Mittwoch, 28. Juni 2023

Rezension: Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849 (Teil 4)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier.

Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849 (Hörbuch) (Frühling der Revolution: Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt (Hörbuch))

Die Regierungsbildungen in Paris, Milan oder Palermo ersetzten eine bestehende Regierung. In Wien oder Berlin dagegen kamen neue Minister an die Macht, die sich diese mit alten Ministern und der weiter bestehenden monarchischen Exekutive teilen mussten. All diesen Fällen aber war gemein, dass die neuen Macht(teil)haber aus der Oberschicht kamen. Ihre liberalen Prägungen waren auf punktuelle Reformen zur Verbesserung ihrer Situation ausgerichtet; der breiten Mehrheit, deren Unzufriedenheit und Engagement die Revolution hervorgebracht hatte, konnten sie nur wenig bieten. Clarke spricht hier davon, dass sie die Revolution erbten, sie aber nicht hervorbrachten. Das war nur in Bukarest anders, wo eine kleine, stark französisch ausgerichtete Elite tatsächlich verschwörerisch eine Revolution in Gang setzte. Auch hier aber war es die schmale Oberschicht, die die Regierung zu ihren eigenen Zwecken übernahm. 

Mittwoch, 21. Juni 2023

Rezension: Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849 (Teil 3)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier.

Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849 (Hörbuch) (Frühling der Revolution: Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt (Hörbuch))

Verantwortlich für die konterrevolutionären Bestrebungen war Metternich. Der österreichische Fürst war bei weitem nicht der radikalste Konservative seiner Zeit; er war Wandel nicht grundsätzlich abgeneigt, sofern dieser langsam und mit den herrschenden Eliten vereinbar war. Als "The Rock of Order" aber war er das Gesicht der alten Ordnung. Zudem verkrustete Metternichs Denken nach 1815 zunehmend, weswegen er nicht in der Lage gewesen sei, zwischen Reformern und Radikalen zu unterscheiden; für ihn seien alle Liberalen Radikale gewesen, was der Lage nicht unbedingt förderlich gewesen sei. Das Selbstverständnis Metternichs sei das eines Damms gewesen, der die flutartige Wucht der Veränderungen aufhält. 

Montag, 19. Juni 2023

Rezension: Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849 (Teil 2)

Teil 1 hier.

Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849 (Hörbuch) (Frühling der Revolution: Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt (Hörbuch))

In Clarkes nächstem Abschnitt, Patrioten und Nationen, befasst er sich mit einer damals noch völlig neuen, aber umso wirkmächtigeren Idee: dem Nationalismus. Die Idee der Nation war eine künstliche, auch wenn die Nationalisten alles versuchten, um irgendwelche "natürlichen" Grenzen zu konstruieren. Gerade für Konservative war die Idee oft ein Gräuel, weil sie bestehende Traditionen umwarf und zudem mit einer radikalen Gleichheitsvorstellung verknüpft war: wo die Monarchen aktuell aus Gottes Gnaden regierten, waren sie, selbst mit absoluter Macht ausgestattet, in der Nation doch aus der Masse legitimiert, dem Anathema jedes Konservativen. Die Künstlichkeit der Idee erforderte seitens der Nationalisten einen gewaltigen Bildungsakt: großen Teilen der Bevölkerung musste nahegebracht werden, was die Nation war, wodurch sie sich definierte und dass sie alle dazu gehörten. Der Nationalismus war eine Bewegung vorrangig der jungen Männer, die sie auch mit Gewalt durchzusetzen versuchten. Gleichwohl sollte er nicht mit seinen Auswüchsen gegen Ende des 19. und vor allem dem Schlachten des 20. Jahrhunderts gleichgesetzt werden: zwar gab es genügend Geschmacklosigkeiten, wie den französisch-deutschen Konflikt um den Rhein ("Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze"), aber der Nationalismus war paradoxerweise eine gesamteuropäische Bewegung, und eine nicht unerhebliche Gruppe von Freiheitskämpfern focht in diversen nationalen Befreiungskämpfen. Der große Gegner aller Nationalisten waren die multiethnischen Reiche, allen voran das der Habsburger, weswegen sie in Wien auch ihren erbittertsten Gegner fanden. 

Freitag, 16. Juni 2023

Rezension: Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (Teil 5)

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier.

Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts

Das britische Empire muss aber in seiner Stabilität noch aus anderen Faktoren erklärt werden. Osterhammel listet folgende auf: die Steuerungsfähigkeit des britischen Finanzsystems, da die City of London das Finanzzentrum der Welt war; das nach den Erfahrungen der 1770er Jahre deutlich sensiblere Interventionssystem bei Unruhen und der Anschein von Souveränität etwa bei Ägypten; die Elitensolidarität der aristokratischen Oberschicht; das Nicht-Ausüben von rassistischen Völkermorden; die Fähigkeit zur weltweiten Machtdurchsetzung, vor allem dank der Navy. Die Pax Britannica sei allerdings kein weltweites Interventionsregime gewesen (dazu fehlten Großbritannien die militärischen Mittel), sondern habe sich vor allem durch ihre Natur als public good für alle Staaten ausgezeichnet, die auf diese Art am liberalen Handelsregime teilnehmen konnte, das quasi unentgeltlich bereitgestellt wurde - und auf diese Art Großbritannien weltweit Einfluss sicherte.

Montag, 12. Juni 2023

Rezension: Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (Teil 4)

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier.

Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts

Das achte Kapitel, "Imperien und Nationalstaaten - Die Beharrungskraft der Reiche", beginnt mit der Feststellung, dass die internationale Politik nach anderen Regeln als die Innenpolitik funktioniert (und auch eine schlechtere Quellenlage hat) und als oberstes Ziel die Vermeidung von Kriegen hatte. Osterhammel macht fünf Grunddynamiken der Außenpolitik des 19. Jahrhunderts aus: Die Volksbewaffnung, die zu einer größeren Unwägbarkeit von Krieg führte; der Wechsel von dynastischer zu nationaler Außenpolitik; die neuen technologischen Möglichkeiten in der Kriegsführung; die zunehmende Bedeutung von Wirtschaftskraft als Machtfaktor (die Mächte wie die Niederlande oder Schweden endgültig bedeutungslos werden und die USA trotz ihrer militärischen Schwäche bedeutungsvoll werden ließ); und zuletzt die Entwicklung eines Weltstaatensystems, das eben die USA, aber auch Japan und China, einschloss.

Donnerstag, 8. Juni 2023

Rezension: Boris Dreyer - Als die Römer frech geworden. Varus, Hermann und die Katastrophe im Teutoburger Wald

 

Boris Dreyer - Als die Römer frech geworden. Varus, Hermann und die Katastrophe im Teutoburger Wald (Hörbuch)

Im 19. Jahrhundert kannte jedes Bürgerkind die Sage von Hermann dem Cherusker. Der stolze germanische Recke hatte die Urvölker Germaniens geeint, um sie in einem nationalen Befreiungskampf gegen die "Welschen" zu führen, romanische Besatzer, deren numerische und technologische Überlegenheit er mit List und teutonischem Kampfesmut ausglich, indem er den arroganten römischen Statthalter Varus und seine drei Legionen in der Schlacht im Teutoburger Wald aufrieb. Ähnlich Siegfried erlitt er dann das typisch deutsche Schicksal, in der Stunde des Triumphs verraten zu werden - die deutsche Nationalstaatsbildung wurde um 1900 Jahre verzögert. An dieser Geschichte stimmt so gut wie nichts, aber für einige Jahrzehnte war sie äußerst wirkmächtig und gehörte wie der Nibelungenepos zum kulturellen Standardrepertoir des Kaiserreichs. Heute spielt die Instrumentalisierung Arminius' - wie Hermann in Wirklichkeit hieß, bevor Luther ihn zum Deutschen adelte - keine Rolle mehr. Generell kennt kaum ein Kind die Schlacht im Teutoburger Wald mehr; der Popularitätsverfall der Antike als eskapistischer Fluchtpunkt zugunsten von Marvel und Co hat dazu nicht unwesentlich beigetragen. Trotzdem bleibt das Rätsel des Untergangs Varus' ebenso spannend wie die Germanienpolitik der Römer. Warum gaben sie ihre Versuche auf, Germanien zu erobern? Der Verlust von drei Legionen allein kann es kaum gewesen sein; Verluste schreckten die Römer nicht. Boris Dreyer versucht dem hier auf den Grund zu gehen.

Dienstag, 6. Juni 2023

Rezension: Christoph Möllers - Das Grundgesetz

 

Christoph Möllers - Das Grundgesetz

Das Grundgesetz ist eine Erfolgsgeschichte. Anders kann man eine Verfassung, die bald 75 Jahre alt sein wird, kaum beschreiben. Wenige geschriebene Verfassungen erreichen ein solch stattliches Alter. Was genau darin steht und wie es zu lesen ist, ist allerdings vielen Menschen nicht bekannt. Hier spielt eine Dichothomie eine Rolle, die vielfach bemerkt wurde: die Sprache des Grundgesetzes ist schlicht und angenehm lesbar (für einen Verfassungstext), was aber nicht bedeutet, dass sie deswegen auch verständlich wäre. Christoph Möllers vergleicht das mit einem Gedicht, das ebenfalls sprachlich hoch verdichtet Bedeutungsebenen verschränkt und der Kompetenz der Textanalyse (in dem Fall der lyrischen) bedarf, um tatsächlich verstanden zu werden. Da wir nicht alle Zeit für ein juristisches Staatsexamen haben und Grundgesetzkommentare ohne ein solches auch nicht verständlich sind, ist sein schmales, in der Reihe C. H. Beck Wissen erschienenes Bändchen hier mehr als hilfreich.

Freitag, 2. Juni 2023

Rezension: Manfred Vasold - Die Spanische Grippe. Die Seuche und der Erste Weltkrieg

 

Manfred Vasold - Die Spanische Grippe. Die Seuche und der Erste Weltkrieg

In den Jahren 1918 und 1919 fegte eine Grippeepidemie über die Welt, die irgendwo zwischen 50 und 100 Millionen Opfer forderte. Wähend der Covid-Pandemie wuchs das Interesse an dieser weitgehend vergessenen Epidemie kurzzeitig an; vor allem Laura Spinneys Werk (hie besprochen) schoss dabei in die öffentliche Wahrnehmung. Während Spinneys Anspruch der einer Gesamterzählung der Epidemie war, grenzt Manfred Vasold sein Beobachtungsgebiet stärker ein. Wie der Untertitel bereits verrät, geht es ihm vorrangig um die Wechselwirkungen zwischen der Seuche und dem Ersten Weltkrieg. Zentrale Themen sind hierbei, ob die Epidemie durch den Krieg verschlimmert wurde und ob sie dazu beitrug, die deutsche Niederlage zu besiegeln. Wie er diese Argumentation aufbaut und inwieweit sie tragfähig ist, soll im Folgenden untersucht werden.