Mittwoch, 26. Dezember 2012

Ein kurzer Überblick über die Revolution von 1848

Von Stefan Sasse

Lithographie der Barrikadenkämpfe in Berlin, März 1848
Die Revolution von 1848/49 war ein epochemachendes Ereignis in Europa. Dabei spricht bei einer oberflächlichen Betrachtung nur wenig für diese Interpretation: sowohl in Frankreich als auch im Deutschen Bund schuf die Revolution erst einmal nur wenig Bleibendes: Frankreichs zweite Republik wich nach nur kurzer Zeit der Regentschaft eines neuen Kaiser Napoleon, während das kurzlebige Paulskirchenparlament im Deutschen Bund kaum ein Jahr alt wurde. In beiden Fällen kamen danach wieder alte Eliten an die Macht und versuchten ihr bestes, an die Restaurationspolitik des Vormärz anzuknüpfen. 

Diese Restaurationspolitik nahm ihren Ursprung im Wiener Kongress 1814/15, in dem die Großmächte (minus das gegnerische Frankreich) über die politische Ordnung nach der unvermeidlichen Niederlage Napoleons nachdachten. Schnell wurde klar, dass die politischen Rechte, die weiten Volksschichten im Zuge der napoleonischen Reformen zugutegekommen waren und die das Volk immer vehementer einforderte, von keinem der Fürsten gewünscht waren und schnell wieder beseitigt werden sollten. Wem das 1815 noch nicht deutlich vor Augen stand, der musste nur das Wartburgfest 1817 beobachten, auf dem radikale Studenten die Errichtung eines deutschen Nationalstaats forderten, der auf einer Verfassung beruhte – ein klarer Angriff auf die Souveränität der Fürsten, die entsprechend 1819 die Karlsbader Beschlüsse einführten, mit denen sie die Presse und das junge Verlagswesen einer allgemeinen Zensur unterwarfen und die politische Opposition unterdrückten, ein Muster, das sich durch die gesamte Restaurationszeit zog (besonders gut sichtbar 1832/34 mit dem Hambacher Fest und einer weiteren Verschärfung der Beschlüsse). 

Notleidende schlesische Weber, 1848
1848 jedoch, nach einer Periode ungewöhnlicher wirtschaftlicher Not, entluden sich die aufgestauten Spannung explosionsartig in Frankreich, wo die Herrschaft der Bourbonen endgültig beendet wurde. Von dort schwappte der revolutionäre Geist, wie bereits 1789/90, schnell in die westdeutschen Gebiete über. In Baden, das einer der wenigen deutschen Verfassungsstaaten war, forderte Daniel Bassermann in der dortigen zweiten Kammer die Einberufung einer Nationalversammlung, die über eine gesamtdeutsche Verfassung und einen deutschen Staat beraten solle. Die Forderung fand Gehör vor allem, weil die Fürsten des Deutschen Bundes alle Hände voll damit zu tun hatten, revolutionäre Bewegungen in ihren Ländern niederzuhalten: So hatte es im März 1848 Barrikadenkämpfe in Berlin gegeben, und der preußische König war gezwungen worden, den Gefallenen seine Reverenz zu erweisen. Auch in Österreich war die Lage dramatisch, wo der Kaiser zudem mit Separationsbestrebungen zu kämpfen hatte. 

Unter einem ungewöhnlich gleichen und freien Wahlrecht wurden Abgeordnete für die Nationalversammlung in Frankfurt bestimmt, die nun eine ganze Reihe von Herausforderungen theoretischer und praktischer Art vor sich hatten. Man tut den Revolutionären kein Unrecht an, wenn man ihnen bescheinigt, die theoretischen Probleme gut im Blick gehabt zu haben, jedoch die praktischen sträflich vernachlässigt zu haben (was Bismarck später zu seiner „Blut und Eisen“-Bemerkung veranlasste). Diese praktischen Probleme betrafen vor allem dir realpolitische Durchsetzung von gefassten Beschlüssen, für die es kaum Machtmittel außerhalb der etablierten bundesstaatlichen gab, die fest in der Hand der Fürsten waren. Dies zeigte sich im Sommer 1848 exemplarisch am Krieg gegen Dänemark, den die Nationalversammlung zwar enthusiastisch begrüßte, der aber von Preußen praktisch souverän geführt und vor allem beendet wurde, was den Abgeordneten wie auch den Fürsten die Impotenz der Nationalversammlung eindrücklich vor Augen führte. 

Frankfurter Nationalversammlung, 1848
Die theoretischen Probleme dagegen waren wohl umrissen. Sie umfassten die zukünftigen Grenzen des deutschen Nationalstaats – vor allem, ob und in welcher Form Österreich dazugehören würde -, die Regierungsform und die Frage des Staatsoberhaupts. Die Abgeordneten waren sich in diesen Fragen keinesfalls einig. In Ermangelung von Parteien, die es damals noch nicht gab und die auch ein verabscheutes Konzept darstellten, fanden sich geistesverwandte Abgeordnete zu informellen „Stammtischen“ in örtlichen Gaststätten zusammen, nach denen diese Fraktionen auch den Namen erhielten – Casino, Deutscher Hof, Augsburger Hof, Milani, etc. – die eine wesentlich offenere Struktur als die späteren Parteien aufwiesen. Wechsel und Spaltungen waren an der Tagesordnung, und eine Art Fraktionszwang fehlte völlig. Trotz dieser und anderer Herausforderungen (das Parlament bearbeitete in seinem runden Jahr Bestehen über 1000 Bürger-Petitionen) erreichte die Nationalversammlung Arbeitsfähigkeit in all diesen Fragen. 

Die Schmähung als reines Redeparlament erklärt sich aus der anhaltenden Schwäche durch die mangelnden Durchsetzungsmechanismen. Als die örtlichen Revolutionen – die den liberalen Abgeordneten selbst ein Dorn im Auge waren – von den Fürsten nach und nach niedergeschlagen wurden, schwand deren aus der Furcht gespeiste Kooperation mit der Nationalversammlung. Der preußische König etwa gestand seinem Volk aus eigener Machtvollkommenheit eine Verfassung zu, während der österreichische Kaiser Wien zurückeroberte und zahllose Revolutionäre hinrichten ließ, darunter auch den Frankfurter Abgeordneten Robert Blum, der eigentlich durch die parlamentarische Immunität geschützt war – ein klarer und bewusster Affront. 

Karikatur auf die Bestrebungen der Schaffung eines Staates
Die Nationalversammlung musste unter dem Druck der Realität von großdeutschen Plänen Abschied nehmen und sich auf eine kleindeutsche Lösung besinnen, was jede Halteschranke nationalistischen Überschwangs entfernte und die Minderheiten innerhalb der Reichsgrenzen auf einen Germanisierungskurs zwang. Die Demokraten und Republikaner, gegenüber den gemäßigten Liberalen hoffnungslos in der Minderheit, akzeptierten in einem großen Kompromiss eine konstitutionelle Monarchie und gaben ihre republikanischen Hoffnungen auf. Im Gegenzug garantierte die neue Verfassung Bürgerrechte und implementierte ein allgemeines, gleiches und geheimes Wahlrecht – für die damalige Zeit ein außerordentlicher und revolutionärer Schritt. In einer letzten Anpassung an die realpolitischen Gegebenheiten sandte die Nationalversammlung eine Delegation zum preußischen König, um ihm die Krone für das so geschaffene neue Staatsgebilde anzutragen. 

Dessen Ablehnung des „Reifs aus Dreck und Letten“ bedeutete das endgültige Scheitern der Revolution, die auch durch die Abspaltung eines republikanisch gesinnten „Rumpfparlaments“, das, viel zu spät, die Revolution noch einmal entfachen und in den Dienst der neuen Verfassung stellen wollte, nur noch einmal kurz aufloderte, ehe sie in Stuttgart von preußischen Truppen endgültig niedergeschlagen wurde. 

Verfassungsschema Paulskirchenverfassung, 1849
Trotzdem diesem offenkundigen Scheitern kann die Revolution selbst nicht als völliger Fehlschlag angesehen werden. Die spätere Reichsgründung „von oben“ erwies sich als spannungsgeladenes Gebilde, das schließlich ein einem Sturm aus „Blut und Eisen“ einem weiteren Versuch der Staatsgründung „von unten“ weichen musste, und viele Ideen von 1848 – die Grundrechte und der Föderalismus, um nur zwei zu nennen – bestimmen unsere heutige bundesrepublikanische Gegenwart, während die Blut-und-Eisen-Ideologie der Fürsten mitsamt ihrem Gottesgnadentum im Nebel der Geschichte versinken. Die Ideen von 1848 erwiesen sich ultimativ als wirkmächtiger als die Ideen von 1871.

Literatur:
Dieter Hein - Die Revolution von 1848/49
Frank Engehausen - Die Revolution von 1848/49 
Mike Rapport - 1848: Revolution in Europa
Frank Lorenz Müller - Die Revolution von 1848/49  
Claudia Liebeswar - Die Revolution von 1848

Bildnachweise: 
Barrikaden - unbekannt (gemeinfrei)
Weber - Carl Wilhelm Hübner (gemeinfrei)
Versammlung - Leo von Elliott (gemeinfrei)
Karikatur - unbekannt (gemeinfrei)
Schema - CyborgMax (CC-BY-SA 3.0)

1 Kommentar:

  1. "sich auf eine kleindeutsche Lösung besinnen, was jede Halteschranke nationalistischen Überschwangs entfernte und die Minderheiten innerhalb der Reichsgrenzen auf einen Germanisierungskurs zwang" - Wäre das bei einer großdeutschen Lösung nicht sogar noch mehr der Fall gewesen, Stichwort tschechische Minderheit?
    Das Fehlen eines geschlossenen "runden" deutschen Siedlungsgebietes ist möglicherweise der tiefere Grund, warum sich eine demokratische Gesinnung in D so schwer verwurzeln konnte. Eine konsequente Demokratisierung hätte ihren territorialen Preis gehabt - nicht nur im fernen preußischen Osten, sondern auch im historischen Kernland Böhmen. Eine solche Perspektive war für eine werdende Großmacht aus nahe liegenden Gründen unattraktiv.

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