Donnerstag, 10. März 2011

Pol Pot und die Wissenschaften

Ein Gastbeitrag von Christoph Jehle

Pol Pot 1978
Nach der Machtübernahme durch die Roten Khmer unter der Führung von Pol Pot (aka Saloth Sar) im Jahr 1975 kam in Kambodscha ein beachtlicher Teil des Bildungsbürgertums zu Tode. Teilweise geschah dies aufgrund der Strapazen bei der Umsiedlung auf’s Land, teilweise wurden ihre Vertreter systematisch verfolgt und ermordet. Eine Spurensuche.

Nach der Regierungsübernahme im Jahre 1975 ließ Pol Pot die Stadtbevölkerung zur Arbeit auf das Land vertreiben. Ein Hintergrund dieser Entwicklung war offensichtlich eine massive Aversion gegen die kambodschanische gebildete Mittelschicht. Um zu verstehen, wie sich aus dieser feindseligen Grundstimmung der Tod von bis zu 3 Millionen Einwohnern entwickelte, soll hier die Vorgeschichte von Pol Pot und seinen Gefährten im Vorfeld der Regierungsübernahme in Kambodscha dargestellt werden. Wer nun davon ausgeht, dass es sich hier um eine Geschichte aus dem südostasiatischen Dschungel handelt, übersieht den kulturellen Einfluss Frankreichs auf Indochina (Kambodscha war seit 1863 französisches Protektorat.) und die offensichtlich prägende Studentenzeit von Saloth Sar und seinen Kommilitonen im Paris der 1940/50er-Jahre. Es waren in Europa entstandene Ideen, die in Kambodscha umgesetzt wurden.

Saloth Sar (ausgesprochen wie: Soloth Sor) wurde am 19. Mai 1925 in Prek Sbauv einem kleinen Fischerdorf am Sen, einem Zufluss des Tonle Sap im Nordosten Kambodschas geboren. Der Tonle Sap zählt zum Flussregime des Mekong und ist über die Region hinaus dadurch bekannt, dass sich dort je nach Wasserführung des Mekong, die Fließrichtung ändert. Die Familie Saloth zählte offensichtlich zur vergleichsweise begüterten dörflichen Mittelschicht und verfügte über gute Kontakte zum Königshaus in Phnom Pen. Sein Bruder Saloth Chhay war als Journalist am Königshof bekannt und zwei seiner Schwestern sollen dort verkehrt haben. Ob als Tänzerinnen am Hof oder als Konkubinen ist nicht eindeutig belegt. Mit sechs Jahren kam Saloth Sar in die Hauptstadt zu einem seiner Brüder, der im königlichen Palast beschäftigt war. Seine schulische Bildung begann im benachbarten buddhistischen Kloster. Nacheinander besuchte er in der Folge mehrere französisch-sprachige Schulen und ein katholisches Gymnasium.

Anti-Kolonialwerbung der frz. Kommunisten
Im Jahre 1946 soll er dem anti-französischen Widerstand der verbotenen Indochinese Communist Party beigetreten sein, die 1930 von Ho Chi Minh in Kowloon (Hong Kong) gegründet worden war. Ab 1947 durfte Saloth Sar auf das elitäre Gymnasium „Lycée Sisowath“, das auch Kinder des Königshauses besuchten. Er war aber auch dort wohl nicht sehr erfolgreich. Von keiner Schule ist ein Abschluss bekannt.
Dennoch erhielt er im Jahre 1949 ein Stipendium der Regierung, um in Paris Radiotechnik zu studieren. Auch hier wiederum ohne Abschluss begeisterte er sich offensichtlich für marxistische und sozialistische Literatur und fand Kontakt zu anderen kambodschanischen Studenten wie Ieng Sary, Khieu Samphan, Khieu Ponnary und Song Sen, die als Pariser Studentengruppe später die Führung der Roten Khmer (Khmer Rouge) übernahmen. In seiner Pariser Zeit war Saloth Sar wohl auch Mitglied der französischen KP (KPF) und engagierte sich dafür, den Verband der Khmer-Studenten zu einer links-nationalistischen Organisation zu entwickeln, welche die Regierung unter Sihanouk herausforderte. Auch in Paris hatte Saloth Sar keinen akademischen Abschluss erreicht. Zu den aus dieser Zeit aus seiner Hand überlieferten Texten zählt die in der Studentenzeitschrift „Khmer Nisut“ veröffentlichte Abhandlung “Monarchie oder Demokratie“, in welcher er ausführt, dass die Monarchie nur eine widerwärtige Pustel sei, die vom Blut und Schweiß der ländlichen Bevölkerung lebe. Nur die Nationalversammlung und demokratische Rechte könne dem kambodschanischen Volk etwas Luft zu Atmen verschaffen.

Im Jahre 1951 hatten die USA einen Entwicklungshilfe-Vertrag mit Kambodscha abgeschlossen, das zu diesem Zeitpunkt ein nominell unabhängiger Staat innerhalb der Union de France war. Sihanouk der erst 1953 mit der vollständigen Unabhängigkeit des Landes aus dem Exil zurückgekehrt war, erklärte 1955 die Neutralität Kambodschas im Vietnamkrieg, duldete aber die Anwesenheit kommunistischer Gruppen auf kambodschanischem Staatsgebiet. Er kündigte im November 1963 den USAID-Vertrag und brach offensichtlich im Jahre 1965 die Beziehungen zu den USA ab, weil er sein Land aus den Wirren des Vietnamkriegs heraus halten wollte. Im Laufe der 1960er-Jahre wuchs die politische Opposition in der Mittelklasse und aus dem Kreis der linken Gruppen wie der Kommunistischen Partei unter Führung der Pariser Studenten Son Sen, Ieng Sary und Saloth Sar. Dieser fand während seiner Pariser Zeit offensichtlich Gefallen an der französischen Literatur und an den Büchern von Karl Marx. Ieng Sary (*1930) hatte wie Saloth Sar das Elite-Gymnasium „Lycée Sisowath“ in Phnom Penh besucht, bevor er sein Studium am Institut d’Etudes Politiques in Paris begann. Khieu Samphan (*1931) studierte Wirtschaft und Politologie in Paris und schrieb 1959 seine Dissertation mit dem Titel „Kambodschas Wirtschaft und seine industrielle Entwicklung“. Er wurde an der Pariser Universität ebenso erfolgreich promoviert wie Hou Yuon (*1930), der Wirtschaft und Jura studierte und eine Dissertation unter dem Titel „Die kambodschanische Landbevölkerung und ihre Aussichten für eine Modernisierung“ schrieb. Son Sen (*1930) studierte Erziehungswissenschaften und Literatur. Hu Nim (*1932) studierte Jura und schloss sein Studium im Jahre1965 erfolgreich in Phnom Penh ab.

Statue komm. Arbeiter, Indien
Die Mitglieder der Pariser Gruppe zählten zur damaligen kambodschanischen Elite und studierten mit Stipendien der Regierung in Paris. Rückblickend gesehen zählte die Gruppe der Pariser Studenten zur wohl best gebildeten Führungsgruppe asiatischer kommunistischer Parteien und es schien manchem rätselhaft, dass sie nach 1975 eine der blutigsten gesellschaftlichen Umwälzungen in Asien begannen. Inspiriert wurden die Studenten offensichtlich von den politischen Diskussionen im Paris der unmittelbaren Nachkriegszeit. Sie orientierten sich zusehends an den Ideen des Marxismus-Leninismus und Saloth Sar sowie Ieng Sary schlossen sich schon bald der Kommunistischen Partei Frankreichs an. Von beiden wird berichtet, dass sie 1951 an einem Jugendfestival in Ostberlin teilnahmen und, dass dies sich als Wendepunkt ihrer ideologischen Entwicklung herauskristallisierte. In Berlin trafen sie offensichtlich andere Kambodschaner, die gemeinsam mit dem Viet Minh kämpften. Den Besuchern aus Paris schien diese Situation zu unterwürfig gegenüber den Vietnamesen und so kamen sie zur Überzeugung, dass die Revolution in Kambodscha nur mit einer streng disziplinierten Parteiorganisation und der Bereitschaft zum militärischen Kampf gelingen konnte.

Im Jahre 1952 sandten Saloth Sar, Hou Yuon, Ieng Sary und andere einen offenen Brief an Prinz Sihanouk und bezeichneten ihn als „Würger der jungen Demokratie“. Als Konsequenz dieser Entwicklung schlossen die französischen Behörden die KSA im folgenden Jahr. Als Antwort auf das Verbot durch die französischen Behörden beteiligten sich Hou Yuon und Khieu Samphan 1956 an der Gründung der marxistisch ausgerichteten Kambodschanischen Studenten Union. In den 1950er-Jahren wurden in Paris ganz offensichtlich die Grundlagen für die spätere Entwicklung in Kambodscha gelegt. Zu den wichtigsten Grundlagen der späteren Politik der Roten Khmer zählten offensichtlich die erwähnten Dissertationen von Hou Yuon und Khieu Samphan. In seiner Dissertation hatte Hou Yon die Vorstellung, dass Verstädterung und Industrialisierung Voraussetzungen für die Entwicklung eines Landes seien, in Frage gestellt und den Bauern auf dem Land größere Bedeutung beigemessen. Khieu Samphan betonte, dass die Wirtschaft Kambodschas sich selbständig und unabhängig von den Industriestaaten entwickeln müsse. Er sah die Rückständigkeit der Dritten Welt in der wirtschaftlichen Dominanz der Industriestaaten begründet. Interessanterweise gab es in den Industriestaaten noch bis in die 1970er-Jahre die Vorstellung, dass die Länder Südostasien grundsätzlich nicht entwicklungsfähig seien.

Schädel von Opfern der Roten Khmer
Für Saloth Sar, der bislang weniger durch wissenschaftliche Leistungen, als durch sein politisches Engagement in Erscheinung trat ging die Studentenzeit in Paris im Jahre 1953 zu Ende, als sein Stipendium beendet wurde. Er ging zurück nach Kambodscha und arbeitete für die Kampuchean People’s Revolutionary Party (KPRP). Seinen Lebensunterhalt verdiente er in dieser Zeit als Lehrer für Geschichte und Geografie an einer Privatschule. Er soll bei seinen Schülern beliebt gewesen sein. Es fällt auf, dass Saloth Sar, der in diesen Jahren den Namen Pol Pot angenommen haben muss, bei Menschen die direkt mit ihm zu tun hatten, meist als freundlich und gesellig beschrieben wird. Im Jahre 1960 waren wohl alle Mitlieder der Pariser Studentengruppe nach Kambodscha zurückgekehrt und sie übernahmen die Führung der KPRP und gaben ihr den Namen „Arbeiterpartei von Kampuchea“. Pol Pot, der zuvor schon Mitglied des Zentralkomitees war, wurde 1963 zum Generalsekretär der Arbeiterpartei gewählt, nachdem sein Vorgänger auf mysteriöse Weise verschwunden war. Im Sommer des Jahres verließ die meisten Mitglieder des Zentralkomitees die Hauptstadt und gründeten im Nordosten des Landes, an der Grenze zu Vietnam, das „Büro 100“. Von dort aus reiste Pol Pot 1965 auf dem Ho-Chi-Minh-Pfad nach Hanoi zu Verhandlungen mit den Nordvietnamesen, die ihn drängten, seine nationale Agenda zurückzustellen, bis die USA Vietnam verlassen hätten. Wesentlich freundlicher wurde er im Folgejahr in China empfangen. Dort hatte kurz zuvor die Kulturrevolution begonnen und die Idee der dauernden Revolution schien auch Pol Pot zu inspirieren, der sich in der Folge von Vietnam löste und mehr nach China hin orientierte. Äußeres Zeichen dieser Veränderung war der erneute Namenswechsel der Partei, die sich nun „Kampuchean Communist Party“ (KCP) nannte. In der Öffentlichkeit wurde sie als Khmer Rouge bekannt.

Ein weiteres Element, das Pol Pot und seine Politik offensichtlich prägte, war die Zeit, die er 1967 auf der Rückreise aus Nordvietnam bei einem Bergstamm im Nordosten Kambodschas verbrachte. Er war beeindruckt von ihrer einfachsten Lebensweise, die für ihn die Verkörperung der kommunistischen Ideale darstellte.Unter dem Druck der USA änderte Sihanouk seine Politik im Jahre 1969 und gab die Duldung der Kommunisten auf. Nachdem Henry Kissinger im gleichen Jahr Nixon’s Sicherheitsberater wurde, überredete er den Präsidenten, den Krieg in Vietnam auf Kambodscha und Laos auszudehnen. In der Folge wurde das vietnamesisch-kambodschanische Grenzgebiet mit B-52-Bombern angegriffen. Allein in Kambodscha kamen bei diesen Bombardierungen etwa 600.000 Menschen zu Tode.

Prinz Sihanouk 1972
Dennoch erklärte Nixon in einem Brief an Sihanouk, dass er die Neutralität Kambodschas weiterhin schätze, sorgte jedoch schon im folgenden Jahr dafür, dass General Lon Nol gegen Sihanouk putschte. Im Oktober 1971 ließ Lon Nol die Nationalversammlung mit der Begründung auflösen, er wolle das Spiel der Demokratie nicht weiter verfolgen. In der Folge der Unterstützung des Lon-Nol-Regimes durch die USA erhielten die Khmer Rouge unter Pol Pot, wie sich Saloth Sar inzwischen nannte, starken Zulauf aus der Bevölkerung. Diese rekrutierten sich einerseits aus der Anhängern von Prinz Sihanouk, andererseits aus der Landbevölkerung, die Opfer der amerikanischen B-52er-Bombardements wurde. Im Jahre 1987 veröffentlichte US-amerikanische Dokumente stützen wohl diesen Zusammenhang.

In Kambodscha dominierten die Pariser Studenten zusehends über die von Nord-Vietnam ausgebildeten Kräfte. 1974 war der Einflussbereich Lon Nols weitgehend auf Städte wie Phnom Penh reduziert. Am 17. April 1975, fünf Tage nach dem Abzug der US-Amerikaner ergab sich die kambodschanische Hauptstadt den anrückenden Gruppen der Khmer Rouge. Unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Rothen Khmer wurde Geld ebenso verboten wie Märkte. Schulen, Universitäten und die buddhistischen Klöster wurden geschlossen. Es gab keine Zeitungen und kein Postsystem mehr. Von den etwas über sieben Millionen Einwohnern Kambodschas im Jahre 1975 kamen je nach Schätzung bis zu 3 Millionen während der Herrschaft der Khmer Rouge ums Leben. Viele Kinder und alte Menschen fielen den Strapazen der Evakuierungsmärsche zum Opfer. Lehrer und Intellektuelle wurden ermordet, da sie für die neue Gesellschaft des Demokratischen Kambodscha offensichtlich nicht benötigt wurden.

Christoph Jehle schreibt über Themen aus den Bereichen Energie und Industrie und befasst sich seit vielen Jahren mit Themen der interkulturellen Kommunikation mit dem Schwerpunkt Südost- und Ostasien. Dieser Beitrag erschien zuerst im Spiegelfechter

Literaturhinweise: 

Bildnachweise: 
Pol Pot 1978 - Rumänisches Staatsarchiv (gemeinfrei)
KPF-Plakat - PCF (gemeinfrei, fair use)
Statue - David Wilmot (CC-BY-SA 2.0)
Schädel - anonym (gemeinfrei)
Sihanouk - Rumänisches Staatsarchiv (gemeinfrei)

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