Donnerstag, 11. November 2010

Der Beginn des Kalten Krieges - eine sowjetische Perspektive

Von Stefan Sasse

Deutsche Panzer in Russland 1942
Noch heute ist der Kalte Krieg eine Ära, die von Historikern erst allmählich losgelöst von den Stereotypen und Ideologien jener Zeit betrachtet werden kann. Dumpf hallen die damaligen ideologischen Frontstellungen noch heute in vielen Debatten wieder. Dieser Doppelartikel zum Kalten Krieg will gar nicht versuchen, eine objektive Beschreibung zu liefern. Stattdessen soll die Brille der USA und der Sowjetunion aufgesetzt werden, um vielleicht beim distanzierten Blick durch diese BrilleErkenntnisse zu erfahren. Dieser Teil des Doppelartikels sieht den Beginn des Kalten Krieges aus der Perspektive der Sowjetunion.

Seit dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion hatte das Volk geblutet. Millionen waren tot oder in Gefangenschaft, was in den Fängen der Nazis praktisch auf dasselbe hinauslief. Das Bündnis mit den Westalliierten bestand fast nur auf dem Papier. Eine echte Entlastung war von ihnen kaum zu erwarten. Rund 90% der deutschen Streitkräfte standen an der Ostfront im Einsatz, und nur Alte, Invalide und ausländische Hilfstruppen hielten schlecht ausgerüstet den Atlantikwall gegen die untätigen Westalliierten. Anstatt der Sowjetunion wirklich beizustehen, landeten sie erst in Afrika und dann, 1943, in Italien - an beiden Stellen zogen sie dabei praktisch keine deutschen Truppen ab.

Deutscher Angriffsplan in Kursk
Es kam der Sowjetunion zu, unter furchtbaren Verlusten das Rückgrat der Wehrmacht zu brechen. Im Winter 1942/43 kesselten sie die 6. Armee und rumänische Hilfskorps bei Stalingrad ein und brachten sie im Februar 1943 zur Kapitulation. Obwohl in der Retrospektive häufig als Wendepunkt des Krieges ausgegeben, entschied Stalingrad nichts. Es war ein propagandistischer Sieg, und selbst Hitler gelang es, die Niederlage durch Verknüpfung mit der Nibelungensage in ein Märtyrer-Vorbild zu verwandeln. Der wahre Wendepunkt des Krieges kam mit der Schlacht von Kursk im Sommer 1943. Unter dem Decknamen "Zitadelle" griff die Wehrmacht mit der größten Panzerstreitkraft der Geschichte eine sowjetische Frontausbuchtung bei Kursk an, um die Kesselschlachterfolge des Unternehmens Barbarossa zu wiederholen und die Rote Armee zu schlagen. Die Schlacht wogte tagelang, und am Ende beherrschte die Rote Armee das Schlachtfeld und ging zum Gegenangriff über. In der Schlacht am Kursker Bogen verlor die Wehrmacht für immer ihr Offensivpotential und wurde schnell zurückgedrängt. Sie ist der wahre Wendepunkt des Krieges.
Inzwischen hatte Stalin es geschafft, die Westalliierten auf der Konferenz in Teheran zum formalen Versprechen des Eröffnens einer zweiten Front in Frankreich zu bewegen. Damit wehrte er die Gefahr ab, die von Churchills Plänen ausging, auf dem Balkan zu landen und somit einen langsamen Vormarsch direkt in das sowjetische Interessensgebiet hinein zu unternehmen. Doch auch nach der Landung in der Normandie verlief der amerikanisch-britische Vormarsch schleppend, und die Westalliierten nahmen übermäßige Rücksicht auf französische Interessen. Es fiel deswegen der Sowjetunion zu, den Todesstreich zu führen. Am 22. Juni, dem dritten Jahrestag des hinterhältigen Angriffs Hitlers auf die Sowjetunion, begann das Unternehmen "Bagration", die Sommeroffensive der Roten Armee 1944. Die Rote Armee zerstörte die deutsche Heeresgruppe Mitte fast vollständig, entsetzte Leningrad und befreite die größten Teile der Ukraine und Weißrusslands. Erst in Ostpolen stoppte der Vormarsch wegen Nachschubproblemen, die es auch unmöglich machten, den beginnenden Warschauer Aufstand zu unterstützen. Bis Ende 1944 drang die Rote Armee dann an die Grenzen des Reiches vor und begann 1945 mit dem Einmarsch.

Bau von Straßensperren in Berlin
Im Westen indessen leisteten die Deutschen kaum mehr Widerstand gegen die Westalliierten, nachdem die Ardennenoffensive gescheitert war. Zahllose Dörfer ergaben sich widerstandslos, und viele Abkommen wurden getroffen. Dies nährte nach den Geschehnissen von 1943, wo die Westalliierten bereits einmal der Sowjetunion die Last der Kämpfe aufgebürdet und selbst nur leichte Ziele attackiert hatten, einmal mehr die Furcht vor einem Verrat besonders der Engländer. Wollten sie die Deutschen nutzen, um danach gegen die Sowjetunion zu schlagen? Stalin kam solchen Plänen jedenfalls zuvor, eroberte Berlin und beendete damit den europäischen Krieg.

Im Januar 1945 hatte die zweite große Kriegskonferenz auf Jalta stattgefunden. Hier wurde die für die Sowjetunion so lebenswichtige Reparationsfrage geregelt. Deutschland musste als geeinter Wirtschaftsraum erhalten bleiben, um Reparationen an die Sowjetunion abgegen zu können, die durch den Krieg unglaublich geschwächt war - während die Westalliierten praktisch keine Zerstörungen zu beklagen hatten.  Stalin hatte im Gegenzug zugesagt, nach Niederwerfung Deutschlands in den Krieg gegen Japan einzutreten. Dieses Versprechen hielt er auch; im Juli 1945 begann der Angriff auf die Mandschurei und Sachalin, so dass die Japaner um Frieden nachsuchen mussten. Die Amerikaner jedoch kamen solchen Angeboten zuvor und warfen ihre ersten Atombomben ab, die Japan zur Kapitulation zwangen.

Die Großen Drei in Potsdam (v.l. Churchill, Truman, Stalin)
Auf der Konferenz von Potsdam 1945 half Stalins Verhandlungsgeschick, der Sowjetunion den Einfluss auf Osteuropa zu sichern, dessen sie zu ihrem Schutz bedurfte. Nicht noch einmal sollte ein Angriff aus dem Westen die Sowjetunion mit voller Härte treffen, weil alle Länder sich gegen sie verschworen. Ab sofort würde die Sowjetunion Osteuropa als Aufmarschgebiet und Verbündete, nicht als Feinde, gegen sich haben. Eine Wiederholung des Schocks von "Barbarossa" sollte damit ausgeschlossen und die Sicherheit der UdSSR gewährleistet sein. In der Deutschlandpolitik wollte man dafür sorgen, dass das Land nicht noch einmal eine Gefahr werden würde. Eine Freundschaft zur Sowjetunion war anzustreben, zumindest aber eine Neutralität nach beiden Seiten. Es musste verhindert werden, dass sich Deutschland dem Westen anschloss und sein wirtschaftliches und militärisches Potential in dessen Waagschale warf.

Bald schon zeigte sich, dass die Amerikaner ihre Versprechungen nicht ernst nahmen. Weder lieferte der Westen die Reparationen aus seinen Besatzungszonen, wie es in Jalta und Potsdam vereinbar worden war, noch versuchte er ernsthaft, die Einigkeit des Landes zu bewahren. Bereits ab 1946 rüstete er zu einem neuen Krieg gegen die Sowjetunion. Der amerikanische Präsident Truman drohte unverholen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen, sollte die Sowjetunion sich nicht beugen. Die Idee einer gemeinsamen Schaffung einer friedlichen, demokratischen Nachkriegsordnung musste die Sowjetunion damit begraben. Während Truman die sowjetfeindliche Truman-Doktrin unter dem Einfluss Kennans ausgab, konstatierte der sowjetische Gesandte der Gründungskommission der Kommunistischen Informationsbüros Andrei Alexandrowitsch Schdanow, dass die Welt in zwei Lager geteilt sei: ein anti-demokratisches, imperialistisches Lager unter Führung der USA, und ein demokratisches, anti-imperialistisches Lager unter Führung der UdSSR. Der Kampf dieser beiden Lager bestimme die Weltpolitik jener Tage.

Ausrufung der Volksrepublik China 1949
1948 ließen die Amerikaner alle Hemmungen fallen. Sie führten eine rein westliche Währung in ihren Zonen ein und beendeten damit die in Jalta und Potsdam beschlossene wirtschaftliche Einheit Deutschlands. Selbst Stalins Druck unter der Berlinblockade brachte sie nicht zum Einlenken. 1949 vervollständigten sie den Bruch, indem sie entgegen aller Absprachen ihren Besatzungszonen die Eigenstaatlichkeit gaben. Der Sowjetunion blieb nichts anderes übrig, als diese Schritte nachzuvollziehen. Im gleichen Jahr 1949 hatte die Sowjetunion ihre erste Atombombe in Händen. Damit war das Monopol der USA gebrochen und das Land sicherer. Bereits ein Jahr später jedoch mischten sich die Amerikaner in asiatische Angelegenheiten ein und intervenierten im Koreakrieg. Die Sowjetunion schickte ein wenig materielle Unterstützung nach Nordkorea, beteiligte sich jedoch nicht mit der Armee, um einen direkten Schlagabtausch mit den USA zu verhindern. Unter Mithilfe von Mao Tse-Tung, der ebenfalls 1949 in China den Bürgerkrieg gewonnen und das Land damit kommunistisch gemacht hatte, konnten die Amerikaner davon abgehalten werden, Nordkorea zu zerstören.

1952 machte Stalin dem Westen ein letztes Angebot, die beschlossene Einheit Deutschlands doch noch herzustellen: großzügig verzichtete er darauf, die DDR im Ostblock zu halten, wenn der Westen dafür auch die BRD neutral beließe. Ein ähnliches Modell installierte man gerade in Österreich. Doch der Westen ging erwartungsgemäß nicht darauf ein, schließlich arbeitete man bereits mit Hochdruck daran, die BRD zu bewaffnen und damit zu einem Kampfinstrument in den Händen des Imperialismus' zu machen. 1955 wurde diese Politik offenkundig, als die Bundeswehr gegründet und die BRD in die NATO aufgenommen wurde, obwohl die Bevölkerung dagegen demonstrierte. Dem Ostblock blieb dadurch nichts anderes übrig, als ein Verteidigungsbündnis gegen die westliche Aggression zu installieren, den Warschauer Pakt, und die DDR ebenfalls zu bewaffnen. Die Teilung der Welt, vom Westen begonnen und aggressiv fortgeführt, war damit zu Ende. Nun würde sich erweisen müssen, welches System das stärkere war.

Literaturhinweise:
Harbutt Fraser - The Cold War Era
John Gaddis - Der Kalte Krieg. Eine neue Geschichte
Wilfried Loth - Die Teilung der Welt
Jürgen Bierling - Geschichte der amerikanischen Außenpolitik
Detlef Junker - Von der Weltmacht zur Supermacht. Amerikanische Außenpolitik im 20. Jahrhundert
Klaus Schwabe - Weltmacht und Weltordnung. Amerikanische Außenpolitik von 1898 bis zur Gegenwart
Bernd Stöver - Der Kalte Krieg 1947-1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters

Bildnachweise: 
Panzer in Russland - Kempe (CC-BY-SA)
Kursk - Alexpl (CC-BY-SA 3.0)
Berlin - unbekannt (CC-BY-SA 3.0)
China - sina.com (gemeinfrei) 

7 Kommentare:

  1. Dieser Ansatz zur Geschichts-Darstellung ist wirklich faszinierend. Jede der beiden Perspektiven für sich klingt schlüssig und einleuchtend und erst wenn man beide Perspektiven synoptisch liest, merkt man, dass da was nicht stimmen kann.

    Vielen Dank dafür!

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  2. alles Klar...und ich hoffe sehr, das sich die Geschichte nicht noch einmal wiederholt...einfach nur Frieden, Freiheit, Gereichtigkeit, Fairness und den schönen Planeten geniessen...

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  3. Tja, und interessanterweise dehnte sich die Nato, immer durch US-amerikanische Interessen bestimmt, immer weiter gen Osten aus und brach damit ebenfalls Versprechen. Man kann die Russen schon verstehen, dass sie ihre Gas-Pipeline als Druck-Mittel einsetzen.

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  4. Endlich kann man mal die andere Perspektive lesen. Danke für den Beitrag.
    Erwähnenswert währen vieleicht noch die Unterstützungslieferungen welche die UdSSR von den USA während des 2. Weltkrieges erhalten haben und dann von einem Tag auf den anderen eingestellt wurden, ohne Vorwarnung. Selbstverständlich wurden auch dringend benötigte Nahrungsmittellieferungen gestoppt.
    Weiter kann noch angefügt werden, dass die Russen den Amerikanern, wie von den Amerikanern vorgeschlagen, Südkorea überliessen. Sie stoppten den Vormarsch als die Amerikanischen Truppen noch lange nicht in Korea waren, und hielten so die Abmachung ein.

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  5. Nun gut, eingestellt wurden die Lieferungen erst mit Beginn der Konfrontation. Und die Teilung Koreas ist klar; aber 1945 und 1950 liegen Welten zwischen.

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  6. Bei den wirklich vielen hervorragenden Artikeln hier, markiert dieser einen besonderen Höhepunkt. Meine Hochachtung!


    Mit freundlichen Grüßen,


    Robert B.

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