Freitag, 8. Oktober 2010

Zwei Filme, historische Fakten und was sie wirklich erzählen

Von Stefan Sasse

Im Jahr 2005 kam der Film "Kingdom of Heaven", zu deutsch "Königreich der Himmel" in die Kinos. Er porträtierte die Geschichte eines jungen Kreuzritters namens Balian, der zum Baron von Ibelin und Vertrauten König Balduin IV. aufsteigt, ehe er sich nach der katastrophalen Schlacht von Hattin mit der Verteidigung von Jerusalem betraut sieht, die von einem weit überlegenen Heer Saladins geführt wird. Es ist lohnenswert, sich mit diesem Film zu befassen, denn es handelt sich um einen der besten Historienfilme überhaupt. Warum aber ist das so? 

Der Film errang keine überragenden Kritiken, als er in die Kinos kam, und darf auch nicht als überragender Publikumserfolg gelten. Die Geschichte war zu schlaglichtartig, schlecht zusammengefügt und die tragenden Charaktere waren blass und seltsam entrückt. Um es kurz zu sagen: "Königreich der Himmel", wie er 2005 in die Kinos kam, wirkte unfertig, war kein besonders guter Film und ließ den Zuschauer wenig berührt zurück. Das lag daran, dass die erste von Ridley Scott abgegebene Version 194 Minuten umfasste und das Studio in einem für Hollywood leider typischen Anfall von Unterschätzung des Zuschauerst forderte, den Film auf zwei stunden zu kürzen und den Fokus auf Action und Romanze zu legen; entsprechend wurde das fertige Werk auch vermarkter ("vom Regisseur von Gladiator" sagt schon alles). 2006 jedoch veröffentlichte Ridley Scott seinen Director's Cut auf DVD. Der "Königreich der Himmel", der hier veröffentlicht wurde, ist ein praktisch völlig anderer Film. Er ist fast 45 Minuten länger und beseitigt sämtliche Fehler des Hauptwerks, das dadurch zu einem konsistenten und überzeugenden Ganzen wird, das bei weitem nicht die Aufmerksamkeit erfährt, die es verdient.


Wie bei jedem Historienfilm strotzt auch "Königreich der Himmel" vor historischen Ungenauigkeiten. Wir wollen uns diese näher ansehen, ehe wir uns der Frage widmen, warum der Film trotz all dieser Ungenauigkeiten so grandios geworden ist und worin sein eigentlicher Wert liegt. Die Ungenauigkeiten beginnen bereits bei der Hauptperson Balian von Ibelin; tatsächlich war dieser kein Schmied in Frankreich, sondern der jüngere zweier Söhne aus dem Haus Ibelin, einer der mächtigsten Familien des Königreichs Jerusalem, die in zahlreiche Konflikte um die Krone verstrickt war. Er nahm entgegen der Film-Version auch an der Schlacht von Hattin teil, überlebte jedoch und wurde von Saladin unter Eid freigelassen, nicht länger als einen Tag in Jerusalem zu bleiben. Der dortige Patriarch entband ihn jedoch von dem Eid, so dass er - wie im Film - die Verteidigung übernahm, wo er zwar 60 Adelige zum Ritter schlug, aber nicht wie im Film sämtliche Verteidiger. 

Auch die Person Raimund III. von Tripolis, die im Film "Tiberias" heißt und von Jeremy Irons verkörpert wird, spielt eigentlich eine andere Rolle als die des treuen Offiziers des Königs. Raimund war eigentlich mit dem König verwandt und hatte eine starke Hand in dessen Nachfolge; er nahm - ebenfalls entgegen der Filmversion - an der Schlacht von Hattin teil, überlebte jedoch und starb kurz danach. König Balduin IV. war deutlich stärker von Lepra gezeichnet als im Film, war insgesamt aber viel kriegerischer und kompromissloser. Sybilla war die treibende Kraft hinter der Krönung von Guy de Lusignan und nicht oppositionell eingestellt wie im Film. Saladin selbst war zwar tatsächlich verhältnismäßig großzgügig, der edle Araber, als der er im Film  dargestellt wird, war er aber sicher nicht; so durften die Christen die Stadt nur gegen Lösegeld verlassen, der Rest wurde versklavt. Es finden sich noch zahlreiche weitere Ungenauigkeiten, aber darum soll es nicht hauptsächlich gehen (für Interessierte siehe hier). Interessanter ist vielmehr die Frage, wie wir den Film nehmen müssen und welche Qualitäten er besitzt. 

Sicherlich ist "Königreich der Himmel" ein Historiendrama, das die Welt der Kreuzzüge relativ genau wiedergibt und auch den Mentalitäten und Realitäten der damaligen Zeit einen breiten Raum gibt. Doch zwei große Topoi beherrschen den Film, die definitiv anachronistisch sind: zum einen der Versuch der friedlichen Koexistenz von Muslimen und Christen im Heiligen Land, der sich angeblich sowohl Balduin IV. als auch Saladin verschrieben haben, und zum anderen die Frage nach der Toleranz von Religionen. Für beides kann kein Präzedenzfall angenommen werden, der in irgendeiner Art und Weise durch die tatsächlichen Geschehnisse gedeckt wäre. Und darum geht es auch überhaupt nicht, denn "Königreich der Himmel" ist letztlich ein Film mit einer klaren Botschaft, die unter dem äußerst opulenten und gut gemachten Historiendrama nur versteckt wurde. 

Diese Botschaft ist klar: religiöser Fanatismus führt nirgendwo hin, was es braucht, ist gegenseitiges Verständnis und Toleranz. Sowohl Balian als auch Saladin verkörpern diese Ideale im Film in Reinform. Tiberias vertritt sie ebenfalls, sieht sich allerdings durch die Zwänge der Realpolitik immer wieder abgehalten, und Balduin IV. möchte ebenfalls ein "Königreich des Gewissens", wie er es ausdrückt, erschaffen. Friede und Koexistenz im Heiligen Land? Im Abspann wird für den, der die Botschaft bis dahin nicht verstanden hat noch einmal explizit gesagt, dass im Nahen Osten noch heute gekämpft wird, über genau dieselben Fragen. Wer bis dahin nicht verstanden hat, ist allerdings wahrlich selbst schuld. 

Wir brauchen mehr Filme wie "Königreich der Himmel", nicht weniger, so viel ist sicher. Sieht man sich im Gegenzug die Historienfilme an, die in der letzten Zeit fast fließbandartig aus deutschen Filmschmieden kommen, werden einem schmerzlich die Unterschiede bewusst, und das nicht nur am Budget: nicht nur verstehen die Macher der deutschen Historienfilme offenbar nicht, dass es einen Unterschied zwischen Spielfilm und Doku gibt und dementsprechend eine vernünftige, konsistente und interessante Geschichte erzählt werden muss (was im deutschen Film einem oft ermüdenden, zusammenhangenlosen Aneinanderhängen akkurat rekonstruierter Geschehnisse gleicht, wie etwa im "Baader-Meinhoff-Komplex"), nein: oft genug ist die Stoßrichtung der deutschen Historienfilme eine revisionistische und propagandistische, in der historische Zusammenhänge ebenfalls falsch dargestellt werden, ohne dass man dabei die Fakten verändern würde. Dies wird in "Die Flucht" beispielhaft deutlich, wo eine Adelige tapfer die offensichtlich selbst unfähigen Flüchtlinge des einfachen Volkes anführt, die unschuldig vor der barbarischen Roten Armee flüchten. Vollends absurd ist dann der Subplot um den Untergang der "Wilhelm Gustloff", für den ein kommunistischer Spion verantwortlich sein soll, der bei vollem Bewusstsein den unmenschlichen Kommunisten den Aufenthaltsort des Flüchtlingsschiffes preisgibt.

Auf solche Botschaften kann man getrost verzichten. Stattdessen sind intelligente, humanen Werten verbundene und dazu noch handwerklich sehr gut gemachte Werke wie "Königreich der Himmel" deutlich vorzuziehen. Wer den Director's Cut bisher noch nicht gesehen hat, sollte dies dringend nachholen. Er unterscheidet sich so radikal und zum Besseren von der mittelmäßigen Kinoversion, dass die Rede von zwei Filmen absolut gerechtfertigt erscheinen muss. 

Weiterführende Literatur: 
Bildnachweis: 
Beide Bilder Amazon.de

11 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. OK, das Touchpad hat scheinbar gestreikt, nochmal:
    Eine gelungene Würdigung des Films und eine ebenso gute Kritik der gegenwärtigen deutschen Filme des Genres.
    Ein Vergleich mit den üblichen Hollywood-Produktionen zeigt ebenfalls die Stärke dieses Films.
    Es ist ein Film mit viel Action und Gewalt, wie andere Filme dieser Art auch, aber im Unterschied dazu erhoffen sich die "Helden" keine Lösung ihrer Konflikte die Krieg und Gewalt. Stattdessen hoffen sie, in einer insgesamt gewalttätigen Zeit, irgendwann ohne sie leben zu können.
    Mir fällt spontan kein Film ein, der so actionreich ist und trotzdem eine so hoffnungsvolle Botschaft vermittelt.
    Historische Genauigkeit ist vielleicht gar nicht notwendig um einen Historienfilm gut werden zu lassen. Wenn sie es wäre, dann könnten solche Filme schnell von der Forschung überholt werden, denn die Geschichtswissenschaft steht bekanntlich nicht still und was heute als historisch genau angesehen wird, kann morgen schon im Licht neuer Forschung als überholt gelten.
    Dennoch glaube ich, dass ein Spielfilm oder ein Roman die Möglichkeit haben eine Art historischer Wahrheit zu erfassen, die ebenso wichtig ist. Es ist eine mehr "subjektive" Wahrheit, die nicht die Vergangenheit als Objekt darstellt, sondern als eine Beziehung zwischen dem heutigen Betrachter und der Geschichte. Als Forscher bleiben wir trotz aller Versuche auf Objektivität standortgebunden und vorurteilsbehaftet und werden oft nur unsere eigenen Vorstellungen finden, wo wir die, der Vergangenen gesucht haben. Der Roman und der Film hingegen schlagen stattdessen vor, einmal die eigenen Haltungen ernst zu nehmen und damit einen zwar subjektiven, aber dadurch auch weniger überholbaren Zugriff auf Vergangenes zu erlauben(z. B. Der Versuch der Romantiker, ein Mittelalter zu denken, das nicht unbedingt historisch genau ist, aber eine Orientierungshilfe bot, in einer entzauberten Welt). Der historische Film nutzt so die Vergangenheit als eine Möglichkeit sich über die Gegenwart klarer zu werden. Das gelingt dem "Königreich der Himmel".

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  3. Ist zwar unwesentlich, aber der "edle Araber Saladin" war Kurde.

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  4. Ja ich weiß ^^ Deswegen hab ich das aufgenommen; er konnte zwar auch eine richtig üble Sau sein (und war es öfter), letztlich hat er sich aber sicher zivilisierter und edler gezeigt als seine Widersacher.

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  5. Noch zwei Literaturtips (Sachbücher) zu diesem Thema. Beide Bücher sind wirkliche Lesevergnügen!
    Nummer 1:
    Historisch:
    Sea of Faith von Stephen O´Shea

    Nummer 2:
    Zum Verständnis der aktuellen Situation(ist zwar auch schon einige Jahre alt, aber immer noch das BESTE was ich dazu kenne):

    William Dalrymple: From the Holy Mountain.

    Beide als TB erhältlich. Beide nicht auf deutsch.

    Gruß
    bel

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  6. Danke.

    Hättest du evtl. Interesse an einer Rezension an einem von den (oder von) beiden Büchern?

    Wenn ja Kontakt:
    bel.langenet@gmx.net

    Gruß bel

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  7. ich hatte keine ahnung das es ne uncut version von dem film gibt und hatte auch keine grosse lust die kinofassung nochmal zusehen aber nach deinem bericht werd ich mich mal auf die suche nach der version begeben
    danke

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  8. Huch tolle, und wirklich fundierte Kritik. Dachte schon ich bin der Einzigste dem "Königreich der Himmel" trotz aller historischen "Fehler" gefiele. Historische Ungereimtheiten können sich als Unerträglich erweisen - siehe Robin Hood - aber dieses Aufhängen an an historischen Fakten, wie man es so häufig bei amazon-Kritiken beobachten kann, ist aber eben sowenig erträglich.

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  9. Woran erkennt ihr dass Saladin im Film als araber dargestellt wird? Ich kann keine Unterschied im Aussehen zwischen Araber und Kurde feststellen. für mich sehen die so gleich aus wie Franzose und Lette. ich bitte um Aufklärung

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  10. Vor allem muss ich immer schallend lache: Die Moslems hätten vor der Ankunft der Kreuzritter Toleranz gegenüber Andersgläubigen geübt: NEIN! Die Zerstörung der Grabeskirche und Vetreibung der Christen aus Jerusalem im Jahr 1009, durch den fatimidischen Kalifen al-Hakim, ar eigentlich der Auslöser für den ersten Kreuzzug. Dazu kam eine extreme und gewalttätige islamische Expansion im Nahen Osten bis in den Mittelmeerraum, in der gleichen Zeitperiode.
    Dass auf christlicher Seite auch Fanatismus, Hass und Machtgier standen - wen wundert es?
    Die abrahamitischen Religionen sind alle gewalttätig und intolerant.
    Erst die Aufklärung hat in Europa dem Spuk ein Ende gesetzt.

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