Mittwoch, 3. August 2011

Der internationale Nazi-Vergleich und seine Helfershelfer

Von Stefan Sasse  

Geißler (hier 2007) sprach über S21 vom "Totalen Krieg"
Die Überschrift steht symbolisch für das Problem: ich habe einen Nazi-Vergleich verwendet. Shocking! Darf ich das? Ist es ein keckes Wortspiel, mit dem ich den Leser gleich am Anfang aufmerksam mache, oder ein völlig geschmackloser, unangemessener Vergleich, der den Opfern des Dritten Reichs Hohn spricht? Wäre ich ein Politiker oder eine andere Figur des öffentlichen Lebens, so wäre die Sache klar: Nazi-Vergleiche sind ein absolutes No-Go-Area. Nicht verwenden. Nie, unter keinen Umständen. Wenn sie doch rausrutschen: nicht rechtfertigen, sofort entschuldigen. War unangemessen, blöd, kommt nicht wieder vor. Alles andere führt in ein sicheres PR-Desaster, das erfährt Heiner Geißler, der es eigentlich besser wissen müsste, mit seinem Geschwätz vom Totalen Krieg bei der Stuttgart-21-Schlichtung. Aber wie steht es generell um Vergleiche und Wortspiele mit Nazis, wo Walter Moers seinen Zeichentrick-Hitler im "Bonker" verkünden lassen kann, dass ihm der Zweite Weltkrieg keinen Spaß mehr macht und Helge Schneider eine unlustige Hitler-Parodie abliefert? Darf man so was inzwischen? Oder eher nicht?

Generell rate ich von Nazi-Vergleichen ab. Historisch sind sie eigentlich immer falsch. Die Dimensionen der Nazi-Verbrechen wurden so bisher nicht mehr erreicht, allenfalls die Roten Khmer kommen in die gleiche Region. Jeden kleinen Möchtegerndiktator mit Hitler zu vergleichen (man denke nur an den Vergleich Hitlers mit Saddam Hussein 2003) relativiert nur dessen Verbrechensausmaße, jede ethnische Gewalt mit Auschwitz zu vergleichen (etwa Fischers berühmtes Wort bezüglich "Nie wieder Auschwitz" um den Kosovo-Krieg zu rechtfertigen) relativiert letztlich nur das singuläre Ereignis des Holocausts.

Kohl (hier 1987) verglich Gorbatschow mit Goebbels
Trotzdem bleibt offenkundig, dass Nazi-Vergleiche und Wortspiele mit Schlagwörtern aus dem Dritten Reich in den letzten Jahren zugenommen haben und kaum mehr Aufsehen abseits der öffentlichen Empörungsmaschinerie erregen. Dies hat klar definierbare Ursachen. Zum Einen ist der Zweite Weltkrieg nun so lange her, dass es in den meisten Familien bereits keine Zeitzeugen mehr gibt. Zum Zweiten wird die Generation der berühmten 68er, in denen der Kampf gegen Relativierung des Holocaust und die Aufarbeitung der Verbrechen am Heftigsten geführt wurde, zur Zeit selbst zu Großeltern. Es ist also eine Generation herangewachsen, für die auch die Auseinandersetzungen um die Deutung des Dritten Reiches reine Vergangenheit sind. Wenn aber ein immer stärker wachsender Bestandteil der Bevölkerung weder irgendeine persönliche Berührung mit der Geschichte des Dritten Reichs noch mit seiner Aufarbeitung hat, so sind entsprechende Sensibilitäten auch kaum mehr vorhanden.

Trotzdem - oder gerade deswegen - ist diese Generation mit einer ausgeprägten Ikonographie des Dritten Reiches aufgewachsen. Viele Schlagwörter, Phrasen und Bilder sind zumindest grob bekannt, sei es der "Totale Krieg", sei es das Zurückschießen um 5.45 Uhr oder das Bild des Lagereingangs von Auschwitz. Die große Entfernung zu diesen Ereignissen aber macht sie letztlich zu Geschichte; prominenter und stetig eingebläuter Geschichte zwar, aber Geschichte nichtsdestoweniger. Meine Prognose ist, dass Nazi-Vergleiche und Wortspiele in Deutschland zunehmen und in die Alltagssprache integriert werden, wie dies in anderen Ländern auch der Fall ist (man bedenke nur die unzähligen "[Wort]-Nazi" Verbindungen im Englischen). Das wird sich nicht verhindern lassen, und das Beharren auf den alten Konventionen wird nur eine offizielle, vom Alltag losgelöste Sprachregelung schaffen. Es ist an uns als historisch interessierten Menschen, dafür zu sorgen, dass hinter dieser Entwicklung keine schleichende Relativierung von Drittem Reich und Holocaust stattfindet. Zu versuchen, diese Entwicklung aufzuhalten, ist allerdings ein Kampf gegen Windmühlenflügel.

Bildnachweise: 
Geißler - Inforadio (gemeinfrei)
Kohl - Engelbert Reineke (CC-BY-SA 3.0)


6 Kommentare:

  1. Juergen Möllemann3. August 2011 um 09:31

    Nicht zu vergessen leben in Deutschland 8 Mio Ausländer und 16 Mio haben einen Migrationshintergrund. Offenbar ist bei denen die Antifaschistische Hirnwäsche vorbei gegangen? Ich denke hier müssen wir noch einiges tun. Die Amerikaner haben nicht ohne Grund angst vor dem Auferstehen der Nazis - als Zombis.

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  2. Mit Nazi-Vergleichen sollte sich H. Geißler doch auskennen.
    http://einestages.spiegel.de/static/entry/_seit_goebbels_der_schlimmste_hetzer_im_land/71606/kulenkampff_und_geissler.html?o=position-ASCENDING&s=7&r=1&a=17381&c=1

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  3. Frage habe!! Sind wir nicht alle Nazis??Sind wir nicht alle Opportunisten, Phlegmatiker, Faschisten. Sind wir nicht alle Weltbürger??
    Wenn wir das alles sind sind wir auch alle Demokraten,Optimisten,Antifaschisten!!
    Wie innen so außen.

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  4. Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass Geißler diese Aussage schaden wird. Ganz einfach, weil der Hype darum komplett gekünstelt wirkt.
    Ja, der Spruch stammte von Goebbels. Aber der Zusammenhang ist hier ein drastisch anderer. Es macht doch einen Unterschied, ob man diese rhetorische Frage einem aufgeputschtem Publikum zubrüllt, um anschließend vor Begeisterung niedergeschrien zu werden, oder ob man auf diese Frage rhetorisch stellt und ganz offensichtlich genau den gegenteiligen Effekt erreichen will.

    Die Diskussion um diese Aussage Geißlers ist auch deswegen ein Sturm im Wasserglas, weil Geißler des Nationalsozialismus' unverdächtig ist.

    Auch scheint das Vorkommnis mir für die meisten großen Zeitungen eher eine Randnotiz zu sein. Geißler hat da was gesagt, gut, das wird in ein paar Zeilen abgehandelt ohne dass es ein großes Drama wäre. Einzig der Spiegel hackt aus irgendeinem Grund stärker auf der Sache herum und versucht, daraus noch irgendeine wirklich relevante Nachricht zu machen. Ansonsten bleibt es im Netz erstaunlich ruhig; meiner Ansicht nach ein Indiz dafür, dass es so schlimm nicht gewesen sein kann.

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  5. @Anonym: Nein.
    @Anonym: Geißler war für mich auch mehr der Anlass für die Beschäftigung mit der Frage generell als dass ich den Artikel nur um seinen Kommentar geschrieben hätte; daneben war es aber trotzdem.

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  6. Ich stimme zu : Nazi-Vergleiche können grundsätzlich schon gezogen werden, aber sie sind fast nie angemessen. Den Streit der Stuttgarter mit dem Bahn-Unternehmen mit dem "Volkssturm" des Zweiten Weltkrieges zu vergleichen ist komplett hirnrissig, unpassend und grade jemand in einem solch hohen Alter sollte es eigentlich besser wissen.

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