Freitag, 11. November 2022

Rezension: Peter H. Wilson - Iron and Blood. A Military History of the German Speaking Peoples Since 1500 (Teil 1)

 

Peter H. Wilson - Iron and Blood. A Military History of the German Speaking Peoples Since 1500 (Hörbuch)

Deutsche Militärgeschichte ist nicht eben ein Feld, das arm an Veröffentlichungen wäre. Es ist allerdings ein Feld, das arm an zeitgenössischer, seriöser Forschung ist und eines, auf dem ansonsten die schlimmsten Exemplare der Populärwissenschaft unterwegs sind (ihr wisst schon, die Hälfte der Zeitschriftenauslage an Kiosken). Klischee reiht sich an Klischee, und in Deutschland selbst ist die Beschäftigung mit dem Gegenstand ohnehin wenn nicht mit einem Tabu belegt so doch zumindest vage unappetittlich. Wenig überraschend, dass die meiste Forschung aus dem englischsprachigen Ausland kommt. Der vorliegende Band, der im November 2022 ganz neu von Peter H. Wilson erschienen ist (bekannt etwa durch seine ausführliche Studie des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation in "Heart of Europe", das ich hier besprochen habe) und viele Vorschusslorbeeren erhalten hat, setzt sich explizit das Durchbrechen der typischen borussischen Klischees zum Ziel und legt eine Militärgeschichte aller deutschsprechenden Völker vor, der nicht beim Großen Kurfürsten, sondern über ein Jahrhundert vorher ansetzt. Allein dieser Ansatz macht die Lektüre wert. Doch der Band kann auch anderweitig bestechen.

Wilson macht von Beginn an klar, dass die Habsburger (und damit Österreich) einerseits und die Schweizer Eidgenossenschaft andererseits für ein tieferes Verständnis der Militärgeschichte Deutschlands unabdingbar sind. In aller gebotenen Kürze skizziert er die politische Situation am Eingang der Neuzeit und einige der wichtigsten Kriege, die in dieser Zeit gefochten wurden. Leider kategorisiert er diese nicht weiter, aber für mich war auffällig, dass diese grob in drei Kategorien fallen: Expansion des Territorium, wenn etwa die Schweizer versuchen, Norditalieb zu erobern; Kriege zur Durchsetzung politischer Ziele (nicht zwingend territorialer Art), etwa der Verhinderung von Unabhängigkeitsbestrebungen oder ihre Förderung; und zuletzt der Dauerkrieg gegen die Türken, die im 16. Jahrhundert rapide über den Balkan nach Ungarn hinein expandierten.

Die Hauptakteure sind hier einerseits die von den Habsburger geführten deutschen Fürsten, andererseits die Franzosen, die aggressiv ihren Einfluss zu erweitern suchten, und zuletzt eben die Osmanen. Wilson arbeitet heraus, dass die Ideologie des augustinischen "gerechten Krieges" im Reich wesentlich länger prävelent war als etwa in Frankreich und Großbritannien, die fast 100 Jahre früher den Krieg als "Politik mit anderen Mitteln", um anachronistisch Clausewitz zu bemühen, ansahen. Gleichzeitig verweist er auf die fast kreuzzugsähnliche Natur der Türkenkriege, für die die Habsburger bis weit ins 17. Jahrhundert hinein "christliche" Koalitionen über Konfessions- und Landesgrenzen hinaus gewinnen konnten, wenngleich mit wenig durchschlagendem Erfolg. Er zeichnet auch nach, dass der "gerechte Krieg" den Frieden als Normalzustand zwischen christlichen (!) Staaten betrachtete (gegen die Osmanen war Frieden gar nicht möglich, maximal Waffenstillstand), was die Herausbildung stehender Heere lange verhinderte, da man diese als Perversion des christlichen Friedensgebots sah.

Wilson wendet sich zudem stark gegen das Klischee von Söldnerheeren, das er vor allem auf Machiavelli und andere Autoren der Epoche zurückführt, deren unkritische Rezeption über die Jahrhunderte ein Zerrbild des Soldatenstandes jener Epoche geschaffen habe. Er nimmt den Wandel vom feudalen Heer zum Berufsheer stattdessen eher als einen Prozess wahr, der sowohl den logistischen Notwendigkeiten der Epoche als auch den politischen Verhältnissen geschuldet ist.

Die Schweizer spielen hier eine hervorgehobene Rolle. Wilson distanziert sich vom Narrativ einer proto-demokratischen Eidgenossenschaft, sondern beschreibt die Schweiz als oligarchische Stadt-Republiken, die die Aushebung und Disziplinierung von Soldaten sowohl als Kontrollmittel für die Bevölkerung als auch als Profitmöglichkeit sehen. Anstatt also die Freiheit der Eidgenossen zu steigern ist die Professionalisierung (und der Verkauf!) der Schweizer Infanterie im Gegenteil ein Prozess der Machtakkumulation einer neuen, patrizischen Elite in den Städten. Er zerlegt auch den Mythos der Schweizer Neutralität, den er auf Niederlagen einer agressiv expandierenden Schweiz gegen Frankreich und die mit dem französischen König folgenden Verträge einerseits und die Notwendigkeit der Wahrung eines inneren Friedens zwischen katholischen und protestantischen Kantonen andererseits fußen sieht. Hier betont er erneut die Bedeutung des "gerechten Krieges": da in dieser Ideologie immer eine Seite im Unrecht sein muss und es Christenpflicht ist, der "richtigen" Seite beizustehen oder wenigstens die andere nicht zu unterstützen, wurde es usus, sich einfach aus Konflikten herauszuhalten. Die Schweizer Neutralität ist somit eher der Vermeidung zerstörerischer Bürgerkriege geschuldet als einem höheren Prinzip.

Die Schweizer pionierten allerdings einige Entwicklungen, die auch im restlichen Deutschland bald nachvollzogen wurden: den Machtzuwachs der Infanterie. Statt adelige Reiterheere zu haben, verlagerte sich der Fokus auf disziplinierte Pikeniere und (vor allem anfangs) Hellebardiere, ergänzt durch Arkebusen-Schützen. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts sorgte die Weiterentwicklung der Musketentechnologie für einen immer größeren Anteil von Schützen, während die Pikeniere durch besseres Training besseren Schutz gewährleisten konnten. Die Kavallerie entwickelte sich indessen von der schweren Kavalliere, die immer weniger gegen Musketenfeuer ausrichten konnte, hin zur leichten Artillerie, die die Pikenformationen durch ständiges Beschießen in Bedrängnis bringen konnte.

Die Professionalisierung war umstritten, weil die Existenz professioneller Soldaten unvereinbar mit dem Konzept des "gerechten Krieges" war: wenn Krieg der Ausnahmezustand durch das Verbrechen eines Aggressors war, brauchte man keine stehenden Truppen. Diese waren nur notwendig, wenn Krieg als normales politisches Instrument akzeptiert wurde. Gleichzeitig war der Staat gar nicht in der Lage, ein solches Heer zu unterhalten (einmal abgesehen davon, dass die meisten politischen stakeholder keinerlei Interesse daran hatten, dem Monarchen ein solches Instrument an die Hand zu geben). Die Bezahlung professioneller Soldaten bei Bedarf war da der logische nächste Schritt.

Diese Soldaten (das Wort kommt nicht ungefähr von "Sold") unterwarfen sich einem eigenen Kodex, der an die Vasalleneide angelehnt war und der Einhegung der Gewalt sowohl gegenüber Zivilisten als auch innerhalb der Armee selbst dienen sollte. Dies führte zu einer Aufwertung ihres Standes, der eine kurze Phase ungekannter sozialer Mobilität ermöglichte, ehe Ende des 16. Jahrhunderts die "Kriegsherren" die Kontrolle wieder erlangten und der Sold durch fehlende Anpassung an die Inflation soweit gesunken war, dass das Kriegshandwerk nicht mehr so lukrativ war. Die Soldaten hatten indes einen eigenen Ehrenkodex entwickelt, der anders als der aristokratische Kriegerkodex weniger von der individuellen Kampffertigkeit des Kriegers herrührte als von der gemeinsamen Disziplin und der Leidensfähigkeit in der Schlacht, die sich auch in einer besonderen Würdigung von Verwundungen als Zeichen der Einhaltung dieses Kodex ausdrückte (weil man sich gemeinsam den Gefahren aussetzte und nicht in den hinteren Linien drückte).

Auffällig für die Epoche ist auch, dass die Herrschenden zwar Infanterie und Kavallerie aushoben, die Artillerie in den deutschen Landen aber weitgehend eine Domäne der Städte blieb. Die Technologie war noch nicht sonderlich ausgereift, sehr teuer und, vor allem, technisch komplex, weswegen sie Experten bedurfte - was sich aber mit dem Idealbild eines nur für (seltene) Kriege ausgehobenen Heeres biss. Die Fürsten waren deswegen zufrieden damit, die Städte Artillerie stellen zu lassen, und die Städte waren zufrieden damit, diese neue Schlüsseltechnologie in ihrer Hand zu behalten.

Der letzte Aspekt der Kriegführung im 16. Jahrhundert waren die eskalierenden Kosten. Die Professionalisierung der Heere machte Kriege progressiv teurer, und bereits Mitte des Jahrhunderts kostete allein die Vorbereitung eines Krieges so viel wie zu Beginn der ganze Krieg selbst. Die Steuereinnahmen der Fürsten kamen dieser Kostensteigerung nicht hinterher, was einerseits zu einer Ablösung der feudalen Kriegspflichten durch Abgeltungszahlungen führte (die die Fürsten meist auf ihre gebeutelten Untertanen abwälzten) und neben der Logistik, deren Unzulänglichkeiten die Zeit der aktiven Kriegführung auf Juli bis November begrenzten und damit entscheidende Siege verunmöglichten, eine wirtschaftliche Kriegführung begünstigten, in der die Armeen lieber feindliche Zivilisten als feindliche Truppen angriffen.

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts hatten nicht nur die Kosten des Krieges, sondern auch die Größe und Zerstörungskraft der Armeen zugenommen. Wilson beschreibt die hohen Todesraten innerhalb der Armeen, die weniger auf Gefechtstote zurückzuführen waren, sondern auf Krankheiten. Diese waren für die Bevölkerung generell tödlich - allein der Schwarze Tod suchte Mitteleuropa im Schnitt einmal pro Generation mit Todesraten um die 60% heim -, für Soldaten in den völlig unzureichenden hygienischen Bedingungen aber erst Recht. Dazu kamen Seuchen, die vor allem in den Feldlagern auftraten, etwa Typhus. Die meisten Soldaten verhungerten, erfroren oder krepierten an Seuchen. Ein weiterer spannender Nebeneffekt ist die Rolle von Frauen in der Armee. Diese besaßen Anfang des 16. Jahrhunderts noch kodifizierte Rechte (so waren etwa die Genossinnen der Soldaten noch vor deren Ehefrauen erbberechtigt, was den direkten Besitz des Soldaten anging), aber die Fürsten versuchten Stück für Stück, die Soldaten zu "ehrbaren Männern" zu machen, was natürlich die Anwesenheit von Trossfrauen nicht reduzierte, aber deren sozialen Stand stark reduzierte und die populäre Gleichsetzung mit Prostituierten beförderte, auf deren sozialen Stand diese Frauen gedrückt wurden.

Die Struktur des Buches wiederholt sich nun. Erneut wird uns zuerst die Politik mit den entsprechenden Kriegen skizziert, ehe die Entwicklung der Kriegführung und die damit verbundenen gesellschaftlich-politischen Änderungen analysiert werden.

Der relevanteste Konflikt jener Epoche ist natürlich der Dreißigjährige Krieg. Wilson stellt gleich zu Beginn klar, dass dieser, entgegen mancher teleologischer Betrachtungen, nicht unvermeidbar war. Immerhin hatte der Augsburger Religionsfrieden 70 Jahre gehalten; die Vorstellung, dass die konfessionellen Gegensätze einen europäischen Flächenbrand unausweichlich gemacht hätten, ist offensichtlich falsch (nebenbei bemerkt gilt dasselbe in meinen Augen für 1914). In den ersten Kriegsjahren macht er auch zwei Punkte aus, an denen der Krieg bereits gut wieder hätte vorbei sein können (die Niederlagen der Aufständischen gegen Habsburg und die katholische Liga), ein kontrafaktisches Ergebnis, das wahrscheinlicher als die durch diplomatische Fehler hervorgerufene Verlängerung des Krieges selbst war.

Die Fehleinschätzungen, die für eine Fortsetzung des Böhmischen Krieges sorgten, zogen dann nach und nach fremde Mächte mit in den Konflikt, die meist aus peripheren Gründen in Deutschland aktiv wurden und deren Engagement dann eskalierte. Schweden ist davon sicher der bekannteste. Die Schweden unter Gustav Adolf versuchten, im protestantischen deutschen Norden eine eigene Machtbasis zu sichern, um ihre Expansion an der Ostseeküste abzusichern (besonders im Hinblick auf Polen-Litauen und Russland). Das war soweit strukturell für das Reich nichts Ungewöhnliches; Einfluss, Vasallenschaft und Bündnisse mit nicht-deutschen Mächten hatte es auch zuvor gegeben. Auch hier sorgte der Kriegsverlauf selbst für eine Eskalation.

Auch Frankreichs Eintritt in den Konflikt steht für Wilson unter diesen Vorzeichen. Dass der Krieg, egal wie er enden würde, die Struktur des Reiches massiv umgestaltete, war für alle Beteiligten offensichtlich. Ein starker Machtgewinn der Habsburger war für die Nachbarn nicht akzeptabel, die daher immer wieder eingriffen. Das Reich wandelte sich in dieser Zeit: wo in früheren Konflikten (Stichwort "gerechter Krieg") der Reichstag die Unterstützung der Reichsstände für Konflikte gab (oder eben nicht), handle es sich hier um eine Art reichsinternen Bürgerkrieg. Besiegte wurden ihrer Ränge und Ländereien enthoben, die Ländereien umverteilt. Die Machtgleichgewichte verschoben sich daher massiv.

Habsburg begann gleichzeitig, eher als einzelne Macht zu operieren und verbündeten Mächte als solche zu betrachten; die Idee einer gesamtdeutschen Kriegsfolge geriet demgegenüber immer mehr in den Hintergrund. Der Krieg brachte den Prozess, dass Habsburg zwar die Kaiserwürde besaß, sich aber immer mehr als eine eigene Kraft sah, die mit dem Reich nur teilidentisch war, wenn nicht ins Rollen, so doch zumindest in eine erhebliche Beschleunigung.

Der zweite große Konflikt jener Epoche ist der Spanische Erbfolgekrieg (oder besser: die spanischen Erbfolgekriege), die für Wilson deutlich unterschätzt werden (er nennt sie den "zweiten Dreißigjährigen Krieg"). Die Zahlen sprechen für sich: während der spanischen Kriege mobilisierten die Mächte teilweise mehr Soldaten als für den Kampf in Deutschland. Diese Kriege waren extrem komplex und wurden durch mindestens ebenso komplexe Vertragswerke beendet. Als Endergebnis rutschte Spanien endgültig in den Rang einer sekundären Macht ab.

Die Betrachtung der Folgen dieser Epoche befasst sich notwendigerweise mit der Frage nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges. Wilson ist hier deutlich revisionistisch unterwegs. Er sieht die meisten Opferzahlen (die gerne im Bereich von 30-40% liegen) als überhöht und letztlich Propaganda an und schätzt sie eher auf 15-20%. Gleichwohl gibt es starke regionale Unterschiede (Österreich etwa verzeichnet sogar einen Bevölkerungszuwachs, während etwa Württemberg knapp die Hälfte seiner Bevölkerung verliert). Auch die Kriegsgräuel, weil unzweifelhaft vorhanden, wurden im Endeffekt übertrieben - weniger in ihrer Existenz als in ihrer Einzigartigkeit und Massierung für den Krieg. Wilson stellt als Hypothese in den Raum, dass beim Zensus 1648, bei dem die Fürsten die Steuerbasis ihrer verheerten Ländereien neu zu errechnen suchten, die Versuchung gewaltig war, sich als schlechter darzustellen als in Realität und alle Misswirtschaft auf den Krieg zu schieben.

Wilson spielt auch die "entfesselte Soldateska" jener Epoche herunter. Für ihn ist der Dreißigjährige Krieg kein Bruch mit vorherigen Zeiten; die Heere hätten sich in ihrem Auftreten nicht dergestalt verändert. Der Krieg ernährte sich entgegen des populären Sprichworts eben nicht, sondern wurde durch Steuern und gewaltige Schulden finanziert. Wallenstein als Kriegsunternehmer sei eher die Ausnahme als die Regel gewesen: zwar war es normal, Regimenter und kleinere Einheiten als Unternehmen zu betreiben, aber das Wallenstein'sche Ausmaß war eine Ausnahme und sollte auch nicht permanent sein: Wallenstein wollte mit Krieg aufhören und sich zur Ruhe setzen, er wurde durch dynastische politische Ereignisse zurück in den Krieg gezwungen. Damit setzt sich Wilson deutlich von der Idee ab, dass die Soldaten und ihre Anführer selbst den Krieg vorangetrieben hätten und platziert die Schuld klar bei den Fürsten.

Die Heere blieben insgesamt zahlenmäßig vergleichsweise klein, weil größere Ansammlungen logistisch nicht machbar waren. Die Zunahme der Armeegröße sorgte stattdessen her für mehrere Heere. Normale Größen waren 10.000 bis 20.000 Mann; selbst die größten Schlachten sahen unter 60.000 auf beiden Seiten. Praktisch irrelevant war bis auf Belagerungen die Artillerie, die weder transportiert werden konnte noch durchschlagkräftig oder effizient war. Stattdessen dominierten immer noch Piken- und Musketierhaufen. Wilson äußerst sich ausführlich zum Verhältnis der Truppen.

So nimmt die Bedeutung der schweren Kavallerie rapide ab, während leichte Kavallierie an Bedeutung gewinnt (deren Pistolen gleichwohl unterperformen, weil sie eine minimale Reichweite haben). Der Tod der Pferde sorgte dafür, dass zum Ende der Feldzugsaison zwischen 25% und 50% der Kavalleristen üblicherweise liefen. Die Pferdebestände wurden über den Winter wieder aufgestockt, und das Spiel wiederholte sich im folgenden Jahr. Die Sonderrechte der Kavalliere, die bisher auch organisatorisch völlig von der Infanterie getrennt war, wurden Stück für Stück abgeschafft. Dadurch entwickelte sich eine Art Professionalisierung der Kavallerie.

Ebenfalls viel Raum gibt Wilson der Debatte um das Verhältnis von Musketieren zu Pikenieren. Er postuliert, dass die Vereinfachung, ein größerer Musketieranteil entspreche einer moderneren Armee, keinesfalls zutreffend sei. Die technischen Schwierigkeiten der Musketen (hohe Ausfallrate, schlechte Treffsicherheit, Pulverdampf) stellten dagegen klare Limits für einen sinnvollen Einsatz dar (als interessante Seitenbemerkung sei erwähnt, dass die zeitgenössischen Darstellungen von quadratischen Formationen anachronistisch sind seien und Kopien von Laien aus Militärhandbüchern des 16. Jahrhunderts darstellten).

Ein letzter Aspekt der Epoche war die weitere Professionalisierung des Soldatenstandes. Erstmals gab es Versuche der Wundversorgung und Pensionskassen (wenngleich natürlich völlig unzureichend). Die Größe des Trosses sollte zudem reduziert werden. Zudem wurden die Musterungen zunehmend stärker bürokratisiert und boten weniger Anlass für persönliche Bereicherung. Diese Professionalisierung allerdings hatte klare Grenzen: Soldaten wurden außerhalb der Feldzüge immer noch ausbezahlt und entlassen, was zu dem Phänomen führte, dass bewaffnete, arbeitslose Banden sich zusammenschlossen, um vom Ort ihrer Entlassung wieder nach Hause zu kommen - ein Rezept für Chaos und Gewalt, das dazu führte, das bis zum Ende des Jahrhunderts die Entlassungen wie die Musterungen immer mehr organisiert und gestreckt wurden.

Die nächste Epoche, der sich Wilson zuwendet, ist die Zeit von 1714 (als die Kriegswirren des "langen" 17. Jahrhunderts endlich endeten) bis 1815. Mich erstaunte in der Schilderung, dass er sich weigerte, 1791 als einen klaren Bruch zu sehen, und in der Schilderung der politischen Geschichte wie der folgenden Analyse wird schnell klar, warum. So viel sei schon einmal gesagt: Wilson ist auch hier revisionistisch unterwegs.

Aber zuerst tritt nun zum ersten Mal Preußen auf den Plan. Wilson verwahrt sich klar gegen die borussische Teleologie von "Preußens Mission zur Einheit Deutschlands" oder ähnlichem Unfug, der Preußen als Sendboten der Moderne gegen ein veraltetes, verkrustetes Habsburg sieht. Immer wieder betont er, wie bereits für die vorangegangene Epoche, dass vielmehr nicht eindeutig klar war, welche der beiden Mächte tatsächlich die Überhand gewinnen würde. Zwar siegte Preußen. Doch sollte man vorsichtig sein, das überzubewerten. An mehreren Stellen in den Schlesischen Kriegen stand die Sache spitz auf Knopf, und die Wahrscheinlichkeit, dass Friedrich II. wie der schwedische Karl XII. während einer Schlacht getötet würde, war recht hoch - und hätte das abrupte Ende des preußischen Großmachtstrebens bedeutet. Manchmal sind einzelne Personen in der Geschichte eben doch entscheidend.

Überhaupt ist Friedrich eine sehr ambivalente Person. Er habe sämtliche Entscheidungskompetenz auf sich vereinigt, unter anderem aus einer schlichten Hybris heraus, aber auch aus einer Vergötterung Alexander des Großen und Ludwig XIV. (in seinen ersten Schlachten befand er sich sogar wie Alexander auf der rechten Flanke, obwohl das für Taktiken des 18. Jahrhunderts völliger Unfug war und seine Übersicht und Befehlseffizienz erheblich einschränkte). Friedrich war aber damit Avantgardist einer generellen Tendenz des Jahrhunderts: der Machtkonzentration bei den Fürsten und der Entmachtung ständestaatlicher Entscheidungsgremien. Die Armeeführung fiel weg vom Adel hin zum Fürst, der sie wiederum den sich herausbildenden Stäben übertrug.

Die Kriege selbst entsprachen einem Wandel gegenüber dem vorhergehenden Jahrhundert: endgültig war nun Krieg als legitimes politisches Mittel akzeptiert. Sie wurden aus machtpolitischen Erwägungen geführt, die allein ausreichten, um sie zu legitimieren. Oft brachen Fürsten sie vom Zaun, wenn sie eine günstige Gelegenheit sahen (so etwa Friedrich im Ersten Schlesischen Krieg, als Österreich anderweitig beschäftigt und innenpolitisch durch die weibliche Thronfolge geschwächt war). Ständige Umbildungen von Allianzen sorgten ebenso dafür, dass keine Macht je komplett dominant werden konnte.

Auffällig ist auch die weitere Umgestaltung des Reiches selbst durch die Kriege. Friedrichs Kriege gegen Österreich waren technisch gesehen Rebellion gegen den Kaiser, aber zunehmend wurden die einzelnen deutschen Länder als eigenständige Mächte mit ebenso eigenständiger Außenpolitik gesehen. Wie auch im Dreißigjährigen Krieg versuchten die Habsburger, die Reichsstände zur Mobilisierung zu nutzen. Aber gerade diese Nutzung nutzte das Instrument deutlich ab und veränderte das Reich mehr und mehr, weg von der großen Föderation hin zu einem Bund von machtvollen Einzelstaaten. Die Arrondierung im Zuge der Gebietsverluste und -gewinne zerstörte weiter die Legitimation, weil sie scheinbar ewige Titel und Grenzen grob missachtete.

Die Epoche sah auch den graduellen Abschied vom Milizensystem. Wilson stellt heraus, wie integral dieser über zwei Jahrhunderte dauernde Prozess mit dem Söldnerwesen und der Professionalisierung von Soldaten zu tun hatte. Die freiwilligen Milizen waren noch im 15. und 16. Jahrhundert das Rückgrat des monarchischen Militärs. Sie waren in drei Gruppen organisiert (jung und unverheiratet, verheiratet und mittelalt, alt), die in skuzessiver Steigerung herangezogen wurden, falls es zum Krieg kam. Dieser war ja "gerecht", weswegen sie nur in Notfällen gebraucht wurden. Diese Milizen wurden dann durch die Anwerbung von Profis (Landsknechte) augmentiert. Da die Kampfkraft der Milizen relativ zur technischen Entwicklung abnahm, wurden immer mehr Profis angeheuert. Doch das brachte das Problem auf, was man mit diesen machen sollte, wenn kein Krieg herrschte - weswegen ein Kern eines stehenden Heeres aufgebaut wurde. Dieser Prozess wurde durch den Dreißigjährigen Krieg noch einmal deutlich beschleunigt.

Er spielte auch eine entscheidende Rolle für die Schweiz, die am Milizensystem festhielt und dieses als konstituiv für das eigene Staatswesen verklärte, in dem angeblich wackere Männer die Eidgenossenschaft verteidigten. In Wirklichkeit bestand es praktisch nur auf dem Papier. Die Hauptstärke der Schweiz bestand in den Profis, die sie an die europäischen Herrscher verkaufte (bevorzugt Frankreich, mit dem ein offizielles "Bündnis" bestand, das aber eher ein Pikenier-Abo war). Als Napoleon die Schweiz dann Ende des 18. Jahrhunderts angriff, fiel sie wie ein Kartenhaus zusammen. Die berühmte Schweizer Neutralität hatte nie in ihrer militärischen Stärke bestanden (das war eine wohltuende Propagandalüge), sondern im Verkauf der Truppen, der dafür sorgte, dass niemand die Schweiz ernsthaft attackierte. Auch Österreich hatte wenig Probleme, Anfang des 19. Jahrhunderts die Schweiz zu besetzen, um gegen Frankreich durchmarschieren zu können. Die Unabhängigkeit und Neutralität der Schweiz, das ist ein Punkt, den Wilson immer wieder einhämmert, war ein Produkt der Politik, nicht des Militärs.

Eine untergeordnete Rolle spielt die Marine. Zwar besaßen die deutschen Staaten, vor allem Österreich und die Nordseestaaten, im 16. und 17. Jahrhundert durchaus Schiffe. Aber auch diese waren effektiv als Milizen organisiert: Handelsschiffe wurden im Kriegsfall bewaffnet, Kriegsschiffe im Frieden als Handelsschiffe benutzt oder abgewrackt. Mit dem Fortschriten der Technik war dies immer weniger möglich, und Ende des 18. Jahrhunderts besaßen die deutschen Staaten de facto überhaupt keine Salzwassermarine mehr, weil die technologischen Kenntnisse, Infrastruktur und das Geld dafür überhaupt nicht vorhanden waren. Dies würde sich erst im späten 19. Jahrhundert mit der Reichsgründung ändern.

Mich hat überrascht, dass Wilson die französische Revolution und napoleonischen Kriege dezidiert in die gleiche Kategorie steckt wie die Kabinettskriege des 18. Jahrhunderts. Es macht aber Sinn, wenn man sich ansieht, wie er sie organisationshistorisch untersucht. Der Krieg begann recht klassisch: Preußen und Österreich wollten einen Politikwechsel erzwingen (die Restaurierung der Bourbonenherrschaft) und sandten zu diesem Zweck vergleichsweise kleine Armeen nach Frankreich. Das hätte vielleicht ausgereicht, wenn sich die Franzosen an die Spielregeln gehalten hätten - was diese aber nicht taten.

Wilson hebt dabei gar nicht so sehr die levée en masse hervor, die er ähnlich dem Schweizer Milizensystem vor allem als Propagandamythos sieht, da die zahlreichen Ausnahmen und hohen Desertationsraten die Praxis gegenüber dem königlichen Heer gar nicht so sehr änderten - auch die Könige hatten in Kriegszeiten zehntausende von einfachen Soldaten rekrutiert. Das bekam jetzt nur einen republikanischen Anstrich (echte Massenmobilisierung sollte noch bis ins 19. Jahrhundert warten müssen). Stattdessen lag die Radikalität der Franzosen in ihrer Bereitschaft zu einer 18.-Jahrhundert-Version des totalen Krieges: sie ignorierten Verluste wesentlich mehr und akzeptierten Niederlagen nicht. Wilson macht dies an der Schlacht von Valmy deutlich: Diese endete militärisch unentschieden und war eher unbedeutend, weil die Kanonade auf beiden Seiten zu geringen Verlusten führte. Die preußische Armee vollzog einen taktischen Rückzug, wie er für die Kriegführung damals normal war. Die Franzosen interpretierten das aber als rauschenden Sieg und überhöhten diesen propagandistisch, was den Krieg wesentlich verschärfte.

Nichtsdestotrotz wurden die verschiedenen Koalitionskriege aus Sicht Wilsons weitgehend klassisch geführt. Die Truppenzahlen nahmen zu und es gab einige technologisch-taktische Verschiebungen (etwa die gestiegene Rolle der Artillerie, während die Kavallerie den Höhepunkt ihres europäischen Prestiges und ihrer Durchschlagskraft hatte, aber - in einem Vorzeichen der weiteren Entwicklung - extrem hohe Verluste hinnehmen musste), aber die Organisation der Armeen (die hier zum ersten Mal die Struktur von Korps aufwiesen, die gleichwohl ein Kriegselement blieben; die Friedensarmeen gingen auf Regimentebene zurück) erinnerte noch stark an das 19. Jahrhundert.

Die Napoleonischen Kriege waren für den Kontinent allerdings eine einschneidende Erfahrung. Die Verlustzahlen waren sehr hoch (wenngleich proportional auch nicht höher als in früheren Kriegen) und sie berührten einen größeren Teil der Bevölkerung mittelbar, weil die gestiegenen Armeegrößen eine logistische Belastung bedeuteten, die sich in schwerwiegenden Störungen des Wirtschaftslebens und drückender Abgabenbelastung zeigte, eine Abgabenbelastung, die nach dem Krieg übrigens nicht mehr heruntergefahren wurde.

Besondere Aufmerksamkeit bekommt die Zerschlagung des Reiches durch die Gründung des Rheinbunds und sein Ende 1806. Überall wurden mehr oder weniger erfolgreich Reformen durchgesetzt. Wilson beschäftigt sich am intensivsten mit denen in Preußen und widerlegt den Mythos von den radikalen Schwarzenberg'schen Reformen, die wesentlich mehr Stückwerk blieben als intendiert, schon allein, weil die Beharrungskräfte so groß waren. Auch den Mythos um die Freikorps im von den Fürsten nur sehr zögerlich ausgerufenen nationalen Befreiungskrieg gegen Napoleon sieht er vor allem als Propagandagag; die Freikorps hatten wenig militärischen Wert und eine nur geringe Größe. Die Fürsten fürchteten, wohl nicht zu Unrecht, das Gespenst des "Volkskriegs" mehr als militärische Niederlagen gegen jemanden wie Napoleon und verhinderten deswegend eine weitgehende Mobilisierung oder Volksbewaffnung - eine Spannung, die bis 1914 erhalten bleiben würde.

Ein Grund für die Zurückgebliebenheit vor allem der preußischen Armee gegenüber der Napoleons ist laut Wilson die finanzielle Belastung: Heeresreformen kosten viel Geld, und dieses Geld wollte und konnte Preußen nicht investieren. Dasselbe Thema würde die europäischen Heere auch in der Friedens- und Austeritätszeit nach 1815 plagen. Unter den Bedingungen des Friedens von Tilsit konnten die Finanzmittel dann, selbst wenn sie vorhanden gewesen wären, gar nicht mehr investiert werden, weswegen die Reformen nur eingeschränkte Wirkung entfalten konnten. Insgesamt hatten die Napoleonischen Kriege aber den Effekt, die Reichsstruktur zu verändern beziehungsweise abzuschaffen. Die übriggebliebenen Staaten waren größer als früher und mussten nun ihre eigenen Heere entwickeln, weil die alte kollektive Sicherheit des Reichs nicht mehr funktionierte. Gleichzeitig erlaubte ihnen ihre geringe Größe aber nicht, vollständige Heeresstrukturen zu entwickeln. Der neue Dualismus zwischen Preußen und Österreich marginalisierte die außenpolitische Wirkung des "dritten Deutschland" daher, weil deren Armeen gegenüber denen der Kleinstaaten deutlich überlegen waren.

Die gesamte Periode 1714-1815 sah eine weitere Professionalisierung des Soldatenstandes. Stück für Stück wurden Uniformen vereinheitlicht und Rekrutierungsprozesse bürokratisiert. Ein entscheidendes Problem für die Soldaten war die Höhe des Solds: nicht nur wurde dieser zwischen 1714 und den 1780er nicht an die Inflation angepasst (!), sondern er war ohnehin sehr gering. Dies zwang die Soldaten zum Betteln und zur Gelegenheitsarbeit. Die Armeen griffen zudem aus Kostengründen immer noch routiniert auf das Mittel zurück, Soldaten für Teile des Jahres zu beurlauben. Dies nahm immer weiter ab, weil es einerseits soziale Probleme hervorrief und andererseits die Professionalität beeinträchtigte.

Die sozialen Probleme waren offensichtlich: Soldaten, die betteln mussten um nicht zu verhungern, waren nicht die beste Werbung für die Armee. Gleichzeitig hatten sie Zugang zu Waffen und waren ausgebildet, eine volatile Kombination. Im 18. Jahrhundert wurden die Soldaten zudem noch in Bürgerhäusern einquartiert (die dafür Steuerleichterungen bekamen, die aber die realen Kosten nicht abdeckten und schon gar nicht den Komfortverlust von Soldaten im eigenen Haus), was in der Bevölkerung nicht eben beliebt war. Zwar begann der Bau dezidierter Kasernen; diese waren aber sowohl in der Menge als auch in der Qualität völlig unzureichend und blieben bis zu Napoleons Zeiten Stückwerk.

Die Dienstverplichtung der Soldaten betrug üblicherweise 6-8 Jahre, weil man davon ausging, dass es mindestens drei Jahre brauchte, um einen "ordentlichen Soldaten" auszubilden (sprich: die Individualität auszutreiben). Theoretisch sollte das Milizensystem dafür sorgen, dass die aus der Dienstzeit heraustretenden Soldaten als Rekrutierungspool erhalten blieben, aber die Milizen erfüllten diese Rolle, die sie nie sonderlich gut erfüllt hatten, immer schlechter. Relativ nahm daher die Bedeutung des Berufsheers immer weiter zu, das in der Bevölkerung präsenter wurde: die Uniformen mussten auch außer Dienst getragen werden, und Soldaten wurden zunehmend als Ordnungskräfte benutzt (weil es immer noch praktisch nirgendwo Polizei gab), eine Aufgabe, die sie mehr schlecht als recht erfüllten.

Am Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Armeen damit bereits auf beachtliche Größen angewachsen, die wesentlich über die hinausgingen, die noch 50 Jahre zuvor normal waren. Parallel dazu hatten die Staaten ihre Organisationskraft verstärkt, um diese Armeen überhaupt unterhalten zu können. Gleichzeitig wurde die Führung dieser Armeen immer schwieriger, weswegen sich diese Aufgabe von den Monarchen weg auf die Generalität verschob - die Genese der späteren Generalstäbe. All das würde aber erst nach der napoleonischen Ära wirklich zum Durchschlag kommen.

(Das Buch ist ein ziemlicher Wälzer, weswegen ich diese Rezension in zwei Teile spalte. Der zweite Teil folgt, wenn die Lektüre abgeschlossen ist.)

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