Von Stefan Sasse
"Senat und Volk von Rom" |
Nach dem Sieg in den Punischen Kriegen stand die Römische Republik so stark da wie nie zuvor. Große Teile des Mittelmeerraums waren ihr untertan. Rom war eine riesige Stadt, die Metropole der antiken Welt, durch ein hochkomplexes Aquäduktsystem mit fließendem Wasser versorgt, größter Getreideimporteur und pulsierendes wirtschaftliches Zentrum. Es war nach der Niederlage Karthagos kein Gegner mehr übrig geblieben, der der Republik ernsthaft gefährlich werden konnte - sieht man einmal von den barbarischen Germanenstämmen ab, die im Zug der Kimbern und Teutonen in Italien einfallen sollten. Um 130 v.Chr. herum begann jedoch eine Phase zunehmender Instabilität, die die hergebrachte Ordnung der Republik erst bedrohte und schließlich zum Einsturz brachte. Ihr Ende ist untrennbar mit den Namen Caesar und Octavian verbunden; deren Schläge jedoch brachte ein System zum Einsturz, dessen Fundament bereits zuvor wackelig geworden war. Wie aber war dieses Fundament beschaffen, und was war es, das so korrodierte?
Die Römische Republik, wie sie sich im 3. Jahrhundert vor Christus herausbildete, war ein merkwürdiges Zwitterwesen, eine politische Mischform, die zweifelsfrei zu beschreiben und einzuordnen schon die zeitgenössischen Kommentatoren kaum in der Lage waren. Sie enthielt demokratische Elemente, etwa in der Volksversammlung (concilium plebis), in der keine Patrizier zugelassen waren und die etwa die geheiligten Volkstribunen wählte. Sie enthielt aber auch starke aristokratische Elemente, vor allem im Senat und der die wichtigen Wahlen durchführenden Zenturienversammlung (comitia centuriata). Und zu guter Letzt besaß sie in den Konsuln und ihrer Machtfülle zeitlich begrenzte monarchisch-autoritäre Elemente. Es ist durchaus möglich, dass es gerade diese Mischung war, die ihre außerordentliche Langlebigkeit erlaubte. Um sie genauer zu verstehen, müssen wir uns den republikanischen Aufbau etwas genauer ansehen.
Gracchus vor der Volksversammlung |
Die Versammlungen selbst dürfen wir keinesfalls mit demokratischen Gremien und Wahlen heutiger Tage verwechseln. Die comitia centuriata etwa war eine von der aristokratischen Elite vollständig dominierte Institution. Die Bürger, die nach ihrem Besitz äquivalent zu ihrer Militärverpflichtung in Zenturien eingeteilt wurden, stimmten innerhalb dieser Zenturien ab, woraufhin die Zenturie eine Stimme abgab. Da aber die Zenturien unterschiedlich viele Mitglieder hatten, konstituierten die reichsten 5% deutlich über die Hälfte der Zenturien - die ärmeren Bürger brauchten deswegen gar nicht erst zur Abstimmung zu gehen und taten dies auch selten. Selbst die Volkstribunen, die eigentlich ausschließlich von den plebs gewählt wurden, waren fast immer auf Linie des Senats, weil sie entweder hofften eines Tages dazu zu gehören (keine unrealistische Vorstellung) oder weil sie bereits der Nobilität angehörten. Auch das Amt des Volkstribunen war schließlich unbezahlt, und der Wahlkampf erforderte ein kleines Vermögen. Bei den häufig in populärhistorischen Darstellungen zu findenden Formulierungen wie "das Volk wählt" oder "das Volk bestimmt" ist also Vorsicht geboten, denn letzten Endes handelt es sich nur um die Aristokratie.
An der Spitze des Staatswesens standen zwei sich gegenseitig kontrollierende Konsuln. Sie wurden für ein Jahr gewählt, mussten ein bestimmtes Mindestalter erreicht und die Ämterlaufbahn (cursus honorum) abgeschlossen haben. Darunter befanden sich weitere Spitzenbeamte, die ebenfalls jeweils für ein Jahr gewählt wurden und die den cursus honorum konstituierten: Prätoren, Ädilen und Quästoren (von oben nach unten). Wer für das jeweils nächsthöhere Amt kandidieren wollte, musste zuvor die niedrigeren durchlaufen haben; zwischen den jeweiligen Ämtern war außerdem eine Karenzzeit von zwei Jahren einzuhalten. Natürlich ist dieser theoretische Aufbau eine idealisierte Reinform; immer wieder gab es Verstöße und Ausnahmen gegen diese Prinzipien, schon allein, weil eine schriftliche Verfassung und ein sie kontrollierender und durchsetzender Körper wie ein Verfassungsgericht fehlten.
Cicero in der Senatsversammlung |
Das höchste Gremium der Republik war der Senat, der aus anfangs 300, später 600, dann 900, dann 1000, dann wieder 600 Senatoren bestand. Diese Senatoren entstammten während der Blütezeit der Republik praktisch ausschließlich dem uralten, traditionsreichen Adel Roms. Diese Nobilität verfolgte ihre Ahnenreihe bis mindestens zur mythischen Gründung der Republik (wie die Brutier), meist aber bis Aeneas (wie die Julier) oder sogar direkt zu den Göttern zurück. Es handelte sich also um einen reichlichen exklusiven Club der Creme de la Creme. Um es dabei zu belassen, gab es zwei Barrieren: einerseits musste man Millionär sein, um in den Senat zu gelangen, also ein nachgewiesenes Vermögen von mindestens einer Million Sesterze haben. Dem lag die Idee zugrunde, dass nur Leute mit Besitz es zu etwas gebracht hatten und sich für die Belange der Republik einsetzen konnten (das lateinische "res publica" heißt nicht umsonst wörtlich übersetzt "öffentliche Sache"). Da die Ämter nicht bezahlt waren, ja man von den Amtsinhabern den Einsatz eigenen Vermögens erwartete, war dieses Vermögen eine zwingende Voraussetzung.
Das andere Mittel der Erhaltung der Exklusivität des Senats war die Zensur. Für jeweils fünf Jahre eingesetzte Zensoren sorgten dafür, dass nur einwandfrei Bürger im Senat saßen. Ausschweifender Lebensstil, außereheliche Affären, kriminelle Tätigkeiten, schlechtes Benehmen - all das zerstörte die Würde, die dignitas, des Senators und machte ihn für das Amt ungeeignet. Auch hierbei handelt es sich um eine ideale Zustandsbeschreibung; die tausenden von Skandalgeschichten, die alleine bis heute überliefert sind zeigen, dass es sich um reichlich graue Theorie handelte und dass Zensoren wie Cato die Ausnahme und nicht die Regel waren. Zumindest nach außen hin den Schein der dignitas zu wahren war allerdings essenziell; verlor ein Senator seine dignitas, blieb ihm nur der Rückzug aus dem öffentlichen ins private Leben; ein Comeback war praktisch ausgeschlossen und extrem selten. Damit sind wir beim dritten, entscheidenden und nie offiziell kodifizierten Element der Funktionsweise der Republik: dem steten Wettkampf der Aristokratie um Ruhm.
Römischer rep. Legionär |
Denn nichts war so wichtig für einen römischen Aristokraten wie Ruhm. Geld war unbedeutend; man hatte es ohnehin, und für Gelderwerb auch nur einen Finger zu krümmen war der Tod der dignitas. Sich Kunst und Kultur hinzugeben war griechisch (will heißen: verweichlicht) und deswegen ebenfalls der dignitas abträglich. Entsprechend konzentrierte sich der Adel auf die Mehrung von Ruhm. Er tat dies durch das Erlangen von Macht in zwei Arenen: der politischen und der militärischen. Beide waren streng getrennt und zugleich eng verflochten, und bis heute ist dieser Widerspruch im Wesen der Republik nicht zweifelsfrei geklärt. Bevor ein Aristokrat nämlich an eine Bewerbung für das Quästorenamt auch nur denken konnte, musste er seinen Militärdienst abgeleistet haben. Am besten war, wenn er sich dabei auch gleich bereits Ruhm erworben hatte, etwa durch einen Sieg mit den ihm unterstellten Truppen, die Plünderung einer reichen Stadt oder Ähnlichem.
Das Militär der Republik war eine Bürgerarmee. Jeder römische Bürger konnte zur Armee eingezogen werden; seine Ausrüstung musste er selbst stellen. Je reicher ein Bürger war, desto besser die Ausrüstung und desto prestigeträchtiger seine Position in der Armee (etwa Reiterei oder schwere Infantrie). Am Ende eines Feldzugs, der traditionell im Sommer nach der Ernte durchgeführt wurde, erhielt der Soldat einen Anteil an der Beute und kehrte auf seinen Hof zurück. Rom selbst war eine militärfreie Zone: es gab keine bewaffnete Polizei, und Soldaten durften die Stadt nicht in Ausrüstung betreten, ebensowenig ihr Oberbefehlshaber (mit der Ausnahme des Triumphzugs, der vom Senat genehmigt werden musste). Die Stadt war von einer Reihe weißer Steine umgeben, die diese Grenze visuell abzeichneten. Ein Befehlshaber überschritt diese Grenze nach außen in Toga und legte die Rüstung erst im Feldlager an, während er umgekehrt das Kommando über die Armee abgeben und die Rüstung ausziehen musste, um die Stadt betreten zu dürfen. Trotz dieser regelrechten Scheu vor allem militärischen in ihrer eigenen Hauptstadt aber war die Republik ein aggressives Staatswesen, das beständig Kriege führte.
Röm. Legionär, 3. Jhd. n. Chr. |
Die Eroberungen dieser Kriege - erst Italien, dann Teile Südfrankreichs, Spaniens, Illyriens und Nordafrikas - waren dabei eher Nebenprodukt. Den Aristokraten, die diese Kriege führten, ging es vor allem um den Ruhm, den Legionären, die sie kämpften, ging es um die Beute. Dieses Arrangement funktionierte, solange es Feinde in annehmbarer Distanz gab und die Beute reichlich ausfiel. Die ersten Probleme taten sich auf, als die Kriege länger dauerten und weiter entfernt stattfanden. Die Bürgersoldaten konnten so niemals mehr ihre Höfe nur zwischen Ernte und Aussaat verlassen. Zum Glück für die Republik aber stellte dies wegen der demographischen Entwicklung kein größeres Problem dar. Die Bevölkerung wuchs schnell, und die Höfe konnten, um wirtschaftlich zu bleiben, ohnehin nur an den jeweils ältesten Sohn vererbt werden. Die anderen fanden dann wenigstens ein zeitweises Auskommen in der Armee (oder fielen).
Auch in der politischen Arena wetteiferten die Aristokraten um Ruhm, um ihre eigene dignitas zu mehren und zu erhalten. Das römische Glaubenssystem war stark auf das Dieseits ausgerichtet; eine echte Jenseitsvision fehlte vollständig. Eine Hauptmotivation vieler Aristokraten war daher, wenigstens im Nachruhm unsterblich zu werden. Befeuert wurde diese Art des Wettbewerbs dadurch, dass wer Ruhm erlangte - etwa durch einen siegreichen Feldzug - nicht nur einen Triumphzug (Mindestbedingung: 5000 getötete Feinde) gestattet bekam, sondern auch die Genehmigung, Tempel, Säulen und andere Monumente zu errichten und seinen Namen und seine Taten an seinem Privathaus zu verewigen. Solcherart entstandene steinerne Gedenkmäler durften per Gesetz niemals mehr entfernt werden. Selbst wenn Paullus aus der Familie der Ämilier nach seinem gewaltigen Sieg irgendwann sein Haus verkauft hätte, in dessen Fassade er die Geschichte seiner Taten verewigen durfte - der neue Besitzer hätte diese Zeugnisse nicht entfernen dürfen.
Tiberius Gracchus |
Mit dieser Struktur wuchs und gedieh die Republik. Es soll nicht verschwiegen werden, dass dies auf Kosten ihrer Nachbarn geschah. Das kriegslustige Staatswesen mit seiner kompetitiven Aristokratie sorgte für konstanten Nachschub an gewalttätigen Feldzügen, für die die Erringung von Beute - und damit Plünderung und Versklavung - vordringlich waren. Über die Zeit aber integrierte die Republik die geschlagenen Feinde. Die italischen Stämme beispielsweise wurden zu den comites, den Bundesgenossen, Roms und stellten bald 60% der Truppen. Zwar brauchte es einen Bürgerkrieg, der das Land fast an den Rand der Vernichtung trieb, bis der Senat zustimmte den Bundesgenossen das Bürgerrecht zu verleihen. Am Ende aber siegte ihre Integrationskraft, wurde der große Kompromiss der Römer noch einmal bestätigt. Was also war es, das das Fundament der Republik gegen Ende des 2. Jahrunderts vor Christus so sehr ins Wanken brachte, dass es 80 Jahre später einstürzte?
Dies werden wir im zweiten Teil dieses Artikels erörtern.
Literaturhinweise:
Bildnachweise:
SPQR - Lamré (GNU 1.2)
Gracchus Volksversammlung - unbekannt (gemeinfrei)
Cicero - Cesare Maccari (gemeinfrei)
Legionär - Khaerr (gemeinfrei)
Legionär Reenactment - Matthias Kabel (gemeinfrei)
Gracchus - Guilleaume Rouille (gemeinfrei)
Hey,
AntwortenLöschenIst das in Bild 5 nicht eher ein Legionär aus dem 3 Jahrhundert nach Christus?
Das Bild taucht auch in der Wikipedia im Artikel über die Comitatenses auf. Mit Quellenangabe.
MFG
Paul
My bad. Aber die Quellenangabe habe ich unter Bildnachweise drin. Ich ändre das Datum.
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