Dienstag, 12. April 2022

Rezension: Johannes Burkhardt - Deutsche Geschichte in der frühen Neuzeit

 

Johannes Burkhardt - Deutsche Geschichte in der frühen Neuzeit

Nachdem Anfang des Jahres meine eigenen Wissenslücken im Bereich Frühe Neuzeit schonungslos aufgedeckt wurden, fühlte ich mich hinreichend motiviert, sie zumindest rudimentär zu füllen. Die Reihe C. H. Beck Wissen ist glaube ich allen Geschichtsstudierenden hinreichend bekannt; die um 120 Seiten dünnen Büchlein verstehen sich als Überblicksdarstellungen und Einführungen in ein jeweiliges Thema. Sie sind allerdings von Historiker*innen für ein zumindest stark interessiertes Laienpublikum, eher aber für ein Fachpublikum geschrieben, was sich an der voraussetzungsreichen Struktur und der stark verdichteten Sprache zeigt. Darin ist Burkhards "Deutsche Geschichte der Frühen Neuzeit" keine Ausnahme. Das ist kein Kritikpunkt; ich will nur verdeutlichen, dass sich um keine leichte Lektüre für nebenher oder gar eine mit unterhaltsamen Narrativen und steilen Thesen handelt. Der Anspruch ist eher, den aktuellen Stand der Forschung wiederzugeben.

Damit genug der Vorrede. Johannes Burkhardt beschreibt grob die Zeit von der Erfindung des Buchdrucks zum Ende des Siebenjährigen Krieges. Diese Einteilung ist intuitiv sinnvoll; der Buchdruck stellt eine "Medienrevolution" (Burkhardt) dar, die einen offensichtlichen Bruch mit der Zeit vorher darstellt. Für Burkhardt ist die Frühe Neuzeit in Deutschland vor allem von drei Entwicklungsdynamiken geprägt:

1) Die erwähnte Medienrevolution. Der Buchdruck macht Bücher wesentlich bezahlbarer, als sie das vorher waren, und erlaubt auch die Verbreitung von billigen Periodika und Flugschriften. Allerdings macht Burkhardt für das Ende des 15. Jahrhunderts eine Flaute auf dem literarischen Markt aus: effektiv ist alles "ausgedruckt", was gelesen werden konnte. Es fehlt das Angebot, das eine größere Nachfrage stimulieren könnte; die Nachfrage gleichzeitig fehlt, weil es keinen großen Grund gibt, die Alphabetisierung weiter voranzutreiben.

2) Dieses Problem wird mit einem Schlag durch die Reformation gelöst. Plötzlich werden Streitschriften und Flugblätter noch und nöcher gedruckt, und der Druck von Bibeln sorgt für einen gigantischen Absatz. Die Reformation steht daher im Zentrum der "Medienrevolution", und religiöse Texte werden für über 150 Jahre das Hauptprodukt des Marktes und einer sich rapide beschleunigenden Alphabetisierung. Dies hat natürlich nicht nur positive Auswirkungen; die Reformation sorgt auch für politische Krisen und Religionskriege.

3) Politisch macht Burkhardt, und das ist die wohl innovativste These des Buchs, eine starke Föderalisierung des Deutschen Reichs aus, die er dezidiert als modern und Fundament des heutigen deutschen Föderalismus' begreift. Anstatt wie frühere Historiker*innen die Schwächen des Deutschen Reichs auszumachen und es vor allem defizitär zu begreifen, streicht er die hohe Effizienz föderaler Entscheidungsstrukturen, den immerwährenden Reichstag, die funktionierenden Verteidigungsstrukturen und die Verrechtlichung der Beziehungen heraus.

Alle diese Punkte verdienen eine etwas nähere Betrachtung.

Was die Medienrevolution betrifft, war die Bedeutung der Reformation für den Buchdruck vermutlich den meisten Lesenden bereits geläufig; die Luther-Bibel hat hierfür ja fast mystischen Status (wenngleich Burkhardt betont, dass es sehr viele deutsche Übersetzungen gab und Luthers bei weitem keine monopolistische Stellung besaß). Spannend fand ich die Rolle von Flugblättern. Man sollte historische Analogien nie zu weit treiben, aber sie waren quasi das, was die sozialen Medien für den Diskurs heute sind: eine schnelle, vergängliche Quelle von Informationen, Propaganda und Memes.

Durch die verbreiteten Flugblätter wurde ein nie dagewesener Anteil der Bevölkerung aktiv in die politisch-religiösen (das ließ sich ja nicht trennen) der Zeit einbezogen, mit nicht nur positiven Folgen. Die Konflikte, die aus der Reformation erfolgten, waren brutale Religionskriege, wie sie vorher - und glücklicherweise seitdem - in Europa nicht mehr vorkamen.

Die neuen Medien spielten auch für die Entwicklung des Föderalismus eine große Rolle, weil Protokolle und politische Standpunkte leichter geteilt werden konnten. Die Gruppe, die solche Druckerzeugnisse las, war natürlich verschwindend klein, aber es wurde eine Art elitäre Gruppe geschaffen, innerhalb derer wesentlich mehr Informationen wesentlich schneller ausgetauscht wurden als im Mittelalter; eine Entwicklung, auf der dann das entstehende Bürgertum später aufbauen konnte.

Aber zurück zur Reformation. Die Religionskriege sind das beherrschende Element der Frühen Neuzeit. Ein erster Versuch der Lösung wurde im Augsburger Religionsfrieden 1555 getroffen, als man sich auf die Formel "wessen Land, dessen Bekenntnis" einigte. Dieser Kompromiss hielt zwar ziemlich lange, löste aber das darunterliegende Problem nicht: beide Seiten waren fundamental der Überzeugung, dass die andere nicht legitim war und erledigt werden musste.

In diesem Rahmen weist Burkhardt auf die Bedeutung des Universalismus hin: In Europa herrschte immer noch der Anspruch einzelner Monarchen vor, die gesamte Christenheit als ein Oberhaupt zu regieren - in Nachfolge der römischen Kaiser. Diese Idee, so Burkhardt, animierte nicht nur die Habsburger, die das mit Karl V. auf den Höhepunkt trieben, sondern auch die Schweden und deren Eingreifen in den Dreißigjährigen Krieg, das so eine ganz neue Schlagseite bekommt, und die französischen Könige, für deren Attacken etwa auf die Pfalz oder Intervention in denselben Krieg dasselbe gilt.

Dieser Universalismus fand im Dreißigjährigen Krieg für die Habsburger und Schweden ihr Ende, woraufhin die Franzosen einen Versuch unternahmen, dieses Erbe anzutreten. Die Niederlage der Türken vor Wien aber rettete die Habsburger, während die Franzosen nicht in der Lage waren, das Reich zu dominieren. Die im Westfälischen Frieden kodifzierte Staatenbildung führte somit im Verlauf der Frühen Neuzeit zur Akzeptanz eines Europa der Nationalstaaten, das die kommenden Jahrhunderte bis in unsere Tage bestimmen sollte.

Burkhardt setzt das Deutsche Reich nicht als eine Besonderheit unter diesen Nationalstaaten heraus, das in Tradition früherer Geschichtserzählungen nicht in der Lage war, diesen Nationalstaat zu bilden, sondern erkennt es als ebenso moderne Staatsbildung an, die hoch effektiv war. Ich habe mit dieser These meine größten Probleme, weil das Reich zwar durchaus effektiver war als sein arg ramponierter Ruf, es aber mit den ständigen Zentrifugalkräften durch bayrischen und preußischen Separatismus und die erfolglosen Dominanzversuche Wiens nie vollständig Staat werden konnte und der Föderalismus zwar viele Konflikte einhegen und kanalisieren konnte, aber von einer effektiven Regierung doch weit entfernt ist. Hier scheint mir Burkhardt die Kontinuität zu weit zu treiben, retrospektiv zu sehr von heutigen Gegebenheiten auszugehen scheint.

Besonders auffällig wird dies bei Friedrich dem Großen. Seine Kriege kontextualisiert Burkhardt vor allem als Kriege gegen das Reich, die dessen Strukturen ins Mark bedrohen, und seine Politik nach Ende des Siebenjährigen Krieges als eine zum reformierten Reichspolitiker und Föderalisten. Mir fehlt hier einmal mehr die Fachkenntnis, um das abschließend beurteilen zu können, aber mir riecht das stark nach einer überpointierten These. Einschlägiger belesene Kommentator*innen mögen gerne ihre Urteile beisteuern.

 

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