Freitag, 29. Dezember 2023

Rezension: Shlomo Venecia - Inside the Gas Chambers. Eight Months in the Sonderkommando of Auschwitz (Teil 1)

 

Shlomo Venecia - Inside the Gas Chambers. Eight Months in the Sonderkommando of Auschwitz (Hörbuch)

Der Holocaust gehört zu den historischen Ereignissen, die man wohl als die am weitesten bekannte und theoretisch best erforschte betrachten dürfte. Trotzdem ist das Wissen über den industriellen Massenmord an den Juden Europas erstaunlich dünn und oberflächlich, was selbst eigentlich versierten Menschen immer wieder klar wird, wenn sie sich den Details des grausigen Geschehens stellen. Angesichts der steigenden Zahlen von Holocaust-Relativierung und Holocaust-Leugnung ist gerade diese Auseinandersetzung immer wieder geboten, und aus historischer Perspektive schon alleine deswegen interessant, weil das Geschehen des singulären Ereignisses meist nur abstrakt bekannt ist. Sechs Millionen tote Juden - eine, wie das Vorwort feststellt, eher konservative Schätzung - sind eine Statistik. Weder die Schicksale dahinter noch die Abläufe des Massenmords werden dahinter sichtbar. Ein Mosaikstein dieser Abläufe ist die Arbeit der Sonderkommandos, der jüdischen Arbeiter, die die Drecksarbeit erledigten. Shlomo Venecia, italienisch-stämmiger Jude aus Griechenland, ist einer der wenigen Überlebenden der Sonderkommandos. Dieses Buch erzählt seine Geschichte.

Freitag, 15. Dezember 2023

Rezension: Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society

 

Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society (Hörbuch)

"Zustände wie im Mittelalter" ist ein geflügeltes Wort, um vage rückständige und unattraktive Zustände zu beschreiben. Dabei wissen wir sehr wenig über diese Epoche und arbeiten oft mit Klischees, die Autoren aus der Renaissance und der Neuzeit prägten, um ihre eigene Zeit in strahlenderem Licht erscheinen zu lassen. Eleanor Janega hat es sich bereits seit Längerem zur Aufgabe gemacht, Fehlvorstellungen über das Mittelalter zu korrigieren. Auf ihrem Blog "Going Medieval" veröffentlicht sie immer wieder solche Betrachtungen. Nun liegt ein Buch von ihr vor, in dem sie die Rollenbilder von Frauen im Mittelalter untersucht - ihre ideengeschichtlichen Ursprünge, die Schönheitsideale, Sexualität, Arbeitswelt und natürlich die Frage, warum uns das alles heute überhaupt noch interessieren sollte.

Montag, 11. Dezember 2023

Rezension: Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society (Teil 2)

 

Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society (Hörbuch)

Teil 1 hier.

Dem Orgasmus kam dabei eine überraschend wichtige Rolle zu, weil in der Überzeugung der Zeitgenoss*innen galt, dass ohne ihn keine Empfängnis möglich sei. Anders als etwa in der Antike mussten BEIDE Partner Lust empfinden und zum Höhepunkt kommen. Es war die Aufgabe des Mannes, ihn zu empfinden (also selbst fähig zu sein) und ihn bei der Frau herbeizuführen, und zwar ausschließlich vaginal (weil alles andere ja bedeuten würde, dass Sex auch Spaß macht, und das war wiederum supekt). Bevor man sich aber zu sehr über dieses scheinbar progressive Element freut: es hatte den nicht unerheblichen Nachteil, dass man davon ausging, dass Vergewaltigungen oder Prostitution ohne Schwangerschaft ausgingen, wenn Frauen es nicht genießen würden - und da wir heute wissen, wie die Natur funktioniert, können wir uns die Folgen dieses Irrtums sehr gut ausmalen.

Freitag, 8. Dezember 2023

Rezension: Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society (Teil 1)

 

Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society (Hörbuch)

"Zustände wie im Mittelalter" ist ein geflügeltes Wort, um vage rückständige und unattraktive Zustände zu beschreiben. Dabei wissen wir sehr wenig über diese Epoche und arbeiten oft mit Klischees, die Autoren aus der Renaissance und der Neuzeit prägten, um ihre eigene Zeit in strahlenderem Licht erscheinen zu lassen. Eleanor Janega hat es sich bereits seit Längerem zur Aufgabe gemacht, Fehlvorstellungen über das Mittelalter zu korrigieren. Auf ihrem Blog "Going Medieval" veröffentlicht sie immer wieder solche Betrachtungen. Nun liegt ein Buch von ihr vor, in dem sie die Rollenbilder von Frauen im Mittelalter untersucht - ihre ideengeschichtlichen Ursprünge, die Schönheitsideale, Sexualität, Arbeitswelt und natürlich die Frage, warum uns das alles heute überhaupt noch interessieren sollte.

Mittwoch, 6. Dezember 2023

Rezension: Wolfgang Will - Alexander der Große. Geschichte und Legende

 

Wolfgang Will - Alexander der Große. Geschichte und Legende

Es ist wohl keine Übertreibung festzustellen, dass Alexander der Große eine der mythenumranktesten Personen der Weltgeschichte ist. Bereits im antiken Rom erfüllte er eine narrative Rolle, die durchaus mit Marvel-Superhelden vergleichbar ist, war Vorbild und Gegenstand historischer Diskussionen. Merkreime wie "333 - Bei Issos große Keilerei" bestimmten Jahrzehnte den Geschichtsunterricht, in dem weitgehend unkritisch gelernt wurde, dass Alexander den Gordischen Knoten durchschlug und im Suff einen seiner besten Freunde erschlug. Dabei ist erstaunlich, wie wenig tatsächlich über den König bekannt ist - während die Frage, ob er das Attribut "der Große" überhaupt verdient, eine Standardfrage im modernen Geschichtsunterricht darstellt (während die breite Öffentlichkeit ihr Interesse an ihm wie an der Antike generell weitgehend verloren hat). Wolfgang Will hat es sich in diesem schmalen Band zur Aufgabe gemacht, die bekanntesten Mythen auf ihren Wahrheitsgehalt zu untersuchen. 

Montag, 4. Dezember 2023

Rezension: Frank Bösch - Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann

 

Frank Bösch - Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann

Die Frage, wann die Moderne beginnt, ist eine in der Geschichtswissenschaft hochumstrittene. Der untere Rand des Spektrums wird üblicherweise durch die Aufklärung und die bürgerlichen Revolutionen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts gebildet. Frank Bösch legt die Latte in seinem vorliegenden Buch wesentlich höher: er lässt unsere moderne Welt 1979 beginnen. Dabei behauptet er nicht, dass Schlag am 1.1.1979 ein neues Zeitalter anbrach, sondern eher, dass in dieses Jahr viele Ereignisse fielen, deren Genese und Folgewirkungen besonders prägend waren. Diese Ereignisse und Dynamiken, die üblicherweise fernab deutscher Grenzen stattfanden, hatten doch immer Rückwirkungen auf das damals noch geteilte Deutschland. Trotz des internationalen Ansatzes der Ereignisse legt er daher den Schwerpunkt darauf, ihre Auswirkungen auf die beiden Deutschland zu beschreiben. Inwieweit dieser Ansatz trägt, soll die folgende Rezension erkunden.

Freitag, 1. Dezember 2023

Rezension: Frank Bösch - Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann (Teil 3)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier.

In Kapitel 8, "Die zweite Ölkrise", geht es dann endlich zu dem Ereignis, das die anderen Kapitel immer wieder berührte: die zweite Ölkrise. Bösch beginnt sinnigerweise mit einem Rückblick auf die Ölkrise 1973. Diese kam nicht aus dem Nichts; die Ölpreise waren bereits seit den 1960ern im Anstieg, was ein ganzes Bündel von Ursachen hatte und für das auf das billige Öl angewiesene Wirtschafts- und Wachstumssystem des Westens ein Anzeichen für Probleme wenigstens hätte sein sollen. Der eigentliche Ölboykott im Rahmen des Jom-Kippur-kriegs diente den westlichen Regierungen dann als praktischer Sündenbock, um eigene Versäumnisse zu übertünchen (ein Schelm, wer da Parallelen zur heutigen Situation erkennen möchte).

Mittwoch, 29. November 2023

Rezension: Frank Bösch - Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann (Teil 2)

 

Teil 1 hier.

Die Haltung des Westens gegenüber China hatte sich bereits in den 1970er Jahren geändert, weil der Wandel der Beziehung zu Moskau durch Pekings 180-Grad-Wende die Nutzung von China als Hebel gegen die UdSSR erlaubte. Auf diese Art wurde die Volksrepublik vom Feind plötzlich zum Verbündeten der USA und damit der Konservativen. Doch auch die Linken entdeckten ab 1968 eine Liebe zu dem Land, weil die Ernüchterung über den Charakter des Sowjetkommunismus, die spätestens mit dem Prager Frühling weite Teile der europäischen Linken erfasst hatte, zu einem Umschwenken vom Leninismus auf den scheinbar "reineren" und "unverfälschteren" Maoismus ermöglichte. Umgekehrt lief es entsprechend für das sozialistische Deutschland, dessen Beziehungen zu Peking sich drastisch verschlechterten.

Montag, 27. November 2023

Rezension: Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games

 

Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Hörbuch)

Noch immer sind Videospiele ein vergleichsweise junges Medium. Wenn sie überhaupt als Kunst anerkannt werden, dann üblicherweise in einem sehr eingeschränkten Rahmen. Diejenigen, die das ändern wollen, versuchen durch allerlei Meinungsstücke, Analysen und Geschichtsschreibung, hier Fortschritte zu machen. Ein solcher Versuch liegt mit „Replay“ vor, dessen Autor Tristan Donovan versucht, eine Gesamtgeschichte des Mediums vorzulegen, die sich vor allem auf die Innovationen und wichtigen Entwicklungsschritte und weniger auf die berühmtesten und bekanntesten Titel fokussiert.

Rezension: Frank Bösch - Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann (Teil 1)

 

Frank Bösch - Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann

Die Frage, wann die Moderne beginnt, ist eine in der Geschichtswissenschaft hochumstrittene. Der untere Rand des Spektrums wird üblicherweise durch die Aufklärung und die bürgerlichen Revolutionen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts gebildet. Frank Bösch legt die Latte in seinem vorliegenden Buch wesentlich höher: er lässt unsere moderne Welt 1979 beginnen. Dabei behauptet er nicht, dass Schlag am 1.1.1979 ein neues Zeitalter anbrach, sondern eher, dass in dieses Jahr viele Ereignisse fielen, deren Genese und Folgewirkungen besonders prägend waren. Diese Ereignisse und Dynamiken, die üblicherweise fernab deutscher Grenzen stattfanden, hatten doch immer Rückwirkungen auf das damals noch geteilte Deutschland. Trotz des internationalen Ansatzes der Ereignisse legt er daher den Schwerpunkt darauf, ihre Auswirkungen auf die beiden Deutschland zu beschreiben. Inwieweit dieser Ansatz trägt, soll die folgende Rezension erkunden.

Freitag, 24. November 2023

Rezension: Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Teil 3)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier.

Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Hörbuch)

Die technischen Voraussetzungen allerdings wurden mit dem Sprung in die Dreidimensionale, wie Kapitel 20, "The Ultimate Display", zeigt, immerhin grundsätzlich geschaffen. Polygone und Bitmapping stellten Durchbrüche in der Grafiktechnologie dar, die den Computer ab Ende der 1980er Jahre erstmals wesentlich mächtiger machten als Konsolen (wenngleich dies VGA-Grafikkarten erforderte, die damals noch nicht weit verbreitet waren). Diese Technologie wurde von  id Software zur Meisterschaft gebracht. Mit der Jump'n'Run-Reihe "Commander Keen" schufen sie farbenfrohe Actionwelten, die man bisher nur aus den Arkaden kannte. Wesentlich relevanter aber war der Sprung in den dreidimensionalen Raum, der mit "Wolfenstein 3D" erreicht wurde (neben einem weiteren Skandal über Gewalt und das Zeigen nationalsozialistischer Propaganda). "Doom" perfektionierte das Genre 1993 und führte das Deathmatch ein, das 3D-Shooter zu dem Internetphänomen der Zeit machte; "Quake" würde später auf diesem Erfolg aufbauen. Der Erfolg der Firma gründete sich zu nicht unerheblichen Teilen auf dem Rockstar-Image des Firmengründers John Romero, der dem Ganzen eine glamouröse Übersteigerung gab.

Mittwoch, 22. November 2023

Rezension: Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Teil 2)

 

Teil 1 hier.

Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Hörbuch)

In Kapitel 11, "Macintonshization", wendet sich Donovan der niederländischen Cracking- und Demoszene zu. Die niederländischen Computer-Geeks waren besonders gut darin, Programme zu cracken, um Kopierschutzversuche zu umgehen, und diese dann zu teilen. Die idealistischen Grundlagen der Szene schufen aber gleichzeitig eine neue Subkultur und ein neues Genre, die Demo: auf der einen Seite war dies eine Testversion des Programmes, auf der anderen Seite nutzten die Programmier*innen aber das Cracken, um ihre eigenen Fähigkeiten zu zeigen. Viele der Cracker*innen fanden dann auch Jobs bei den Firmen, deren Produkte sie "crackten" und oft verbesserten (was in der "Demo" dann vorgeführt wurde).

Montag, 20. November 2023

Rezension: Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne

Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne

Der Begriff der Moderne ist ein unglaublich normativ aufgeladener. Um die Jahrhundertwende das erste Mal benutzt, kennzeichnete er Entwicklungsprozesse des 19. Jahrhunderts in einer stark eurozentrischen Perspektive. Die Zeitgenossen, allen voran Karl Marx und Max Weber, gingen davon aus, dass es einen bestimmten Weg in die Moderne gebe, der nur temporal versetzt wahrgenommen werde. Er zieht sich über die Industrialisierung hin über die Nationalstaatsbildung zu einer gesellschaftlichen Modernisierung. Diese These ist mittlerweile überholt. Bereits zu Webers Lebzeiten fiel Sombart auf, dass die USA nicht über eine sozialistische Bewegung verfügten, wie sie für Europa so typisch war. Über das 20. Jahrhundert zeigte sich, dass weder der Prozess der Nationalstaatsbildung noch die Modernisierung in anderen Teilen der Welt dem europäischen oder amerikanischen Vorbild folgen mochte. Stattdessen gibt es eine Vielfalt von Modernisierungen, die Komparativ untersucht werden müssen. Um die Jahrtausendwende unternahm Shmuel Eisenstadt in einer viel beachteten Vorlesungen, die er später in das vorliegende Buch umwandelte, Genau diesen Versuch.

Mittwoch, 15. November 2023

Rezension: Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Teil 1)

 

Tristan Donovan - Replay: The History of Video Games (Hörbuch)

Noch immer sind Videospiele ein vergleichsweise junges Medium. Wenn sie überhaupt als Kunst anerkannt werden, dann üblicherweise in einem sehr eingeschränkten Rahmen. Diejenigen, die das ändern wollen, versuchen durch allerlei Meinungsstücke, Analysen und Geschichtsschreibung, hier Fortschritte zu machen. Ein solcher Versuch liegt mit „Replay“ vor, dessen Autor Tristan Donovan versucht, eine Gesamtgeschichte des Mediums vorzulegen, die sich vor allem auf die Innovationen und wichtigen Entwicklungsschritte und weniger auf die berühmtesten und bekanntesten Titel fokussiert.

Montag, 13. November 2023

Rezension: Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne (Teil 3)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier.

Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne

Als Nächstes wendet sich Eisenstadt den historischen Wurzeln der Meiji-Restauration zu. Sie ähnelt für ihn den klassischen westlichen Revolutionen, weil ein bestehender Herrscher vollständig abgesetzt wird. Gleichzeitig benötigte sie eine Legitimation wegen ihres zutiefst gesellschaftsverändernden Programms. Dieses war seiner Natur nach modern und versuchte Japan für die Moderne bereit zu machen und dem Land einen Rang in der Welt einzuräumen. Die neue Ideologie ich liebe dich betonte deswegen die Gleichheit aller Japaner. Dieser gleichheitsbegriff unterschied sich allerdings vom westlichen und war „funktional egalitär“, indem er es allen ermöglichte, die Pflichten der Samurai zu erfüllen. Theologische und sakrale Elemente fanden dagegen praktisch keinen Einfluss. Stattdessen wurde der Nationalstaat stark ethnisch definiert. Das japanische Kollektiv wurde dabei als unvergleichlich und einzigartig definiert, weil sie meine Veranlagung zum Rassismus gab, 27. Jahrhundert mörderische Folgen haben würde. Stets aber gehörte die Idee, dass das Land mit der Zeit gehen müsse, was Technologien und ähnliche Veränderungen anbelangte, mit zu dieser neuen Ideologie. Mein versuchte, eine Zweckrationalität auf der einen Seite von einer Werttraditionalität auf der anderen Seite zu trennen.

Mittwoch, 8. November 2023

Rezension: Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne (Teil 2)

 

Teil 1 hier.

Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne

Als Nächstes wendet sich Eisenstadt der Grundlegung der amerikanischen Institutionen in der Jackson Ära zu. In dieser Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts bildeten sich die meisten der von ihm beschriebenen Strömungen heraus. Der große Unterschied zwischen der Jacksonian Ära und der vorangegangenen republikanischen liegt für Eisenstadt vor allem im Expansionsstreben der USA. Nicht nur breitete sich das Land geographisch und territorial aus, sondern es begann durch eine breitere Einwanderung auch eine Art demographische Expansion.

Montag, 23. Oktober 2023

Rezension: Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne (Teil 1)

 

Shmuel N. Eisenstadt - Die Vielfalt der Moderne

Der Begriff der Moderne ist ein unglaublich normativ aufgeladener. Um die Jahrhundertwende das erste Mal benutzt, kennzeichnete er Entwicklungsprozesse des 19. Jahrhunderts in einer stark eurozentrischen Perspektive. Die Zeitgenossen, allen voran Karl Marx und Max Weber, gingen davon aus, dass es einen bestimmten Weg in die Moderne gebe, der nur temporal versetzt wahrgenommen werde. Er zieht sich über die Industrialisierung hin über die Nationalstaatsbildung zu einer gesellschaftlichen Modernisierung. Diese These ist mittlerweile überholt. Bereits zu Webers Lebzeiten fiel Sombart auf, dass die USA nicht über eine sozialistische Bewegung verfügten, wie sie für Europa so typisch war. Über das 20. Jahrhundert zeigte sich, dass weder der Prozess der Nationalstaatsbildung noch die Modernisierung in anderen Teilen der Welt dem europäischen oder amerikanischen Vorbild folgen mochte. Stattdessen gibt es eine Vielfalt von Modernisierungen, die Komparativ untersucht werden müssen. Um die Jahrtausendwende unternahm Shmuel Eisenstadt in einer viel beachteten Vorlesungen, die er später in das vorliegende Buch umwandelte, Genau diesen Versuch.

Freitag, 20. Oktober 2023

Rezension: Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts

 

Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts

Als Christopher Bayly 2004 sein Mammutwerk "Die Geburt der Modernen Welt: Eine Globalgeschichte von 1790 bis 1914" vorlegte, rief er damit ein großes Echo hervor. Die Idee einer Globalgeschichte selbst war für viele Jahrzehnte in der Geschichtswissenschaft außer Mode gekommen und in einer unseriösen Ecke verschwunden, nicht ganz bei kontrafaktischer Geschichtsschreibung, aber doch sehr nahe dran. Bayly allerdings ging mit solcher Sachkenntnis und methodischer Qualität vor, dass sein Werk kaum ignoriert werden konnte und viel diskutiert wurde. Ich habe es seinerzeit gelesen, aber ich muss zugeben, dass es mich damals überforderte. Seither steht es bei mir im Regal und verlangt vorwurfsvoll, noch einmal gelesen zu werden. Dieses Unterfangen ist mit dem Erscheinen von Jürgen Osterhammels ebenfalls nicht unbedingt schlanken Wälzer "Die Verwandlung der Welt" nicht eben nähergerückt. Denn Osterhammel hat 2020 sozusagen seine persönliche Antwort auf Bayly vorgelegt.

Montag, 16. Oktober 2023

Rezension: Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (Teil 13)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier, Teil 6 hier, Teil 7 hier, Teil 8 hier, Teil 9 hier, Teil 10 hier, Teil 11 hier, Teil 12 hier.

Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts

Der Schluss, „Das 19. Jahrhundert in der Geschichte“, beginnt mit der Feststellung, dass das Jahrhundert eine Zeit der Selbstreflexionen gewesen sei. Die Zeitgenossen machten sich permanent Gedanken über ihren eigenen Standort in der Zeit und die Charakteristik ihrer Gegenwart. Osterhammel macht sich dann an die Deutungsangebote des Begriffs der Moderne und weist darauf hin, dass Eisenstadts „multiple Modernen“ der wohl einzig sinnvolle Ansatz sind, den Begriff zu fassen. Was überhaupt mit Moderne gemeint ist, wie sie sich abstufen lässt und wo sie stattfand wurde in der Vergangenheit endlos debattiert, macht für ihn allerdings wenig Sinn.

Freitag, 13. Oktober 2023

Rezension: Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (Teil 12)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier, Teil 6 hier, Teil 7 hier, Teil 8 hier, Teil 9 hier, Teil 10 hier, Teil 11 hier.

Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts

Auf einer gänzlich anderen Ebene verlief ein anderes Strukturmerkmal des 19. Jahrhunderts: die Abschaffung der Sklaverei. Beginnend im britischen Weltreich baute sie entgegen späterer Annahmen nicht auf den Ideen von Adam Smith, dass die Sklaverei wirtschaftlich der freien Lohnarbeit umzulegen sei. Das ist erwiesenermaßen nicht der Fall. Stattdessen war es die Schaffung eines neuen moralischen Bewusstseins und eines massiven moralischen Drucks einer Minderheit, die über einen jahrelangen Prozess ihre moralischen Vorstellungen mehrheitsfähig machte. Als die britische Regierung den Sklavenhandel abschaffte, tat sie dies also nicht aus ökonomischen, sondern moralischen Motiven. Die Royal Navy unterlegte diesen Moralismus mit einer handfesten Komponente und verhinderte durch ihre Politik der Überprüfungen von Schiffen auch von Drittnationen, dass das Vakuum wieder geschlossen werden konnte, dass durch das Ausscheiden der britischen Händler entstanden war.

Mittwoch, 11. Oktober 2023

Rezension: Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (Teil 11)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier, Teil 6 hier, Teil 7 hier, Teil 8 hier, Teil 9 hier, Teil 10 hier.

Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts

Das Gegenstück des Adels im 19. Jahrhundert war mit Sicherheit das Bürgertum. Es zu definieren, ist noch schwieriger als beim Adel. Man landet immer beim selben Zirkelschluss: Bürger ist, wer sich als solcher definiert. Dadurch ist das Bürgerturm die agilste und durchlässigste Klasse. Gleichzeitig ist sie die, deren Mitglieder am stärksten vom Abstieg bedroht sind. Im 19. Jahrhundert verbreitete sich die Kategorie außerdem um die Kategorie der Kleinbürger, gegen die es mannigfaltige Abgrenzungsbewegungen gab. Die Kleinbürger waren weniger vernetzt und lokaler, als es die traditionellen bürgerlichen Schichten waren. Gleichzeitig sieht Osterhammel in allen Bürgern einen beständigen Drang nach oben, zu einem sozialen Aufstieg.

Freitag, 6. Oktober 2023

Rezension: John Foot - Blood and Power. The Rise and Fall of Italian Fascism

 

John Foot - Blood and Power. The Rise and Fall of Italian Fascism (Hörbuch)

Besonders unter amerikanischen Linken ist es derzeit leider Mode geworden, den Faschismusbegriff inflationär gegen politische Gegner einzusetzen. Gleichzeitig sind Mächte im Aufstieg, die nur noch als protofaschistisch zu beschreiben sind, während in Italien eine Regierung fleißig an der Rehabilitation Mussolinis arbeitet. Es macht daher Sinn, sich mit dem historischen realen Phänomen des Faschismus auseinanderzusetzen und es besser zu verstehen. Den Anspruch, hierzu beizutragen, hat das vorliegende Werk von John Foot. Er möchte die Realität des Faschismus im Alltag der Italiener*innen begreiflich machen, statt eine Art verkappte Biografie Mussolinis zu schreiben. Dieser Anspruch gefällt, weil die systemischen Ursachen deutlich relevanter sind als die in der Person liegenden.

Montag, 2. Oktober 2023

Rezension: John Foot - Blood and Power. The Rise and Fall of Italian Fascism (Teil 2)

 

Teil 1 hier.

John Foot - Blood and Power. The Rise and Fall of Italian Fascism (Hörbuch)

1922 erfolgte dann die Abschlussaktion der Faschisten. Sie vernichteten planmäßig weitere linke Zentren, wobei sie immer offener Hand in Hand mit Polizei, Justiz und Militär arbeiteten. In den Orten, in denen sie die Linke zerschlagen hatten, übernahmen sie danach direkt selbst die Macht und zerschlugen so auch die liberale Demokratie. Widerstand seitens des Bürgertums gab es keinen. Die eigentliche Machtübernahme, der „Marsch auf Rom“, war dann in Wirklichkeit kein Marsch, sondern ein Trip per Eisenbahn, während Mussolini von einem Hotel in Milan aus Befehle per Telegraph erteilte. Ein letztes Mal versuchte ein Liberaler, Widerstand zu leisten: er legte dem König einen Befehl zur Erklärung des Ausnahmezustands vor, so dass das Militär die Faschisten aufhalten würde. Die Militärs selbst erklärten, dass sie dies selbstverständlich tun könnten, die Regierung allerdings nicht das Risiko einer Meuterei auf sich nehmen solle. Der König lehnte die Erklärung ohne ihn ab.

Freitag, 29. September 2023

Rezension: Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (Teil 10)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier, Teil 6 hier, Teil 7 hier, Teil 8 hier, Teil 9 hier.

Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts

Kapitel 14, "Netzwerke", führt eine Metapher ein, die uns heute sehr vertraut ist, die allerdings ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert besitzt. Im 17. und 18. Jahrhundert nutzte man als Metapher für Organisationsformen in der Gesellschaft immer noch den menschlichen Körper und sein Zirkulationssystem. Netze, wie wir sie kennen, etwa die entscheidenden Wasser-, Strom- und Gasnetze sind allerdings eine Errungenschaft des späten 19. Jahrhunderts, die in weiten Teilen Europas und Nordamerikas erst im Verlauf des 20. und in anderen Teilen der Welt bis heute noch nicht vollständig verbreitet sein würden. Dasselbe gilt für soziale Netze, die ebenfalls ein Phänomen des 20. Jahrhunderts darstellen.

Donnerstag, 28. September 2023

Rezension: Oliver Hilmes - Schattenzeit: Deutschland 1943: Alltag und Abgründe

 

Oliver Hilmes - Schattenzeit: Deutschland 1943: Alltag und Abgründe (Hörbuch)

Am 7. September 1943 wurden in der Strafvollzugsanstalt Plötzensee fast 250 Justizmorde verübt. In einem wahren Massaker auch wurden zahlreiche Gefangene, gegen selbst das kaum ernstzunehmende Recht des Nazi-Staates, im Schichtverfahren gehängt. Eines der vielen Opfer war der Pianist Karlrobert Kreiten. Oliver Hilmes nimmt sein Schicksal zum Anlass, eine Art Alltagsgeschichte des Jahres 1943 zu unternehmen und zu versuchen, die titelgebende Schattenzeit durch persönliche Schicksale und Quellenauszüge greifbar zu machen. Obwohl man annehmen sollte, dass die erdrückende Realität des Dritten Reiches hinreichend bekannt ist, bleibt selbst für viel belesene Menschen die tatsächliche Lebenswirklichkeit jener Zeit immer wieder eine Überraschung.