Von Stefan Sasse
Unter dieser Überschrift fragten die NachDenkSeiten rhetorisch am 4. Juni nach. Dass ich den Artikel so lange mit mir herumschleppe, hat seine Gründe, denn die Beantwortung der Frage ist alles andere als einfach. Konkret geht es den NachDenkSeiten hauptsächlich um den Begriff der "Gleichschaltung", mit dem sie den großen, übergreifenden Reformkonsens in den Medien beschreiben. Weitere verwendete Begriffe sind "Stürmer-Methoden" (BILD) und "völkisches Denken" für den Rassismus, der besonders mit der Euro-Krise wieder salonfähig wurde. Die Frage wurde von den NachDenkSeiten eher rhetorisch gestellt und auch gleich beantwortet: ja, man darf es verwenden, und die Tabuisierung hat nur dazu geführt, dass diese Methoden quasi unter dem Deckmantel der political correctness salonfähig wurden und nicht als das benannt werden dürfen, was sie sind. Ich möchte dieser Argumentation widersprechen, aus zwei Gründen. Der eine ist eine verkappte Zustimmung zum letztgenannten Punkt, während der andere tiefer geht. Ich möchte daher mit dem ersten beginnen, der sich pragmatischer gebärdet und schlicht der politischen Kommunikation entstammt: Nazi-Vergleiche sind ein Verliererthema. Immer. Wer den Nazi-Vergleich benutzt, verliert (ich habe dazu bereits geschrieben). Es ist deswegen in höchstem Maße ratsam, von der Benutzung abzusehen.
Nazi-Vergleiche werden häufig von Randgruppen der gesellschaftlichen Diskussion benutzt. Es sind stark linksgeprägte Personen, die beständig die Faschismuskeule schwingen, Verschwörungstheoretiker, die von der Gleichschaltung sprechen, und Rechte, die den Vorwurf umzudrehen versuchen. Ebenfalls gerne dabei sind Unsympathen aus dem Ausland, die den Nazi-Vergleich als billige Polemik nutzen - der Iran etwa. Mit diesen Gruppierungen möchte man nicht in einen Topf geworfen werden; der Nazi-Vergleich ist daher ein schwerer Fehler. Nun könnte man argumentieren, dass gerade deswegen der Vergleich genutzt werden muss - um ihn dieser Gruppe zu entziehen. Tatsächlich ist das Besetzen von Begriffen ein schwer unterschätzter Schauplatz des Kampfs um die Deutungshoheit, und pauschal eine komplette Kategorie von Begriffen und jederzeit abrufbaren Assoziationen aufzugeben scheint nur eingeschränkt klug (siehe hier und hier). In den meisten Fällen würde ich deswegen auch zustimmen: entreißt den Gegnern dieser Gesellschaft ihre eigenen rhetorischen Waffen und lasst sie nackt dastehen! Allein, in den von den NachDenkSeiten zitierten Fällen stehen schwerwiegende fachliche Gründe gegen eine Übernahme dieser Begriffe.
Das größte von den NachDenkSeiten aufgemachte Fass ist der Begriff "Gleichschaltung". Mir ist klar, was sie damit sagen wollen - dass die Medien überwiegend einseitig berichten und nur eine bestimmte Meinung geradezu kampagnenartig vertreten. Allein, das ist nicht, was Gleichschaltung ist. Die Verwendung des Begriffs hier entwertet den Begriff für seine konkrete historische Bedeutung völlig. Würde er dem Willen der NachDenkSeiten gemäß salonfähig werden, so wären wir zwar um einen politischen Kampfbegriff reicher (der bald von allen verwendet und deswegen bald sinnentleert wäre), aber um die Beschreibung eines spezifischen historischen Phänomens ärmer. Mit der Gleichschaltung bezeichneten die Nationalsozialisten vor allem die Zusammenfassung der Länder und die Zentralisierung des Deutschen Reiches; später kam dann die Gleichschaltung aller anderen Lebensbereiche hinzu. Die Gleichschaltung aber setzt eine einzige, übergeordnete Instanz voraus. Selbst wenn der von Albrecht Müller erhobene Vorwurf, dass nur rund 200 Personen alle wesentlichen Medien kontrollieren, wahr ist, so konstituiert das allenfalls eine Plutokratie, aber keine Gleichschaltung. Denn es existiert keine zentrale Stelle, die alle Presseorgane gleichschalten und einem Willen unterwerfen würde.
Dazu kommt, dass der Vorwurf schlicht sachlich falsch ist. Besonders seit 2009 hat sich die Lage ohnehin wesentlich gebessert, und in vielen Zeitungen herrscht inzwischen eine gewisse Meinungsvielfalt mit Beiträgen zu mehreren (konsensfähigen) Sichtweisen. Zweifellos liegt noch immer ein starkes Übergewicht bei einer Sichtweise, aber von einer Gleichschaltung, bei der alle nur dasselbe schreiben dürfen und das auch kontrolliert wird, kann keine Rede sein. Der Begriff relativiert damit, in diesem Zusammenhang geraucht, nicht nur ein historisches Phänomen, das ein Grundstein der Nazi-Zeit war, es ist schlicht im Gebrauch falsch.
Schwieriger ist es bei den Vorwürfen der "Stürmer-Methoden" und des "völkischen Denkens". Die BILD ist nicht der "Stürmer", so viel sollte klar sein. Aber die krasse Zuspitzung, Polarisierung und Aufpeitschung beherrscht sie. Allerdings bestehen auch hier ernsthafte Probleme: der "Stürmer" war ein Staatsorgan, das die Aufgabe hatte, die Bevölkerung gegen eine bestimmte Gruppe aufzustacheln und gewissermaßen "auf Linie" zu bringen. Die BILD dagegen ist ein kommerzielles Boulevardblatt, das sein Geld damit macht, an die niederen Instinkte zu appellieren. Das ist ein Unterschied. Der Vorwurf der "Stürmer-Methoden" sollte daher an dieser Stelle ebenfalls unterlassen werden. Er ist unzutreffend, eine riesige Keule und eine schwere Beleidigung.
Der komplizierteste Fall ist wohl das "völkische Denken". Dies liegt auch daran, dass es sich nicht um ein Nazi-Phänomen handelt. Die völkischen Ideen entstammen dem 19. Jahrhundert und sind eher eine übersteigerte Form des Nationalismus als ein direkter Vorläufer des Nationalsozialismus. Dieser nahm zwar viele Elemente der völkischen Bewegung auf - schon allein, weil diese sehr populär und bekannt war -, unterschied sich aber in einigen Punkten. Die Diversität der völkischen Bewegung und ihre lange Geschichte macht es auch leichter anwendbar. Ich sehe allerdings in der Griechen-Polemik unserer Tage kein "völkisches Denken" in dem Sinne, als dass das deutsche Blut dafür verantwortlich wäre. Wäre dem so, so könnte man den Griechen nicht vorwerfen, zu faul zu sein und sie aufzufordern, einfach dem deutschen Beispiel zu folgen. Läge es am Blut, wären sie dazu ja gar nicht in der Lage. Ganz anders sieht es bei Sarrazin aus: ihm völkisches Denken zu unterstellen ist mit Sicherheit kein Fehler. Viktor Orban kann man es ebenso um die Ohren hauen.
Zuletzt haben die NachDenkSeiten merkwürdigerweise auch "Rassismus" in ihre Auflistung integriert. Das ist insofern merkwürdig, als dass sie zwar Recht damit haben, dass der Begriff tabuisiert wurde, aber er mit Sicherheit kein nazi-spezifischer Begriff. Daher: ja, den kann man verwenden. Man sollte ihn auch verwenden. Sarrazin das Label des Rassisten anzuhängen war das Beste, das man tun konnte, denn das ist er. Es war falsch von der bundesdeutschen Gesellschaft, Rassismus nur auf tumbe Glatzen zu beschränken und so zu tun, als sei der Alltagsrassismus der bürgerlichen Gesellschaft keiner, sondern vielmehr so was wie das konservative Herz der Deutschen, eine im Grunde liebenswürdige Schrulle. Von den Brandanschlägen auf Asylantenheime in den 1990er Jahren über die entwürdigende Behandlung der Asylbewerber bis hin zu den NSU-Morden lässt sich eine klare Linie aus dem Verschweigen des Rassismus ziehen.
Gerade deshalb aber ist es wichtig, Begriffe trennscharf zu benutzen. Nicht nur macht man sich selbst lächerlich, wenn man mit völlig unangemessenen Begriffen um sich wirft - man richtet dabei auch viel größeren Schaden bei der Aufarbeitung und Bewertung der dunkelsten Zeit in der Geschichte der Deutschen an. Wenn die Begriffe dieser Epoche (beziehungsweise die, mit denen wir sie beschreiben) völlig entwertet und beliebig in aktuellen Debatten zum bashen des jeweiligen Gegners verwendet werden können, beschreiben sie bald gar nichts mehr, und ein bleierndes Schweigen legt sich über jene Zeit. Wie kann man beispielsweise ernsthaft die Geschichte des Sozialismus besprechen, wo der Begriff zu einer so beliebigen politischen Kampfvokabel verkommen ist? Was beschreibt "neoliberal" denn heute noch, außer jemandem, der nicht mit einem Linken übereinstimmt? Dieses Schicksal sollte man den Begriffen, die die Nazi-Zeit beschreiben, dringend ersparen. Deswegen, liebe NachDenkSeiten, seht von ihrer Benutzung ab. Verwendet zutreffende Beschreibungen und macht sie populär. Vor 1933 war Gleichschaltung auch nur ein Begriff, der Elektrikern vertraut war.
Nachtrag:
Ein Leser hat noch weitere Nachfragen gestellt:
Nachtrag:
Ein Leser hat noch weitere Nachfragen gestellt:
Nochmals hallo mit ein paar weiteren Gedanken, die mir im Rahmen Ihres Blogs gekommen sind, während ich mich langsam durch die älteren Beiträge lese.
Zunächst einmal möchte ich anmerken, daß mir die Art, in der die Artikel geschrieben sind, ausgesprochen sympathisch ist, da persönliche Standpunkte, soweit eingebracht, weitgehend in separaten Abschnitten abgehandelt werden, anstatt sie mit dem Faktenmaterial zu vermengen. Eine Tugend, die sich im Internet und gerade bei potentiellen Reizthemen (wozu, wie die weniger lesenswerte Kommentarspalte zeigt, teils auch Ihre Einträge gehören) nicht unbedingt verbreitet ist.
Zum zweiten eine kurze Frage zu Ihrem aktuellsten Artikel über Vor- und Nachteile milieufremder Verwendung faschistisch besetzter Ausdrücke: Ein paar mal habe ich mich auch mit diesem Thema geistig beschäftigt, ohne auf eine konkrete Antwort zu kommen, allerdings in einem anderen Rahmen als die im Eintrag vorhandenen Beispiele. Im Gegensatz zu den klar abwertend und in Assoziation zur damaligen Diktatur gebrauchten Fällen stellt sich mir die Frage, ob es richtig oder falsch wäre, zu damaligen Zeiten pervertierte Sprachfiguren gezielt in einem sachlich passenden Zusammenhang zu nutzen, um sie dem Nazivokabular zu entziehen. Als Extremfall sei hier auf die bekannte Aufschrift "Arbeit macht frei" verwiesen (wenngleich ich die Prämisse nicht gänzlich teile).Welchen Standpunkt würden Sie hierbei einnehmen?
Eine weitere Frage betrifft den Artikel "Probleme sprachlicher Klarfassung am Beispiel realsozialistischer Diktaturen". In diesem erklären Sie ausführlich, weshalb Sie die Ausdrücke "realsozialistisch" und "Ostblock" verwenden, nutzen aber einen weiteren politisierten Ausdruck relativ unreflektiert. Verbinden Sie mit der Bezeichnung "Warschauer Pakt" eine ähnliche Stellungnahme, die Sie diesen gegenüber dem "Warschauer Vertrag" bevorzugen läßt, oder handelt es sich hierbei eher um sprachliche Gewohnheit?
Und zuguterletzt noch eine Frage zu dem Artikel über "Erinnerung und Geschichtsbewußtsein der Deutschen" vom Februar des letzten Jahres. Ein größerer Teil des Artikels wird durch zeitgenössische Sichtweisen, insbesondere in zunehmend revisionistischer Form zum Nationalsozialismus, eingenommen. In diesem Zusammenhang mußte ich an die Grabrede zu Ehren des damaligen Strafrichters und späteren Landespolitikers Hans Filbinger denken, dessen Nachfolger hierbei die Taten als "inneren Widerstand" einordnete, möglicherweise in einem falsch verstandenen Anfall von Pietät. Die Kritik an der Aussage war heftig, soweit ich mich erinnern kann, wobei ich mir unsicher bin, ob es auch Stimmen gab, die das ähnlich sahen.Wie würden Sie im Rahmen Ihres Artikels dieses Ereignis einordnen?
Noch einmal im Voraus danke für die Antwort (und in Vorfreude auf weitere Blogartikel)Jerry
Meine Antwort:
Hallo Herr Laval,
prinzipiell ist die Idee, Dinge dem nationalsozialistischen Sprachschatz zu entziehen ja in Ordnung. Aber wozu? In welchem Zusammenhang möchte ich "Arbeit macht frei" denn tatsächlich nutzen? Ich kann sagen "Arbeit wirkt befreiend", ohne Probleme, und habe mich wahrscheinlich auch noch präziser ausgedrückt. Ich denke, die lingua tertii imperii sollte als solche gebrandmarkt bleiben, schon alleine, damit wir sensibilisiert bleiben für das Problem von entmenschlichender Sprache generell. Worte wie "Sonderbehandlung" oder "Endlösung" haben ja dasselbe Problem. Ich könnte auch Waren in mein "Konzentrationslager" bringen, wo ich eben alle meine Samsung Bildschirme, die ich verkaufe auf einem Punkt konzentriere, aber warum, wenn ich "Zentrallager" sagen kann? Der Vorteil der Sprache als reines Nazi-Vokabular ist, dass ich deren Praktiken sehr präzise fassen kann. Wenn ich im Kontext des Nationalsozialismus von Sonderbehandlungen rede weiß ich, was gemeint ist. Ich kann dann auch im Kontext eines modernen Genozids sagen, dass die Praxis sich an die Sonderbehandlungen der Nazi-Zeit anlehnt - und wieder weiß ich sofort, was gemeint ist. Das ist nicht der Fall, wenn ich den Begriff wieder in den Allgemeinwortschatz überführt habe.
Und genau damit wären wir bei Ihrem zweiten Punkt. Die Verwendung des Wortes "realsozialistisch" dient der Differenzierung zwischen der sozialistischen Ideologie und den Staaten, die sie zu ihrer Legitimierung nutzten. Würde ich die DDR und die anderen Warschauer-Pakt-Staaten "sozialistisch" nennen, so würde ichd en Sozialismus als Ganzes diffamieren. Stattdessen kann ich so differenzieren. Das ist etwas, was ich bei "nationalsozialistisch" ganz bewusst will - jede Verwendung des Begriffs soll sofort das Dritte Reich assoziieren, ebenso "Sonderbehandlung" oder "Gleichschaltung".
Der Warschauer Pakt ist genauso wie der Ostblock eine sprachliche Gewohnheit. Wenn ich mich nicht irre wurden die Begriffe aber ebenfalls verwendet.
Was Oettinger betrifft, so versuchen die Konservativen seit langem, in diese Richtung zu gehen. Kohls "geistig-moralische Wende" 1982 hatte dieses Ziel; Oettinger ist da ein relativer Spätzünder. Ich denke in seinem Fall war es einfach unbedachte Pietät, aber es gibt definitiv Menschen, die so denken, und auch zahllose Menschen, die Filbingers Aussage zustimmen würden, weil sie die Implikationen nicht verstehen.
Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich unseren Mailwechsel unter den Artikel ergänze, gegebenenfalls anonym?
Liebe Grüße
Stefan Sasse
Kleine Korrektur: "Der Stürmer" war kein Staatsorgan, sondern eine "normale", von einem privaten Verleger herausgegebene, Zeitschrift. Insofern schon vergleichbar mit BILD.
AntwortenLöschenDass der Herausgeber wohl statt kommerziellen Ertrags eher ideologische, fanatische Interessen damit verfolgte, ändert daran nichts. Auch nicht, dass die Nazis die Zeitschrift zusätzlich verbreiteten.
Der Stürmer....vergleichbar mit BILD. Sie haben echt was an der Birne.
AntwortenLöschenWer ist "Sie"? Also: an wen ist der Kommentar gerichtet?
LöschenFalls an mich:
Ich habe Stefan nur darin widersprochen, dass er die Vergleichbarkeit ablehnt, weil der Stürmer ein Staatsorgan gewesen wäre. Und das stimmt nicht. Und damit ist der ganze Absatz Unsinn. Man kann die Vergleichbarkeit bezüglich der Methoden und Inhalte verneinen (und das tue ich auch), aber die Begründung ist nicht: "Aber der Stürmer war ja ein Staatsorgan".