Samstag, 19. August 2017

Der lange Weg nach Charlottesville, Teil 1 (Truman bis Nixon)


Wenn du dich mit dem Teufel einlässt
Verändert sich nicht der Teufel
Der Teufel verändert dich.
-Max California
Die Ereignisse in Charlottesville vergangene Woche, bei denen Neonazis und andere Rechtsextremisten ihren Hass verbreiteten und ein Rechtsterrorist eine Gegendemonstratin ermordete und weitere schwer verletzte, waren traumatisch. Nicht nur wegen des Gewichts der Ereignisse selbst - die USA sind nicht gerade ein Neuling auf dem Gebiet rechter Gewalt - sondern wegen der Reaktion des Präsidenten, der die Nazis verteidigte und der Ermordeten eine Mitschuld an ihrem Tod gab. Entsprechend viel Händeringen gab es in Medien, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, als habe sich Trump just in diesem Moment als der rassistische Kretin entlarvt, der er ist, und als ob das nicht schon immer sichtbar gewesen wäre. Interessanter als der orangene Schandfleck im Weißen Haus ist aber die Partei, die ihn dorthin gebracht hat. Kongressabgeordnete der Republicans etwa waren schockiert - schockiert! - dass so etwas passieren konnte. Dabei ist Charlottesville keine Anomalie, sind die rechten Hetzer keine Randgruppe ohne Bezug zur GOP. Charlottesville, die Präsidentschaft Trumps und seine Wähler sind vielmehr der logische Schlusspunkt einer langen Entwicklung.

Der Beginn dieser Entwicklung liegt im Jahr 1946. Präsident Truman ist seit einem Jahr an der Macht. Die regierende Koalition der Democrats knirscht an allen Ecken und Enden, denn sie basiert auf einem reichlich unnatürlichen Kompromiss: schwarze Wähler, die unter dem New Deal mit den Republicans gebrochen hatten, konkurrieren mit den von starken Gewerkschaften geschützten Weißen. Das Establishment der Südstaaten, standfeste Unterstützer und Erbauer des Jim-Crow-Regimes, teilen sich eine Partei mit Sozialreformern aus New England. Sozialisten fordern eine radikalere Neuauflage des New Deal, während Unternehmer misstrauisch jede Zuckung der Truman-Regierung in Richtung arbeitnehmerfreundlicher Politik beäugen. Die Republicans, seit 14 Jahren von der Macht ausgeschlossen, lechzen nach einer Chance auf ein Comeback. Sie müssen neue Wählerschichten erschließen. Zu diesem Zweck schließen sie ein strategisches Bündnis mit der Mittelschicht und der Wirtschaft: sie versprechen geringe Steuern und den Abbau von Regulierungen. Es ist der Beginn des Aufsprengens der New-Deal-Koalition, der sich noch eine ganze Weile hinziehen wird. Dieses Bündnis zwischen der GOP und der Wirtschaftselite wird die Partei bis weit ins 21. Jahrhundert hinein definieren. Aber noch gibt es eine starke Strömung, die eher korporatistisch denkt, eher Ludwig Erhard als Harry Laffer. Verkörpert wird diese Strömung von Nelson Rockefeller, dem Idealtypus des Unternehmens-Patriarchen aus New England. Er bleibt bis 1968 eine starke Figur in der Partei, wird sie aber nie übernehmen können.

In der Zwischenzeit aber brauen sich soziale Veränderungen zusammen. Die GIs kommen aus dem Zweiten Weltkrieg zurück; innerhalb von nur anderthalb Jahren wird ein Großteil der amerikanischen Armee demobilisiert. Um das Desaster der Demobilisierung nach dem Ersten Weltkrieg nicht zu wiederholen, das Millionen unzufriedener und perspektivloser Arbeitsloser schuf, verabschiedet der Kongress die GI Bill - das wohl wichtigste Sozialgesetz der jüngeren amerikanischen Geschichte. Es erlaubt es zurückkehrenden GIs, eine großzügige staatliche Subventionsstruktur in Anspruch zu nehmen, die Ausbildung und Studium finanziert. Nichts ist so entscheidend für den rapiden Aufbau der amerikanischen Mittelschicht in den 1950er Jahren und die Entstehung von Suburbia wie dieses Gesetz. Es ist revolutionär in seinem umwälzerischen Effekt, und viele der so in die Mittelschicht aufsteigenden Amerikaner werden zu verlässlichen Wählern der Republicans, die der Überzeugung sind, alles aus eigenem Antrieb und ohne staatliche Unterstützung geschafft zu haben. Es hat nur einen Haken: nicht nur weiße, angelsächsische GIs erheben Anspruch auf diese Aufstiegschancen.

Die Rückkehr der afro-amerikanischen GIs in die Südstaaten, aus denen sie mehrheitlich kommen, stellt die dortigen Machtstrukturen - völlig dominiert vom Jim-Crow-Regime der dort regierenden Democrats, wir erinnern uns - vor eine enorme Bedrohung. 60 Jahre lang war es raison d'ètre im Süden, dass die Schwarzen Bürger zweiter Klasse waren (seperate but equal, die Rassentrennung). Nun verlangten sie plötzlich gleiche Rechte,  ja, Anerkennung! Am Ende würden sie noch wählen wollen oder gar - the horror! - in Parlamente und Stadtkonzile gewählt werden! Das galt es zu verhindern. Mit massiven Repressionsmaßnahmen und Lynchmorden (alleine für 1946 sind 56 Lynchmorde in den Südstaaten dokumentiert) wurde die Vorherrschaft von Jim Crow ein letztes Mal verteidigt. Subtil ging man dabei nicht vor: viele der Statuen für konföderierte  Politiker und Generäle wurden damals vor Gerichten und Rathäusern mit der expliziten Intention aufgestellt, den Schwarzen "ihren Platz" deutlich zu machen (wie das in der ersten Bauphase dieser Statuen um 1915 bereits einmal geschehen war). Für die Democrats begann der zwei Dekaden dauernde Eiertanz zwischen ihren Südstaatenbastionen auf der einen und den progressiven Fliehkräften aus dem Norden auf der anderen Seite, die am Ende Lyndon Johnsons Präsidentschaft zerreißen würden.

Die Republicans konnten zu dieser Zeit noch nicht hoffen, im Süden Fortschritte zu machen. Sie nominierten 1952 Dwight D. Eisenhower und gewannen als moderate Partei konservativer Vernunft die Wahl (und die Wiederwahl 1956). 1960 jedoch siegte John F. Kennedy als nordwestlicher Democrat knapp gegen Vizepräsident Nixon. Kennedy war der erste demokratische Präsident, der die Fliehkräfte seiner eigenen Koalition nicht mehr unter Kontrolle hatte. Innenpolitische Grabenkämpfe blieben ungelöst (Rosa Parks' Bus-Protest war 1955!) und wurden von Krisen wie dem Mauerbau und der Kubakrise verdeckt. Bei einem Besuch in Texas konnten die Zerwürfnisse aber bereits nicht mehr versteckt werden: der Gouverneur des Staates feindete Kennedy offen an, Morddrohungen kursierten, einschlägige Flugblätter machten die Runde. Der Vergleich mit Lincoln drängt sich auf: erneut sah der Süden einen nördlichen Präsidenten als Gefahr für sein rassistisches Regime, und erneut reagierte er mit Mord und Totschlag (wenngleich ohne Sezession und Bürgerkrieg).

Kurzfristig ging das Kalkül massiv nach hinten los. Auf einer Welle öffentlicher Sympathie gewann Lyndon Johnson 1964 in einem Erdrutschsieg die Wahl. Sein Herausforderer hatte nie eine Chance, aber dieser Herausforderer ganz besonders nicht: Barry Goldwater war ein Rechtsaußen der Partei. Er identifizierte sich als "conservative", was man nicht mit dem deutschen Wort "konservativ" gleichsetzen sollte. Mit dem CDU-Konservatismus hat das nichts zu tun. Stattdessen handelte es sich um eine revolutionäre (oder eher reaktionäre) Ideologie. Die bis heute beliebte Forderung nach einer conservative revolution ist ein Oxymoron. Goldwater war jingoistisch bis zum Anschlag, er war rassistisch, und seine Forderungen waren extrem. Sein Nominierungssieg über Kandidaten wie George Romney oder Nelson Rockefeller zeigte aber bereits Grundzüge der heutigen GOP: gegen Romney brachte er vor allem dessen Religion in Stellung (Romney war Mormone), während Rockefeller als klassische Elite abgeurteilt und angefeindet wurde. Auch im Wahlkampf stellten die gebildeten Eliten das Hauptfeindbild dar - was sich bis heute fortzieht.

Willfähriger Gehilfe Goldwaters war Richard Nixon, der sich langsam ein neues Standing in der Partei aufbaute. Da er als Außenpolitikexperte 1960 gescheitert war, brauchte er ein neues Thema. Seine politischen Instinkte waren fein ausgeprägt. Und was er sah definierte die moderne Republican Party.

Die 1960er Jahre waren eine Zeit ungeheuren sozialen Wandels. In den Südstaaten marschierte MLK, stellte Malcolm X radikale Forderungen, fuhren die Freedom Riders durchs Land. Das Jim-Crow-Regime reagierte darauf mit nackter Gewalt: die Polizei prügelte und schoss, der Ku-Klux-Klan erlebte seine dritte große Renaissance (nach der Zeit der Reconstruction und den 1920er Jahren) und die Zahl der spontanen Gewalttaten und geplanten Terroranschläge gegen Schwarze stieg beständig an. Gleichzeitig war die zweite Welle des Feminismus in vollem Gange, die Wirtschaft taumelte von einer Krise in die nächste und der Krieg in Vietnam steuerte auf seinen ersten blutigen Höhepunkt zu. Die Generation der GIs war mittlerweile im mittleren Alter, und wie jede Generation mittleren Alters verstand sie ihre Kinder nicht. Ihr musste es erscheinen, als bräche um sie herum die Weltordnung zusammen. Mit zielsicherem Instinkt formte Nixon den Dauerwahlkampfschlager der Republicans seit 1968: Law & Order.

Nixon hatte erkannt, dass Goldwater in seiner grundsätzlichen Strategie richtig gelegen, aber die falsche Taktik benutzt hatte. Sein Rassismus und Extremismus war wesentlich zu offensichtlich gewesen. Die Krise des Liberalismus, der seine Glanzzeit hinter sich hatte, war offenkundig, die New-Deal-Koalition am Ende. Während der Nordwesten der USA langsam von den sich radikalisierenden Republicans wegtrieb und Rockefeller sein letztes Gefecht gegen Nixon verlor, erkannten die GOP-Strategen, dass jeder verlorene Wähler im Norden ein gigantischer Gewinn im Süden war. Das Resultat war die Southern Strategy: eine Plattform aus verstecktem Rassismus hinter Codewörtern (dog whistles), um die Weißen des Südens von den Democrats loszubrechen. Letzteres brauchte keinen besonderen Aufwand, es war bereits geschehen: der Präsidentschaftswahlkampf 1968 war ein Drei-Mann-Wettbewerb, da der rassistische Extremist George Wallace ("segregation now, segregation tomorrow, segregation forever") als Unabhängiger antrat. Die Frage war nur, wie viele Südstaaten Nixon ihm würde rauben können, indem er sich als mittige Variante positionierte.

Das Gerede von "law & order" war die dog whistle: Adressat waren die Weißen, gemeint waren die Schwarzen. Sie wurden mit dem Bruch von law ebenso verbunden (indem man sie als Kriminelle hinstellte, was angesichts der Verbrechenswelle der späten 1960er Jahre besonders resonnierte) wie mit dem von order, was ein Dauerthema seit 1946 darstellte: die althergebrachte Jim-Crow-Ordnung sollte zerstört werden. Die ekelhaften Seiten von Jim Crow wurden dabei ausgeblendet; in Suburbia sah man ja eh nichts davon. Stattdessen spielten die Republicans auf der Klaviatur der spießbürgerlichen Angst, ein Schwarzer könnte Nachbar werden und vielleicht am Ende noch die Tochter daten. Damit waren alle Elemente im Spiel, mit denen die Republicans in den folgenden Wahlen bis 2016 Kasse zu machen hofften. Die dog whistles waren weiterhin notwendig, weil man - die große Lehre aus Goldwater - nicht offen darüber reden konnte. Das war den Republicans nur Recht. Die Southern Strategy war ein Mittel zum Zweck, kein Glaubensinhalt. Die eigentliche Agenda war eine andere.

Aber wenn man einen Pakt mit dem Teufel eingeht, um elektorale Vorteile zu erhalten, verändert sich nicht der Teufel. Der Teufel verändert dich.

Weiter geht's im zweiten Teil.

2 Kommentare:

  1. schön dass Du wieder da bist; hab es jetzt erst gesehen.

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    1. Kann noch nicht garantieren dass ich wieder regelmäßig schreibe. Aber zumindest crossposten geht ;)

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