Freitag, 29. Oktober 2010

Die amerikanischen Präsidenten...mit den Animiacs Teil 3/3

Von Stefan Sasse

Dies ist die Fortsetzung des ersten und zweiten Teils.

Franklin Delano Roosevelt
Roosevelt President who
helps us win in World War Two. 
Franklin Delano Roosevelt war einer der prägendsten Präsidenten der USA und gehört zu den meistunterschätzten Politikern des 20. Jahrhunderts. Bereits bei seiner Wahl schmiedete er ein enges Bündnis mit dem Zeitungszar William R. Hearst, mit dem er die öffentliche Meinung auf dem Höhepunkt der Great Depression beeinflussen konnte. Im Amt machte er wahr mit seinem Wahlprogramm des "New Deal", mit dem er die Ära der neoklassischen Theorien, die das Land so tief in die Krise geritten hatten, effektiv beendete. Obwohl der New Deal anfangs wegen zu zögernder Umsetzung und einem vorzeitigen Abbruch nicht den Effekt hatte, den er hätte haben können, sorgte er zumindest für einen psychologischen Umschwung. Unter Roosevelt begann eine Entwicklung, die für die politische Landschaft Amerikas heute noch prägend ist: das "voter reallignment" (etwa: Wähler-Umorientierung). Bisher waren die Demokraten die Partei des konservativen Südens gewesen, die Republikaner die des progressiven Nordens. Zwischen Roosevelt und Johnson änderte sich das praktisch vollständig; die beiden Parteien tauschten Ansichten und Wählerschaften praktisch aus. - Roosevelt wäre so vielleicht als Präsident des Umschwungs in die Geschichte eingegangen; der Antagonismus zu Hitlers Deutschland jedoch hob ihn darüber hinaus. Als Erbe von Versailles war das amerikanische Volk - und mit ihm der Großteil seiner politischen Repräsentanten - isolationistisch eingestellt. Obwohl Roosevelt also Hitler allzugerne früh den Weg verstellt hätte (an entsprechenden Zeugnissen herrscht kein Mangel) konnte er dies nicht. Nach Kriegsausbruch unterstützte er indirekt Großbritannien und später die UdSSR mit massiven Hilfslieferungen und provozierte Hitler dazu mit der "Shoot-on-sight-order" dermaßen, dass an seinem Willen zum Kriegseintritt eigentlich kein Zweifel bestehen kann. Warum Hitler ihm das Geschäft abnahm, nachdem der Angriff der Japaner af Pearl Harbor im Dezember 1941 die USA eigentlich im Pazifik band, wird wohl ewig ein Rätsel bleiben. Ob die USA von Pearl Harbor vorher wussten, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Es ist auch nicht relevant. Wichtig ist, dass die USA im Krieg endgültig die Fesseln der Depression abschüttelten und die Industrie durch den Kriegsbedarf einen gigantischen Boom entwickelte. Doch die Kriegführung, die seit Eintritt der USA eigentlich nur mit einem letztlichen Sieg der Alliierten enden konnte, war nicht alles. Roosevelt bastelte im Krieg selbst aktiv an einer Nachkriegsordnung. Seine Vision war die einer "One World", mit den Vereinten Nationen als politischem Körper, durch die Kooperation von USA und UdSSR in Balance gehalten. Dass es anders kommen sollte, erlebte Roosevelt nicht mehr - er starb im April 1945, nur wenige Tage vor Hitler.

Dienstag, 26. Oktober 2010

Vom Freistaat Bayern bis zum Kappputsch - die deutsche Revolution 1918/19

Von Stefan Sasse

Dies ist die Fortsetzung des ersten Teils.

Wahlaufruf der USPD an Häuserwand, fotographiert 1998
Seit der Wahl zur Nationalversammlung war die Revolution offensichtlich heruntergekühlt. Während in der Provinz noch Räteexperimente gemacht wurden, glaubte die Politik die Lage beruhigt. Damit aber saß sie einem Irrtum auf, denn die meisten Konfliktfelder waren allenfalls vertagt, aber keinesfalls gelöst worden. Besonders die sozialen Forderungen hatten bisher bei weitem nicht den regierungsamtlichen Widerhall gefunden, den die Arbeiter sich offensichtlich erwarteten. Dabei war der Ruf nach Sozialisierung nicht nur bei den Anhängern von USPD und KPD populär; er erreichte auch bei der sozialdemokratischen Klientel deutliche Mehrheiten. Die Volksbeauftragten hatten im Dezember zwar eine Sozialisierungskommission eingesetzt; die KPD-Polemik, es handle sich um eine Sozialisierungsverhinderungskommission war nicht aus der Luft gegriffen. Während Berlin noch ruhig blieb, entwickelte sich das Ruhrgebiet zu einem Zentrum der Sozialisierungsbewegung, wo die großteils im Bergbau beschäftigten Arbeiter am wenigsten aus dem Stinnes-Legien-Abkommen gewonnen hatten. 

Sonntag, 24. Oktober 2010

Fundstücke XI

Von Stefan Sasse

Der japanische Künstler Isao Hashimoto hat eine animierte Karte erstellt, auf der alle Atombombentests zwischen 1945 und 1998 optisch dargestellt werden. Zu Beginn lässt sich das Ganze noch ziemlich langsam an. Ein paar amerikanische Tests, nichts Aufregendes. Dann kommen die Russen dazu, und das setzt die USA auch in hektische Aktivität. Richtig krass wird es dann in den 1950er Jahren, um einen Höhepunkt um 1962 herum zu finden. Es ist wirklich krass, wie viele Tests in den vergangenen 50 Jahren durchgeführt wurden. Auch das "wo" ist interessant; die USA und die Sowjetunion lassen zwar einen guten Teil in Wüsten im eigenen Land stattfinden, aber besonders die USA machen gerne im Pazifik Test (Stichwort Bikini-Atoll). Die Franzosen und Engländer dagegen zünden besonders gerne im Pazifik und Australien sowie in Nordafrika.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Vom Matrosen- zum Spartakusaufstand - die deutsche Revolution 1918/19

Von Stefan Sasse
Statue eines rev. Matrosen in Berlin
"Wenn die Deutschen Revolution machen und einen Bahnhof stürmen wollen,
dann kaufen sie vorher eine Bahnsteigkarte." - Lenin
Das obige Zitat Lenins wurde vielfach verwendet, um die Bemühungen deutscher Revolutionäre zu karikieren und ihnen die generelle Fähigkeit zur Revolution abzuerkennen. Dabei ist es wenn nicht falsch, so doch zumindest nur eingeschränkt richtig. In der Revolution von 1918/19, die man früher noch als "Novemberrevolution" bezeichnete - ein Begriff, der wegen seiner Unschärfe und Nähe zur Dolchstoßlegende vermieden werden sollte - zeichneten sich Deutsche als Revolutionäre mit großem Realitätssinn wie auch mit Visionen aus. Dass sie heute verschämt verschwiegen wird, dass man ihr nur selten gedenkt und sie allgemein als eine verfehlte Revolution einordnet ist verständlich, denn lange galt sie als Inbegriff des Verrats der "Novemberverbrecher", nach dem Zweiten Weltkrieg verstellte der beginnende Kalte Krieg eine objektive Sicht auf die Dinge. Es soll deswegen der Versuch gemacht werden, eine Darstellung der Revolution aus dem Blickwinkel heutiger Forscher heraus zu geben und die Geschichte dieser Revolution zu erzählen, die mit hehren Zielen angetreten, von ihren eigenen Eltern verraten im Feuer der entfesselten rechtsextremen Soldateska unterging. 

Dienstag, 19. Oktober 2010

Der Fall des Königreichs Jerusalem und die Einigung der muslimischen Welt

Von Stefan Sasse

Wappen des Königreich Jerusalem
Nach dem Ende des Ersten Kreuzzugs hatte sich das Königreich Jerusalem als politische Größe etabliert. König Balduin I. weitete seine Macht weit über die Stadt Jerusalem selbst aus, und für knapp 80 Jahre beherrschten die Kreuzfahrer das Heilige Land. Doch gegen Ende des 12. Jahrhunderts kam es zu einem Niedergang der abendländischen Macht, der schließlich in der verlorenen Schlacht von Hattin eine abrupte Beschleunigung fand. Noch für Jahrhunderte würden christliche Kreuzfahrer in das Heilige Land ziehen, doch Jerusalem sollte nie wieder in ihre Hände fallen. Erst 1917 setzten britische Soldaten als erste christliche Soldaten wieder einen Fuß in die Stadt, und der Komandeur der Streitkräfte Viscount Edmund Allenby besaß auch genügend Geschichtsbewusstsein und Empire-Trunkenheit, um das offizielle Ende der Kreuzzüge auszurufen. Doch welches Schicksal ereilte die Region im 12. Jahrhundert, in der sie von der Glorie zum völligen Untergang taumelte? 

Sonntag, 17. Oktober 2010

Die französische Revolution Teil 2/2

Von Stefan Sasse

Dies ist die Fortsetzung des ersten Teils

Sturm auf die Tuilerien vom 10. August 1792
Während die Revolution ihre ersten freiwilligen Truppen in den Krieg schickte, ereigneten sich im revolutionären Zentrum Paris erneut dramatische Ereignisse. Das Manifest des Herzogs von Braunschweig hatte den radikalen Linken mit ihren Forderungen nach einer Absetzung des Königs einen enormen Auftrieb gegeben, ein Schwenk, den die Nationalversammlung nicht zu ziehen bereit war. Wie bereits im Juli 1789 erwies sich das Volk einmal mehr als Aggregator der Ereignisse: Bewaffnete stürmten am 10. August 1792 die Tuilerien, wohl mit dem Ziel, den König und seine Familie zu ermorden. Diese hatten sich jedoch während der brutalen Kämpfe mit der Schweizer Garde, bei der hunderte von Aufständischen wie Soldaten starben, in die Nationalversammlung geflüchtet, die unter dem Druck der Straße vor vorläufige Absetzung und Inhaftierung des Königs beschloss. Dieses singuläre Ereignis wurde jedoch noch von etwas anderem überschattet: die revolutionären Aufständischen vom 10. August stürzten außerdem die Pariser Stadtverwaltung und setzten sie als commune de Paris neu ein, gewählt nach einem allgemeinen und gleichen (Männer-)Wahlrecht.

Freitag, 15. Oktober 2010

Der Hundertjährige Krieg Teil 2/2

Von Stefan Sasse


Dies ist die Fortsetzung des ersten Teils



Die Schlacht von Azincourt
1415 entschied sich Henry V., der mittlerweile seinem Vater Henry IV. auf den englischen Thron nachgefolgt war, das französische Angebot, die Grenzen des Brétigny-Friedens endgültig herzustellen, abzulehnen und stattdessen den Krieg wiederaufzunehmen. Zu diesem Zweck stellte er eine Armee auf und landete bei der französischen Hafenstadt Harfleur. Die Belagerung allerdings zog sich deutlich länger hin, als Henry erwartet hatte. Seine Pläne, nach der Einnahme auf Paris zu marschieren und den Feind so final zu schlagen, waren damit wertlos, denn als Harfleur endlich fiel, war die Feldzugsaison schon fast wieder um (man muss sich vor Augen halten, dass Kriege lange Zeit vor allem im Sommer geführt wurden, wenn es leicht war das Heer zu ernähren, indem man die fast reifen, aber noch nicht geernteten Feldfrüchte der Bauern für sich nutzte und so gleichzeitig den Feind seiner Lebensgrundlagen beraubte). Henry V. entschied sich deswegen, statt auf Paris in einer Art Wiederholung des Feldzugs Edward III. direkt auf das (nun englische) Calais zu marschieren und auf dem Weg dorthin das Land zu verheeren, damit die Wirtschaftskraft des Gegners zu schwächen und die Autorität der französischen Krone zu unterminieren. Wie bereits bei Edward III. ging das ganze schief: eine deutlich größere französische Armee maneuvrierte Henry V. aus und stellte sich ihm bei Azincourt in den Weg. Ohne Vorräte und praktisch ohne Chance blieb Henry keine andere Möglichkeit mehr, als wie Edward III. bei Crécy die Schlacht anzunehmen.


Mittwoch, 13. Oktober 2010

Die französische Revolution Teil 1/2

Von Stefan Sasse

"Die Freiheit führt das Volk"
Bis heute feiern die Franzosen an jedem 14. Juli mit einem gewaltigen Fest den Jahrestag des Sturms auf die Bastille in Paris im Jahre 1789, der als Zeichen des Volksaufstands gegen den König gewertet wird. Trotz des späteren Terrors (terreur) gilt die Revolution noch heute wenn nicht als Geburtsstunde, so doch als Wiedergeburtsstunde der grande nation, und sie beschäftigt die Vorstellungskraft bis heute. Welche Geschehnisse aber führten zur Revolution? Was ist dran an den Geschichten, Marie Antoinette hätte dem hungrigen Volk schnippisch entgegnet, wenn es kein Brot habe solle es Kuchen essen? Warum führte Frankreich bald Krieg gegen alle seine Nachbarstaaten, wie konnte es ihn gewinnen? Und wie konnte die Revolution in den Terror übergleiten? Diesen Fragen wollen wir uns im Folgenden widmen. 

Montag, 11. Oktober 2010

Der Hundertjährige Krieg Teil 1/2

Von Stefan Sasse

Phasen des Hundertjährigen Krieges
Von 1337 bis 1453 wütete in Frankreich, Flandern, Spanien und Südengland ein Konflikt, den Historiker im 19. Jahrhundert als "guerre de cinct ans", als Hundertjährigen Krieg, bezeichnen würden. Mit wechselnden Allianzen und ebenso wechselndem Kriegsglück bekämpften sich die englischen und französischen Könige. Der Preis war nichts weniger als die französische Krone, auf die das Haus Valois ebenso Anspruch erhob wie das englische Königshaus. Dabei hatten Frankreich und England bereits die vielen Jahrzehnte zuvor miteinander gefochten, und sie kämpften auch noch viele Jahrzehnte danach gegeneinander - tatsächlich bis zu den napoleonischen Kriegen ins 19. Jahrhundert hinein. Und noch heute schmerzt manchem Engländer die Seele wenn er erkennen muss, dass die französische Flotte über größere Flugzeugträger verfügt als die englische Royal Navy. Doch was macht diesen Zeitabschnitt 1337 bis 1453 zu so etwas besonderem, dass man ihm den Namen "Hundertjärhiger Krieg" gab und bis heute im Gedächtnis hält? 


Sonntag, 10. Oktober 2010

Der Erste Kreuzzug

Von Stefan Sasse

Statue Urban II. in Clermont
Clermont, Frankreich, im Jahre des Herrn 1095. Papst Urban II. hat ein Konzil in die Stadt einberufen. Dies ist beileibe nichts Ungewöhnliches. Es gibt viel zu besprechen, denn die Kirche befindet sich in einer Krise. Vor etwa 40 Jahren haben sich die Ostkirche mit ihrem Sitz in Byzanz und die Westkirche mit Sitz in Rom in einem Schisma endgültig gespalten. Der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation weigert sich offen, die Position Urban II. und dessen Oberhoheit über den Kaiser anzuerkennen und unterstützt einen Gegenpapst. Doch auf dem Konzil wird dann eine öffentliche Rede des Papstes zu einem nicht näher definierten Thema angekündigt, die nicht nur Klerikern, sondern allen offenstehen soll. Wegen des Andrangs wird sie schließlich auf das freie Feld vor der Stadt verlegt. Dort spricht Urban II. von den muslimischen Horden, die aus dem Osten in Byzanz einfallen und die heiligen Stätten der Christenheit - Jerusalem, Bethlehem, Nazareth - besetzt halten und dort auf das düsterste schänden. Er ruft dazu auf, das Kreuz zu nehmen und in das Heilige Land zu ziehen, um es von den Ungläubigen zu befreien. Die Ressonanz ist überwältigend. Öffentlichkeitswirksam (und wohl abgesprochen) bittet der mächtige Bischof Le Puy darum, sich dem Zug als erster anschließen zu dürfen, und kaum einen Tag später steht Graf Raimund von Toulouse vor den Toren und verkündet, ebenfalls das Kreuz nehmen zu wollen. In der ganzen westlich-mittelalterlichen Welt - das Reich selbst ist wegen der Unterstützung des Gegenpapstes von dem Enthusiasmus kaum betroffen - stößt der Aufruf auf ungeheure Ressonanz, und bald schon sind zehntausende auf dem Weg in das ferne, unbekannte Heilige Land, in dem nach populären Versprechungen Milch und Honig fließen und das Paradies schon fast verwirklicht ist. 

Freitag, 8. Oktober 2010

Zwei Filme, historische Fakten und was sie wirklich erzählen

Von Stefan Sasse

Im Jahr 2005 kam der Film "Kingdom of Heaven", zu deutsch "Königreich der Himmel" in die Kinos. Er porträtierte die Geschichte eines jungen Kreuzritters namens Balian, der zum Baron von Ibelin und Vertrauten König Balduin IV. aufsteigt, ehe er sich nach der katastrophalen Schlacht von Hattin mit der Verteidigung von Jerusalem betraut sieht, die von einem weit überlegenen Heer Saladins geführt wird. Es ist lohnenswert, sich mit diesem Film zu befassen, denn es handelt sich um einen der besten Historienfilme überhaupt. Warum aber ist das so? 

Der Film errang keine überragenden Kritiken, als er in die Kinos kam, und darf auch nicht als überragender Publikumserfolg gelten. Die Geschichte war zu schlaglichtartig, schlecht zusammengefügt und die tragenden Charaktere waren blass und seltsam entrückt. Um es kurz zu sagen: "Königreich der Himmel", wie er 2005 in die Kinos kam, wirkte unfertig, war kein besonders guter Film und ließ den Zuschauer wenig berührt zurück. Das lag daran, dass die erste von Ridley Scott abgegebene Version 194 Minuten umfasste und das Studio in einem für Hollywood leider typischen Anfall von Unterschätzung des Zuschauerst forderte, den Film auf zwei stunden zu kürzen und den Fokus auf Action und Romanze zu legen; entsprechend wurde das fertige Werk auch vermarkter ("vom Regisseur von Gladiator" sagt schon alles). 2006 jedoch veröffentlichte Ridley Scott seinen Director's Cut auf DVD. Der "Königreich der Himmel", der hier veröffentlicht wurde, ist ein praktisch völlig anderer Film. Er ist fast 45 Minuten länger und beseitigt sämtliche Fehler des Hauptwerks, das dadurch zu einem konsistenten und überzeugenden Ganzen wird, das bei weitem nicht die Aufmerksamkeit erfährt, die es verdient.


Freitag, 1. Oktober 2010

Fundstücke X

Von Stefan Sasse

Ein Student der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe hat als Abschlussarbeit ein PC-Spiel auf Basis der Half-Life-2-Engine programmiert, das die DDR-Grenze thematisiert. Das Game heißt "1378km" - in Anlehnung an die Grenzlänge - und lässt den Spieler entweder als "Republikflüchtling" oder als Grenzpolizist agieren. Der eine muss flüchten, der andere die Flucht verhindern. Der Programmierer will so "Geschichtsbewusstsein" steigern, weil man die junge Generation mit solchen Spielen am ehesten erreichen könne. Die Reaktionen waren erwartungsgemäß heftig; SpOn und BILD zerreißen es. "Experten" erklären es unisono für völlig ungeeignet. Besieht man sich die Experten wie etwa Axel Klausmeier - Direktor der Stiftung "Berliner Mauer" - so wird klar, dass das Ergebnis der Befragung bereits vor Herausholen des Mikrofons klar wurde. Im SpOn-Interview darf Klausmeier vorher noch eine Bildwand mit Fotographien der Maueropfer ablaufen, damit die Botschaft am Zuschauer auch ja nicht vorbeigeht.  Die Berichterstattung ist also, wie so häufig, mindestens genauso tendenziös wie ihr Gegenstand. Mir scheint, dass ein solches Game trotz der vom Programmierer eingebauten moralischen Wegsperren wie etwa dem Prozess im Jahr 2000, dem sich ein Mauerschütze stellen muss, eher nicht übermäßig zu empfehlen ist, weil eine größere Reflexion des Gegenstands damit kaum möglich erscheint, aber ich müsste es spielen, um mir ein vollständiges Bild davon zu machen. Das aber wird vorerst nicht möglich sein; zum "Beitrag zu einer sachlichen Debatte" hat die Karlsruher Hochschule nämlich Präsentation und Veröffentlichung verschoben. Sehr sachlich, äußerst lobenswert. /Ironie