Von Stefan Sasse
Das Kabinett der "Weimarer Koalition" 1919 |
Nimmt man die Verfassung der Weimarer Republik, so fällt vor allem das Fehlen der Parteien auf. Ihnen ist keine substantielle konstitutionelle Rolle zugewiesen. Stattdessen konstituiert sie ein reines Verhältniswahlrecht mit relativ großen Wahlkreisen; für jeweils rund 60.000 Stimmen wird ein Sitz im Reichstag vergeben (was mit sinkender Wahlbeteiligung zu einem schrumpfenden Reichstag und entsprechend einem Interesse der Abgeordneten am Vermeiden von Auflösung und Neuwahl führt, was besonders in der Endphase Weimars relevant wird). Der Grund für das fast schamhafte Vermeiden einer Festlegung der Rolle der Parteien in der Verfassung liegt im (selbst heute noch) notorisch schlechten Ruf der Parteien begründet. Im Kaiserreich war die Exekutive aus Kanzler, Kaiser und Regierung dem Parlament nicht verantwortlich, das über seine Budgetrechte aber eine starke Oppositionsrolle ausüben konnte. Es wurde sowohl von der Bevölkerung als auch von den Abgeordneten selbst vorrangig als ein solches Oppositionsinstrument empfunden. Die Parteien fühlten sich den Anliegen ihrer Wähler verantwortlich, nicht dem Staatswesen als Ganzes.
Kapp-Putsch 1920 |
Ganz links in diesem System befindet sich die KPD. Sie ging aus dem radikalen Flügel der USPD und dem Spartakusbund hervor und lehnte die Demokratie als System des Klassenfeindes ab. Stattdessen propagierte sie ein an die Sowjetunion angelehntes Rätesystem. War sie 1919/20 noch eine Splitterpartei, klein, unbedeutend und von inneren Machtkämpfen und politischen Säuberungen erschüttert, brachte ihr das Auseinanderbrechen der USPD bis 1922 einen massiven Mitgliederschub, der sie durch die Weimarer Republik hindurch trug. Obwohl die Partei bereits in den frühen 1920er Jahren schwere Niederlagen einstecken musste (unter anderem in den Ruhrkämpfen und bei einem missglückten Aufstand) und dabei fast die Hälfte ihrer Mitglieder verlor, gelang es ihr, sich zu einer straff organisierten Kaderpartei zu entwickeln. Sie machte der SPD, die sich getreu der Moskauer Vorgabe („rot lackierte Faschisten“) zu ihrem Hauptgegner auserkoren hatte, stets Druck von links. Zusammen mit der NSDAP gehörte die KPD zu den großen Gewinnern am Ende der Weimarer Republik und kam am Ende auf beinahe 20% der Wählerstimmen.
Ernst Thälmann, KPD-Chef, 1932 |
Auf dem linken demokratischen Flügel der Republik findet sich die SPD, anfangs noch mit Elementen der USPD (beide Parteien vereinigten sich 1922). Die Spaltung der Sozialdemokratie während des Krieges hatte dazu geführt, dass die gemäßigten Elemente der SPD die Oberhand vor den radikaleren Strömungen erhielten und Koalitionsregierungen mit den Bürgerlichen bildeten. Zu Beginn der Republik unternahm die SPD eine zaghafte Öffnung ihrer Wählerbasis von den Arbeitern hin zu den Angestellten und Intellektuellen, die jedoch im Großen und Ganzen erfolglos blieb. Als die gemäßigten Elemente der USPD sich 1922 mit der SPD wiedervereinigten, rückte die Partei deutlich nach links, was Koalitionen mit den Bürgerlichen erschwerte. Das resultierende Heidelberger Programm 1925 war rhetorisch stark von den Ideen des Klassenkampfes a la Marx geprägt, ohne den Worten dabei Taten folgen zu lassen, wodurch die SPD sowohl die linke Basis als auch mögliche Koalitionspartner misstrauisch machte und ihr entfremdete.
Plakat der USPD, 1919 |
Die demokratische "Mitte" der Republik wurde von den Liberalen gebildet. Bei den Wahlen zur Nationalversammlung 1919 erhielt die DDP, die die Hoffnung auf eine liberale Sammlungspartei gehabt hatte, noch ein gutes Ergebnis. In ihr sammelten sich die republikanisch gesinnten, aber individualistischen Liberalen der Kaiserzeit. Eine echte Parteistruktur konnte nicht etabliert werden; ein verlässlicher Partner konnte die DDP deswegen selten sein. Zudem misslang die Sammlung; in der DVP fand sich von Beginn eine nationalliberale, tendenziell rechtsliberale Partei. Ohne eine Parteiorganisation waren die Liberalen stark auf Spenden aus in der Industrie angewiesen, die die großen Wahlkreise ausnutzend starken Einfluss auf die Listen der Partei nahm und die Liberalen schnell zu einer Interesenvetretung des Großkapitals machte. Konsequent schwierig waren Koalitionen etwa mit der SPD, und die DDP verlor immer mehr Wähler, bis sie zum Ende Weimars auf den Status einer Splitterpartei reduziert war. Die liberal gesinnten Bürger fanden keine neue politische Heimat und stärkten tendenziell die Rechtsparteien.
Gustav Stresemann, 1925 |
Die letzte der demokratischen Parteien war das Zentrum. Zusammen mit der DDP hatte es bereits im Krieg mit der SPD zusammengearbeitet und arbeitete mit diesen die Verfassung aus. Sie war die einzige klassenübergreifende Partei Weimars, war aber durch die Konfessionszugehörigkeit scharf von vielen Milieus abgetrennt. In ihr fanden sich sowohl patriarchische Unternehmer als auch ungelernte Facharbeiter, strenge Pfarrer und emsige Hausfrauen. Ihnen war ein konservatives Weltbild gemein, streng und patriarchalisch organisiert, sowie eine starke Orientierung an der katholischen Kirche, was ihr bereits zur Zeit des Kaiserreichs den Vorwurf der Fremdgesteuertheit, des „Ultramontismus“, eingetragen hatte.
Das Zentrum verfügte zudem über relativ ausgeprägte Flügel. Der rechte dieser Flügel war stets latent monarchisch und autoritär und strebte eher einen ständisch organisierten Staat an. Überspitzt könnte man formulieren, dass ihm eine konservative Variante der Räteideen der Linken vorstrebte; mit republikanisch-demokratischen Idealen vereinbar war sie jedoch sicher nicht. Der linke Flügel des Zentrums dagegen, der auch nach 1945 kurzzeitig und unter Kohls Sozialminister Blühm eine gewisse Rolle spielen sollte kam von der katholischen Soziallehre her und bekannte sich auch eindeutig zu Republik und Demokratie. Verbesserungen für die Arbeiter wurden durchaus angestrebt, sollten aber dem eher konservativen Ideal nach im Konsens mit den Arbeitgebern erreicht werden. Zwischen diesen Flügeln befand sich der Großteil der Partei, der je nach Koalitionspartner mal mehr in die eine, mal mehr in die andere Richtung neigte und dem Zentrum damit großen koalitionspolitischen Spielraum gab.
DNVP-Plakat 1932 |
Dies lag auch an einem fundamentalen Problem der Rechten in der Weimarer Republik: sie waren sich zwar einig darin, dass sie Weimar ablehnten, aber sie waren sich keineswegs einig darin, was sie an ihre Stelle setzen wollten. Sollte es ein ständisch organisierter, patriarchalischer Staat sein, eine Art romantischer Reminiszenz an eine so nie existierende deutsche Vergangenheit? Ging es um die Restauration der Monarchie, und wenn ja, mit wem? Sollte das Reich gänzlich zerteilt und eine Fürstenherrschaft hergestellt werden? Sollten Technokraten herrschen und „pragmatische“ Politik machen? Oder sollte ein charismatischer Führer die Macht an sich reißen? Die Modelle wurden alle erprobt, und eines nach dem anderen scheiterte. Das Kabinett der „Fachminister“, das Wilhelm Cuno 1923 erprobte, scheiterte kläglich. Die Monarchisten fanden nie einen Anwärter auf den Thron, der halbwegs vernünftig war, und die autoritären Kräfte fanden ebenfalls keinen tragbaren Staatsaufbau, wie sich in der Dauerkrise 1932/1933 deutlich zeigte.
Es waren Hitler und seine NSDAP, die den Schlüssel fanden und radikal mit konservativen Traditionen brachen. Ihren Erfolg verdankte die NSDAP dem autoritären Führerprinzip auf der einen und der Betonung ihrer Massenbasis auf der anderen Seite. Mit Revolutionsrhetorik, einem scheinbaren Egalitätsanspruch und der uniformierten Anlehnung an das Kriegserlebnis hob sie sich deutlich von dem Elitendünkel der alten Eliten ab und stand gleichzeitig in radikaler Opposition zu Weimar. Aus dieser Attraktivität, und nicht einfach nur aus den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen, speist sich ihr Aufstieg in den frühen 1930er Jahren.
Kabinett der "Großen Koalition" 1928 |
Trotzdem gab es zwei Perioden, in denen der Staat eine Chance zu haben schien. Dies waren die Regierungszeit der „Weimarer Koalition“ aus DDP, Zentrum und SPD zu Beginn der 1920er Jahre und, zusammen mit der DVP, als „Große Koalition“ 1928-1930, sowie die Zeit der Rechtskoalitionen zwischen 1925 und 1928. Die Weimarer Koalition und später die Große Koalition litten stets unter dem Flügelproblem: nie waren ihre äußeren Flügel mit den Ergebnissen zufrieden, musste blockierende Symbolpolitik zur Besänftigung betrieben werden, die schließlich zum Koalitionsbruch führte, weil niemand zum Gesichtsverlust bereit war. Die SPD kompensierte dies über ausgedehnte Perioden dadurch, dass sie liberal-konservative Minderheitsregierungen unterstütze, aber eine stabile Regierung konnte dadurch nie entstehen.
Verfassungsfeier 1929 |
Das Kominform gab es erst seit 1947. Wenn schon war die KPD "geradezu eine Marionette des" Komintern.
AntwortenLöschenFür die Entfremdung von KPD und SPD einzig die ideologische Anlehnung der KPD an Moskau verantwortlich zu machen, aber die Rolle der SPD bei der Zerschlagung der Räterepubliken und der Novemberrevolution komplett unter den Tisch fallen zu lassen zeugt nicht gerade von einer neutralen Sichtweise auf die Situation.
Die Zustimmung fast aller Pateien zum Ermächtigungsgesetz, was de facto das Ende des Weimarer Parteiensystems bedeutete sollte man in so einer Betrachtung auch nicht unerwähnt lassen.
Hi,
AntwortenLöschensorry für den Fehler, korrigiere ich. Die Revolution habe ich bereits in zwei Artikeln sehr ausführlich dargestellt, und die unrühmliche Rolle der SPD kommt darin nicht zu kurz. Du hast aber auf jeden Fall Recht.
Das Ermächtigungsgesetz, die Regierung Brühning etc. sind deswegen mehr oder minder unter den Tisch gefallen, weil diese Periode schon nicht mehr wirklich Weimarer Republik ist. Die endet spätestens (!) 1932, aber eigentlich bereits 1930, und alles weitere ist der Streit um die Beute.
Auch mir haben diese beiden Punkte, Anteil der SPD am Bruch mit den Kommunisten sowie Ermächtigungsgesetz, gefehlt. Wenn es zwar thematisch passt, du es aber schon an anderer Stelle schon behandelt hast, sind zwei abgrenzende Sätze und Links zu deinen anderen Artikeln hilfreich.
AntwortenLöschenDanke für den Artikel. Ich habe insbesondere zwei Punkte als Denkanstöße geschätzt:
AntwortenLöschenDas Verhalten einer aus der Regierungsverantwortung abgewählten Gruppe kann sehr schädigend sein. Ich weiß nicht, was 1800 in den USA los war, doch die Republikaner nach G.W.Bush sind für mich auch ein ganz brauchbares Negativ-Beispiel.
Das Verhältnis der Parteien zum Staat und seinem System ist wohl wichtig. Doch wie soll sich eine Partei verhalten, die ja nunmal vor allem die Interessen ihrer Mitglieder vertritt? Wenn das System tatsächlich nicht funktioniert? Wenn die Bevölkerung stark gespalten oder mehrheitlich gegen das System ist? Zu weite Entfernung von der Masse, und du wirst nicht mehr gewählt. Zu oft faule Kompromisse, und du wirst nicht mehr gewählt. Und zu einem Kompromiss gehören auch immer mindestens zwei, die ihn auch mittragen müssen. "Win-win"-Denken ist ein etwas abgenutzer Begriff, aber manchmal trotzdem passend. Demokratie ist schon ziemlich kompliziert...
Hast du schon was zu Rolle und Wirkung der Medien in der Weimarer Republik geschrieben?
AntwortenLöschen@R.A.: Gerne :) Die CDU nach 1969 ist auch so ein Beispiel. 1998 waren sie wesentlich ziviler.
AntwortenLöschenDie Frage ist, ob die Partei die Interessen ihrer Mitglieder vertritt. Gerade Volksparteien können sich das gar nicht leisten, weil ihre Mitglieder alleine nie im Leben genug Wähler generieren. Wenn überhaupt, muss die Partei die Interessen der Wähler erfüllen, aber wer sind denn "die Wähler"? Das lässt sich kaum treffend einschätzen.
Zu der Frage nach welchen Artikeln ich schon geschrieben habe siehe das Inhaltsverzeichnis (rechte Leiste oben). Für diesen speziellen Fall noch nicht, nein.