Von Stefan Sasse
Amerikanische Truppen bei der Anfahrt auf "Omaha", 6.6.1944 |
Am 6. Juni 2014 jährt sich die Invasion der Alliierten in der Normandie zum 70. Mal. Seit 2004 sind auch deutsche Vertreter bei den Jubiläumsfeierlichkeiten in Frankreich zugegen, bei denen der alliierten Opfer gedacht wird. Wie in der Debatte um den 8. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen deutschen Kapitulation, stellt sich für uns die Frage, ob wir diesen Tag ebenfalls mitfeiern können. Die Antwort darauf ist nicht ganz so einfach, wie sie scheint. Selbstverständlich kann es für uns Deutsche keine Alternative sein, den Gang der Ereignisse an jenen Tagen zu bedauern. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs müssen unsere Sympathien bei der alliierten Sache liegen, so schizophren das für uns als Deutsche manchmal auch anmuten mag.
Warum also entsteht überhaupt eine Debatte zum Thema? Schließlich war die Eröffnung einer zweiten Front in der Normandie am 6. Juni 1944 ein weiterer Sargnagel für das Regime und brachte das Kriegsende binnen eines letzten, blutigen Jahrs herbei. Ein erstes Argument betrifft den westlichen Fokus des Tags. Historisch war die Westfront wesentlich unbedeutender als die Ostfront, wo am 21. Juni 1944 die Bagration-Offensive der Sowjetunion die Heeresgruppe Mitte pulverisierte und die Front über 300km nach Westen verschob. 9 von 10 deutschen Soldaten kämpften im Osten; die Sowjets mobilisierten (und verloren) ungleich mehr Soldaten als die Westmächte. Sollte daher nicht ihnen der Löwenanteil des Danks an der Niederwerfung Nazi-Deutschlands zukommen?
Wladimir Putin (CC-BY-SA 3.0 Kremlin.ru) |
So bedenkenswert dieses Argument auch ist, es hat in den politischen Realitäten des Jahres 2014 wenig Boden. In Berlin fuhr die Springerpresse noch vor kurzem eine erfolglose Kampagne, die sowjetischen Denkmäler (etwa die ausgestellten Panzer und Kanonen) entfernen zu lassen. Nach den Ereignissen in der Ukraine und der völligen propagandistischen Zweckentfremdung des "Großen Vaterländischen Krieges" durch Putin ist eine unvoreingenommene Auseindersetzung mit dieser Frage von keiner Seite zu erwarten; das Eingeständnis der sowjetischen Bedeutung würde im aktuellen Konflikt Putin stärken, was für die Bundesregierung offensichtlich keine Option darstellt.
Es bleibt daher die Frage, ob dem (wesentlich kleiner dimensionierten) westlichen Gegenentwurf zu dieser aktuellen russischen Propaganda - dem Verschweigen des sowjetischen Anteils und einer Konzentration auf die Landung als scheinbar kriegsentscheidendes Ereignis - ein deutscher Anteil zukommen sollte. Die politischen Erwägungen sprechen derzeit klar dafür, da man sich für das westliche Bündnis gegen Russland positionieren will. Doch auch hier gibt es ein Problem, das man nicht wegdiskutieren kann: die Gedenkveranstaltungen des 6. Juni drehen sich hauptsächlich um die alliierten Opfer, die an diesem Tag zu beklagen waren.
Kanadischer Soldatenfriedhof, Normandy (Burtonpe, GNU 1.2) |
Haben deutsche Politiker also überhaupt das Recht, die Deutschen nun gewissermaßen nachträglich auf die Seite der Sieger zu stellen und mitzufeiern und damit dem Eindruck Vorschub zu leisten, dass der Zweite Weltkrieg und der Nationalsozialismus eigentlich keine wirklich deutsche Sache waren, sondern den Deutschen vielmehr unwillig aufgezwungen worden seien? Diese Frage ist keinesfalls einfach von der Hand zu weisen, denn sie hat Implikationen. Die Veteranen des D-Day, so sie noch leben, könnten daran durchaus Anstoß nehmen, und nicht ganz zu Unrecht. Und für unsere Vergangenheitsbewältigung ist der entsprechende Eindruck auch ein Problem.
Nichts desto trotz bin ich trotzdem dafür, den 6. Juni (und natürlich auch den 8. Mai) als Gedenktag zu begehen und auch an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Wir müssen uns aber gleichzeitig immer des Spagats bewusst sein, der hier begangen wird. Deutschland ist nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer Rekordgeschwindigkeit nicht nur als Nation wieder aufgenommen, sondern auch als Freund begrüßt worden. Das ist keine Selbstverständlichkeit, bei allem Eigennutz, den die Sieger daraus zogen. Es steht uns auch 70 Jahre später nicht an, dies einfach zu vergessen. Unsere historische Verantwortung zwingt uns, dem Nationalsozialismus eine klare Absage zu erteilen, zu der aber eben auch die Akzeptanz seiner Lasten gehört. Und die verbietet eine allzu billige Fraternisierung mit den Siegern, nicht nur des guten Geschmacks willens, sondern aus dem Respekt ihnen gegenüber. Und das betrifft auch die sowjetischen Monumente am Brandenburger Tor.
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