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Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849 (Hörbuch) (Frühling der Revolution: Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt (Hörbuch))
Der Gegensatz zwischen "Town and Country" ist das nächste Thema Clarkes. Die schlechte wirtschaftliche Lage und die Konflikte um feudale Privilegien hatten viel revolutionäre Triebkraft mit sich gebracht. Nun waren neue oftmals neue Regierungen an der Macht, die mit der Herausforderung nach einer neuen Agrarpolitik konfrontiert waren. Während die Landbesitzer ihre Macht und ihren Besitz erhalten wollten, verlangten die Bauern nach fairem Ausgleich ihrer erbrachten Leistungen. Die Liberalen hatten hier neben ihrer natürlichen Vorliebe für die Begüterten das Problem, mit den Fragestellungen gar nicht vertraut zu sein. Die Konservativen hatten den Vorteil, die Lebenswelt der Bauern tatsächlich zu kennen (wenngleich aus einer herablassenden Perspektive), während die Liberalen im Endeffekt an diese heran, aber nicht mit ihnen redeten. Sie blieben Fremde aus der Stadt.
Ein gewaltiger Streitpunkt der Epoche waren die "National Questions". Clarke betont, dass man nicht den Fehler machen sollte, späteren Narrativen der Nationalisten auf den Leim zu gehen, die das europäische Phänomen der Revolutionen kompartmentalisierten und ihren jeweils eigenen nationalen Werdegang einordneten, warnt aber zugleich vor einer Überkorrektur: die Menschen hätten durchaus nationale Gefühle gehabt, auch intensive, nur standen diese neben lokalen, regionalen und überregionalen Identitäten in einem viel fluideren Komplex.
Am Beispiel Italien zeigt er dabei schön auf, wie diese Gefühle nur Teile der Bevölkerung erfassten und vor allem die Herrschenden ausließen, die sich eher noch dynastisch begriffen: Piemont etwa führte Krieg gegen die Lombardei nicht zur Nationsgestaltung gegen die Österreicher, sondern zur dynastischen Vergrößerung, und enttäusche so die Nationalisten. In Österreich dagegen standen die Nationalisten vor der Herausforderung, dass ihre Sprachen oft nicht gesprochen wurden (und deswegen als regelrechter Kreuzzugp propagiert wurden) und die Trennlinien nicht nur an Sprache, sondern auch an Religion entlang liefen. Protestantische Polnisch Sprechende identifizierten sich mit Habsburg, katholische Deutsch Sprechende mit Polen. Es war ein wilder, unübersichtlicher Mix. Auch realpolitische Überlegungen kamen hinzu. Den Slawen war durchaus klar, dass ein deutscher Nationalstaat und damit die Auflösung Österreichs nicht in ihrem Interesse lag, da sie dann zwischen Deutschland und Russland erdrückt wurden (was ja dann in den 1930er Jahren Realität wurde).
Auch in Polen war der Nationalismus ein kompliziertes Gebilde. Im selben Atemzug, in dem sie für sich und ihre Errungenschaften die Anerkennung einforderten, verweigerten die Polen dieselbe den Ukrainern, die sie als zweitklassig und unwürdig herabwürdigten - mit effektiv denselben Argumenten, mit denen sie ihrerseits herabgewürdigt wurden. Der deutsche Nationalismus indessen entzündete sich in vollem Ausmaß im Krieg mit Dänemark. Dieser legte gleichzeitig die Schwächen der Revolution offen, als Preußen unilateral Frieden schloss und der erregten Nationalversammlung nichts als die nachträgliche Sanktionierung blieb. Die Ereignisse führten zu einer weiteren Radikalisierung der Linken, während die Gegenrevolution bereits offensichtlich an Fahrt aufnahm.
Die Revolution hatte im Februar in Paris begonnen; dass der in "A Revolution Shuts Itself Down" beschrieben Anfang von Ende im Juni ebenfalls in Paris begann, ist daher nur folgerichtig. Die fluiden politischen Verhältnisse in der Hauptstadt wandelten sich rapide, als die Frage des Rechts auf Arbeit aufs Tablett kam. Die im Februar eingerichteten Werkstätten für die verarmenten, arbeitslosen Arbeiter belasteten die Staatskassen und waren den Moderaten ein Dorn im Auge. Sie entschlossen sich zur Schließung, was unter Teilen der Betroffenen für gewalttätige, aber zum Scheitern verurteilte Proteste sorgte. Die radikale Linke war damit am Ende, die Einheit der Revolution aufgelöst. Die spätere Verherrlichung der Geschehnisse etwa durch Marx weist Clarke zurück; er betont, dass Arbeiter und Handwerker auf beiden Seiten des Konflikts standen und sich gegenseitig bekämpften. Kein Klassenkampf in Sicht.
Zum Abschluss gibt Clarke in "In the Heat of the Century" einige Metaphern aus Medizin und Wissenschaft, die um 1848 relevant waren, vom Blutkreislauf über Entropie und die Gewinnung von Energie durch Wärme. Diese haben das Ziel deutlich zu machen, dass die Revolution aus mehreren unterschiedlichen Strömungen bestand, die, wenn sie nicht koordiniert waren, schnell zu einer gegenseitigen Blockade auswachsen konnten. Und es ist genau diese Blockade, dieser Stopp im Blutstrom der Revolution, die sich die Gegenrevolution zunutze machte.
In Kapitel 8, "Counter Revolution - Naples in the Summer", kehren wir ins Königreich beider Sizilien zurück. Nach der Gewährung einer Verfassung und der Wahl eines Parlaments im April vollzogen König und Regierung einen scharfen Schwenk. Der König verlankte von den Parlamentariern einen Eid, der ihm im Endeffekt Handlungsfreiheit gewährte und die Verfassung faktisch nutzlos machte. Die Parlamentarier weigerten sich, und Regierung und König taten, was Bismarck später ebenfalls tun würde: sie ignorierten Verfassung und Parlament und regierten einfach weiter. Der unvermeidliche Aufstand war schlecht koordiniert und bewaffnet; die Liberalen, deren Minister in der Regierung bereits die Politik des Königs mittrugen, hielten sich heraus. Da der König sich vorbereitet hatte, hatte der Aufstand keine Chance. Methodisch machte die Armee die Aufständischen nieder. Das Parlament durfte noch ein Dreivierteljahr weitertagen, was es zu seinem Schaden auch tat: bis dahin hatte es sich in seinen nutzlosen Veröffentlichungen, Pamphleten und Gesetzen hoffnungslos diskreditiert. Für Clarke steckt hier der Keim der späteren Spaltung Italiens, weil der Süden autoritäre Instinkte übrig behalten hätte: in dem Aufstand wandten sich große Teile der Bevölkerung GEGEN Verfassung und Demokratie und unterstützten den König, während sich die Liberalen diskreditierten (und für ihren Judasdienst vom König in einer Großen Säuberung teils verhaftet, teils in die Bedeutungslosigkeit geschickt wurden). Clarke sieht es allerdings als Zeichen für den Erfolg der liberalen Ideen, dass Ferdinand II. es nicht wagte, die Verfassung abzuschaffen - er beließ sie als symbolisches Dokument.
Auch in Österreich schlug das Pendel um: "The Empire strikes back" (Clarke liebt seine Wortspiele und Metaphern). Der Blick wendet sich zuerst nach Prag, wo die Revolutionäre sich der dornigen Nationalitätenfrage gegenübersehen: der Versuch, Tschechen und Slowaken zu vereinen, schlägt ziemlich schnell fehl; mehr Autonomie zu gewinnen wird zu einem rein tschechischen Projekt, an dem sich weder die deutschsprachige Elite noch die Slowaken groß beteiligen. Zudem waren die tschechischen Liberalen nicht in der Lage, die Probleme der Mehrheitsbevölkerung zu verstehen oder in ihre Politik einzubeziehen. Als der österreichische Feldherr Windischgrätz, ein Erzkonservativer und ohnehin schon mit nervösem Zeigefinger auf Blut aus, den Vorwand erhielt (zeitgleich mit Radetzkys Erfolgen gegen den italienischen Aufstand, was die Stärke Österreichs zeige), schlug er die ganze Revolution schnell nieder.
Ähnlich erging es den Liberalen in der Wallachei (deren Gedandtschaft nach Paris dort just nach der Gegenrevolution eintraf und daher einen Vorgeschmack auf ihr eigenes nahendes Schicksal bekam) und in Ungarn, wo die Krone mit einer Mischung aus vorgetäuschter Verhandlungsbereitschaft und militärischer Gewalt die Kontrolle wieder an sich riss. Am übelsten erging es Wien, in dem die Barrikadenkämpfe des Sommers wesentlich mehr Tote kosteten als die des Frühjahrs - und auch hier wurde die Revolution extrem erfolgreich niedergekämpft. Es zeigte sich erneut, dass die Liberalen wie Radikalen es nicht geschafft hatten, die Unterstützung der Landbevölkerung zu gewinnen. Die Gegenrevolution war indessen so zuversichtlich, dass sie kein Problem damit sah, den Gesandten des Frankfurter Parlaments, Robert Blum, zu ermorden.
Doch nicht nur in Wien galt die Devise "The Iron Net Descends". Friedrich Wilhelm sah sich stark genug, die Verfassung Preußens zu eliminieren, die ihm ein Dorn im Auge war. Der Widerstand der liberalen Abgeordneten war, um es kurz zu machen, recht überschaubar. Wesentlich blutiger lief die "Counter Revolution in a Very Small Place" ab, auf den Ionischen Inseln. Diese standen unter britischer Herrschaft und hatten ebenfalls eine kleine liberale Revolution, die sich unter dem altersmilden Tory-Statthalter weitgehend frei entfalten konnte. Als ein junger Whig seinen Posten einnahm, glaubten die Ionier, Unterstützung gefunden zu haben. Stattdessen zeigte der Erzliberale sich als Feind der freiheitlichen ionischen Ordnung, stationierte Soldaten und schlug den Aufstand blutigst nieder, mitsamt liberaler Nutzung der Neunschwänzigen Katze, Mordschwadronen und dem vollen Arsenal britischer Gewaltherrschaft.
Das Ende des Jahres 1848 war jedoch von "The Second Wave" gekennzeichnet, eine Welle zweiter, radikaler Revolutionen, die über Europa hinwegging. Den Aufschlag machte Italien, wo die Affäre mit dem "Reformpapst" endgültig zu Ende ging, der, sich zur Gegenrevolution bekennend, Rom fluchtartig verließ. Dort entstand stattdessen die kurzlebige römische Republik, die den Beweis erbrachte, dass radikale Regierungen durchaus auch kompetent agieren konnten. Weitere radikale Aufstände mit ebenso kurzlebigen Regierungen und Verfassungen entstanden etwa in Baden (wo preußische Truppen den Aufstand niederschlugen) und in der Wallachei (wo russische Truppen das taten). Für Clarke zeigen diese Revolutionen einen Lernprozess auf der radikalen Linken, da sie über wesentlich bessere Vernetzung und Organisation verfügten als die Revolutionen im Frühjahr.
Gleichzeitig zeigten sie aber auch die mangelnde Unterstützung der radikalen Kräfte auf. Diese war zwar größer als die der Liberalen (die nie über ihre Unterstützung in den Eliten hinauskamen), aber immer noch wesentlich zu schmal, vor allem, weil die Landbevölkerung nicht gewonnen werden konnte. Natürlich sah die radikale Linke den Fehler nicht bei sich, sondern beim mangelhaften revolutionären Bewusstsein der Massen; Marx verglich sie mit "einem Sack Kartoffeln". Die Gegenrevolution indessen war überall besser organisiert und schlug die Aufstände der zweiten Welle schnell nieder.
Die Revolutionen waren aber keine rein nationalen Ereignisse. "Geopolitics" spielten eine entscheidende Rolle. Die Ordnung des Wiener Kongresses etwa hatte mehrere Verfassungen, etwa die der Schweiz und des Deutschen Bundes, garantiert, was revolutionäre Umstürze dort zu europäischen Angelegenheiten machte und Interventionen herausforderte oder ermöglichte. Was in einem Land geschah, hatte direkte Wechselwirkungen mit anderen Ländern. Entsprechend befruchteten sich die revolutionären Prozesse genauso gegenseitig wie die gegenrevolutionären. So etwa kann Russlands Rolle in der Unterdrückung des Ungarer Aufstands kaum überschätzt werden.
Eine intellektuelle Folge der Revolutionen war "The Birth of Realism Out of the Spirit of Counter-Revolution". Sowohl für die Linken wie die Rechten war eine Konsequenz aus dem Scheitern der Revolution, die Welt in "realistischen" Begriffen (im Sinne der politischen Theorie) zu erfassen. So einte sonst so disparate Akteure wie Marx und Bismarck ihre Einsicht, dass nicht Ideen, sondern Gewalt und Macht Geschichte machten. Zwar schrieben sie anderen Gründen das jeweilige Ergebnis zu - für Marx war alles der revolutionäre Druck des Proletariats, für Bismarck Eisen und Blut - aber in ihrer Analyse waren sie sich einig. Die Rechten würden diese Lektionen wesentlich gewinnbringender nutzen können als die Linken. Auffällig ist für Clarke die Rolle, die Russland von allen Beobachtenden zugesprochen wurde: seine Intervention bedeutete das Ende des Ungarischen Aufstands und verhinderte das Aufkeimen eines polnischen.
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