Montag, 2. Oktober 2023

Rezension: John Foot - Blood and Power. The Rise and Fall of Italian Fascism (Teil 2)

 

Teil 1 hier.

John Foot - Blood and Power. The Rise and Fall of Italian Fascism (Hörbuch)

1922 erfolgte dann die Abschlussaktion der Faschisten. Sie vernichteten planmäßig weitere linke Zentren, wobei sie immer offener Hand in Hand mit Polizei, Justiz und Militär arbeiteten. In den Orten, in denen sie die Linke zerschlagen hatten, übernahmen sie danach direkt selbst die Macht und zerschlugen so auch die liberale Demokratie. Widerstand seitens des Bürgertums gab es keinen. Die eigentliche Machtübernahme, der „Marsch auf Rom“, war dann in Wirklichkeit kein Marsch, sondern ein Trip per Eisenbahn, während Mussolini von einem Hotel in Milan aus Befehle per Telegraph erteilte. Ein letztes Mal versuchte ein Liberaler, Widerstand zu leisten: er legte dem König einen Befehl zur Erklärung des Ausnahmezustands vor, so dass das Militär die Faschisten aufhalten würde. Die Militärs selbst erklärten, dass sie dies selbstverständlich tun könnten, die Regierung allerdings nicht das Risiko einer Meuterei auf sich nehmen solle. Der König lehnte die Erklärung ohne ihn ab.

Freitag, 29. September 2023

Rezension: Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (Teil 10)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier, Teil 6 hier, Teil 7 hier, Teil 8 hier, Teil 9 hier.

Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts

Kapitel 14, "Netzwerke", führt eine Metapher ein, die uns heute sehr vertraut ist, die allerdings ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert besitzt. Im 17. und 18. Jahrhundert nutzte man als Metapher für Organisationsformen in der Gesellschaft immer noch den menschlichen Körper und sein Zirkulationssystem. Netze, wie wir sie kennen, etwa die entscheidenden Wasser-, Strom- und Gasnetze sind allerdings eine Errungenschaft des späten 19. Jahrhunderts, die in weiten Teilen Europas und Nordamerikas erst im Verlauf des 20. und in anderen Teilen der Welt bis heute noch nicht vollständig verbreitet sein würden. Dasselbe gilt für soziale Netze, die ebenfalls ein Phänomen des 20. Jahrhunderts darstellen.

Donnerstag, 28. September 2023

Rezension: Oliver Hilmes - Schattenzeit: Deutschland 1943: Alltag und Abgründe

 

Oliver Hilmes - Schattenzeit: Deutschland 1943: Alltag und Abgründe (Hörbuch)

Am 7. September 1943 wurden in der Strafvollzugsanstalt Plötzensee fast 250 Justizmorde verübt. In einem wahren Massaker auch wurden zahlreiche Gefangene, gegen selbst das kaum ernstzunehmende Recht des Nazi-Staates, im Schichtverfahren gehängt. Eines der vielen Opfer war der Pianist Karlrobert Kreiten. Oliver Hilmes nimmt sein Schicksal zum Anlass, eine Art Alltagsgeschichte des Jahres 1943 zu unternehmen und zu versuchen, die titelgebende Schattenzeit durch persönliche Schicksale und Quellenauszüge greifbar zu machen. Obwohl man annehmen sollte, dass die erdrückende Realität des Dritten Reiches hinreichend bekannt ist, bleibt selbst für viel belesene Menschen die tatsächliche Lebenswirklichkeit jener Zeit immer wieder eine Überraschung.

Freitag, 22. September 2023

Rezension: Michael S. Neiberg - When France fell. The Vichy Crisis and the Fate of the Anglo-American Alliance

 

Michael S. Neiberg - When France fell. The Vichy Crisis and the Fate of the Anglo-American Alliance (Hörbuch)

Nur wenige Ereignisse des Zweiten Weltkriegs sind so mythenumwittert wie der Fall Frankreichs 1940. Innerhalb von nur 6 Wochen wurde die französische Armee, die von vielen Beobachtern als die stärkste des Kontinents eingeschätzt wurde, vollständig besiegt. Das Land, dass während des Ersten Weltkrieges unter ungeheuren Opfern für vier Jahre erbittert Widerstand gegen die Deutschen geleistet und am Ende siegreich aus dem Konflikt hervorgegangen war, hielt sich kaum länger als das kleine, bedrängte Polen. Die deutsche Propaganda stilisierte den Feldzug zu einem erfolgreichen „Blitzkrieg“, was zwar mit der Realität wenig zu tun hatte, sich aber gut verkaufen ließ. Ironischerweise galt dasselbe für die Alliierten, die durch die Betonung des Blitzkriegmythos ihre eigenen Fehler vergessen machen und eine bequeme Erklärung für das Debakel geben konnten.

Mittwoch, 20. September 2023

Rezension: John Foot - Blood and Power. The Rise and Fall of Italian Fascism (Teil 1)

 

John Foot - Blood and Power. The Rise and Fall of Italian Fascism (Hörbuch)

Besonders unter amerikanischen Linken ist es derzeit leider Mode geworden, den Faschismusbegriff inflationär gegen politische Gegner einzusetzen. Gleichzeitig sind Mächte im Aufstieg, die nur noch als protofaschistisch zu beschreiben sind, während in Italien eine Regierung fleißig an der Rehabilitation Mussolinis arbeitet. Es macht daher Sinn, sich mit dem historischen realen Phänomen des Faschismus auseinanderzusetzen und es besser zu verstehen. Den Anspruch, hierzu beizutragen, hat das vorliegende Werk von John Foot. Er möchte die Realität des Faschismus im Alltag der Italiener*innen begreiflich machen, statt eine Art verkappte Biografie Mussolinis zu schreiben. Dieser Anspruch gefällt, weil die systemischen Ursachen deutlich relevanter sind als die in der Person liegenden.

Montag, 18. September 2023

Rezension: Michael S. Neiberg - When France fell. The Vichy Crisis and the Fate of the Anglo-American Alliance (Teil 3)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier.

Michael S. Neiberg - When France fell. The Vichy Crisis and the Fate of the Anglo-American Alliance (Hörbuch)

Dazu kam, dass die politischen Verhältnisse in Vichy sich ebenfalls änderten: die Deutschen erzwangen einen stärkeren Einfluss der Faschisten, die ihrerseits die Kollaboration deutlich verstärkten. Dabei ging es vorrangig um die Beschaffung von Arbeitskräften für die deutsche Rüstungsindustrie, wofür man sich im Gegenzug eine Freilassung von Gefangenen erhoffte - und natürlich Akzeptanz durch die Deutschen und einen vorteilhaften Stand bei späteren Friedensverhandlungen, an deren Zustandekommen man zu diesem Zeitpunkt noch glaubte, schon allein, weil die Alliierten ihr Ziel der bedingungslosen Kapitulation noch nicht formuliert hatten. Diesen Aspekt fand ich besonders spannend, weil von Revisionisten häufig vorgebracht wird, dass die Formulierung dieses Ziels ein Fehler gewesen sei, der den Krieg verlängert habe. Die amerikanischen Erfahrungen mit Vichy legen eher das Gegenteil nahe.

Freitag, 15. September 2023

Rezension: Michael S. Neiberg - When France fell. The Vichy Crisis and the Fate of the Anglo-American Alliance (Teil 2)

 

Teil 1 hier.

Michael S. Neiberg - When France fell. The Vichy Crisis and the Fate of the Anglo-American Alliance (Hörbuch)

Die französische Flotte war ein Hauptaugenmerk sowohl von Briten als auch Amerikanern. Die Deutschen besaßen offensichtlich keine Hochseetaugliche Flotte, die die USA bedrohen konnte. Die Franzosen allerdings besaßen die drittgrößte weltweit. Fiele sie in deutsche Hände, würde dies das Machtgleichgewicht massiv verändern. Zwar machten die Deutschen keine Anstalten und versicherte Vichy, die Flotte nicht herauszugeben, doch das beruhigte niemanden. Die Briten entschlossen sich daher, nachdem der französische Flottenkommandant in Mers-al-Kabir ein Ultimatum zur Neutralisierung der Flotte ausgeschlagen hatte (aus Gründen eines idiotischen, anachronistischen Ehrenkodex‘), die französische Flotte in einer Art Überraschungsangriff zu zerstören.

Mittwoch, 13. September 2023

Rezension: Michael S. Neiberg - When France fell. The Vichy Crisis and the Fate of the Anglo-American Alliance (Teil 1)

 

Michael S. Neiberg - When France fell. The Vichy Crisis and the Fate of the Anglo-American Alliance (Hörbuch)

Nur wenige Ereignisse des Zweiten Weltkriegs sind so mythenumwittert wie der Fall Frankreichs 1940. Innerhalb von nur 6 Wochen wurde die französische Armee, die von vielen Beobachtern als die stärkste des Kontinents eingeschätzt wurde, vollständig besiegt. Das Land, dass während des Ersten Weltkrieges unter ungeheuren Opfern für vier Jahre erbittert Widerstand gegen die Deutschen geleistet und am Ende siegreich aus dem Konflikt hervorgegangen war, hielt sich kaum länger als das kleine, bedrängte Polen. Die deutsche Propaganda stilisierte den Feldzug zu einem erfolgreichen „Blitzkrieg“, was zwar mit der Realität wenig zu tun hatte, sich aber gut verkaufen ließ. Ironischerweise galt dasselbe für die Alliierten, die durch die Betonung des Blitzkriegmythos ihre eigenen Fehler vergessen machen und eine bequeme Erklärung für das Debakel geben konnten.

Montag, 4. September 2023

Rezension: Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (Teil 9)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier, Teil 6 hier, Teil 7 hier, Teil 8 hier.

Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts

Als nächstes beschäftigt sich Osterhammel mit Energieregimen: das 19. Jahrhundert sei das Jahrhundert der Energie gewesen. Die Erzeugung von Energie habe die Zeitgenossen in ihren Bann geschlagen. Erstmals war es möglich, die Grenzen der biologischen Energieerzeugung deutlich zu überschreiten. Dies ging allerdings deutlich langsamer vonstatten, als populäre Darstellungen der industriellen Revolution dies häufig suggerieren (eine Art Leitmotiv dieses Kapitels). Die Verbreitung der Kohle als Energiemittel etwa vollzog sich sehr langsam; erst ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts war hier eine deutliche Zunahme sichtbar. Für das 19 Jahrhundert galt dasselbe auch für Erdöl. Stattdessen blieb Holz ein wichtiger Energieträger und die Kraft des Tieres eine wichtige Quelle von Energieerzeugung.

Freitag, 1. September 2023

Rezension: Karl-Wilhelm Weeber - Circus Maximus: Wagenrennen im antiken Rom

 

Karl-Wilhelm Weeber - Circus Maximus: Wagenrennen im antiken Rom

Ich habe das Gefühl, dass eine Referenz an Ben Hur zur Einleitung eines Buchs über Wagenrennen im alten Rom mittlerweile ein Anachronismus ist, der nur durch die berühmten Armbanduhren in der Wagenrennen Szene des Hollywoodschinkens übertroffen wird - nicht nur wegen der künstlerischen Freiheiten, die sich der Film seinerzeit genommen hat, sondern auch, weil eine natürliche Reaktion darauf mittlerweile ein „ wer oder was ist Ben Hur?“ wäre. Und das nicht zu Unrecht. Das Erbe das Schicksal droht vermutlich auch Asterix. Aber ich schweife ab. Die Frage, inwiefern die Wagenrennen des Circus Maximus als eine Art Vorläufer moderner Sportveranstaltungen gesehen werden können, bleibt alleine deswegen relevant, weil die römische Gesellschaft in vielen Facetten verführerisch modern zu sein scheint - ein Anschein, der sich bei näherer Betrachtung allzu oft einer geradezu verwirrenden Fremdartigkeit Platz macht. Ob diese Facetten von Karl-Wilheln Weebers Buch eingefangen werden können, soll diese Rezension zeigen.

Mittwoch, 30. August 2023

Rezension: Aus Politik und Zeitgeschichte - 1848/49

 

Aus Politik und Zeitgeschichte - 1848/49

Das Jubiläum der Revolution von 1848/49 sorgt gerade für eine neue Hochzeit der Beschäftigung mit dem Thema, Die allerlei Neubewertungen und spannende neue Ansätze mit sich bringt. Ein Aufsatzband der APuZ kommt da wie gerufen, um einiges hinzuzufügen. Wer sich intensiv mit dem Thema beschäftigen will und es vor allem aus europäischer Perspektive betrachten, kommt derzeit um Christopher Clarks monumentalen Epos (hier rezensiert) nicht herum. Wir wollen sehen, was die Bundeszentrale für politische Bildung was in diesem Heft zusammenstellen konnte was und wie es sich in die größere Debatte einordnen lässt.

Montag, 28. August 2023

Rezension: Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (Teil 8)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier, Teil 6 hier, Teil 7 hier.

Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts

Osterhammel macht für den Westen im 19. Jahrhundert einen generellen Trend aus, den er als „Durchstaatlichung“ bezeichnet. Damit meinte er die Übernahme von immer mehr Aufgaben durch den Staat, der für die Erledigung dieser Aufgaben immer leistungsfähigere Verwaltungen aufstellen muss, die ihrerseits die Grundlage für die Übernahme neuer Aufgaben bilden können. Ein zentrales Element allerdings fehlt im 19. Jahrhundert und muss auf das 20. warten: ein modernes Steuersystem. Im 19. Jahrhundert blieb der Umfang des Staates trotz allem sehr begrenzt und diente vor allem der Aufstellung eines möglichst schlagkräftigen Militärs. Das Steuersystem diente der Finanzierung eben dieses Militärs und der Verwaltungsstrukturen, die hierfür notwendig waren. Steuern im Sinne von Steuerung und ihre planmäßige Erhebung was mit den heute bekannten Instrumenten gab es im 19. Jahrhundert effektiv nicht.

Freitag, 11. August 2023

Rezension: Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts (Teil 7)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier, Teil 6 hier.

Jürgen Osterhammel - Die Verwandlung der Welt: Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts

Zum Abschluss des Revolutionsteils wendet Osterhammel den Blick auf vier außereuropäische Revolutionen nach 1900. Vorher gebührt Mexiko noch ein "Seitenblick", wo ab 1910 eine der blutigsten Revolutionen der ganzen Epoche vonstatten ging, die jeden achten Mexikaner das Leben kostete. Sie hatte keine übergeordneten Ideen außer dem Widerstand gegen eine unterdrückerische Regierung und auch keine Strahlkraft nach außen. Trotz amerikanischer Interventionen blieb sie eine weitgehend mexikanische Affäre. Die vier Revolutionen in Russland (1904-1907), Iran (1905-1911), Türkei (1908-1920) und die Xinhai-Revolution in China (1911) besaßen einige Gemeinsamkeiten. Sie wurden nicht durch Revolutionen im Nachbarland ausgelöst, sondern nur durch indirekte Wirkungsketten verbunden (ohne Russische Revolution vermutlich keine Einigung mit Großbritannien über Interessenssphären 1907, und ohne die keine jungtürkische Furcht vor einer gemeinsamen Aufteilung des Osmanischen Reichs).

Freitag, 28. Juli 2023

Rezension: Volker Ullrich - Deutschland 1923: Das Jahr am Abgrund

 

Volker Ullrich - Deutschland 1923: Das Jahr am Abgrund (Hörbuch)

Das Jahr 1923 spielt für die Deutschen eine hervorgehobene Rolle. Nicht nur die große Hyperinflation, sondern zahlreiche andere Krisen erschütterten in diesem Jahr das Land. In der deutschen Wahrnehmung ist es vor allem die Hyperinflation die in Erinnerung geblieben ist. sie ist allerdings trotz der hervorgehobenen Rolle die sie in der deutschen Erinnerungskultur spielt kaum verstanden und wird selten in einen größeren Kontext eingebettet. Ein Buch das sich ausführlich mit dem kompletten Jahr und den Kontexten beschäftigt wäre daher sehr willkommen. ob der vorliegende Band von Volker Ullrich diesen Anspruch einlösen kann wollen wir im Folgenden untersuchen.

Freitag, 21. Juli 2023

Rezension: Volker Ullrich - Deutschland 1923: Das Jahr am Abgrund (Teil 4)

 

Volker Ullrich - Deutschland 1923: Das Jahr am Abgrund (Hörbuch)

Ein dramatisches Ereignis jener Zeit war der Hitlerputsch. Unter den Rechtsradikalen in Bayern hatte die Stimmung ein fiebriges Allzeithoch erreicht. Hitler, der das Jahr 1923 noch als der "Trommler" der Bewegung auf der Suche nach dem lange angekündigten "Führer" begonnen hatte, gelangte im Verlauf des Jahres mehr und mehr zur Überzeugung, selbst dieser Mann zu sein, und instrumentalisierte seine Mitstreiter, allen voran Ludendorff, zu diesem Zweck.

Seine beständige Agitation mit seinem unbestreitbaren und in zahlreichen Quellen belegten Redetalent trieb ihm eine unglaublich große Anhängerschaft zu, setzte ihn aber zunehmend unter Zugzwang. Im November glaubte er nicht länger warten zu können und brach den Beginn des Putsches unvorbereitet überstürzt an. Den Unwillen des bayerischen Triumvirats, sich an einem solchen Putsch zu beteiligen, noch dazu unter Führung eines solchen Emporkömmlings wie Hitler, versuchte er eher durch Zwang zu überwinden, was genau so im Desaster endete wie der eigentliche Putschversuch.

Mittwoch, 19. Juli 2023

Rezension: Volker Ullrich - Deutschland 1923: Das Jahr am Abgrund (Teil 3)

 

Volker Ullrich - Deutschland 1923: Das Jahr am Abgrund (Hörbuch)

In Kapitel 4 wendet Ulrich den Blick nach Bayern. Seit der Niederschlagung der Räterepublik im Frühjahr 1919 war das Land ein Hort des Rechtsextremismus. Als die Franzosen das Rheinland besetzten, eskalierte der latente Konflikt zwischen den Autoritäten in Bayern und der Reichsregierung vollständig. Die bayerischen Behörden verweigerten offen die Befehle aus Berlin, und die bayerischen Reichswehreinheiten unterstellten sich der bayerischen Landesregierung und verweigerten die Annahme von Befehlen der Reichsleitung und der Reichswehr. Jeder Anschein einer demokratischen Regierung in Bayern wurde fallengelassen, als ein Triumvirat gebildet wurde. Für die Rechtsextremisten war Bayern die Keimzelle einer neuen Regierungsform, ein Vorbild für den Rest Deutschlands, das sie ebenfalls autoritär umgestalten wollten.

Montag, 17. Juli 2023

Rezension: Volker Ullrich - Deutschland 1923: Das Jahr am Abgrund (Teil 2)

 

Volker Ullrich - Deutschland 1923: Das Jahr am Abgrund (Hörbuch)

Die politischen Hoffnungen richteten sich auf die Bildung einer großen Koalition, die die DVP, das Zentrum, die DDP und die SPD umfassen sollte. Die Idee dahinter war nicht eine neu entdeckte Liebe für die Sozialdemokratie, sondern die Vorstellung, dass eine breite Basis in der Masse der Bevölkerung gebraucht wurde. Es ist ein Zeichen der Zeit, dass die Liberalen zu diesem Zeitpunkt noch bereit waren, die Legitimität der Arbeiterbewegung als Teil Deutschlands anzuerkennen - etwas, das gegen Ende der 1920er Jahre nicht mehr der Fall sein würde. Cuno hatte ohnehin längst sämtliche Lust an dem Amt verloren, und es gab eigentlich nur einen Kandidaten: Gustav Stresemann. In den Worten Hugo Stinnes': "Stresemann lag in der Luft."

Freitag, 14. Juli 2023

Rezension: Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849

 

Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849 (Hörbuch) (Frühling der Revolution: Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt (Hörbuch))

Die Revolutionen von 1848 sind zwar seit Jahr und Tag Stoff in den Bildungsplänen der Republik, Favoriten der Schüler*innen waren sie aber noch nie. Christopher Clark, der ein neues Mammutwerk zu dieser Periode vorgelegt hat, kann das vollkommen nachvollziehen: "failure and complexity are an unappealing mix", und Recht hat er. Als Schüler hat mich die Periode auch nicht interessiert, heute ist das anders. Umso besser, dass Clark sich des Themas annimmt und die nationalstaatliche Geschichtsschreibung der Vergangenheit - die er als Reaktion auf das Scheitern deutet - durchbricht und stattdessen eine Globalgeschichte der Revolutionen von 1848 vorlegt. Sein Anspruch ist das vollständige Durchdringen der Ursachen und Abläufe - sowohl der titelgebenden Frühjahrseuphorie als auch des furchtbaren Rückschlags der Reaktion.

Dienstag, 11. Juli 2023

Rezension: Volker Ullrich - Deutschland 1923: Das Jahr am Abgrund (Teil 1)

 

Volker Ullrich - Deutschland 1923: Das Jahr am Abgrund (Hörbuch)

Das Jahr 1923 spielt für die Deutschen eine hervorgehobene Rolle. Nicht nur die große Hyperinflation, sondern zahlreiche andere Krisen erschütterten in diesem Jahr das Land. In der deutschen Wahrnehmung ist es vor allem die Hyperinflation die in Erinnerung geblieben ist. sie ist allerdings trotz der hervorgehobenen Rolle die sie in der deutschen Erinnerungskultur spielt kaum verstanden und wird selten in einen größeren Kontext eingebettet. Ein Buch das sich ausführlich mit dem kompletten Jahr und den Kontexten beschäftigt wäre daher sehr willkommen. ob der vorliegende Band von Volker Ullrich diesen Anspruch einlösen kann wollen wir im Folgenden untersuchen.

Montag, 10. Juli 2023

Rezension: Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849 (Teil 6)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier, Teil 5 hier.

Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849 (Hörbuch) (Frühling der Revolution: Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt (Hörbuch))

Clark beschließt seine Abhandlung der Revolutionen mit einer Würding von "The Dead". Da wären einerseits die Märtyrer der Revolution, die es verstanden, ihren eigenen Tod in Szene zu setzen (mich erinnert diese Theatralik stark an das 18. Jahrhundert, als die gebildete Oberschicht es ebenfalls verstand, den eigenen Tod als Inszenierung zu gestalten). Memorabilia und romantisierte Erzählungen gab es noch und nöcher. Doch die meisten Menschen starben ohne großen Bekanntheitsgrad. Von Frauen sind, wenig überraschend, keine letzten Worte überliefert. Sie starben stumm. Dasselbe gilt für die unteren Klassen oder die Soldaten der Gegenrevolution. Und sie starben in großer Zahl, schon allein, weil die Soldaten der Gegenrevolution die Cholera durch Europa schleppten und eine veritable kleine Pandemie mit zehntausenden von Toten auslösten.

Mittwoch, 5. Juli 2023

Rezension: Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849 (Teil 5)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier, Teil 3 hier, Teil 4 hier.

Christopher Clark - Revolutionary Spring: Fighting for a New World 1848-1849 (Hörbuch) (Frühling der Revolution: Europa 1848/49 und der Kampf für eine neue Welt (Hörbuch))

Der Gegensatz zwischen "Town and Country" ist das nächste Thema Clarkes. Die schlechte wirtschaftliche Lage und die Konflikte um feudale Privilegien hatten viel revolutionäre Triebkraft mit sich gebracht. Nun waren neue oftmals neue Regierungen an der Macht, die mit der Herausforderung nach einer neuen Agrarpolitik konfrontiert waren. Während die Landbesitzer ihre Macht und ihren Besitz erhalten wollten, verlangten die Bauern nach fairem Ausgleich ihrer erbrachten Leistungen. Die Liberalen hatten hier neben ihrer natürlichen Vorliebe für die Begüterten das Problem, mit den Fragestellungen gar nicht vertraut zu sein. Die Konservativen hatten den Vorteil, die Lebenswelt der Bauern tatsächlich zu kennen (wenngleich aus einer herablassenden Perspektive), während die Liberalen im Endeffekt an diese heran, aber nicht mit ihnen redeten. Sie blieben Fremde aus der Stadt.