Jörg Fündling - Kaiser von morgens bis abends
Das Leben eines römischen Kaisers ist mit Sicherheit keines, das repräsentativ für den Alltag des Römischen Reiches sein kann. Ungemein faszinierend aber ist die Frage, wie der Alltag des Manns an der Spitze ausgesehen haben könnte, natürlich dennoch. Kenner*innen der antiken Geschichte wird kaum überraschen, dass die Quellenlage eher dürftig ist, aber Jörg Fündling hat sich trotzdem an dieses - wohl nicht 100% ernstgemeinte - Experiment gewagt und versucht, eine Art "Idealtag" des Herrschers zu erstellen. Der müsste sich dafür zwar teleportieren und gelegentlich in die Transzendenz gehen, um zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten an unterschiedlichen Orten gleichzeitig zu sein, aber das wollen für das Gedankenexperiment durchgehen lassen, denn der relevante Teil ist ja eher zu sehen, wie sich diese Aufgaben verteilen, und warum. Denn wir wissen immerhin genug um feststellen zu können, dass ein römischer Alltag sich schon deutlich von unserem unterscheidet, und das nicht nur wegen des offensichtlichen technologischen Unterschieds.
Das fängt bereits beim Aufstehen an. Denn wo wir gerne ausführliche Morgentoilette und Frühstück als Tagesbeginn ansetzen, beginnt der Tag des Imperators - nach dem kurzen Abwaschen des Gesichts und dem Kleiderwechsel, der nur mit einem Stab an Diener*innen machbar ist - direkt mit Arbeit. Frühstück gibt es, wenn überhaupt, frühestens nach vier Stunden; viele Römer*innen kommen ganz ohne aus. Zahlreiche Kaiser waren stolz darauf, überhaupt erst abends zu essen, was angesichts eines sehr frühen Aufstehens geradezu masochistisch wirkt. Auch ein Mittagessen ist bei den Römern, so es überhaupt vorkommt, eine karge Affäre. Der Fokus liegt auf dem Abendessen, das dafür aber umso reichhaltiger und auch länger ausfällt, als wir das gewohnt sind. Und früher - üblicherweise beginnt die Abendessenzeit bereits am Nachmittag, denn wenn es dunkel wird, müssen alle daheim sein.
Dazu kommen die vielen Regeln, die jede Kultur hat, die aber einer so weit zurückliegende wie der römische entsprechend fremd machen. Dazu gehören etwa die Dankesopfer am heimischen Altar für allerlei Gottheiten (die Römer waren, entgegen der populären Darstellung, keine Atheisten; sie glaubten ihre Religion, wie eigentlich alle Völker bis zu den Christen der späten Moderne). Auch die Spiele laufen etwas anders als ein Fußballspiel, schon alleine, weil sie viel länger dauern, man vom Kaiser etwas zu essen bekommt und dessen Performance in der Fankurve bewertet (die nur nonverbal abläuft, Mikrofon und Kamerazoom fehlen). Wenn sich selbiger Kaiser für die Spiele nicht interessiert oder besseres zu tun hätte, hat er ziemlich Pech; man will ja jetzt nicht unbedingt den Plebs gegen sich haben. Auch darf der Kaiser vielem Zeitvertreib nicht nachgehen, weil der als unschicklich gilt. Er ist also durch mannigfaltige Erwartungen eingeschränkt.
Die Arbeit selbst besteht aus viel persönlichen Kontakten; bereits morgens warten zahlreiche Bittsteller - nein Halt, "Freunde" - auf den Kaiser. Der Kaiser hat viele Freunde, alle 600 Senatoren gehören dazu, und noch einige hundert andere Leute, und sie alle haben das Recht, von ihm angehört zu werden und seine Zeit in Anspruch zu nehmen. Dazu kommen ständige Petitionen, die gleichzeitig auch Rechtsgewalt haben, weil der Kaiser nun einmal eine enorme Machtfülle hat. "Enorme Machtfülle" ist aber nicht Allmacht, und entsprechend muss der Kaiser achtgeben, dass er die Senatoren nicht verprellt.
Und überhaupt, das Richten. Der Großteil der Arbeitszeit ist in einem Zeitalter, das keine Gewaltenteilung kennt, damit ausgefüllt, irgendwelche Richtsprüche zu fällen. Zwar gibt es einige Abkürzungen, um die Zeitdauer zu reduzieren, aber die gehen auf Kosten eines ordentlichen Gerichtswegs, was weder die Verlierer erfreut noch der Rechtssicherheit gut tut. Wie auch bei Petitionen und anderem Regierungshandeln gibt es zudem kaum jemanden, an der Kaiser deligieren kann. Der Verwaltungsapparat ist geradezu lächerlich klein. Das Regieren des Kaisers ist daher in seiner Wirkung deutlich beschränkt und gleichzeitig durchgreifend: wo sein Wille hinfällt, ist er oft absolut und tiefschneidend, aber er fällt nur an wenige Orte, wo allerlei kleine Despoten freie Hand haben.
Auch gesundheitlich wird der kaiserliche Alltag unter die Lupe genommen. Denn die Medizin des römischen Reichs war so fortschrittlich nun doch nicht, und den Kaiser auf dem Höhepunkt seiner Kraft zu erhalten, auch wenn er ein rüstiger Senior wurde, war Staatsräson. Wie auch bei heutigen Staatsoberhäuptern gehörte das tägliche Training zum Ablauf. Spannenderweise erfolgt dieses nicht in den Morgen- oder Abendstunden, wo die italienische Sonne weniger erbarmungslos brennt, sondern genau dann, wenn sie nachmittags die größte Hitze erreicht hat. Das schien den Trainingseffekt in den Augen der Römer zu verbessern.
Auf den gerade einmal 130 kleinen Seiten kann natürlich keine umfassende Studie vorgenommen werden; viel populärer als hier kann Geschichtswissenschaft nicht werden. Das ist keine Kritik, das Buch ist, was es ist, und für mich, der wahrlich kein Experte für die Antike ist, erfüllt es gerade eine gute Nische, denn viel ausführlicher will ich mich auch gar nicht beschäftigen. Fündling räumt gleich zu Beginn die methodischen Schwächen offen ein - und diese sind im Verlauf auch hinter jedem Satz klar erkennbar. Die Vorstellung, eine Bandbreite von Herrschern von Augustus bis zu den Soldatenkaisern in ein Ideal pressen zu versuchen kann natürlich nur scheitern, aber wenn man sich dieses Scheiterns bewusst ist, dann kann man aus den Trümmern durchaus viel Wissenswertes bergen. Und damit mache ich die Metaphernkiste für heute zu.
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