Von Stefan Sasse
Dies ist der dritte und letzte Teil einer Serie zum "Supreme Court of the United States". Teil 1 und Teil 2 findet sich hier und hier. Darin wurde skizziert, wie der Supreme Court sich seine eigene Jurisdiktion schuf, die Frage der Sklaverei zu beantworten versuchte und in nie gekannte Tiefen abrutschte, indem er die Rassentrennung legalisierte. Danach verhinderte er lange Jahre eine Sozialgesetzgebung in den USA, ehe er unter Roosevelt mit liberalen Richtern besetzt wurde und die New-Deal-Maßnahmen passieren ließ. In den 1950er und 1960er Jahren wurden zahlreiche Urteile gefällt, die die Bürgerrechtsbewegung entscheidend voranbrachten und die politische Landschaft der USA bis heute prägen. Seit dem Rücktritt Earl Warrens 1969 ist allerdings eine graduelle Rechtsverschiebung wahrnehmbar, die mit Ronald Reagans Regierungsantritt 1981 stark zunehmen sollte.
William Rehnquist |
Zwei gänzlich andere, kontroverse Entscheidungen des Supreme Court jener Epoche aber zeigen deutlich seine konservative Ausrichtung. In „United States v. Lopez“ 1995 entschied das Gericht zum ersten Mal seit Roosevelts Tagen über eine deutliche Grenze für das Recht des Bundes, über die „commerce clause“ in die Rechte der Einzelstaaten einzugreifen. Der Anlass war geradezu trivial; ein Schüler ging in Berufung, weil er unter Berufung auf die „commerce clause“ angeklagt worden war, eine Waffe in der Schule verkauft zu haben. Der Supreme Court zog in seinem Urteil deutliche Grenzen und setzte damit einen Präzedenzfall für einen Umschwung hin zu mehr Staatenrechten. Das wohl berühmteste Urteil des Rehnquist-Court aber ist „Bush v. Gore“ von 2000: die damals in vollem Gange befindliche Nachzählung der Stimmenabgabe zur Präsidentschaftswahl in Florida wurde gestoppt, weil sie den Gleichbehandlungsgrundsatz verletze. Als Folge zog George W. Bush ins Weiße Haus ein. Kaum eine Entscheidung war direkt politischer als diese und ist bis heute unter Hardlinern beider Seiten mythenumrankter. Tatsächlich hat diese Entscheidung der politischen Hygiene in den USA schweren Schaden zugefügt und den Supreme Court dem Verdacht der Parteilichkeit ausgesetzt.
John Roberts |
„Citizens United“ ist eine private non-profit-Organisation mit konservativer Stoßrichtung, die Einfluss auf alle möglichen Wahlen zu nehmen versucht – beispielsweise durch Produktion und Ausstrahlung von politischen Werbespots. Die Federal Election Commission versuchte, die Ausstrahlung eines solchen Films zu verhindern, da sie solche Interventionen als unzulässig ansah - direkte Spenden von Organisationen oder Firmen an Kandidaten, die für Bundesämter kandidieren, sind illegal, und die Argumentation war, dass ein solcher Beitrag nichts anderes sei. Der Supreme Court sah das anders und erlaubte Citizens United die Ausstrahlung unter dem Schutz des ersten Verfassungszusatzes, der „freedom of speech“. Die direkte Folge ist der im aktuellen Wahlkampf 2012 oft beklagte gigantische Einfluss der „Super PACs“ (Political Action Committee) auf die Finanzierung und Themensetzung. Problematisch an der Entscheidung ist, dass die „free speech“ eigentlich eingeschränkt wird, denn wer in der Lage ist, seine Meinung mit bezahlten Werbespots im Fernsehen zu verbreiten hat eine völlig andere Ausgangslage als jemand, der kein Geld für solcherlei Dinge hat – eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Der Supreme Court sah das anders. Die Folgen davon erleben wir gerade im Präsidentschaftswahlkampf.
Präsident Barack Obama |
Der Supreme Court ist eine sehr amerikanische Institution. Fest eingefügt in das System der „Checks&Balances“, dem wohl bedeutendsten Beitrag der USA zu der Entwicklung politischer Systeme, hat er über mehr als zwei Jahrhunderte die Politik in ihren Schranken gehalten. Dies war beileibe nicht immer zum Besten – wie die Politik auch hat sich der Supreme Court einige Male schwer geirrt, und es hat lange gedauert, diese Irrtümer zu revidieren. Das Vertrauen der amerikanischen Bürger in ihn ist aber nicht ohne Grund. Die Richter haben ihre Unabhängigkeit von der Politik stets verteidigt, und in den Geruch der Parteilichkeit kamen sie äußerst selten. Selbst ihre Angehörigkeit zu einer bestimmten Richtung, etwa den Konservativen oder Liberalen, kann nach ihrer Ernennung auf Lebenszeit kaum als garantiert angenommen werden. Oft genug entschieden die Richter unabhängig von ihrer Einstellung. Auch das, das muss deutlich gesagt werden, hat nicht immer zum Besseren geführt. Es steht aber fest, dass die Amerikaner in ihrem Obersten Gericht eine Stelle haben, in der sie davon ausgehen können, dass sie Entscheidungen unabhängig vom Staat und dem Ansehen der Person fällt – und das ist etwas, das nur sehr wenige Staaten vorweisen können und das nicht unerheblich zur außergewöhnlichen Stabilität des amerikanischen politischen Systems beigetragen hat. Roosevelts gescheiterter Versuch, den Supreme Court auszuhebeln, zeigt dies deutlich auf.
Thomas Jefferson |
Viele Länder, die ihre Demokratien am Beispiel der USA aufgebaut haben, versuchten auch, den Supreme Court zu imitieren. Die Einrichtung eines unabhängigen Obersten Gerichts aber ist eine Hürde, an der viele von ihnen scheiterten. Deutschland hat sie genommen, und das Bundesverfassungsgericht genießt in der BRD ein ähnlich hohes Ansehen, obgleich es selten eine solche Bedeutung erlangt wie der Supreme Court (fallen doch schon die Probleme der Staatenrechte hier fast völlig unter den Tisch). Als Gegenbeispiel kann dafür Russland dienen. Nach einigen hoffnungsvollen Ansätzen ist das russische Verfassungsgericht heute eine leere Hülle. Niemand kann in Russland hoffen, einen Prozess gegen den Staat zu gewinnen. Genau diese Aussicht aber ist es, die einen Rechtsstaat erst ausmacht. Die USA hatten das Glück, von Anfang an einen Gerichtshof zu haben, der solche Verfahren ermöglichte. Die Rechte der Bürger werden von seiner Existenz garantiert. Oftmals geht die Bedeutung solcher Institutionen in den Berichten über die Akteure auf der Bühne der großen Politik verloren. Gleichwohl sollte man sie nie unterschätzen – für die Existenz einer lebendigen Demokratie und ihren Erhalt sind sie von essenzieller Bedeutung.
Bildnachweise:
William Rehnquist - United States Department of Justice (gemeinfrei)
Owen Roberts - Steve Petteway (gemeinfrei)
Barack Obama - Pete Souza, The Obama-Biden-Project (gemeinfrei)
Thomas Jefferson - Rembrandt Peale (gemeinfrei)
Bildnachweise:
William Rehnquist - United States Department of Justice (gemeinfrei)
Owen Roberts - Steve Petteway (gemeinfrei)
Barack Obama - Pete Souza, The Obama-Biden-Project (gemeinfrei)
Thomas Jefferson - Rembrandt Peale (gemeinfrei)
Hi,
AntwortenLöschenvielen dank für den interessanten Dreiteiler!
Gruß
Techniknörgler!
Zur Frage der Meinungsfreiheit:
AntwortenLöschenIch kann zwar das Problem, dass die amerikanische Linke sieht, nachvollziehen, aber ist es wirklich eine Lösung einer Behörde (!) die Kompetenz zu geben wer sich wie äußern darf?
Jegliche Regeln in diese Richtung sind entweder
1. löchrig wir ein Schweizer Käse
oder
2. hebeln die Pressefreiheit vollständig aus und ermöglichen einer Behörde unglaubliche Zensur
Fall 1 haben wir zum Beispiel vor dem genannten Urteil des Supreme Courts gehabt. Denn von den Beschränkungen der Wahlkampfberichterstattung waren natürlich Medienunternehmen und natürliche Personen befreit. Man konnte einer natürlichen Person nicht den Mund verbieten, sonst hätte man offensichtlich keine Meinungsfreiheit mehr. Und Medienunternehmen, wie Zeitschriften und Fernsehsender, Vorschriften bezüglich ihrer Wahlkampfberichterstattung zu machen würde die Pressefreiheit aushölen. Das gleicht gilt, wenn die Gründung eines Medienunternehmens von eine Lizenz oder Genehmigung abhängig gemacht würde, damit eine Behörde über "Ausgewogenheit" der Medien wachen könnte.
Also, was macht ein amerikanischer Waffenlobbyverband? Er gründet ein Medienunternehmen und lässt dies auch offiziell als Medienunternehmen registrieren ;-) Dieses Medienunternehmen war dann von allen Beschränkungen befreit (Pressefreiheit).
Das war vor 2007, wenn ich mich richtig erinnere.
AntwortenLöschenNatürlich könnte man diese Lücke schliesen (Fall 2). Man könnte die Wahlkampfberichterstattung der Kontrolle einer Behörde unterwerfen oder die Gründung eines Medienunternehmens nur natürlichen Personen erlauben. Dann wird das Medienunternehmen aber einfach von den Menschen, die hinter einer Lobbyorganisation oder einem Unternehmen stehen, gegründet. Also muss man auch solche Gründungen von einer Lizenz abhängig machen und eine Behörde entscheidet dann, wer die Pressefreiheit ausüben darf.
Man merkt, worauf das hinausläuft.
Fall 1 ist aber so unbefriedigend und könnte zum Hinterfragen des Nutzens einer entprechenden Kontrollbehörde führen. Warum den Aufwand für eine solche Kontrolle, wenn es eh nichts bringt? Also wird eventuell Lobby für ein schließen der Schlupflöcher betrieben. Und eh man sich versieht landet man in Szenario 2. Die klassische slippery sloat.
Sorry, die Debatte gehört jetzt vielleicht nicht hier hin, die Anmerkung zu dem Thema wollte ich aber mal los werden, vielleicht auch, damit man das Urteil besser nachvolziehen kann.
[quote] und erlaubte Sodomie („Lawrence v. Texas“). [/quote]
AntwortenLöschenDas würde auf Deutsch bedeuten, dass Sex mit Tieren in den USA legal wäre. Richtig ist doch, dass durch das Urteil homosexueller Geschlechtsverkehr legalisiert wurde, oder?
Ja, mein Fehler, wird korrigiert.
AntwortenLöschen