Freitag, 29. Dezember 2023

Rezension: Shlomo Venecia - Inside the Gas Chambers. Eight Months in the Sonderkommando of Auschwitz (Teil 1)

 

Shlomo Venecia - Inside the Gas Chambers. Eight Months in the Sonderkommando of Auschwitz (Hörbuch)

Der Holocaust gehört zu den historischen Ereignissen, die man wohl als die am weitesten bekannte und theoretisch best erforschte betrachten dürfte. Trotzdem ist das Wissen über den industriellen Massenmord an den Juden Europas erstaunlich dünn und oberflächlich, was selbst eigentlich versierten Menschen immer wieder klar wird, wenn sie sich den Details des grausigen Geschehens stellen. Angesichts der steigenden Zahlen von Holocaust-Relativierung und Holocaust-Leugnung ist gerade diese Auseinandersetzung immer wieder geboten, und aus historischer Perspektive schon alleine deswegen interessant, weil das Geschehen des singulären Ereignisses meist nur abstrakt bekannt ist. Sechs Millionen tote Juden - eine, wie das Vorwort feststellt, eher konservative Schätzung - sind eine Statistik. Weder die Schicksale dahinter noch die Abläufe des Massenmords werden dahinter sichtbar. Ein Mosaikstein dieser Abläufe ist die Arbeit der Sonderkommandos, der jüdischen Arbeiter, die die Drecksarbeit erledigten. Shlomo Venecia, italienisch-stämmiger Jude aus Griechenland, ist einer der wenigen Überlebenden der Sonderkommandos. Dieses Buch erzählt seine Geschichte.

Freitag, 15. Dezember 2023

Rezension: Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society

 

Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society (Hörbuch)

"Zustände wie im Mittelalter" ist ein geflügeltes Wort, um vage rückständige und unattraktive Zustände zu beschreiben. Dabei wissen wir sehr wenig über diese Epoche und arbeiten oft mit Klischees, die Autoren aus der Renaissance und der Neuzeit prägten, um ihre eigene Zeit in strahlenderem Licht erscheinen zu lassen. Eleanor Janega hat es sich bereits seit Längerem zur Aufgabe gemacht, Fehlvorstellungen über das Mittelalter zu korrigieren. Auf ihrem Blog "Going Medieval" veröffentlicht sie immer wieder solche Betrachtungen. Nun liegt ein Buch von ihr vor, in dem sie die Rollenbilder von Frauen im Mittelalter untersucht - ihre ideengeschichtlichen Ursprünge, die Schönheitsideale, Sexualität, Arbeitswelt und natürlich die Frage, warum uns das alles heute überhaupt noch interessieren sollte.

Montag, 11. Dezember 2023

Rezension: Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society (Teil 2)

 

Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society (Hörbuch)

Teil 1 hier.

Dem Orgasmus kam dabei eine überraschend wichtige Rolle zu, weil in der Überzeugung der Zeitgenoss*innen galt, dass ohne ihn keine Empfängnis möglich sei. Anders als etwa in der Antike mussten BEIDE Partner Lust empfinden und zum Höhepunkt kommen. Es war die Aufgabe des Mannes, ihn zu empfinden (also selbst fähig zu sein) und ihn bei der Frau herbeizuführen, und zwar ausschließlich vaginal (weil alles andere ja bedeuten würde, dass Sex auch Spaß macht, und das war wiederum supekt). Bevor man sich aber zu sehr über dieses scheinbar progressive Element freut: es hatte den nicht unerheblichen Nachteil, dass man davon ausging, dass Vergewaltigungen oder Prostitution ohne Schwangerschaft ausgingen, wenn Frauen es nicht genießen würden - und da wir heute wissen, wie die Natur funktioniert, können wir uns die Folgen dieses Irrtums sehr gut ausmalen.

Freitag, 8. Dezember 2023

Rezension: Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society (Teil 1)

 

Eleanor Janega - The Once and Future Sex: Going Medieval on Women's Roles in Society (Hörbuch)

"Zustände wie im Mittelalter" ist ein geflügeltes Wort, um vage rückständige und unattraktive Zustände zu beschreiben. Dabei wissen wir sehr wenig über diese Epoche und arbeiten oft mit Klischees, die Autoren aus der Renaissance und der Neuzeit prägten, um ihre eigene Zeit in strahlenderem Licht erscheinen zu lassen. Eleanor Janega hat es sich bereits seit Längerem zur Aufgabe gemacht, Fehlvorstellungen über das Mittelalter zu korrigieren. Auf ihrem Blog "Going Medieval" veröffentlicht sie immer wieder solche Betrachtungen. Nun liegt ein Buch von ihr vor, in dem sie die Rollenbilder von Frauen im Mittelalter untersucht - ihre ideengeschichtlichen Ursprünge, die Schönheitsideale, Sexualität, Arbeitswelt und natürlich die Frage, warum uns das alles heute überhaupt noch interessieren sollte.

Mittwoch, 6. Dezember 2023

Rezension: Wolfgang Will - Alexander der Große. Geschichte und Legende

 

Wolfgang Will - Alexander der Große. Geschichte und Legende

Es ist wohl keine Übertreibung festzustellen, dass Alexander der Große eine der mythenumranktesten Personen der Weltgeschichte ist. Bereits im antiken Rom erfüllte er eine narrative Rolle, die durchaus mit Marvel-Superhelden vergleichbar ist, war Vorbild und Gegenstand historischer Diskussionen. Merkreime wie "333 - Bei Issos große Keilerei" bestimmten Jahrzehnte den Geschichtsunterricht, in dem weitgehend unkritisch gelernt wurde, dass Alexander den Gordischen Knoten durchschlug und im Suff einen seiner besten Freunde erschlug. Dabei ist erstaunlich, wie wenig tatsächlich über den König bekannt ist - während die Frage, ob er das Attribut "der Große" überhaupt verdient, eine Standardfrage im modernen Geschichtsunterricht darstellt (während die breite Öffentlichkeit ihr Interesse an ihm wie an der Antike generell weitgehend verloren hat). Wolfgang Will hat es sich in diesem schmalen Band zur Aufgabe gemacht, die bekanntesten Mythen auf ihren Wahrheitsgehalt zu untersuchen. 

Montag, 4. Dezember 2023

Rezension: Frank Bösch - Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann

 

Frank Bösch - Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann

Die Frage, wann die Moderne beginnt, ist eine in der Geschichtswissenschaft hochumstrittene. Der untere Rand des Spektrums wird üblicherweise durch die Aufklärung und die bürgerlichen Revolutionen ab der Mitte des 18. Jahrhunderts gebildet. Frank Bösch legt die Latte in seinem vorliegenden Buch wesentlich höher: er lässt unsere moderne Welt 1979 beginnen. Dabei behauptet er nicht, dass Schlag am 1.1.1979 ein neues Zeitalter anbrach, sondern eher, dass in dieses Jahr viele Ereignisse fielen, deren Genese und Folgewirkungen besonders prägend waren. Diese Ereignisse und Dynamiken, die üblicherweise fernab deutscher Grenzen stattfanden, hatten doch immer Rückwirkungen auf das damals noch geteilte Deutschland. Trotz des internationalen Ansatzes der Ereignisse legt er daher den Schwerpunkt darauf, ihre Auswirkungen auf die beiden Deutschland zu beschreiben. Inwieweit dieser Ansatz trägt, soll die folgende Rezension erkunden.

Freitag, 1. Dezember 2023

Rezension: Frank Bösch - Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann (Teil 3)

 

Teil 1 hier, Teil 2 hier.

In Kapitel 8, "Die zweite Ölkrise", geht es dann endlich zu dem Ereignis, das die anderen Kapitel immer wieder berührte: die zweite Ölkrise. Bösch beginnt sinnigerweise mit einem Rückblick auf die Ölkrise 1973. Diese kam nicht aus dem Nichts; die Ölpreise waren bereits seit den 1960ern im Anstieg, was ein ganzes Bündel von Ursachen hatte und für das auf das billige Öl angewiesene Wirtschafts- und Wachstumssystem des Westens ein Anzeichen für Probleme wenigstens hätte sein sollen. Der eigentliche Ölboykott im Rahmen des Jom-Kippur-kriegs diente den westlichen Regierungen dann als praktischer Sündenbock, um eigene Versäumnisse zu übertünchen (ein Schelm, wer da Parallelen zur heutigen Situation erkennen möchte).