Montag, 28. Februar 2011

Der Vietnamkrieg, Teil 1/2

Von Stefan Sasse

Indochina 1992
Von 1946 bis 1975 tobte in Indochina ein Krieg, der das bis dato weltpolitisch unbedeutende Flecken Erde in den Hauptkriegsschauplatz der heißen Kriege im Ost-West-Konflikt verwandeln und zwei Supermächte schwer disavouiren sollte. Das kleine Land Vietnam, das um 1945 kaum 30 Millionen Einwohner hatte und über keine natürlichen Bodenschätze verfügte, definierte in seinem Abwehrkampf gegen die Franzosen und Amerikaner den Guerilla-Kampf in einer Weise, wie es vorher nur die Spanier in ihren Abwehrkämpfen gegen Napoleon hatten tun können. Für die USA wurde Vietnam das nationale Trauma des 20. Jahrhunderts, gegen das sie wie einen ständig dräuenden Schatten noch heute ankämpfen. Vietnam selbst ist heute noch ein tief getroffenes Land, das die Verluste und Zerstörungen dieser Kriegsepoche nie ganz hat überwinden können. Das Bild des Vietnam-Krieges ist im Westen stark von Hollywood geprägt worden, wo die Aufarbeitung des Traumas die am deutlichsten wahrnehmbaren Spuren hinterließ. Doch ein detailliertes Wissen darum, was genau in Vietnam eigentlich geschehen ist und wie ein kleines Volk von Reisbauern zwei der größten Supermächte ihrer Zeit schlagen konnten ist kaum vorhanden. Ein Versuch das zu ändern soll hier unternommen werden. 

Zu Beginn der 1940er Jahre war Indochina bereits rund 70 Jahre unter französischer Kolonialherrschaft. Zwar hatte die Grande Nation immer wieder mit Aufständen der Einheimischen zu kämpfen gehabt, die die Kolonialherrschaft nicht akzeptierten; eine wirkliche Stoßkraft konnten diese jedoch nie entwickeln. Kolonialherrschaft und der Widerstand dagegen waren für Vietnam dabei nichts Neues, sondern eine Konstante ihrer über 2000jährigen Geschichte: der riesige Nachbar im Norden, China, hatte immer wieder Druck oder direkte Herrschaft ausgeübt, und die Geschichte Vietnams ist voll von kriegerischen Auseinandersetzungen mit China - es ist wohl bezeichnend, dass es den Chinesen nie gelang, das kleine Vietnam gänzlich unter ihre Kontrolle zu bringen.

Vo Nguyen Diap (l), Ho Tschi Minh (r)
Die Situation in Indochina änderte sich jedoch 1940/41 rasant. Der Zusammenbruch Frankreichs unter dem Ansturm der Wehrmacht sandte Schockwellen bis Südostasien. Die mit Deutschland verbündeten Japaner marschierten in die Kolonie ein, die von Vichy-Frankreich kampflos aufgegeben wurde. Die meisten französischen Kolonialbeamten übten ihre Funktion während des Krieges jedoch weiterhin aus, wenngleich auch unter japanischem Oberbefehl. Deren Propaganda von der "großasiatischen Wohlstandssphäre" fiel auch in Vietnam wegen der unübersehbaren Brüche mit der Realität kaum auf fruchtbaren Boden: schlimmer als die Franzosen zuvor beuteten die Japaner das Land mit eiserner Hand aus. 1944/45 war die Kolonie so sehr heruntergewirtschaftet und ausgeplündert, dass eine gewaltige Hungerkatastrophe rasend um sich griff, der bis Mitte 1945 eine Million Menschen zum Opfer gefallen waren (von zehn Millionen in den betroffenen Gebieten lebenden Menschen). Diese Hungersnot brachte der vorher kleinen kommunistischen Splittergruppe Vietnams, den Vietminh (geführt von Ho Tschi Minh und Vo Ngyuen Diap), ihren ersten großen Erfolg: sie riefen zu Steuerverweigerung und Plünderung der Nahrungsmittelvorräte auf und erhielten daraufhin in der Folgezeit großen Zulauf.

In enger Zusammenarbeit mit amerikanischen OSS-Agenten führten die Vietminh einen Guerilla-Krieg gegen die Japaner und erklärten am 2. September 1945, dem Tag der japanischen Kapitulation, ihre Unabhängigkeit, die sich sich rechtmäßig verdient zu haben glaubten. Die Vietminh lehnten sich in ihrer Unabhängigkeitserklärung dicht an die USA an, die sie al Vorbild betrachteten und von denen sie sich Hilfe für ihre Sache erhofften: "All men are created equal. They are endowed by their Creator with certain inalienable rights, among these are Life, Liberty, and the pursuit of Happiness" This immortal statement was made in the Declaration of Independence of the United States of America m 1776. In a broader sense, this means: All the peoples on the earth are equal from birth, all the peoples have a right to live, to be happy and free. The Declaration of the French Revolution made in 1791 on the Rights of Man and the Citizen also states: "All men are born free and with equal rights, and must always remain free and have equal rights." Those are undeniable truths." Die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs aber einigten sich darauf, Indochina wieder an die Franzosen zurückzugeben. Die Vietnminh fühlten sich, wohl zu Recht, von den USA verraten. Da die Franzosen 1945 noch zu schwach waren, um ihre ehemalige Kolonie selbst wieder in Besitz zu nehmen, besetzten Nationalchinesen und Briten das Land gemeinsam, bis die Franzosen 1946 wieder einmarschierten. Die Vietminh versuchten mit den Franzosen zu verhandeln, besonders nach ihrem überwältigenden Wahlsieg im Frühjahr 1946, der ihnen alle Legitimation zu geben schien - Paris aber war zum Kompromiss nicht bereit. 

Französische Fallschirmjäger im Gefecht, 1952
Damit standen die Zeichen auf Krieg. Während die Franzosen das Land besetzten (wozu sie vornehmlich die Fremdenlegion einsetzten) und unter Kontrolle zu bringen hofften, begannen die Vietminh einen Guerillakrieg. Dank der Sympathien, die sie besonders in der einfachen Bevölkerung auf dem Land besaßen (die Städte waren von den Franzosen und später den Amerikanern deutlich leichter zu kontrollieren) konnten sie schnell zuschlagen und wieder verschwinden, ohne dass die Franzosen in der Lage gewesen wären, ihrer dauerhaft habhaft zu werden. Die Stärke der Vietminh nahm über die Jahre zu, und immer größere Teile des Landes gerieten unter ihre Kontrolle und entglitten der französischen Kolonialmacht. Nach dem Sieg der Kommunisten in China begannen diese, die Vietminh in großem Umfang mit Ausbildung und Material zu versorgen. Ab 1950 verwandelten sich die Vietminh in eine regelrechte Armee, die den Franzosen mehr und mehr Paroli bieten konnte. Für Frankreich wurde der Krieg mehr und mehr zu einer kostspieligen Angelegenheiten, deren laufende Kosten von dem ohnehin in einer Wirtschaftskrise steckenden Land kaum aufgebracht werden konnten. 

Für die Franzosen war es in dieser Situation Glück, dass der Koreakrieg ausbrach. Die Amerikaner waren damit ebenfalls in Südostasien involviert, kämpften ebenfalls gegen einen sich kommunistisch nennenden Feind und gelangten dadurch zu der Überzeugung, dass die Domino-Theorie richtig sein musste (die Domino-Theorie besagte, dass wenn ein Land kommunistisch würde, seine Nachbarn wie Dominosteine ebenfalls "umfallen" und kommunistisch werden würden). Der Fall Vietnams an die Vietminh stand damit außer Frage. Die Amerikaner gründeten die Military Assistance and Advisory Group MAAG, die Frankreich unterstützen sollte. Militärberater wurden entsandt um eine vietnamesische "Gegenarmee" zu bilden, Waffen geliefert und, vor allem, die Kriegskosten der Franzosen subventioniert. 1954 bezahlte das MAAG bereits 80% der französischen Kriegskosten. Die amerikanische Flotte kreuzte außerdem im Golf von Tonking, während die US Air Force Aufklärungsmissionen für die Franzosen flog. Trotz dieser massiven Unterstützung verloren die Franzosen jedoch mehr und mehr an Boden. 

Dien Bien Phu (mittige vier grüne Hügel)
Da sie der vietnamesischen Guerillakriegführung auf Dauer nur wenig entgegenzusetzen hatten - zwar konnten die Vietming keine dauerhaften Erfolge zu erzielen, aber das war in ihrem eigenen Land ja auch nicht nötig - und Nachschub immer schwieriger heranzuschaffen war, während die Moral sank, entschied sich das französische Oberkommando 1954 zum vabanque: da die Vietminh letzten Endes auf mangelhaft ausgerüsteten Guerillas basierten und keine Flugzeuge, keine Panzer, kaum Artillerie und nur wenige Lastwagen auf noch weniger Straßen besaßen, eroberten französische Fallschirmjäger im Handstreich das befestigte Fort Dien Bien Phu in Nordwest-Vietnam, weit abseits von traditionellen Routen und Verstecken der Vietminh. Dien Bien Phu lag zwischen einigen befestigten Hügeln, auf denen sich die Franzosen schnell eingruben. Der Plan war, die Festung aus der Luft zu versorgen und den angreifenden Vietminh, denen die Möglichkeit fehlte irgendwelches schweres Gerät durch die unwegsame Umgebung zu bringen, schwere Verluste beizubringen und so die Entscheidung zu erzwingen - eine moderne Version der Schlacht um Verdun, gewissermaßen. Allein, der Plan schlug fehl. Die Unterschätzung der Vietnamesen aus der kulturellen Arroganz der Franzosen zeigte sich bald als verheerend: der südlichste Hügel, Isabelle, war deutlich isoliert und unhaltbar, und die Vietminh konnten nach Schließung des Belagerungsrings trotz massiver französisch-amerikanischer Luftangriffe in mühevoller Kleinstarbeit schwere Artillerie heranbringen, größtenteils nur durch Zuhilfenahme von Fahrrädern. Diese Möglichkeit hatten die französischen Planer völlig verworfen, und bald konnten fünf vietnamesische Divisionen - die 308., 312., 351., 316. und 304. - die Hügel von Dien Bien Phu aus ihren eigenen Stellungen mit gezieltem Artilleriefeuer eindecken und im Verlauf der mehrwöchigen Schlacht näher und näher heranrücken. In Reaktion auf die Luftschläge hatten die Vietminh außerdem ihre Taktik gewechselt und sich eingegraben. Stück für Stück buddelten sie sich an die französischen Stellungen, sprengten sie, gruben neue Gräben und rückten so Meter um Meter langsam vor. Am 7. Mai 1954 empfingen die Franzosen den letzten Funkspruch aus Dien Bien Phu: "Die Feinde haben uns überrannt. Wir sprengen alles in die Luft. Vive la France!"

Bereits am 26. April waren in Genf Vertreter zahlreicher Staaten zusammengekommen, um eine Lösung über die künftige Staatlichkeit Koreas sowie einen möglichen Friedensschluss in Indochina zu finden. Die erste Zeit der Indochina-Konferenz war von den Kämpfen in Dien Bien Phu überschattet, aus denen beide Seiten als Sieger hervorgehen wollten. Vo Ngyuen Diap, der kommandierende General der Vietminh, und ihr politischer Führer Ho Tschi Minh arbeiteten meisterhaft zusammen. Die massiven Angriffe in der ersten Maiwoche erzwangen den Sieg der Vietminh über die Franzosen und damit die internationale Anerkennung der Vietminh als Macht, die nicht einfach übergangen werden konnte. In Genf wurde die Unabhängigkeit Vietnams offiziell anerkannt, Frankreich und sie neue Sozialistische Republik Vietnam schlossen einen Waffenstillstandsvertrag. Das Land wurde dafür provisorisch entlang des 17. Breitengrades in zwei Hälften geteilt; im Norden herrschten die Vietminh, im Süden die französischen Statthalter. 1956 sollten allgemeine Wahlen in Gesamtvietnam stattfinden und so das Land endgültig geeinigt werden. Die Zeit dazwischen sollte den geregelten Abzug der Franzosen, die Übergabe der Regierungsgewalt und die mögliche Ausreise von Gegnern der Vietminh ermöglichen - die Franzosen zeigten hier eine Ehrenhaftigkeit gegenüber ihren Freunden, die den Amerikanern bei deren überhasteter Flucht 1975 völlig abgehen sollte.

Ngo Dinh Diem (r), Dwight D. Eisenhower (l) in Washington, 1957
Die Tinte auf dem Genfer Abkommen war noch nicht trocken, als die USA - die das Abkommen nicht unterschrieben hatten, um nicht an seine Bestimmungen gebunden zu sein - eine gewaltige Propagandaaktion unter den Katholiken des Nordens hielten. Der von den Franzosen hinterlassene Kaiser in Saigon, Bao Dai, hatte den Katholiken Ngo Dinh Diem als seinen Premierminister nominiert, und Südvietnam wurde den Katholiken so als sicherer Zufluchtshafen verkauft, während im Norden der Tag des Jüngsten Gerichts für alle Gläubigen angedroht wurde. Über eine Million Menschen flohen, unterstützt von der 7. US-Flotte und 93 Millionen Dollar Flüchtlingsgeld, innerhalb kürzester Zeit über den 17. Breitengrad. Um den Exodus zu stoppen blieb Ho Tschi Minh kaum eine andere Wahl, als die Grenze zu schließen - eine klare Verletzung des Genfer Abkommens. Dass das Lieblingsprojekt aller kommunistischen Regierungen, eine generelle Bodenreform, im Norden mit der Eliminierung tausender "Klassenfeinde" endete und die Regierung bereits 1956 zum Eingeständnis von "Exzessen" zwang, verbesserte diese Lage kaum. 1955 verkündete Diem, sich nicht an das Genfer Abkommen gebunden zu fühlen und die Wahlen 1956 nicht abhalten zu wollen. Die Argumentation, dass 80% der Bevölkerung für die Vietminh und nicht für Kaiser Bao Dai stimmen würden, überzeugte die Amerikaner von dieser Linie.

Ab diesem Zeitpunkt waren die USA mitgefangen-mitgehangen. Die Domino-Theorie, auf der ihre Außenpolitik aufbaute, verlangte den unbedingten Schutz Südvietnams vor kommunistischen Umtrieben ähnlich dem Südkoreas. Dabei arbeitete man, ebenfalls wie in Südkorea, auch mit einem skrupellosen Diktator zusammen. Im Wissen um die Rückendeckung aus Washington ging Diem denn auch gleich daran, seine politischen Gegner in mehreren Schlägen mithilfe von Militär und Geheimpolizei zu beseitigen. Als Nachrichten von den Gräueln nach außen drangen, schob Diem sie einfach den Kommunisten in die Schuhe. Im Gegenzug rief der Norden 1956 seine zurückgebliebenen Kader in Südvietnam, die in Erwartung der Wahlen 1954 nicht nach Norden gezogen waren, zu "niedrigstufigen Aufständen" auf. Ho Tschi Minh fasste diese Strategie so zusammen: "Do not engage in military operations; that will lead to defeat. Do not take land from a peasant. Emphasize nationalism rather than communism. Do not antagonize anyone if you can avoid it. Be selective in your violence. If an assassination is necessary, use a knife, not a rifle or grenade. It is too easy to kill innocent bystanders with guns and bombs, and accidental killing of the innocent bystanders will alienate peasants from the revolution. Once an assassination has taken place, make sure peasants know why the killing occurred." Diese Strategie wurde "bewaffnete Propaganda" genannt. In der Anfangszeit der Bewegung richteten sich diese Morde hauptsächlich gegen Regierungsangestellte, aber bald wurden auch andere Repräsentanten des ungeliebten Status quo ermordet - Lehrer, Landwirtschafts- und Gesundheitsbeamte. Um die Kontrolle des Südens über die ländlichen Dörfer zu erringen, griffen die Aufständischen - der Vietcong - besonders die Dorfvorsteher an, die direkt von Saigon aus ernannt und in den meisten Fällen korrupt waren. 1958 waren bereits 20% dieser Dorfvorsteher tot.

Nordvietnamese auf dem Ho-Tschi-Minh-Pfad
1959 startete der Norden die nächste Stufe dieser Strategie, den "bewaffneten Kampf". Die Vietcong wurden mit Waffen, Nachschub und mehr Männern versorgt. Da die schmale Grenze am 17. Breitengrad gut verteidigt war, sickerte dieser Nachschub über den so genannten "Ho-Tschi-Minh-Pfad" nach Südvietnam ein. Dieser Pfad verlief von Nordvietnam über das Territorium von Laos und Kambodscha. Über weite Strecken lag er im Dschungel, aus der Luft überhaupt nicht zu entdecken. Die Nordvietnamesen bewegten den Nachschub auf ihrem Rücken oder auf Fahrrädern und Eseln über die mehrere hundert Kilometer lange Strecke. Die Aufständischen im Süden wurden so schnell stärker. - Es ist an dieser Stelle notwendig, die Begriffe etwas zu klären. Die Vietnamkriegsfilme erwecken häufig den Eindruck, als seien die Vietcong einfach alle Kämpfer gegen Südvietnam und die USA. Das ist aber falsch; vielmehr handelte es sich um eine hauptsächlich aus Südvietnamesen bestehende Befreiungs- und Guerillaarmee, die die Befreiung des Südens aus eigener Kraft zu erreichen hoffte. Zwar dienten auch Mitglieder der nordvietnamesischen Volksarmee in ihr; diese taten das dann aber als Vietcong, nicht als Mitglieder derselben. Im Folgenden soll deswegen der Begriff "Vietcong" nur für die Guerillas im Süden gelten, der Begriff "Volksarmee" die regulären Truppen Nordvietnams bezeichnen.


Der seit 1961 amtierende Präsident Kennedy erlitt allein diesem ersten Regierungsjahr drei Krisen (Schweinebuchtfiasko, Bau der Berliner Mauer, Kambodscha-Kompromiss) und glaubte, sich keine weitere leisten zu können. Überschwänglich proklamierte Vizepräsident Johnson Diem als "Winston Churchills Asien" (später erklärte er, er habe es gesagt weil Diem "der einzige ist, den wir dort haben") und band damit für alle Öffentlichkeit die USA an das Schicksal der korrupten und ineffizienten südvietnamesischen Regierung. Die USA verloren damit zusammen mit Diem drastisch an Ansehen. Kennedy und seine Administration waren allerdings der Ansicht, dass der Konflikt ohne US-Bodentruppen gelöst werden müsse, deren Einsatz unvorhersehbare und potentiell schädliche Wechselwirkungen haben würde. Man verlegte sich also darauf, hunderte von Militärberatern nach Südvietnam zu senden und so die südvietnamesische Armee (ARVN) in die Lage zu versetzen, den Vietcong eigenständig zu bekämpfen. Diese Strategie war ein kolossaler Fehlschlag. Die ARVN war bis 1975 nie in der Lage, ernsthaft einen Gegner zu bekämpfen. Schlecht ausgerüstet, mangelhaft geführt und völlig unmotiviert konnte sie weder Vietcong noch Volksarmee je gefährlich werden. Um den Guerillas die Kontrolle über die Dörfer wieder zu entreißen, entwarfen die Amerikaner deswegen ab 1961 die hamlet strategy, die größere Dörfer zu Wehrdörfern umbaute, in die alle Menschen im Umland ziehen mussten und die nachts Ausgangssperren hatten, gewissermaßen eine asiatische Version der europäischen Burgen. Mit dieser Strategie aber wurden die Einheimischen von ihren traditionellen Lebensorten getrennt und damit nachhaltig erschüttert, basiert das spirituelle Leben der Vietnamesen doch maßgeblich auf Familiengeistern und war damit ortsgebunden. Die Bevölkerung wurde so nur umsomehr in die Hände des Vietcong getrieben.

Der tote Ngo Dinh Diem, 2. November 1963
1963 war das Versagen des Diem-Regimes endgültig zu offenkundig geworden, als dass die USA es noch länger hätten tolerieren können. Die buddhistische Bevölkerung wurde zugunsten des Katholizismus unterdrückt, Skandale erschütterten die Regierung, weite Teile des Landes waren ihrer Kontrolle entglitten. Die CIA stand in Kontakt mit mehreren südvietnamesischen Generälen, die einen Putsch planten und versprachen, im Gegenzug den Krieg endlich siegreich zu beenden. Die Amerikaner ließen sie wissen, dass sie ihnen nicht im Weg stehen und sie danach akzeptieren würden. Nach einer weiteren fehlgeschlagenen Offensive entschied sich diese Militäropposition zum Handeln, putschte und tötete Diem und seinen Bruder. Der blutige Coup rief Abscheu und Entsetzen hervor und zerstörte die Glaubwürdigkeit der Amerikaner weiter, die den Generälen gratulierten und ihre Unterstützung bald intensivierten. Die sich in schneller Folge abwechselnden Militärkabinette in Südvietnam litten jedoch neben der Inkompetenz, die sie mit Diem teilten, zusätzlich an dem Makel, Marionetten der USA zu sein - ein Vorwurf, den selbst härteste Gegner dem eingefleischten Nationalisten Diem schwerlich hatten machen können.

Der Konflikt zog sich so hin. Die ARVN war nicht in der Lage, dem Treiben Einhalt zu gebieten, und die Amerikaner beschäftigten sich nicht weiter mit dem Thema. Lyndon B. Johnson, nach Kennedys Ermordung Präsident, sah seine Aufmerksamkeit hauptsächlich bei seinen innenpolitischen Reformen und dem Ausbau des amerikanischen Sozialstaats ("Great Society"). Vietnam war für ihn ein völlig uninteressanter Randkonflikt. Das änderte sich dramatisch, als am 2. und 4. August 1964 die US-Zerstörer Maddox und Turner Joy im Golf von Tonking von Angriffen nordvietnamesischer Torpedoboote berichteten. Wir wissen heute, dass diese Angriffe niemals stattgefunden haben; damals aber gaben sie den Vorwand ab, die Gulf-of-Tonking-Resolution in den Kongress einzubringen, die eine entscheidende Wegmarke im US-Politiksystem darstellt. Es lohnt sich deswegen, kurz bei ihr zu verweilen.

Die Resolution
Um den Kriegszustand offiziell erklären zu können, braucht der Präsident die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses. Will er diesen Schritt nicht gehen - etwa, weil ein Krieg innenpolitisch nicht zu verkaufen wäre - kann er sich natürlich bestimmte Rechte, die für den Einsatz regulärer Truppen notwendig sind, zeitweise vom Kongress übertragen lassen. Dies geschieht im Normalfall im Rahmen einer Resolution, die diese Umstände eingrenzt. Die Gulf-of-Tonking-Resolution aber war so allgemein gehalten, dass der Präsident im Prinzip uneingeschränkte Handlungsfreiheit in Südostasien erhielt. Armee, Flotte und Luftwaffe standen ihm zur Verfügung. Nicht einmal der Zeitrahmen war allzu deutlich gesteckt worden. Der gesamte Krieg bis 1975 wurde allein auf Grundlage dieser Resolution beschritten, ebenso die spätere Ausweitung der Kampfhandlungen auf Laos und Kambodscha. Nie wieder nach dieser Resolution würde der Kongress derart freizügig einen Blanko-Scheck für einen Präsidenten ausstellen und seine Kontrollrechte aufgeben, obgleich der Irakkrieg 2003 deutliche Parallelen dazu aufweist.

Um Südvietnam sofort beizustehen und eine Reaktion auf die vermeintlichen Angriffe Nordvietnams bereitzustellen initiierte die US-Luftwaffe in mehreren Stufen eine gewaltige Bombenoffensive gegen Nordvietnam. Innerhalb der nächsten drei Jahre sollten in "Rolling Thunder" über eine Million Tonnen Bomben abgeworfen werden - und die Zahl der im Zweiten Weltkrieg über Deutschland abgeworfenen Bombenlast deutlich übersteigen. Der Stabschef Curtis LeMay verkündete seine Absicht, Nordvietnam "in die Steinzeit zurückbomben" zu wollen, was seither zu einem geflügelten Wort geworden ist. Das Ziel der Operation war, den Nachschub für den Vietcong zu behindern, die Moral des Nordens zu untergraben und die des Südens zu stützen. Keines dieser Ziele wurde erreicht. Einer der Stabsoffiziere sah das damals bereits voraus und notierte: "This is a political war and it calls for discriminate killing. The best weapon... would be a knife... The worst is an airplane." Er hatte zweifellos Recht.


Marines mit Gefangenem, 1968
Wie so oft in solchen Fällen entwickelten die Ereignisse eine eigene Dynamik. Die Ausweitung des US-Luftkriegs steigerte die Bedeutung der Basen in Südvietnam deutlich, und niemand traute der ARVN ernsthaft zu, diese beschützen zu können. Wollte man die Luftstrategie tatsächlich im geplanten Ausmaß durchführen, war eine Sicherung der Stützpunkte nicht zu vermeiden. Es wurde deshalb beschlossen - unter überwältigender Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung - eine erste Gruppe von 3.500 Marines nach Südvietnam zu schicken, um die amerikanischen Basen dort zu schützen. Noch während diese Verteidigungstruppen eintrafen wurden zwei Dinge klar. Einerseits waren die ARVN-Truppen unfähig, in ihren eigenen Operationen zu bestehen; sie verloren mehrere entscheidende Schlachten im Verlauf des Jahres und standen 1966 am Rand des Zusammenbruchs. Andererseits waren die amerikanischen Truppen wie ihre Kommandeure für die Offensivkriegführung ausgebildet und ausgerüstet, das Verteidigen lag ihnen nicht. Im Dezember 1965 waren bereits 200.000 amerikanische Soldaten in Vietnam stationiert. Die erste große Bodenoffensive und damit der Abschluss dieser "Amerikanisierung" des Krieges war nur eine Frage der Zeit. 

Weiter geht's in Teil 2.

Literaturhinweise:
Peter Scholl-Latour - Tod im Reisfeld
Rolf Steiniger - Vietnamkrieg
Bernd Greiner - Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam
Marc Frey - Geschichte des Vietnamkriegs
Denise Chong - Das Mädchen hinter dem Foto: Die Geschichte der Kim Phuc
Jonathan Neale -  Der amerikanische Krieg - Vietnam 1960 - 1975
Edith Reinitsch - Der Vietnamkrieg 1965 - 1975 

Bildnachweis: 
Karte - NgaViet (gemeinfrei)
Giap, Minh - The Deer (gemeinfrei)
Fallschirmjäger - Warner Pathé News (gemeinfrei)
Dien Bien Phu -  Raul 654 (CC-BY-SA 3.0)
Diem, Eisenhower - Department of Defense, Department of the Air Force (gemeinfrei)
Pfad - Joel D. Meyerson (gemeinfrei)
Diem tot - Unbekannt (gemeinfrei)
Resolution - Unites States Congress (gemeinfrei)
Marines - US Air Force (gemeinfrei)

9 Kommentare:

  1. "wie ein kleines Volk von Reisbauern zwei der größten Supermächte ihrer Zeit schlafen konnten ist kaum vorhanden."
    Ich glaube du meinst "schlagen", oder? ;)

    Danke für diesen ausführlichen (ersten) Artikel über den Vietnamkrieg. Hintergrundwissen kann ja nicht schaden, auch weil wir zwar Stellvertreterkriege im LK besprochen haben, aber auf den Vietnamkrieg bis jetzt nicht wirklich eingegangen sind.

    lg, das Kernobstgewächs.

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  2. Ups, da hast du natürlich REcht, danke! Und vielen Dank auch für das Lob, ich hoffe Artikel Nummer 2 wird dir dann ebenfalls helfen.

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  3. wirklich toller Artikel, freue mich auf den 2. Teil Gruß Michael

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  4. Ich finde diesen Text nicht korrekt, sehr vieles ist nicht richtig... ich möchte das du dies bitte berichtigst du huen

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  5. hier gehts zu teil 2 :
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  6. richtig königlicher lieber steffan das ist lobenswert
    kuss frau dammasch

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