Montag, 2. Oktober 2023

Rezension: John Foot - Blood and Power. The Rise and Fall of Italian Fascism (Teil 2)

 

Teil 1 hier.

John Foot - Blood and Power. The Rise and Fall of Italian Fascism (Hörbuch)

1922 erfolgte dann die Abschlussaktion der Faschisten. Sie vernichteten planmäßig weitere linke Zentren, wobei sie immer offener Hand in Hand mit Polizei, Justiz und Militär arbeiteten. In den Orten, in denen sie die Linke zerschlagen hatten, übernahmen sie danach direkt selbst die Macht und zerschlugen so auch die liberale Demokratie. Widerstand seitens des Bürgertums gab es keinen. Die eigentliche Machtübernahme, der „Marsch auf Rom“, war dann in Wirklichkeit kein Marsch, sondern ein Trip per Eisenbahn, während Mussolini von einem Hotel in Milan aus Befehle per Telegraph erteilte. Ein letztes Mal versuchte ein Liberaler, Widerstand zu leisten: er legte dem König einen Befehl zur Erklärung des Ausnahmezustands vor, so dass das Militär die Faschisten aufhalten würde. Die Militärs selbst erklärten, dass sie dies selbstverständlich tun könnten, die Regierung allerdings nicht das Risiko einer Meuterei auf sich nehmen solle. Der König lehnte die Erklärung ohne ihn ab.

Daraufhin war der Weg für Mussolini frei. Die Faschisten fielen in Rom ein und nahmen furchtbare Rache an ihren Gegnern. Wie immer wurden Häuser angezündet Besitztümer geplündert und Personen schwer verletzt oder ermordet. Wieso häufig stand die Polizei daneben und tat nichts oder beteiligte sich gleich an dem Terror. Mussolini wurde zum Premierminister erklärt und hielt seine erste Rede im Parlament: es war eine unverhohlene Drohung. Wer sich ihm in den Weg stellte, würde totgeprügelt.

Die Squadristi indes wurden, sofern sie bisher belangt worden waren, in einer Generalamnesie freigesprochen. Diese definierte sämtliche faschistischen Gewalttaten als patriotisch, während sämtliche linke Gewalttaten als anti-italienisch definiert wurden. Damit war auch jede weitere Gewalt der Faschisten legitimiert. Die Squadraisti wurden legalisiert und entweder in bestehende Verbände eingegliedert oder direkt in die neuen Parallelorganisationen, eine staatliche Miliz, überführt. Solche Parallelorganisationen wurden um die neue faschistische Partei herum auf allen Ebenen aufgebaut und stellten die Basis für Mussolinis Machtübernahme dar.

1923 zeigte sich, dass die Demokratie auch im offiziellen Wahlprozess erledigt war: die Faschisten gewannen die letzten Kommunal- und Regionalwahlen bis 1945 schon allein, weil ihre Gegner durch die massive Terrorkampagne gar keine Kandidaten mehr aufstellten. Nach den letzten Wahlen überhaupt - 1924 - wurden sie allerdings übermütig: ein bekanntes Mordkommando ergriff auf offener Straße den sozialistischen Abgeordneten Matteoti und ermordete ihn, was zu einem Proteststurm führte, der die letzte große innenpolitische Krise des Regimes bis zur Wende im Krieg darstellte.

Mussolini selbst nutzte sie, um seine Macht zu sichern. Er übernahm die volle politische Verantwortung für den Mord, was ihm zu diesem Zeitpunkt nicht mehr schaden konnte, und er ist damit die Macht innerhalb der faschistischen Bewegung komplett an sich. Danach überzog eine Welle von Schauprozessen Italien. Zu Hunderten wurden Systemgegner oder irgendwelche anderen Leute, die in irgendeiner Art und Weise unerwünscht waren, vor Tribunalen abgeurteilt, die mit einem rechtsstaatlichen Verfahren nichts mehr zu tun hatten.

Gleichzeitig schrieb der faschistische Staat seine eigene Geschichte neu um. Gehörten aufwendige Bestattungen früher schon zu Ikonographie des Faschismus, wurden nun Bücher herausgegeben, die die Märtyrer der Bewegung offiziell adelten und gleichzeitig eine Art hagiographische Geschichtsschreibung darstellten, in der alle Gewalt von Linken ausging und Faschisten nur als ihre Opfer dastanden - während die Rhetorik gleichzeitig unnachgiebig gewalttätig blieb.

Die Verfolgung von Systemgegnern ging weit über die Zerstörung deren Fähigkeit zur Opposition hinaus. So wurden am Jahrestag des Marsch auf Rom politische Gefangene in den Gefängnissen rituell verprügelt und selbst exilierten Systemgegnern, die zur Unterwerfung bereit waren, häufig genug keine Möglichkeit zur Rückkehr geboten. Wo die Faschisten dies zuließen, war es nur durch öffentliche Demütigung möglich, indem die Betroffenen in der Sprache der Faschisten ihren Irrtum eingestanden und um Gnade baten.

Dadurch existierte in den späteren 1920er Jahren keine interne Opposition mehr. Da der Faschismus aber vom beständigen Kampf gegen andere lebte, suchte er neue Ziele. In den frühen 1930er Jahren fand er diese in den Juden, für die nun eigene Rassengesetzgebung eingeführt wurde, die genauso inkonsistent und albern und dennoch für die Betroffenen zerstörerisch wie in Deutschland war. Es gibt zahlreiche Mythen um diese antisemitische Verfolgungspolitik, etwa dass der italienische Faschismus gar nicht rassistisch gewesen sei oder dass Italo Balbo irgendwie versucht hätte, sie aufzuhalten. All das ist Unfug. Zwar war der italienische Antisemitismus nicht so mörderisch wie der deutsche, aber die Juden wurden auch in Italien verfolgt, weit bevor die Deutschen die Kontrolle übernahmen.

Die Manie der Faschisten mit der Eroberung eines Imperiums fand ihren Niederschlag auch in der Geschichtsschreibung, die eine direkte Linie vom Krieg in Libyen 1912 über den Ersten Weltkrieg zur faschistischen Gewalt und in die Zukunft zog, in der Mussolini Italien ein Imperium zu erobern gedachte. Das erste Ziel war Äthiopien, das 1896 der italienischen Armee eine schmerzliche Niederlage zugefügt hatte, die es nun auszumerzen galt. Mit brutaler Gewalt, Giftgas und Genozid marodierte die italienische Armee durch Äthiopien und eroberte das Land.

Eine rassistische Ideologie bot die Grundlage für die Unterdrückung der dortigen Bevölkerung (selbstverständlich garniert mit der üblichen kolonialistischen Rhetorik von der segensreichen aufgeklärten Regierung fortgeschrittener Europäer über hinterwäldlerische Barbaren) und den Squadristi ein neues Aktionsfeld.

Die Faschisten schafften es hervorragend, die italienische Bourgeoisie und den Papst sowie den König für sich zu gewinnen. Letzterer, der durch seine Verweigerung der Unterschrift unter den Befehlen, sie aufzuhalten, den Marsch auf Rom überhaupt erst möglich gemacht hatte, setzte dieselbe Unterschrift bereitwillig unter sämtliche Dekrete Mussolinis, die die Juden und andere Gruppen diskriminierten, verfolgten und bedrohten. Innerhalb der faschistischen Bewegung selbst gab es keinerlei Opposition oder Widerstand, und auch aus dem Bürgertum war nichts zu erwarten.

Auffallend war, das ist den Faschisten nicht gelang, die Arbeiterklasse für sich einzunehmen. Foot Erklärt, dass das Regime 1939 bereits auf dem absteigenden Ast gewesen sei: die Dauermobilisierung war unbeliebt und die Arbeiterklasse immer noch feindlich gegenüber der Bewegung. Als Mussolini 1940, seiner außenpolitischen Souveränität mittlerweile durch seine eigene verfehlte Politik praktisch beraubt, Hitler in den Krieg folgte, war die italienische Bevölkerung innerlich bereits auf dem Weg weg vom Faschismus.

Dies zeigte sich vor allem beim Arbeiteraufstand von Turin 1943. Es war der erste große Streik seit den Niederschlagungen 1922. Die offene Ablehnungsbekundung seitens Hunderter von Menschen war wie eine Art Dammbruch. Mussolinis Fall kam dann allerdings aus völlig unerwarteter Ecke: ausgerechnet die ihm hörige Parallelinstitutionen des Faschistischen Rats verweigerte ihm den Gehorsam, seine Paladine lockten ihn in die Falle und der König ließ ihn verhaften. Dass der einstig schier gottgleiche Diktator wie ein gewöhnlicher Krimineller von der Polizei abgeführt werden konnte, zerstörte seinen Mythos nachhaltig. Italien er erklärte einen Waffenstillstand gegenüber den Alliierten und schied offiziell aus dem Krieg aus.

Für die Italiener begann der wahre Horror jetzt erst: die deutsche Wehrmacht marschierte in Italien ein und ein langer, zäher und blutiger Krieg begann. Dieser wandelte sich auch gleich in eine Art Bürgerkrieg: antifaschistische Widerstandsgruppen organisierten sich und kämpften gegen ihre einstigen Feinde, die einmarschierenden alliierten Truppen nahmen besonders im Fall der französischen Armee Rache für frühere italienische Gräueltaten, die Wehrmacht beging zahlreiche Kriegsverbrechen und die offiziellen italienischen Stellen steckten mittendrin und führten ihren eigenen Parallelkrieg. Dazu kam die Operettenrepublik des von den Deutschen befreiten Mussolini, die im Norden Italiens ein eigenes faschistisches Terrorregime aufrechterhielt.

Ein größeres Drama aber stellte der italienische Holocaust dar. 1943 wurde auf Grundlage der in den 1930er Jahren erlassenen Rassegesetze begonnen, die Juden zu deportieren und zu ermorden. Wie in so vielen Ländern Europas gelang dies vor allem wegen der Kooperation der einheimischen Institutionen und Bevölkerung. Die Italiener pflegten nach dem Krieg den Mythos zahlreicher Helden, die Juden das Leben retteten, auch hier wieder ähnlich zu vielen anderen europäischen Ländern. Ein sehr großer Teil dieser Mythen hat sich allerdings genau als das erwiesen: Mythen. Historische Forschungen in den letzten 20 Jahren haben allzu oft ergeben, dass entweder viel weniger oder gar keine Rettungen stattgefunden hatten. Stattdessen hatte es viel Kollaboration und Bereicherung gegeben. Alles in allem kein Ruhmesblatt für die Italiener.

Der Fall des faschistischen Systems brachte eine Welle der Gegengewalt mit sich: die Partisanen und ehemaligen Widerstandskämpfer, die unterdrückten Sozialisten und in wenigen Fällen einige der überlebenden Juden nahmen grausame Rache an den Faschisten. Das Ende des Faschismus brachte natürlich nicht das Ende der Faschisten. Der Umgang mit ihnen stellte die italienische Gesellschaft vor dieselben Probleme, die auch die Deutsche mit den Nazis hatte. Der Seitenwechsel Italiens auf die Seite der Alliierten erschwerte die Sache zusätzlich; ein Äquivalent zu den Nürnberger Prozessen gab es nicht. In den seltenen Fällen, in denen ehemalige Faschisten tatsächlich für ihre Schandtaten verurteilt wurden, kamen sie üblicherweise schnell wieder frei; in den meisten Fällen wurden sie mangels Beweisen oder durch Intervention des italienischen Staates gar nicht erst verurteilt.

Ich empfand die Lektüre des Buchs in großen Teilen als frustrierend. Das liegt vor allem an seiner Struktur: einerseits löst Foot sein Versprechen, den Faschismus aus Perspektive der Menschen zu zeigen, nicht wirklich ein; andererseits ist die Schwerpunktsetzung eine sehr merkwürdige, die -  allerdings im Einklang mit dem Titel - praktisch ausschließlich den Aufstieg und den Fall des Faschismus bespricht und die Zeit dazwischen weitgehend auslässt. Da der Einstieg des Buches allerdings explizit mit einer familiären Anekdote gemacht wurde, in der die Großmutter des Autors den Faschismus als eine „großartige Sache“ bezeichnete, hätte man durchaus erwarten können, dass gezeigt wird, woher diese Ansicht kommt. Foot beschäftigt sich aber ausschließlich mit den Proponenten und Gegnern des Systems und nicht mit der überwiegenden Mehrheit derjenigen, die unter ihm lebten und letztlich keine spezifische Position dazu einnahmen.

Dazu kommt, dass der gewählte Ansatz dazu führt, dass das Buch vor allem aus einer Pastiche biographischer Notizen besteht. Das führt dazu, dass das Ganze weniger ist als die Summe seiner Teile: ich habe in dieser Rezension die Analyse und Schlussfolgerungen weitgehend selbst getroffen; Foot begnügt sich überwiegend damit, (ordentlich recherchierte) Geschichten zu erzählen und aneinanderzureihen. Dieser Ansatz der Personalisierung, der in der angelsächsischen Geschichtsschreibung leider sehr verbreitet ist, wird hier ins Extreme getrieben.

Besonders extrem ist mir dieses Deskriptive aufgefallen, als es um den Fall Mussolinis ging, der ausschließlich als Abfolge von Ereignissen geschildert wird, ohne dass mir klar werden würde, warum Mussolini eigentlich fällt. Zudem fallen einige merkwürdige Leerstellen auf: Graf Ciano etwa wird nur einmal ganz am Rande im Kontext von Mussolinis Fall erwähnt und spielt ansonsten überhaupt keine Rolle. Auch der Kult um Italo Balbo und sein Tod kommen effektiv nicht vor.

Immerhin war die Lektüre insoweit aufschlussreich, als dass sie mir selbst die Bildung von Schlussfolgerungen und Parallelen erlaubte. Ich möchte einige dieser Überlegungen im Folgenden teilen, aber vorher noch einmal klar aussprechen, dass sich davon nichts im Buch findet.

Der Aufstieg des Faschismus erforderte die Kooperation der Liberalen und Konservativen. Dies gilt grundsätzlich für den Aufstieg praktisch aller rechtsradikaler Bewegungen. Ohne diese Kooperation oder doch zumindest das leise Beiseitetreten diese Gruppen wäre es für die Faschisten unmöglich gewesen, die Macht zu ergreifen. Dasselbe gilt für die Sicherheitsapparate: die Faschisten konnten stets darauf vertrauen, dass Geheimdienste, Polizei und Militär auf ihrer Seite waren und sich nicht in den Weg stellen würden, ganz anders als bei den Gewerkschaftlern und den Linksradikalen, die beständig Repression der Staatsapparate ausgesetzt waren.

Es ist auch offenkundig, wie unglaublich bescheuert und kontraproduktiv die Linksradikalen waren: ihre beständigen Bekenntnisse zur Gewalt, ihre Versuche, die Faschisten durch Gewalt zu bekämpfen und ihre revolutionäre Rhetorik waren maßgebliche Faktoren für diese Kooperation. Sie weckten im Bürgertum die Furcht vor einer Revolution nach sowjetischem Vorbild und legitimierten das Messen mit zweierlei Maß durch die Sicherheitsdienste.  Ich bekomme jedes Mal die Krise, ich heutige Linksradikale wie die Antifa für gewaltsamen Widerstand gegen Rechtsextremisten argumentieren sehe. Es hat noch nie funktioniert und wird auch nie funktionieren.

Hierin findet sich auch die wichtigste Lehre für den Umgang mit dem Rechtsextremismus heute: solange die vielzitierte „Brandmauer“ nach rechts steht, solange die Institutionen treu zu Demokratie und Rechtsstaat stehen, so lange sind wir weitgehend sicher. In dem Moment, indem Liberale und konservative Demokrat*innen mit den Rechtsextremen kooperieren oder ihren Aufstieg zumindest hinnehmen und in denen die Institutionen sich demokratie- und rechtsstaatsfeindlich verhalten, haben wir ein ernsthaftes Problem.

Historisch gesehen ist auffällig, wie stark sich Hitler am Vorbild Mussolinis orientiert hat. Der gescheiterte „Marsch auf Berlin“ 1923 ist hierfür nur das augenscheinlichste Beispiel; auch in den Mechanismen der Herrschaftsausübung, der Koalitionsbildung mit den konservativen Eliten und vielem mehr orientierte sich der Nationalsozialismus sehr deutlich am Faschismus (ohne natürlich seine spezifischen Eigenheiten zu verlieren). Dieses System kommunizierende Röhren führte dann auch zur Übernahme des mörderischen Antisemitismus durch den Faschismus ab 1938.

Auch zum totalitären Stalinismus gibt es Parallelen. Auffällig fand ich hier vor allem das System, das in der kommunistischen Diktatur den Namen der „Selbstkritik“ trägt: die rituelle Demütigung von Systemgegnern in der Öffentlichkeit und die Durchführung von Schauprozessen. Dies sind merkwürdigerweise Elemente, die der Nationalsozialismus so nicht übernommen hat.

Eine letzte Kleinigkeit: die alliierten Bombenangriffe auf italienische Städte hatten zumindest in der Erzählung Foots den erwünschten Effekt, die Moral zu zerstören: die Bombardierungen und ihre Folgen zerstörten die Glaubwürdigkeit und Beliebtheit Mussolini ist nachhaltig und wurden nicht den Alliierten, sondern dem Regime zur Last gelegt. Generell ist auffällig, wie unbeliebt der Krieg in Italien war und wie maßgeblich eher für Mussolinis Sturz ist. Hier ist die Lage völlig anders als in Deutschland oder Japan.

Insgesamt war die Lektüre daher zwar für mich dank der Querbezüge, die ich ziehen konnte, einigermaßen gewinnbringend; auf eine umfassende Darstellung des italienischen Faschismus‘warte ich allerdings noch immer.

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