Dies ist die Fortsetzung des ersten Teils.
Die Schlacht von Azincourt |
Vermutlich hätte der Krieg 1415 bei Azincourt effektiv enden können. Henry hinterließ keinen regierungsfähigen Erben, und wie die Geschehnisse nach seinem frühen Tod 1422 zeigen sollten, war ohne einen starken, an den französischen Besitzungen interessierten Monarchen das englische System nicht fähig den Krieg mit der notwendigen Ernsthaftigkeit zu führen. Doch einstweilen war das alles Zukunftsmusik, denn die französische Ritterschaft verspielte auf dem Feld von Azincourt ihre Zukunft und ihren Ruf.
Die Schlacht von Azincourt |
Im Matsch des Ackers von Azincourt kamen die Pferde allerdings kaum voran. Die englischen Bogenschützen dagegen, hinter Deckungen von gespitzten Pfählen und in den Boden gerammter Piken geschützt, schossen Welle um Welle an Pfeilen ab - drei pro Minute, in hohem Bogen, so dass sie die ungeschützten Hinterteile der Pferde trafen, die ihre schwer gepanzerten Ritter abwarfen und wie hilflose stählerne Käfer im Dreck liegen ließen. Danach machte sich das englische "Gesindel" daran, den feinen französischen Adeligen mit Keulen und Steinen die gepanzerten Schädel einzuschlagen, Kehlen durchzuschneiden und die ringbewehrten Finger von den Händen zu schneiden, um Zeit zu sparen. Einem französischen Trupp allerdings gelang es inmitten des Schlachtens, bis zum englischen Tross durchzukommen und diesen ernsthaft zu bedrohen. Der König brauchte jeden Mann und befahl deswegen, die Ritter, die man bislang im Feldzug gefangen genommen hatte und gegen Lösegeld auszutauschen hoffte, zu exekutieren um die Bewacher ebenfalls in die Schlacht werfen zu können - ein unglaublicher Bruch mit dem ritterlichen Kodex.
Auf dem Schlachtfeld von Azincourt starb nicht nur die ritterliche Blüte Frankreichs, sondern auch ein Teil ihres Rufs. Bisher hatte dieser Schwertadel seine Legitimation gegenüber der Bevölkerung aus der Tatsache gezogen, dass er diese beschützte und dafür entsprechende Privilegien genoss. Doch offensichtlich war der Adel nicht in der Lage, das Volk zu beschützen. Wozu brauchte man ihn also? Es war diese Saat, auf der später das absolute Königtum von Versailles und sein zur Staffage reduzierter Adel gedeihen sollte.
Machtgebiete im Verlauf des Krieges (man beachte 1429) |
Allein, Henry V. starb kurz nach Karl VI. überraschend 1422. Sein minderjähriger Sohn Henry VI. wurde zwar sofort zum König von Frankreich und England gekrönt, würde jedoch noch über ein Jahrzehnt nicht selbst regieren können. Zudem hatte Henry V. bereits 1421 eine schwere Niederlage gegen die mittlerweile in Frankreich gelandeten Schotten erlitten. Die Situation war also keineswegs so stabil, wie sie zuerst schien. 1429 allerdings belagerten die Engländer das letzte große Zentrum des französischen Widerstands, die Stadt Orléans. Würde sie fallen, bliebe Karl VII., dem mit Hilfe des Hauses Orléans vom Süden Frankreichs aus regierenden Gegenkönig, praktisch nichts mehr. Doch bevor wir uns den dramatischen Ereignissen zuwenden, sollten wir noch einmal zum Vertrag von Troyes zurückkommen.
Denn wie bereits Brétigny zuvor markiert auch Troyes eine Zäsur. Wie so oft zeigte sich die Bedeutung der geschlossenen Verträge jedoch nicht sofort, sondern erst im Lauf der nächsten Jahre. Wir Historiker, die wir über die Gnade der späten Geburt verfügen, sehen das natürlich heute deutlicher. Mit dem Vertrag von Troyes stellt Haus Plantagenet seinen Anspruch auf den französischen Thron auf einen gänzlich neuen Boden. Hatte man vorher mit der Verwandtschaft und Erbansprüchen argumentiert, so hatte man nun zwar offiziell sowohl vom französischen König als auch der Ständeversammlung die Nachfolge des ohenhin nur noch absehbare Zeit lebenden Karl VI. bestätigt und bis zu diesem Zeitpunkt die Regentschaft inne. Der Anspruch stützte sich nun jedoch nur noch auf ein schön beschriebenes Stück Papier, eben den Vertrag von Troyes, denn auch nichts anderem beruhte die Königskrönung Henry VI. Englands Anspruch auf den französischen Thron stand und fiel also mit seiner Fähigkeit, die Bestimmungen des Vertrags von Troyes durchzusetzen.
Jeanne d'Arc |
Jeanne d'Arc wurde um 1412 als Bauerntochter geboren und erhielt angeblich mit 12 Jahren ihre erste Vision von den Engeln, in der sie aufgefordert wurde, die Engländer zu vertreiben und den Dauphin in Reims krönen zu lassen. 1428 bat sie um eine offizielle Audienz. Es ist bis heute nicht vollständig geklärt wie es ihr gelang, diese zu erreichen. Die reine Bewegtheit über ihre Reinheit und ihre Visionen wird es kaum gewesen sein. Eine der vielen Theorien beinhaltet, dass es sich um eine illegitime Tochter des Dauphin gehandelt habe, was nicht vollständig von der Hand zu weisen ist. In jedem Falle gelangte sie auf die eine oder andere Weise vor Karl, von dem sie eine Armee forderte, um die Engländer aus Orléans zu vertreiben. Sie bekam sie, vermutlich (dies ist zumindest die Theorie des Historikers Stephen Richey), weil alle rationalen Möglichkeiten ausgeschöpft waren und niemand mehr eine Lösung wusste. Zu verlieren jedenfalls hatte man nicht mehr viel. In Orléans angekommen "bewies" Jeanne d'Arc ihre Vorsehungkraft damit, dass sie die Schlacht der Heringe und ihr Ergebnis exakt voraussagte. Jene Schlacht, die eigentlich nur ein unbedeutendes Scharmützel um einen Tross mit Heringsfässern war (daher auch der merkwürdige Name) und ohne ihre Prophezeiung wohl nie bekannt geworden wäre, verhalf ihr zu einem gewissen Rennomee, und obwohl die Adeligen in Orléans sie vom Kriegsrat ausschlossen und versuchten, sie zu behindern, konnte Jeanne d'Arc erfolgreiche Ausfälle anführen und die Engländer tatsächlich aus der Stadt vertreiben. In kurzer Folge erzielte sie danach eine weitere Reihe von Siegen, ehe Karl VII. im wiedereroberten Reims endgültig gekrönt werden konnte.
Jeanne d'Arcs Hinrichtung |
Zum Verhängnis wurde ihr dabei neben der Hochmut, die man ihr einfach trotzdem unterschob, vor allem dass sie Männerkleider getragen habe, was zum damaligen Zeitpunkt einem ziemlich schweren Vergehen gleichkam, besonders, da sie dies angeblich sogar noch im Gefängnis getan habe (aus dem sie unter anderem durch einen Sprung von einem über 20m hohen Turm zu entkommen versucht hatte). Jeanne d'Arc wurde im Alter von nur 19 Jahren öffentlich verbrannt. Ihr Ansehen allerdings etablierte sich nie als das einer Ketzerin. Bereits im Revisionsprozess von 1454 wurde das alte Urteil zunichte gemacht und sie zur Märtyrerin der Kirche erklärt. Noch heute nutzen französische Nationalisten und Frauenrechtler gern ihr Andenken für ihre Zwecke, auch wenn die Hochphase der Jeanne d'Arc-Propaganda im 19. und frühen 20. Jahrhundert lag.
Schlacht von Formigny |
Dies war auch möglich geworden, weil sich in der Bevölkerung ein fundamentaler Wandel abzuzeichnen begann. Der Krieg führte wenn nicht zur Herausbildung eines Nationalbewusstseins so doch zumindest zu einer deutlichen Abgrenzung: die Engländer betrachteten alle Franzosen mehr und mehr als Gegner, auch die an den Kämpfen nicht beteiligte Zivilbevölkerung, die mit einer ähnlichen Anitpathie gegenüber den mehr und mehr als Besatzern wahrgenommenen Engländern antwortete - wahrlich keine guten Bedingungen, um ein Land zu regieren. In der damals üblichen Kriegsführung, die sich aus dem Lande ernährte, war eine feindlich eingestellte Zivilbevölkerung ebenfalls von entscheidendem Nachteil. Englands fundamentaler Baustein zur endgültigen Anerkennung der Niederlage 1453 war aber, dass Frankreich seinen politischen Partikularismus überwand und eine einheitlichere, schlagkräftigere Struktur herausbildete, während England seinerseits mit inneren Problemen und Wirtschaftskrisen zu kämpfen hatte. In der ersten Hälfte des Krieges hatte es von der Spaltung Frankreichs profitiert. In der zweiten Hälfte jedoch drehte Karl VII. den Spieß um. England verblieb lediglich der Point du Calais bis ins 16. Jahrhundert, und es sollte nie wieder eine große Festlandsmacht werden. Sein Aufstieg zur europäischen Großmacht war gestoppt, sein Status auf den einer Mittelmacht zurückgestutzt. Es sollte bis ins späte 16. Jahrhundert dauern, ehe sich mit der Verschiebung des Fokus' auf die Neue Welt die maritime Macht Englands bemerkbar machen sollte. Doch das ist eine andere Geschichte.
Weiterführende Literatur:
Gerd Krumeich - Jeanne d'Arc
Joachim Ehlers - Der Hundertjährige Krieg
Anne Curry - The Hundred Years War
Kenneth Fowler - The Hundred Years War
Bildnachweis:
Azincourt - Unknown (gemeinfrei)
Schlachtplan - Andrei Nacu (gemeinfrei)
Machtbereiche - Andrei Nacu (gemeinfrei)
Jeanne d'Arc - Unknown (gemeinfrei)
Hinrichtung - Hermann Stiltke (gemeinfrei)
Formigny - Unknown (gemeinfrei)
Vielen Dank
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