Donnerstag, 21. Februar 2013

Wirtschaftspolitik im Dritten Reich, Teil 3

Von Stefan Sasse

Teil 1 und Teil 2 finden sich hier. 

Fritz Todt, 1940
Für den bevorstehenden Krieg aber stellte sich die chaotische Organisation als großes Problem dar. Nicht weniger als drei Personen hatten Kontrolle über die Wirtschaft, ohne dass ihre Kompetenzen geregelt wären. Für Hitler war dies vorteilhaft, weil er den ständigen Kompetenzkampf seiner Untergebenen brauchte, um selbst unangefochten an der Spitze zu stehen, aber für die Organisation des Krieges war es vollkommener Unfug. Georg Thomas, der Leiter des Wirtschaftsrüstungsamts, erklärte die Organisation zur „Missgeburt“. Neben ihm kontrollierten Göring als Leiter der Vierjahresplanbehörde und Fritz Todt als Generalbevollmächtiger für das Bauwesen die Wirtschaft. 

Zu diesem organisatorischen Chaos kam, dass die Wehrmacht insgesamt kaum als einsatzfähig beschrieben werden kann. Sie besaß nur einen geringen Vorrat an Munition – vielleicht zwei, maximal drei Monate – und nicht die Möglichkeiten, genügend zu produzieren. Gleiches galt für Ersatzteile und modernes Equipment; viele Flugzeuge und Fahrzeuge waren bereits veraltet (was sich natürlich gegen das noch ältere polnische Equipment nicht so dramatisch auswirkte). Am Ende des Polenfeldzugs waren rund 50% des Fahrzeugbestands und große Teile der Luftwaffe nicht mehr einsatzbereit. Die Vermutung, dass ein beherzter Angriff der Alliierten den Krieg für Deutschland hätte dramatisch enden lassen, liegt zumindest nicht vollständig fern. Es sollte bis zum Frühjahr 1940 dauern, bis die Wehrmacht wieder die Stärke erreicht (und überschritten) hatte, die sie vor dem Polenfeldzug besessen hatte. Gleichzeitig wurde die bestehende Marine von der Royal Navy gejagt und verlor fast jede Begegnung. 

Großadmiral Raeder, Initiator des Plan Z
Der erfolgreiche Polenfeldzug öffnete den Nationalsozialisten aber eine gänzlich andere Ressource: Arbeit. Anfangs noch auf Freiwilligenbasis, bald aber mit Zwang, wurden polnische Arbeiter in der Rüstungsindustrie eingesetzt und erlaubten so das massenhafte Einziehen von deutschen Arbeitern in die Wehrmacht, ohne die Produktivität (noch weiter) absinken zu lassen. Eine andere Ressource dagegen wurde bereits im Herbst 1939 empfindlich knapp: Eisenerz. Die polnischen Vorräte, die man erbeutet hatte, halfen nicht lange weiter, und aus Frankreich konnte aus naheliegenden Gründen nichts mehr importiert werden. Die wichtigste Quelle war Schweden, aus deren Bergwerken das Erz in die ganzjährig eisfreien norwegischen Häfen transportiert und von dort innerhalb der Drei-Meilen-Zone nach Deutschland verschifft wurde. Die Briten konnten das kaum zulassen, und so begann ein Wettlauf um die Kontrolle der norwegischen Handelsrouten, der im Frühjahr 1940 durch den Skandinavienfeldzug entschieden wurde, bei dem die Deutschen Norwegen besetzten und sich damit das schwedische Erz bis Kriegsende sicherten. Gleichzeitig aber kostete dieser Erfolg das Deutsche Reich einen Großteil seiner Überwasserflotte, die nie ersetzt werden konnte und beschleunigte den Ausbau der U-Bootflotte und das Ende des größenwahnsinnigen Plan Z – das erste Programm der Vorkriegszeit, das der Realität des Kriegsdrucks zum Opfer fiel. 

Unter dem Eindruck dieser katastrophalen Unzulänglichkeiten wurde im Frühjahr 1940 Fritz Todt zum Reichsminister für Bewaffnung und Munition ernannt, wodurch ihm technisch gesehen die gesamte Wirtschaft unterstand. Sicher war er vor Störfeuer Görings jedoch nie, der als Oberbefehlshaber der Luftwaffe genug Einfluss behielt, auch wenn seine Vierjahrplanbehörde rapide an Einfluss verlor. Die deutsche Industrie, allen voran die „Wehrwirtschaftsführer“ IG Farben, Krupp und Thyssen verweigerten sich jedoch einer Zentralisierung der Wirtschaft und wollten weiterhin das Rentabilitätsprinzip erhalten (was zu großen Gewinnen und dem kommunistischen Mythos vom kapitalistischen Krieg führen würde). Erst ab 1943 würde es in größerem Umfang Schließungen von nicht kriegswichtigen Betrieben geben. 

Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts 1939
Der Sieg gegen Frankreich entspannte die Lage für die Wehrmacht erneut. Die vielen Kriegsgefangenen, die französischen Ressourcen und die Zwangsarbeiter erlaubten das Freistellen weiterer deutscher Arbeiter, die auch zunehmend durch Frauen ersetzt wurden. Der nun anstehende Luftkrieg über England zeigte aber erneut die Unzulänglichkeiten der deutschen Planung: Niemand hatte vor 1940 ernsthaft die Überlegung aufgestellt, wie die britische Royal Air Force bekämpft werden könnte. Stattdessen war die deutsche Luftwaffe auf Bodenunterstützung ausgelegt worden. Das Fehlen vernünftiger Flugzeugtypen sowohl für strategische Bombardements als auch das Erringen der Luftherrschaft führten zur Niederlage Deutschlands in der „Luftschlacht um England“ und einer nachhaltigen Verkrüppelung der Luftwaffe selbst. Aufgrund der effektiven englischen Seeblockade fehlten dem Deutschen Reich zahlreiche kriegswichtige Ressourcen, vor allem Grundnahrungsmittel wie Getreide, Verhüttungsmetalle und seltene Metalle sowie Öl und Kautschuk. Der einzige größere Handelspartner, der verblieb, war die Sowjetunion. Sie stellte besonders Öl und Getreide als Teil des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 zur Verfügung. Das Fehlen besonders der Getreideimporte nach dem Einfall in die Sowjetunion war nur durch die bewusste Hungerpolitik zu kompensieren, der Millionenen von Kriegsgefangenen und Zivilisten zum Opfer fielen, die aber immerhin die „Heimatfront“ beruhigte. 

Erneut zeigten sich im Verlauf des Jahres 1941 deutliche Schwächen der deutschen Kriegswirtschaft auf. In der gesamten Führungselite, besonders aber in der Wehrmacht, herrschte eine Verachtung für die „amerikanischen“ Methoden der Massen- und Fließbandfertigung vor, die nach Ansicht der Wehrmacht nur minderwertiges Material hervorbrachte (vergleiche Artikel „Folgenschwere Fehleinschätzung“). Stattdessen setzte man auf eine breite Palette komplexer und qualitativ hochwertiger, aber aufwändig herzustellender Systeme, was im Kriegsverlauf zunehmend Probleme bereiten würde. Da die Vierjahrpläne zudem eine feste Gewinnmarge für die Unternehmer vorsahen, gab es für die Kriegswirtschaft keinerlei Anreize zur Rationalisierung und sparsamen Ressourcenverbrauch. Teilweise wurden Ressourcen sogar heimlich von Rüstungsproduktionen weg in die wesentlich profitablere Konsumindustrie gelenkt. Todt weitete daher seine Befugnisse deutlich aus und unterwarf die Industrie ab 1941 einer wesentlich strikteren Kontrolle. 

Hochkomplexes Waffensystem: Der Tiger
Das System, das Todt sich als Konsequenz ausdachte, war das so genannte „Ausschusssystem“. Es löste die beiden Hauptprobleme auf einen Schlag, indem es der Wehrmacht die Kontrolle über den Rüstungsprozess entzog und gleichzeitig Anreize für rationales Wirtschaften schuf. Wenn Hitler oder ein anderer zuständiger Funktionär ein Projekt – etwa einen neuen Panzertyp – abgesegnet hatten, wurde dieses Projekt dem sogenannten „Hauptausschuss“ zugewiesen. Dieser legte fest, welche verschiedenen Teile benötigt wurden (etwa Munition, Chassis, Ketten, etc.) und wies diese den „Sonderausschüssen“ zu, die sich um die Beschaffung kümmerten. Auf diese Art und Weise wurde die Industrie wesentlich effizienter ausgelastet. Sie war aber immer noch nicht vor plötzlichen Prioritätenwechseln durch „Führerbefehl“ gefeit, der wie immer als chaotischer Faktor eingreifen konnte. Für ihn beeinflussende Untergebene wie Göring, Dönitz oder Rommel war dies natürlich ein geeignetes Mittel, um direkt Ressourcen für ihre Projekte zu bekommen. Gleichzeitig arbeiteten die Ausschüsse, unabhängig von Anforderungen, daran, die verschiedenen verwendeten Systeme zu vereinheitlichen. So waren bisher Munition und Ersatzteile selten kompatibel; Flugabwehrgeschütze der Wehrmacht verwendeten einen anderen Typ als die der Marine. Die Vereinheitlichungsanstrengungen schufen hier deutliche Produktivitätsgewinne. 

Nach Todts Tod übernahm Albert Speer die Rüstungsindustrie und erreichte weitere Produktivitätssteigerungen, indem er etwa „Sparingenieure“ einsetzte, die Rohstoffverschwendung eindämmten. Besonders erhellend ist folgende Episode: Speers Recherchen ergaben, dass viele Betriebe nur eine Schicht fuhren, während gleichzeitig in gigantischem Ausmaß neue Kapazitäten gebaut wurden. Speer ließ diese Neubauten sofort stoppen und stattdessen drei Schichten fahren. Für die Gewinne der Unternehmer und Hitlers Prestige war das ein schwerer Schlag, aber die Produktivität steig erneut deutlich an. 

Luftabwehr in Berlin
Letztlich glichen diese Produktivitätssteigerungen aber zu einem großen Teil nur die Verluste an industrieller Substanz durch die alliierten Luftangriffe aus. Obwohl diese deutlich weniger effizient waren, als ihre Planer es sich erhofft hatten (sie minderten die Produktivität maximal um 30%, eher deutlich weniger, und entfalteten gegen Japan eine um ein vielfaches verheerendere Wirkung) fraßen sie doch Kapazitäten, schon allein, weil Deutschland in die Luftabwehr zu investieren gezwungen war. Nichts destrotz stiegen die Produktionsraten bis 1944 kontinuierlich an, ein Phänomen, das die Alliierten nach 1945 zu emsigen Nachforschungen antrieb. Zwei Faktoren erwiesen sich als entscheidend: zum einen trafen die Luftangriffe nur Endmontagebetriebe und nicht die wirtschaftliche Basis, vor allem die Infrastruktur (deren Zerstörung 1945 brachte die Wirtschaft denn auch zum Erliegen), und zum anderen war die deutsche Wirtschaft vor 1943 schlicht katastrophal ineffizient gewesen. 

Nicht, dass sich dieses Grundproblem jemals wirklich beseitigen ließ. In einem für die deutsche Kriegswirtschaft typischen Akt stieg die Produktivität für die einzelnen Produkte – etwa Jagdflieger oder Panzer – dramatisch an, in Extremfällen um bis zu 600 Prozent. Gleichzeitig aber konzentrierte man sich so auf diese ingenieurtechnischen Höchstleistungen, dass andere Bereiche darunter litten. So stellte man, teils an entlegensten Orten, zwar hochmodernes Gerät her (etwa den Düsenstrahljäger), gleichzeitig wurden aber keinerlei Ersatzteile gefertigt oder ausgeliefert, was das Material effektiv nutzlos machte. Je weiter die Zerstörungen und ab 1944 Gebietsverluste voranschritten, desto mehr war die Industrie auf hastige Improvisationen angewiesen. Spätestens ab März 1945 war das ganze System endgültig und nachhaltig zusammengebrochen, konnten keine Lieferungen mehr getätigt oder Systeme mehr verbunden werden. Der Materialmangel war allumfassend und brachte das Wirtschaftsleben zum fast vollständigen Erliegen – ein wichtiger Faktor bei dem später entstehenden Mythos um die Stunde Null und dem Totalbeginn, den die alliierten Besatzungsmächte durchzuführen gezwungen waren. 

Albert Speer in Nürnberg, 1946
Die Wirtschaftspolitik der Nationalsozialisten war, man kann es kaum anders sagen, grotesk. Das vollständige Chaos, das sie kennzeichnete, und seine chronische Ineffizienz hätten in einem Staat, der nicht die bereits komplett industrialisierte Gesellschaft des Deutschen Reichs aufwies, katastrophale Folgen für die Bevölkerung gehabt – ein Experiment, das sich am Beispiel der Sowjetunion oder Chinas unter Mao Tsetung gut nachverfolgen lässt. So aber blockten die Wirtschaftsführer viele der für sie negativen Maßnahmen ab, bremsten sich die Bürokratien gegenseitig aus und verschoben sich beständig Kompetenzen und Prioritäten. Es liegt der Schluss verführerisch nahe, dass eine effizientere Wirtschaftsordnung dem Zweiten Weltkrieg eine gänzlich andere Richtung hätte geben können, aber dieser Schluss führt in die Irre. Der gesamte Krieg ist ein höchst irrationales Unterfangen. Hätten die Nationalsozialisten rational gehandelt, wären sie zu dem Schluss gekommen, dass die angestrebten Ziele unmöglich waren und von ihnen abgekommen, kurz: sie wären nicht die Nationalsozialisten gewesen. Der Zweite Weltkrieg, wie Deutschland ihn führte, ist kaum ohne die spezifischen Strukturen vorstellbar, die die Wirtschaft zu dem chaotischen, ineffizienten Komplex machten, der sie war. 


Bildnachweise: 
Fritz Todt - Bundesarchiv, Bild 146-1969-146-01 / Röhn / CC-BY-SA
Raeder - Imperial War Museum (gemeinfrei)
Pakt - National Archives & Records Administration (gemeinfrei)
Tiger - unbekannt (CC-BY-SA 3.0)
Flak - Bundesarchiv, Bild 101I-649-5387-09A / Vieth / CC-BY-SA
Speer - Charles Alexander (gemeinfrei)

4 Kommentare:

  1. Hallo Stefan,

    ich habe gerade diese Blog-Einträge hier mit Interesse zu Ende gelesen.

    Ich würde gerne wissen, ob du zur Kriegswirtschaft der USA, England und UdSSR ähnliche Artikel hast oder vorhast zu schreiben.

    Wenn nicht, würde ich dich gerne fragen, ob du Ausführungen bzw. Quellen zur sowjetischen Kriegswirtschaft im 2. Weltkrieg kennst, da mich das zur Zeit interessiert.

    Grüße

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    1. Leider ist die Antwort auf beide Fragen nein, ich habe auf dem Feld keine Ahnung.

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  2. Na danke auf jeden Fall für die Antwort.

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  3. und trotz dem hält sich der Nymbus vom deutschen Erfindertum und dem deutschem Fleiss mit seinen autobahnen. Leider ist es kein thema in der BWL.

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