Freitag, 4. März 2011

Der Vietnamkrieg, Teil 2/2

Von Stefan Sasse

Teil 1 findet sich hier

Soldaten durchsuchen ein Haus nach Vietcong
Die Stationierung von mehr als zweihunderttausend US Marines unter dem Kommando von General Westmoreland folgte, wie bereits gezeigt, einer eigenen dem Militär innewohnenden Dynamik. Die Bedrohung der Stützpunkte der Air Force durch den Vietcong sollte ursprünglich durch einige Marines gewährleistet werden, doch lag den amerikanischen Kommandeuren eine reine Defensivaufgabe nicht, und die Unfähigkeit der südvietnamesischen ARVN zur eigenständigen siegreichen Beendigung des Konflikts war offenkundig. Man beschloss, den Guerillakrieg auf dem Land den amerikanischen Einsatzdoktrinen anzupassen, den Krieg also zu "amerikanisieren" um so der Aufgabe besser gewappnet zu sein. Westmoreland stellte zu diesem Zweck einen dreistufigen Operationsplan auf: den Abwärtstrend in Südvietnam durch die Stationierung von Marines bis Ende 1965 aufhalten und die Stütztpunkte sicher, in Phase II eine große Offensive mit den Verbündeten starten und den Vietcong aus den dicht besiedelten Gebieten in die Peripherie abdrängen und ihn dort in Phase III endgültig zu zerstören. Der Theorie nach sollte das Ende von Phase III ins Jahresende 1967 fallen. 

Mit dieser neuen Doktrin beerdingte Präsident Johnson stillschweigend die Vorstellung, dass die ARVN selbst den Krieg führen und von den USA nur unterstützt wurde. Diese massive Änderung der eigenen Absichten wurde aber der Presse vorenthalten - stattdessen sprach man von Kontinuität gegenüber den bisherigen Einsatzrichtlinien und lenkte so für eine Weile von den Geschehnissen ab. Als militärisch fatal sollte sich bald die durch dieses großangelegte Täuschungsmanöver hervorgerufene Ausbildungslücke herausstellen: da man offiziell keinen Krieg führte und trotzdem Wehrpflichtige einzog, war die Zeit in Vietnam auf ein Jahr beschränkt ("tour of duty"). Auf der einen Seite beraubte diese Einjahresfrist die Einheiten erfahrener Führung und machte es zur effektiven Nutzung der Soldaten notwendig, die in diese Zeit hineingerechnete Ausbildungsperiode zu verkürzen, was in höheren Verlusten als notwendig und vielen Fehlern im Gefecht resultierte, die mit besserer Ausbildung hätten vermieden werden können. Andererseits hatten die Soldaten stets das Ende dieser Frist vor Augen und versuchten, sie so angenehm wie möglich durchzubringen - die Wirkung auf die Moral war verheerend.

Flusspatrouillenboot sprüht Napalm
Die Erfolge waren entsprechend bescheiden. Die großen Offensiven, an denen zeitweise auch Verbündete der USA aus dem SEATO-Bereich teilnahmen - etwa Australien und Neuseeland, nie aber NATO-Verbündete wie Kanada oder Großbritannien - erzielten keine Erfolge, weil die kommunistische Guerilla eine deutlich größere strategische Flexibilität bewies als die amerikanischen Generäle und schnell die neuen Taktiken adaptierte. Die amerikanischen Taktiken waren dazu noch äußerst ineffektiv. Sie basierten auf der politischen Notwendigkeit, die Verluste unter den GIs möglichst gering zu halten. Zu diesem Zweck besetzten sie die eigenen Stützpunkte und hielten die größeren Städte (etwa Saigon oder Hué) und verließen diese für ihre Operationen, in den meisten Fällen zur Schonung der Soldaten in Helikoptern ("fliegende Kavallerie"). Das Muster, dass die Amerikaner bei Tag kamen, je nach Laune etwas zerstörten oder aufzubauen halfen und abends wieder gingen, woraufhin die Vietcong kamen und je nach Laune etwas zerstörten oder aufbauten pendelte sich ein. Effektiv gaben die Amerikaner so die Kontrolle über weite Teile des Landes an den Vietcong ab, da sie sich nur bei Tag bewegen konnten. 

Der Vietcong nutzte zum Verstecken bei Tag ein stark ausgebautes, unterirdisches Tunnelsystem, durch das man teilweise viele Kilometer völlig ungesehen zurücklegen konnte. Selbst massive amerikanische Bombardements auf bekannte Tunnelwege konnten diese nicht lahmlegen. Der Vietcong wurde so nur zeitweise niedergehalten, aber nie ernsthaft getroffen. Gleichzeitig litt die Bevölkerung unter den ständigen Angriffen und Einsätzen und tendierte mit fortlaufender Dauer des Krieges zu den Vietcong. Obwohl die Strategie Westmorelands offensichtlich nicht aufging, trat dieser immer wieder vor die Presse und verkündete Erfolge. Auch das Pentagon veröffentlichte lediglich positive Berichte. Eine immer größer werdende Glaubwürdigkeitslücke entstand auf diese Art und Weise, die jedoch von den Medien nicht thematisiert wurde - die amerikanische Öffentlichkeit war immer noch deutlich positiv gegenüber dem Krieg eingestellt. Noch Ende 1967 verkündete Westmoreland, dass das Ende in Sicht sei und der Krieg bald gewonnen wäre. 

General Westmoreland
Vermutlich sah Präsident Johnson damals Morgenröte. Seine gesamte zweite Amtszeit - die 1965 begonnen hatte - hatte unter dem Schatten des immer weiter eskalierenden Vietnamkriegs gestanden. Sein ambitioniertes innenpolitisches Reformprogramm, das dem der in Deutschland ab 1969 regierenden Sozialdemokraten in nichts nachstand, war völlig ins Hintertreffen geraten, die finanziellen Spielräume durch die explodierenden Kosten des Vietnamkriegs auf null reduziert. Die Staatsschulden der USA explodierten, weil man die Öffentlichkeit nicht mit dem Eingeständnis der Fortdauer und Anstrengung des Krieges belasten wollte, die ein Umschwenken auf Kriegswirtschaft mit sich gebracht hätte. Diese Produktion von "Kanonen und Butter" (statt dem berühmten Sprichwort aus dem Ersten Weltkrieg "Kanonen statt Butter") überstieg die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der USA. Um die Konsequenzen zu übertünchen, druckte die amerikanische Zentralbank massenhaft Dollars und nahm die westlichen Verbündeten in Geißelhaft, deren Zentralbanken zum Aufkauf der immer wertloseren, völlig überbewerteten Dollar gezwungen wurden. Das System von Bretton Woods, das auf Basis des an den Goldstandard gebundenen Dollar seit 1944 wirtschaftliche Stabilität in der westlichen Welt garantiert hatte, war faktisch am Ende und nur noch als lebende Leiche durch die Vortäuschung nicht vorhandener Tatsachen am Leben erhalten. 

Bis 1969 werteten die meisten europäischen Währungen gegenüber dem Dollar massiv auf. Durch diese Aufwertung konnte der Verfall des Systems noch einmal kurz gestoppt werden, ehe die USA 1971 gezwungen waren, die offizielle Loslösung des Dollar vom Goldstandard zu verkünden und damit alle Wechselkurse freizugeben. Das System von Bretton Woods war am Ende, und seither bestimmen Währungsspekulationen und nicht politische Festsetzung zum Guten wie zum Schlechten die Wechselkurse. Den USA jedenfalls sollte dieser Schritt eine kurze Atempause bescheren, ehe sie mit Ende des Engagements in Vietnam in die lange Stagflation der 1970er Jahre rutschten, in denen geringes Wirtschaftswachstum mit einer hohen Inflationsrate Hand in Hand ging, die den Raum für die radikalen Experimente eines Ronald Reagan öffnen sollte - doch das ist eine andere Geschichte, die ihren Ausgang lediglich in dieser Zeit nimmt. 

Marines bei Straßenkämpfen in Hué
Die Morgenröte Johnsons jedenfalls verschwand am 31. Januar 1968 auf einen Schlag hinter dem Horizont.  War man bisher davon ausgegangen und hatte dies auch der Öffentlichkeit verkündet, dass zumindest Phase II des ursprünglichen Plans - das Abdrängen des Vietcong in die Peripherie - gelungen war, so änderte sich das an diesem Tag grundlegend. Der 31. Januar ist im vietnamesischen Kalender Tet, der Neujahrstag, höchster Feiertag der Vietnamesen und traditionell in Tag der Waffenruhe, ähnlich dem Jom Kippur in Israel. An diesem Tag startete der Vietcong, in den offiziellen Darstellungen der US-Regierung praktisch besiegt und zerschlagen, die größte Offensive in Südvietnam seit Beginn des Krieges. Alle großen Städte und die meisten US-Basen wurden gleichzeitig angegriffen, die US-Botschaft in Saigon fiel für mehrere Stunden in die Hände der Aufständischen und konnte nur halb zerstört zurückerobert werden. An anderen Orten dauerten die Kämpfe bis weit in das Frühjahr hinein, und die USA konnten nur mühsam ihre Stellung halten und unendlich langsam zum Gegenangriff übergehen. Die letzte Offensive des Vietcong auf Saigon scheiterte erst im August 1968. 

Diese Angriffe des Vietcong wurden massiv von der regulären nordvietnamesischen Volksarmee unterstützt. Das Ziel, das die nordvietnamesische Führung mit dieser Attacke verfolgte war, die Bevölkerung im Süden zum Aufstand anzustacheln und einen Flächenbrand auszulösen, der so den Sieg bringen würde. Das gelang nicht. Im Gegenteil, die Angriffe des Vietcong und der Volksarmee waren recht ineffizient und die Reaktion der US-Streitkräfte wie der ARVN schnell und entschlossen. Der Vietcong und die Volksarmee erlitten schwere Verluste, führten aber die Angriffe weiter bis August. Besonders heftig waren die Kämpfe in Huè, wo im Zuge der Schlacht fast 80% der Stadt zerstört wurden. Als die Angriffe im Sommer 1968 aufhörten, lagen zig Dörfer und Teile der größeren Städte in Trümmern. Der Reporter Peter Arnett zitierte einen Offizier mit der Aussage, die Zerstörung des Dorfes Ben Tre sei notwendig gewesen, um es zu retten. Militärisch war die Tet-Offensive für den Norden ein Fehlschlag gewesen. Keine Stadt, keine Stellung von US Army oder ARVN hatte gehalten werden können, und die Verluste waren grauenerregend hoch. Der Vietcong hatte effektiv zu existieren aufgehört. Für den Rest des Krieges kämpften die Amerikaner in Südvietnam hauptsächlich gegen von Norden über den Ho-Tschi-Minh-Pfad eingesickerte Volksarmisten. Militärisch hatten die USA einen überwältigenden Sieg errungen.

Friedensdemo gegen den Vietnamkrieg vor dem Pentagon
Allein, die Tet-Offensive ist ein Musterbeispiel für die Divergenz politischer und militärischer Ziele. Der militärische Erfolg der Amerikaner war eine politische Katastrophe. Die Tet-Offensive hatte auch dem letzten Zweifler vor Augen geführt, wie groß die Glaubwürdigkeitslücke zwischen den offiziellen Verlautbarungen und der Realität inzwischen war. Niemand mehr glaubte jetzt dem Pentagon, und in der Heimat gewann die Antirkriegsbewegung ein Momentum, dessen die Regierung nicht mehr Herr werden konnte. Desertationen häuften sich. Zum Symbol für die moralische Unhaltbarkeit des Krieges wurde das im März 1968 verübte und 1969 bekanntgewordene Massaker von My Lai, wo US-Marines zwischen 300 und 500 unbewaffnete südvietnamesische Zivilisten töteten. Der Aufschrei in der Öffentlichkeit kostete Präsident Johnson die Wiederwahl. Im November 1968 wählten die Amerikaner Richard Nixon zum Präsidenten, der das Versprechen abgab, "die Jungs nach Hause zu holen" (to take the boys home).

Nixons Strategie in Vietnam sah demzufolge den Abbau der Truppenpräsenz und kleinere, besser geplante und gezielte Schläge als die vorherigen Großoffensiven unter dem mittlerweile abgelösten General Westmoreland vor. Statt ganze Gebiete einzunehmen, sollte die Logistik der Guerillas getroffen werden. Eine bessere Zusammenarbeit mit der ARVN wurde angestrebt. Um den Nachschub der Guerilla zu behindern, wurde der Ho-Tschi-Minh-Pfad massiv bombardiert und dabei auch das berüchtigte Entlaubungsmittel Agent Orange eingesetzt, das noch heute für Missbildungen sorgt. Auf diese Weise sollten die Verstecke der Guerillas zunichte gemacht werden. Erfolg hatten diese militärischen Maßnahmen jedoch keinen. Gleichzeitig fuhr Nixon eine außenpolitische Linie der Entspannung. Die massiven Einsätze gegen Nordvietnam hatten zuletzt die Beziehungen zur Sowjetunion stark belastet. Die Entspannungspolitik, die in Europa zeitgleich die Ostpolitik Brandts begleitete (wenn auch gegen den Willen der Amerikaner, denen die Deutschen zu weit gingen), erlaubte die offizielle Aufnahme von Friedensgesprächen mit Nordvietnam - der größte Erfolg Ho Tschi Minhs in der Tet-Offensive, der 1969 starb. Gleichzeitig zogen die Amerikaner ihre Truppen in die bevölkerten und geschützten Zentren des Landes zurück - was die Verluste unter den GIs zwar halbierte, aber gleichzeitig weite Teile des Landes endgültig an die Kommunisten abgab.
US-Helikopter sprüht Chemikalien im Mekong-Delta
1970 unterstützten die USA einen Putsch in Kambodscha gegen Prinz Sihanouk, der eine Neutralitätspolitik verfolgt hatte. Unter dem pro-amerikanischen Nachfolger bombardierten sie die kambodschanische Grenzregion und die dortigen Verstecke der Guerillas. Diese vor der amerikanischen Öffentlichkeit geheim gehaltene Ausweitung des Krieges entflammte neue Proteste, die im gleichen Jahr einen neuen Höhepunkt, erreichten, als Nationalgardisten an der Kent State University vier Studenten erschossen und neun teils schwer verletzten. Ein landesweiter Studentenstreik und ein Marsch auf Washington mit über 100.000 Teilnehmern waren die Folge. Die Vietnampolitik Nixons, der für einen kurzen Moment die Hoffnung hatte, die Situation doch beruhigen und die Fehler der Johnson-Regierung anlasten zu können, war damit ebenfalls diskreditiert und in der Öffentlichkeit eine Kontinuität hergestellt.

Um die Bevölkerung zu beruhigen und einen Ausweg aus dem Krieg zu finden, hatte Nixon bereits 1969 begonnen, einer "Vietnamisierung" des Krieges das Wort zu reden: die militärischen Operationen sollten von der ARVN durchgeführt werden, lediglich unterstützt durch die beratende und defensiv agierenden sowie Luftdeckung gebenden Amerikaner - also letztlich eine Rückkehr zu den Plänen vor 1965, wenngleich auf höherem logistischen und materiellen Niveau. Im Rahmen dieser Strategie führte die ARVN 1971 eine Offensive ins gleichfalls neutrale und den Volksarmisten als Aufmarschgebiet dienende Laos durch. Während der Truppenabzug der Amerikaner unvermittelt anhielt, scheiterte die ARVN auf ganzer Linie. In völliger Panik und Konfusion wurde ein Rückzug aus Laos nach Südvietnam unternommen, vorbei an den Leichen der eigenen Männer. Da die fliehenden Soldaten ihr schweres Gerät einfach zurückließen, nachdem das Benzin alle war, musste die Air Force Einsätze fliegen und es zerstören, bevor es in feindliche Hände fiel. Die Vietnamisierung des Krieges war ein klares Desaster. 

B52-Bombardierung in "Linebacker II", 1972
1972 sollte jeglicher verbliebener Illusion aber der Todesstoß versetzt werden. An Ostern attackierte die Volksarmee Südvietnam direkt von Norden her im größten konventionellen Angriff seit 1955. Die ARVN brach auch hier vollständig, und die Nordvietnamesen rückten schnell vor und drohten das Land zu spalten, während der Abzug der Amerikaner noch in vollem Gange war. Gleichzeitig sabotierten die Nordvietnamesen die Pariser Friedensverhandlungen, indem sie die Zugeständnisse des geheim verhandelnden Kissinger an die Presse weitergaben und mehr Zugeständnisse verlangten. Um den Zusammenbruch der Südvietnamesen aufzuhalten und die Nordvietnamesen "zurück an den Verhandlungstisch zu bomben", genehmigte Nixon die massivsten Bombardements des Krieges und das wohl größte konventionelle Bombardement aller Zeiten: in der Operation "Linebacker II" wurden fast 20.000 Tonnen Bomben abgeworfen, der Vormarsch Nordvietnams wurde zum Halten gebracht. Es war die zweite militärische Niederlage des Nordens seit Tet, und erneut gab es große Verwerfungen in der Heimat. Nixon gewann zwar seine Wiederwahl, die Mehrheit im Kongress aber ging an die Demokraten, die daraufhin Maßnahmen blockierten und den Geldhahn abdrehten, umso wichtiger, als dass 1973 der Ölpreisschock die südvietnamesische Wirtschaft schwer traf. Während die Guerillas weitere Erfolge feierten, vollzog sich der amerikanische Abzug immer schneller. 1975 war er vollzogen. Im gleichen Jahr startete Nordvietnam seine letzte Offensive. Die ARVN brach zum letzten Mal und endgültig, und im April fiel die Hauptstadt Saigon. 

Die Szenen, die sich bei der Evakuierung der amerikanischen Botschaft abspielten, bei der sich verzweifelte Südvietnamesen an die Kufen der Helikopter hängten um mit ausgeflogen zu werden, brannten sich ins öffentliche Gedächtnis. Für über ein Jahrzehnt sollten sie die Glaubwürdigkeit der USA nachhaltig beschädigen, denen sich nicht einmal ihre eigenen Verbündeten mehr anvertrauen wollten, weil sie offensichtlich nicht in der Lage waren, sie zu schützen. Das Ansehen der USA in der Welt war auf dem Nullpunkt, nachdem live mitansehen konnte, wie eine Armee von Reisbauern die höchstentwickelte Armee der Welt aus dem Land jagte. Das Land war tief traumatisiert. Entgegen früherer, siegreicher Konflikte waren die Veteranen des Vietnamkriegs Teilnehmer eines moralisch diskreditierten, verlorenen Kampfes, den die Regierung am liebsten vergessen würde. Weite Teile der Bevölkerung, die die Antikriegsbewegung unterstützt hatte, sahen sie gar als Verbrecher an. Viele der jungen Soldaten - das Durchschnittsalter lag mit 19 weit unter dem früherer Konflikte - waren traumatisiert und gliederten sich nur schlecht oder gar nicht ins Zivilleben ein, ein Vorgang, den etwa der erste Rambo-Film (der im Englischen den Titel "First Blood" besaß) erstklassig dokumentiert.

Schmiererei auf US-Botschaft Teheran
Die amerikanische Außenpolitik war diskreditiert und konnte bis weit in die 1980er Jahre hinein kein Selbstvertrauen mehr schöpfen. Das Budget wurde stark gekürzt, die Interventionen auf Ebene der Geheimdienste gemacht und damit in das Schattenreich einer Parallelwelt gedrängt, in der endgültig keine moralischen Beschränkungen mehr galten. Den absoluten Tiefpunkt ihres Ansehens hatten die USA erreicht, als 1979 die Geiselbefreiung in Teheran blamabel scheiterte. 

Kulturell wurde der Vietnamkrieg für Deutsche am bekanntesten in Hollywood aufbereitet. Neben dem ersten Rambo sind es vor allem drei Antikriegsfilme, die das Bild von Vietnam als dem eines dreckigen Krieges, in dem jeder Moralmaßstab verloren geht, am meisten prägten: Apocalypse Now (Coppola, 1979), Platoon (Stone, 1986) und Full Metal Jacket (Kubrick, 1987). Gleichzeitig gibt es aber auch eine ganze Reihe von Filmen, die eine negativere Art der Aufbereitung verfolgen: Filme, in denen die Akteure in Vietnam zwar ebenfalls in einem verlorenen Krieg kämpfen, aber im Kampf gegen gesichtslose, bösartige Massen von Vietnamesen sich individuell bewähren. Rambo II ist nur ein Beispiel für diese Art von trashigem Action-Müll.
Opfer des My-Lai-Massakers
Eine der zentralen Lehren, die man aus Vietnam ziehen kann ist, dass militärische Einsätze eines klaren politischen Rahmens und einer realistischen Zielsetzung bedürfen. Die Strategien, die die Amerikaner in Vietnam anwendeten, waren von Anfang an von Wunschbildern gekennzeichnet und sorgten besonders zwischen 1965 und 1968 für gewaltige Fehlentscheidungen. Zu gewinnen war der Konflikt nicht. Die Bevölkerung in Vietnam war mehrheitlich gegen die Amerikaner eingestellt, und paradoxerweise sorgten gerade die militärischen Erfolge gegen die Guerillas für die größten Niederlagen der Amerikaner. Die USA zogen daraus die Lehre, künftig keine freie Presse mehr in Kriegsgebieten zuzulassen. Die embedded journalists wurden in Vietnam geboren. Bis 2001/2003 engagierten sich die USA nicht mehr längerfristig in feindlich gesinnten Staaten, sondern führten kurze Invasionen, Bombardements und Geheimdienstoperationen aus. Heute sind die Lehren aus Vietnam wieder fast vergessen, und eine neue Generation macht sich daran, sie sich teuer auf den Schlachtfeldern des Iraks und Afghanistans zu erkaufen.


Bildnachweise: 
Hausdurchsuchung - Lawrence J. Sullivan (gemeinfrei)
Boot - US Naval War College Museum (gemeinfrei)
Westmoreland - unbekannt (gemeinfrei)
Marines in Hué - US Military (gemeinfrei)
Demo - Albert R. Simpson (gemeinfrei)
Sprühen - Brian K. Grigsby (gemeinfrei) 
Bombardierung - USAF (gemeinfrei)
Schmiere - Philip Maiwald (CC-BY-SA 3.0)
My Lai - Ronald L. Haeberle (gemeinfrei)

5 Kommentare:

  1. "Der Aufschrei in der Öffentlichkeit kostete Präsident Johnson die Wiederwahl."

    Der trat doch gar nicht mehr an. Oder ist gemeint, dass er eben gerade deswegen erst gar nicht noch einmal kandidierte?

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  2. "Eine der zentralen Lehren, die man aus Vietnam ziehen kann ist, dass militärische Einsätze eines klaren politischen Rahmens und einer realistischen Zielsetzung bedürfen. Die Strategien, die die Amerikaner in Vietnam anwendeten, waren von Anfang an von Wunschbildern gekennzeichnet und sorgten besonders zwischen 1965 und 1968 für gewaltige Fehlentscheidungen."

    Da hätte ich jetzt eine Reihe von Fragen bzw. Anmerkungen dazu:
    1) Welches genau waren nun die Wunschbilder? Das ist mir im Artikel nicht so deutlich geworden: meinst du etwa die Verhinderung eines kommunistischen Vietnams? Oder rein militärisch den Sieg gegen die Vietcong?
    2) Wenn man also ein klares und realistisches Konzept hat, ist ein Krieg dann gerechtfertigt? Oder siehst du das - wertneutral - einfach als Bedingung für einen Sieg?
    3) Ich denke, dass auch nach 1968 fatale Entscheidungen getroffen wurden; du nennst ja selbst die massiven Bombardements 1972 erwähnt - die letztlich undendliches Leid verursachten, ohne den Kriegsverlauf entscheidend zu beeinflussen.
    Insgesamt aber ein wirklich spannend zu lesender Artikel!

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  3. Hi Axel,

    1) Es geht schlicht darum, dass man sich einen Gegner gewünscht hat, der mit den Strategien, die man ausführen wollte, geschlagen werden kann. Man war unfähig auf das Fakt zu reagieren, dass man es mit einem anderen Gegner zu tun hatte - und verlor deswegen.
    2) Wertneutral.
    3) Die Bombardements haben noch einmal den Zusammenbrach Südvietnams aufgehalten - sie waren also nicht vollständig sinnlos, militärisch gesehen. Da man keine Vorstellung hatte, was man eigentlich überhaupt erreichen will, waren sie natürlich insgesamt vollkommen sinnlos.

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  4. Zu den "Literaturhinweisen" wäre auch noch ein anderes Genre hinzufügbar. Ein Song, welcher mich schon damals beeindruckt hat und auch bis heute für mich nichts von seiner aufrüttelnden Botschaft eingebüßt hat: Paul Hardcastle - Nineteen.

    http://www.youtube.com/watch?v=oSGvqjVHik8

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