Donnerstag, 28. April 2022

Rezension: Hannah Brinkmann - Gegen mein Gewissen

 

Hannah Brinkmann - Gegen mein Gewissen

Die Wiedereinführung der Wehrpflicht führte in den 1950er Jahren, zusammen mit der Debatte um die atomare Bewaffnung der Bundeswehr, zu den ersten großen Protesten der Bundesrepublik ("Ohnemich-Bewegung"). Begründet wurde die Einführung unter andem absurderweise mit dem Argument, dass das Recht auf Wehrdienstverweigerung, das im Grundgesetz festgeschrieben war, die Einführung der Wehrpflicht quasi bedinge. Ungeachtet solcher juristischen Spitzfindigkeiten sprachen handfeste außenpolitische Gründe dafür, und so kam die Wehrpflicht 1956. Das Recht auf Verweigerung dagegen blieb ein weitgehend theoretisches. Wie die Entscheidung gegen den Wehrdienst selbst in den 1970er Jahren zu massiven Repressionsmaßnahmen und Tragödien führte, zeigt Hannah Brinkmann in dieser als Comic illustrierten Familiengeschichte ihres Onkels Herrmann auf.

Herrmann wächst als Kind mit einem stark pazifistischen Einschlag auf. Zu Ärger von Vater und Onkel, beide passionierte Jäger, und zum Unverständnis seines Bruders, weigert er sich, eine Waffe auch nur anzufassen. Die Vorstellung, Wehrdienst leisten zu müssen, ist für ihn unerträglich. Bestärkt wird er darin in seiner den Idealen der 68er zuneigenden älteren Schwester. In seiner Jugend stößt er auf konventionelle Weise mit den Werten der in der Nazizeit sozialisierten Elterngeneration zusammen. Er hört moderne Musik, raucht Gras, hat lange Haare. Als das Ende der Schule näherrückt, tut dies auch der Wehrdienst.

Herrmann möchte verweigern, aber er will es ehrlich tun. Anstatt sich ein Attest ausstellen zu lassen oder auf ähnliche Tricks zurückzugreifen, möchte er aus Gewissensgründen verweigern und dafür anerkannt werden. Hierzu muss er sich einem Tribunal stellen, wie es damals noch üblich war: ein ehemaliger Wehrmachtsoffizier (technisch gesehen nur ein Veteran, aber die waren zu der Zeit alle Wehrmachtsbestand) stellte bohrende, nachgerade absurde Fragen (berühmt-berüchtigt die Frage, ob man die Freundin verteidigen würde, wenn die vor den eigenen Augen vergewaltigt würde; ein "ja" galt als Beweis, dass keine Gewissensgründe vorlägen). Der Prozess war intransparent; das Protokoll etwa durfte genauso wie die Begründung nicht eingesehen werden (was eine Berufung extrem erschwerte).

Herrmanns Gesuch wurde abgelehnt, auch in Berufung. Er wurde eingezogen und litt in der Grundausbildung furchtbar. Nach quälenden Wochen war er abgemagert, krank und depressiv. Er stand kurz vor dem Kollaps. Eine Einweisung in das Bundeswehrkrankenhaus folgte, wo aber erklärt wurde, dass es keinen Grund gebe, warum er nicht weiter Dienst leisten könnte. Der Versuch, die Depression anerkennen zu lassen, scheiterte. Daraufhin beging Herrmann Selbstmord.

Herrmanns Geschichte ist keine idealisierte. Man merkt dies in den sich wenig zu einem natürlichen Handlungsbogen zusammenschließenden biografischen Details. Unsere Leben haben es nun mal an sich, nicht dem Diktat der Erzähltheorie zu gehorchen, was ja auch Biopics entweder verlogen oder unfokussiert macht. Insofern ist die Geschichte authentisch, aber das geht natürlich auf die Kosten eines klaren Spannungsbogens und deutlicher Figurencharakterisierungen. Die geneigte Lesendenschaft möge selbst entscheiden, was ihr wichtiger ist.

Problematischer finde ich die Einordnung der Geschehnisse, die teilweise vorgenommen wird. Dass die Praxis der Verweigerung der Verweigerung unmenschlich und aus heutiger Sicht geradezu verbrecherisch war, dürfte unbenommen sein. Ein Grundrecht, das auf so leichte Art ausgehebelt werden kann, ist keines, weswegen der Paragraf in den 1970er Jahren ja auch reformiert wurde (zu spät für Herrmann Brinkmann). Gleichzeitig aber ist es Unfug, die Legitimation der Bundeswehr selbst und die Logik der Verteidigungsfähigkeit gegen den Warschauer Pakt in Abrede zu stellen, wie es leider auch getan wird. Dass die Bundeswehr eine zutiefst makelbehaftete Institution ist - geschenkt, welche ist das nicht? Auch, dass sie sicher mehr Makel als manch andere hat, ist sicherlich richtig. Aber das ändert wenig daran, dass sie grundsätzlich ihren Sinn und ihre Berechtigung hat.

Eher persönlich ist meine Abneigung gegen den Zeichenstil. Dieser gefiel mir wirklich überhaupt nicht, in einem Ausmaß, das mich ein um das andere Mal aus der Lektüre riss. In großen Teilen ist das Werk zudem vor allem ein illustrierter Text; weniger ein graphic novel, auch wenn es den Anspruch erheben mag. Es gibt einige Elemente, in denen sich etwas mehr an Bildsprache versucht wird (etwa beim Drogentrip oder den Depressionen), aber diese Elemente bleiben insgesamt überschaubar

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