es auch wenig religiösen Menschen erlaubte, sich hinter ihm zu sammeln. Die
Friedensbewegung vermischte sich jedoch mehr und mehr mit anderen Bewegungen,
die der DDR-Führung gegenüber kritisch eingestellt werden, etwa dem Neuen
Forum.
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Jens Reich vom "Neuen Forum", 4.11.1989 |
Es ist an dieser Stelle wichtig
zu betonen, dass die damalige DDR-Opposition nicht die Auflösung des Landes
betrieb. Eine Wiedervereinigung stand überhaupt nicht zur Debatte. Gefordert
wurde eine Reform der verkrusteten DDR-Strukturen, besonders in wirtschaftlicher
und liberaler Hinsicht. Reisefreiheit, ein Ende der ständigen Zensur und
vergleichbare Forderungen bestimmten die Agenda und wurden durchaus entlang
sozialistischer Linien vertreten – auch die Änderung dieses ideologischen
Fundaments wurde nicht offen angestrebt; eine Abkehr wurde vom „Real“-Sozialismus
gewünscht, von der Herrschaft der SED. Die Fundamentalkritiker waren eine
verschwindende Minderheit und würden erst im Gefolge des Mauerfalls Zulauf
erhalten. Stattdessen richtete man seine Hoffnungen mit erstaunlichem Realismus
an die Sowjetunion, gegen die – das hatte sich 1953 gezeigt – keine Änderung
möglich war, deren Entwicklung unter Gorbatschow aber Anlass zur Hoffnung bot.
Gorbatschow aber handelte nicht.
Er tadelte zwar die SED-Führung bei seinen Besuchen in der DDR, forderte aber
keine Politik ein. Es ist auch fraglich, ob er sich überhaupt noch in einer
entsprechenden Position befand, dies zu tun, selbst wenn er es gewollt hätte.
Die Ostblockstaaten waren 1989 aber auf sich allein gestellt und hatten
mehrheitlich den Kurs auf Öffnung und Abkehr von der Sowjetunion gestellt. Die
regierenden Kommunisten in vielen dieser Länder konnten sich einen solchen Kurs
auch leisten. Die radikale Ablehnung einer ähnlichen Öffnungs- und Reformpolitik
durch die SED folgte aber durchaus einem rationalen Kalkül: mit dem Magneten
BRD in direkter Nachbarschaft war nicht damit zu rechnen, dass die SED selbst
diesen Prozess überleben könnte. Während die kommunistischen Parteien etwa in
Polen oder Ungarn eine gewisse Transformation bewerkstelligen und eine gewisse
Stellung behalten konnten, konnte für die SED kein Zweifel über ihre eigene
Popularität entstehen. Dies machte die Parteiführung entschlossen, und die Situation
gefährlich, wusste man doch nicht, zu welchen Mitteln sie greifen würde.
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Sowjetische Panzer in Leipzig, 1953 |
Dies galt auch für das Ausland. Die
westlichen Staaten hatten auf die Unruhen im Ostblock immer auch mit Sorge
geblickt, denn die Instabilität dieser Länder betraf sie direkt auch. Sowohl
1953 als auch 1956 war klar, dass ein Eingreifen des Westens einerseits im
Einklang mit seinen propagierten Idealen stehen, aber andererseits auch eine
gewaltige Kriegsgefahr mit sich bringen würde. Es war zu erwarten, dass sie SED
versuchen würde, eine ähnliche Situation wieder zu erschaffen und die Sowjetunion
in eine Lage zu bringen, die ein militärisches Eingreifen wie 1953 erforderlich
machte. Als etwa massenhaft Flüchtlinge die BRD-Botschaft in Prag stürmten, befürchtete
man in Bonn schwere diplomatische Verwicklungen, und die Westalliierten
brannten nicht gerade darauf, über die Frage der deutschen Wiedervereinigung in
eine große internationale Krise gestürzt zu werden. Sie unternahmen daher
nichts.
Diese Politik aber wurde bald durch
die Kraft des Faktischen weggeschwemmt. Die SED schasste ihren langjährigen
Chef, Erich Honecker, und versuchte sich an Reformen. Wie zu erwarten wurden
diese als ungenügend empfunden, und die Stimmung wurde immer aufrührerischer. Der
Wandel in den anderen Ostblockstaaten bildete ein stetes Vorbild, anhand dessen
man die Langsamkeit der SED ebenso kritisieren konnte wie das Ungenügen der
Maßnahmen. Entscheidend für den Zusammenbruch der DDR aber war letztlich der
Zufall.
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Günther Schabowski |
Am Abend des 9. November 1989 hielt
Günther Schabowski, Mitglied des Politbüros, eine Pressekonferenz ab. Nichts
deutete darauf hin, dass etwas Besonderes passieren würde. Doch aus der Frage
eines italienischen Journalisten nach dem neuen Reisegesetz, das Schabowski
vorher vorzustellen aufgetragen worden war, entwickelte sich eine ungeheure
Dynamik: Schabowski, der die Sperrfrist des Gesetzes nicht kannte, erklärte auf
Nachfrage, es trete sofort in Kraft. Das war falsch, aber der Schaden war
angerichtet. Tausende von Bürgern in Berlin verlangten nach Radioberichten von
ersten Grenzübertritten von den irritierten Grenzwachen, nach Westen gelassen
zu werden. Dieser Moment ist eine Schicksalsstunde der deutschen Geschichte, denn
niemand hatte irgendwelche Befehle gegeben. Dass nicht irgendwo das Feuer
eröffnet wurde, ist fast ein Wunder. Stattdessen implodierte die Grenzsicherung
und gab die Übergänge frei – der Mauerfall, das historische Ereignis, hatte
stattgefunden.
2009 allerdings kamen
Informationen zutage, die an dieser Version der Ereignisse Zweifel aufkommen
lassen. Riccardo Ehrmann, der Journalist, der Schabowski die Frage gestellt
hatte, war nämlich vorher gebrieft worden, sie zu stellen – andernfalls hätte
Schabowski das Gesetz wohl vergessen vorzustellen, und ohne die Nachfrage, wann
es in Kraft trete, wäre der Mauerfall ebenfalls nicht vonstattengegangen –
zumindest nicht so. Die Quelle Ehrmanns befand sich innerhalb der SED. Die
wahrscheinlichste Erklärung hierfür ist, dass jemandem der politische Wandel
nicht schnell genug ging und das Durchstechen an den Journalisten ein Versuch
war, Egon Krenz zum Handeln zu zwingen. Trotzdem bestimmen immer noch
wesentliche Zufälle das Bild, denn weder Journalist noch Quelle konnten ahnen,
dass Schabowski nicht die geringste Ahnung von dem Gesetz hatte und zur
Information nur auf einen kleinen Zettel bauen konnte, auf dem nichts von der
Sperrfrist stand. Hätte er diese gekannt, so wäre der Plan der SED, das Ganze
im Wust weiterer Ankündigungen zu verstecken und erst einmal auszutesten
sabotiert worden – aber trotzdem Zeit geblieben, die Grenzsicherung
entsprechend zu instruieren und es in organisierte Bahnen zu lenken. Das Chaos
des Mauerfalls jedenfalls dürfte die Quelle nicht intendiert haben. Im direkten
Nachhall des Mauerfalls nahm die Kohärenz der Grenzkontrollen stark ab. Oftmals
wurden nur noch stichpunktartige Überprüfungen durchgeführt um bis nach der
Volkskammerwahl im März 1990 fast völlig zu verschwinden.
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Kohl mit Honecker, 1987 |
Der Mauerfall setzte die BRD
unter starken Zugzwang. Es war klar, dass eine reformunwillige SED in einer DDR
mit offenen Grenzen geradezu eine Einladung zur Massenausreise aussprach, die
die BRD unmöglich würde bewältigen können und die die Machtbalance stark
gefährden würde. Die Priorität der BRD musste es daher sein, den Bürgern der
DDR eine Perspektive zu geben, die sie bleiben ließ, und gleichzeitig die
Situation im eigenen Sinne nutzen. Welche Überlegungen die Bundesregierung zu
diesem Zeitpunkt angestellt hatte, erkennt man sehr gut am Zehn-Punkte-Plan
Helmut Kohls, der bereits Wochen später rettungslos überholt war. Er sah
wirtschaftliche Soforthilfe und die Zementierung der „humanitären
Erleichterungen“ (vulgo: Grenzöffnung) vor, ehe konföderative Strukturen
geschaffen und die DDR auf Beitrittskurs zur EG gebracht werden konnte. Am Ende
dieses Prozesses sollte, unter internationaler Einbindung der KSZE-Staaten,
dann in irgendeiner Form die Wiedervereinigung stehen. Mit Sicherheit war diese
Vorstellung langfristig angelegt; die Konföderation beider deutscher Staaten
hätte genügend Zeit für einen entsprechenden Umbau und Maßnahmen gelassen.
Die Realität überholte diese Vorstellungen
schnell. Für den Mai 1990 war eine Volkskammerwahl angesetzt worden, die erste
freie in der DDR-Geschichte. Die Regierungsgewalt der SED brach jedoch bereits
zwischen Dezember 1989 und Februar 1990 immer stärker in sich zusammen.
Bundeskanzler Helmut Kohl war damit gezwungen, schneller als gedacht zu
handeln, und ergriff die Gelegenheit mit zielsicherem Instinkt. Bei aller
Kritik an seiner Politik muss man festhalten, dass sein Handeln in diesem Jahr
zwischen Mauerfall von einer klaren Analyse politischer Realitäten geprägt war,
die etwa seinen Konkurrenten bei der SPD ebenso abging wie vielen Beobachten
und ausländischen Diplomaten. Schneller als anderen wurde ihm klar, dass die
Weichen auf einer schnellen Wiedervereinigung standen und die Vorstellungen,
vorsichtig den Weg über eine Konföderation zu gehen, hinfällig waren. Er setzte
sich dabei brutal über ökonomische Bedenken hinweg – für die Bürger der DDR
hatte die D-Mark Signalwirkung, daher mussten sie sie erhalten, um die
Situation zu stabilisieren, und zu einem für sie günstigen Umrechnungskurs. Als
darüber in der BRD eine Debatte ausbrach, zeigten die Demonstrationen in der
DDR („Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh‘n wir zu ihr“), wie
richtig er gelegen hatte. Dass dies später gewaltige ökonomische Verwerfungen
im wiedervereinigten Deutschland produzieren würde, nahm Kohl ebenso in Kauf
wie die Unhaltbarkeit seiner Versprechen von den „blühenden Landschaften“. In
der Situation des Jahreswechsels 1989/90 stabilisierte er so die Lage und
verschaffte sich Luft nach außen.
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Von der BRD nominell beanspruchter Grenzverlauf |
Die brauchte er auch, denn die
Entwicklungen in Deutschland wurden äußerst misstrauisch beäugt. Den alliierten
Siegermächten war nicht entgangen, welchen Weg die bundesdeutsche Politik
einschlug, und die Lage war sehr verworren. Das Besatzungsstatut von 1945
regelte, dass gesamtdeutsche Fragen nur von den vier Siegermächten im Konsens
geregelt werden konnten, bis ein Friedensvertrag mit Deutschland geschlossen
war, etwa nach den Nachkriegsgrenzen Deutschlands. Dazu war es im Kalten Krieg aber nie gekommen, wo gesamtdeutsche Fragen
ohnehin akademische Fragen geblieben waren. Nun aber bedeutete es, dass
jegliche Konföderation oder gar Vereinigung den Abschluss eines Vertrags mit
BRD und DDR sowie die Einigkeit von Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien und
der Vereinigten Staaten voraussetzte. Hätte man dies noch 1988 jemandem
vorgeschlagen, wäre man schallend ausgelacht worden. So aber gerieten diese
Provisiorien zu den letzten Verhandlungstrümpfen, die die DDR-Führung in der
Hand hatte – und die es Frankreich und Großbritannien ermöglichten, den von
ihnen sehr kritisch gesehenen Vereinigungsprozess zu entschleunigen und in
ihrem Sinne zu lenken.
Bildnachweise:
Emblem - unbekannt
Jens Reich - Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-036 / Link, Hubert / CC-BY-SA
Panzer - Bundesarchiv, Bild 175-14676 / CC-BY-SA
Schwabowski - Bundesarchiv, Bild 183-1982-0504-421 / CC-BY-SA
Kohl/Honecker - Bundesarchiv, Bild 183-1987-0907-017 / Oberst, Klaus / CC-BY-SA
Karte - Christoph Lingg (CC-BY-SA 2.0)
So ungefähr Anfang/Mitte November 89 war der Umschwung. Ab dieser Zeit wollten viele Ostdeutschen die Wiedervereinigung, bzw. den Konsum. Das klingt nicht nett, war aber so und schlug sich in den Sprechchören nieder. Diejenigen die bis Ende Oktober 1989 auf die Straßen gingen und innerhalb der DDR Veränderungen wollten, wurden z.B. in Leipzig ausgebuht, als sie vor den Demonstranten redeten, so z.B. ein Vertreter des "Neuen Forums". Anfang November waren an den Rändern der Montagsdemo massiv die CDU und die rechten Parteien (Republikaner/NPD) vertreten mit ihrem Informationsmaterial in Hochglanz und Gimmicks. Die Blockparteien wurden zu diesem Zeitpunkt massiv von ihren "Schwester"parteien in Westdeutschland unterstützt. In der LdPD z.B. wurden diejenigen kalt gestellt, die eine Änderung innerhalb des Systems wollten und neue Entscheidungsträger wurden etabliert, die der FDP genehm waren. Andererseits konnten Vertreter wie z.B. der Friedensinitiativen nicht an den Runden Tischen - sprich hier auf Bezirksebene Leipzig - punkten. Sie waren unerfahren und auch auf anderer Art oft spießig. Sie - selbst erlebt - diskutierten, z.B. darüber, wer Telefonanschlüsse haben darf und wer nicht unter neuen Verhältnissen. Eben andersherum, als es vorher war, aber eben gleich. Nicht vergessen darf man auch die vielen wirklich guten Initiativen vor allem junger Leute, die sich damit befassten, z.B. Wohneigentum in völlig neuen Formen zu kreieren. Gemeinschaftseigentum stand bei ihnen absolut im Vordergrund. So, das nur mal so mit eingeworfen, weil aus eigenem Erleben. Es gäbe noch viel mehr zu erzählen, von den guten und gehaltvollen Diskussionen an den verschiedenen Runden Tischen, z.B. - wo ich auch war - Kultur. In der Regel gingen die guten Ideen beim Anschluss den Bach hinunter.
AntwortenLöschenGlaub ich gleich. Da waren die anderen ihnen einfach über - wie halt eben auch der SPD, die das überhaupt nicht gesehen hat.
LöschenAnmerkung: Kommentar wegen rechtsradikaler Hetze gelöscht.
AntwortenLöschenDein Blog ist bei mir gelöscht. Wie kann man bei der patriotischen DDR und der verräterischen BRD die Augen verschließen? Schizophren.
AntwortenLöschenEin Land kann nicht patriotisch sein, nur seine Bewohner. Gleiches gilt für "verräterisch".
Löschenwww.reichsamt.info
AntwortenLöschenGrüß Gott
AntwortenLöschenGorbatschow, Regen und Kohl wussten schon seit 1986, es könnte auch Anfang 1987 gewesen sein.
Das die Wiedervereinigung Deutschlands , von HÖCHSTER Stelle aus gewünscht war.
Genau wie nun Medwedew, Busch und Merkel seit 2008 wissen, das ein Friedensvertrag für Deutschland schon längst fällig wäre.
Mit freundlichen Grüßen
@Anonym 6:15 MUHAHAHAHAHAHAHAHA
AntwortenLöschen@Anonym 10:52: Ich schlage vor, ihre Lesekompetenzen aufzubessern. Der 2 + 4 Vertrag ist ein Friedensvertrag, ausser im Namen.