Donnerstag, 23. September 2010

Das blutige 20. Jahrhundert

Von Stefan Sasse

Berlin Alexanderplatz 1903
Das 20. Jahrhundert hat sich selbst in Abgrenzung zur so genannten "Neuzeit", die übereifrige Chronisten der Renaissance in ihrem Bestreben, sich vom angeblich so finsteren Mittelalter abzuheben ab 1500 ausgerufen hatten, den Begriff "Moderne" übergestülpt. Der technische Fortschritt, der sich mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts bereits angekündigt hatte, zog im 20. Jahrhundert an Geschwindigkeit noch einmal dramatisch an und veränderte in den Industriestaaten das Leben dramatisch. Elektrizität und fließendes Wasser mit all den dazugehörigen technischen Segnungen griffen in den Alltag in seit der Erfindung des Aquädukts kaum mehr gekannter Weise ein. Autos und Straßenbahnen transportierten die Menschen mit ungekannter Mobilität, und eigentlich erfüllten sich damit all die Heilsvisionen eines durchtechnisierten Utopia, die besonders die Sozialdemokratie des ausgehenden 19. Jahrhunderts gekennzeichnet hatten. Doch gleichzeitig ist das 20. Jahrhundert das blutigste Jahrhundert der Weltgeschichte und hat eine kompromierte Abfolge von Massakern gesehen, die in der Geschichte der Menschheit ihresgleichen sucht.  Wir wollen diesen Eruptionen der Gewalt hier exemplarisch nachspüren und uns die Frage stellen, warum gerade das 20. Jahrhundert ein solches Nebeneinander von technischem und zivilisatorischem Fortschritt und Barbarei gesehen hat.

Die Entwicklungen von Kunstdünger, großen Landwirtschaftsmaschinen und effizienter Distributionssysteme hat im 20. Jahrhundert einen Bevölkerungsanstieg hervorgerufen, der seinesgleichen sucht. Die Weltbevölkerung betrug 1804 rund eine Milliarde Menschen, 1927 zwei Milliarden, 1960 drei Milliarden, 1974 vier Milliarden, 1987 fünf Milliarden, 1999 sechs Milliarden und voraussichtlich 2012 sieben Milliarden, sofern kein Atomkrieg mehr dazwischen kommt. In den Industriestaaten entstanden aufwändige Bürokratien, die das Leben der Menschen in ungeahntem Maß regulierten; sowohl zum Guten wie in sozialen Sicherungssystemen, die erstmals unabhängig von Almosen der Reichen entwickelt wurden, wie auch zum Schlechten in gängelnden Systemen wie der Wehrpflicht. Der Alltag wurde befreit von zahlreichen Risiken, die die Menschen vorher das Leben gekostet hatten - Hungersnöte, Kindersterblichkeit, Seuchen, sie alle gehörten praktisch der Vergangenheit an. Der Lebensstandard war so hoch wie nie zuvor.

Irische Soldaten 1916
Und doch begann das 20. Jahrhundert mit Barbareien eben dieser Industriestaaten. Die Briten bekämpften die aufständischen Buren und erfanden bei dieser Gelegenheit das Konzentrationslager, in dem Frauen, Kinder und Alte unterschiedslos krepierten, während das Deutsche Reich hunderttausende Herero in einem organisierten Völkermord umbrachte, indem sie sie in die wasserlose Wüste hetzte und nicht mehr herausließ. Der Balkan erlebte in den Balkankriegen 1907 und 1913 Wellen ethnisch und politisch motivierter Gewalt, in denen Serbien seine Stellung als regionale Vormacht zu sichern hoffte und dabei doch zum Spielball der Großmächte wurde. 1914 brach dann der Erste Weltkrieg aus.

In ihm töteten erstmals die Industriestaaten ihresgleichen statt als minderwertig angesehene Gegner in Afrika oder auf dem Balkan. Die Mittel waren dem Industriezeitalter angemessen; der Erste Weltkrieg war ein Gemetzel, in dem der Mensch vollständig verschwand und nur noch eine mechanische Funktion unter Maschinen einnahm. Maschinengewehre, Kanonen, Panzer, Lastwagen und Giftgas beherrschten das Schlachtfeld, und eine vorher unvorstellbare Zahl an Menschen war für diesen Krieg mobilisiert und starb auf seinen Schlachtfeldern. Am Ende sollte der Erste Weltkrieg 10 Millionen Menschen das Leben gekostet haben, und noch einmal eine ähnliche Zahl starb 1918-1920 an der Spanischen Grippe, die in den kriegsgeschwächten Gesellschaften wenig Widerstand fand. Doch bevor es soweit war, sollte Ludendorff im niedergehenden Deutschen Reich noch versuchen, den Totalen Krieg zu schaffen und den Unterschied zwischen Zivilist und Soldat aufzuheben. Alle Ressourcen des Volkes sollten rücksichtslos für den Kriegseinsatz mobilisiert, die Massen "fanatisch" (ein immer wiederkehrendes Schlüsselwort der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts) auf ihre "Führer" eingeschworen werden. Seine Pläne scheiterten, doch eine ganze nachfolgende Generation sollte sie als Rezept zum Sieg gleichsam mit der Muttermilch aufsaugen.

Die 1920er Jahre sahen einen relativen Frieden in Westeuropa, doch in Osteuropa ging das Gemetzel nahtlos weiter. Der russische Bürgerkrieg zwischen Bolschewisten und Zaristen, von ausländischen Mächten weiter angefeuert, wurde mit einer unglaublichen Barbarei geführt. Bolschewistische Offiziere zwangen ihre mangelhaft ausgerüsteten Truppen mit hinter der Linie aufgestellten Maschinengewehren zur Schlacht, die jeden erschossen, der zurückweichen wollte. Gefangene wurden nicht gemacht oder auf bestialische Weise ermordet, mit bloßen Händen oder im Heizkessel der Lokomotiven. Als die Bolschewisten den Kampf gegen die Zaristen für sich entschieden hatten, wandte sich der nun zum organisierten Staatsterror gewandelte Tötungswille den "Kulaken" zu, und in der Folgezeit willkürlich anderen Gruppen, die Stalins paranoides Auge traf. Im "alten Europa" maß man dem nicht zu viel Bedeutung zu. Russland schien fern und unzivilisiert, und die Bemühungen Stalins eine Schwerindustrie aus dem Boden zu stampfen, die mit dem Blut tausender Arbeiter bezahlt waren, wurden entweder von westlichen Kommunisten wie George Bernard Shaw verherrlicht oder einfach nicht zur Kenntnis genommen. Gleichzeitig hatte Winston Churchill keinerlei Bedenken, im Kampf gegen arabische Aufstände im Irak den großflächigen Einsatz von Giftgas vehement zu fordern, der unterschiedlos Zivilisten wie Aufständische dahingerafft hätte.

KZ Birkenau
Höhepunkt industrie-staatlicher Barbarei aber war sicherlich der Holocaust, den das Deutsche Reich intiiierte. Mit frabrikmäßiger Effizienz und dem gesamten Gewicht einer voll entwickelten Bürokratie wurden Menschen zu reinen Objekten degradiert, die im Schichtdienst getötet und danach ausgewertet wurden. Das Haar für Perücken, das Gold in den Zähnen zur Finanzierung, das Körperfett für Seife, Schuhe auf einen Stapel, Hosen auf den anderen - nie zuvor wurde die Entmenschlichung so perfekt betrieben wie im Holocaust, und auch nie wieder danach. Die Reaktion der Alliierten war entsprechend: aus großer Höhe warfen die Bomberpiloten auf Knopfdruck tonnenweise Sprengstoff ab, bei dessen Explosion sie bereits hundert Kilometer weiter geflogen waren. Ihr eigenes Tun sahen sie nie, und darin nahmen sie den technischen Krieg heutiger Tage mit von Virginia aus in das afghanische Dorf gesteuerten "intelligenten" Waffen vorweg. Das Deutsche Reich, in scheinbar konsequenter Anwendung der Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, mobilisierte die Gesellschaft tatsächlich total. Der Unterschied zwischen Zivilist und Soldat war aufgehoben, und die Niederlage war so total wie der Krieg, den sie beendete. Die Raserei hörte erst in den Ruinen der "Fronthauptstadt Berlin" auf.

Doch während die Barbarei in Europa mit all den Mitteln des Industriestaats geführt wurde, die sich im Ersten Weltkrieg angedeutet hatten, vollzog sich in Asien ein ähnlicher Wahn. Die Japaner, die einen starken Rechtsruck erlebt hatten und effektiv unter einer Militärdiktatur lebten, betrachteten sich analog zur "arischen Herrenrasse" als allen anderen überlegene "Yamato-Rasse" und proklamierten die Errichtung einer "großasiatischen Wohlstandssphäre", ein Propagandakonzept, das anfangs aufging. Die asiatischen Völker von Burma über Vietnam bis China und Korea waren nur allzu bereit, die verhassten weißen Kolonialherren loszuwerden, und selbst ein von Japan dominierter Wirtschaftsraum wäre ihnen kein Problem gewesen. Die "Yamatorasse" aber sah auf die anderen Asiaten fast mit noch mehr Abscheu herab als die Europäer vorher. Schnell wurde klar, dass Japan eine koloniale Unterordnung erwartete und kein Interesse an einer asiatischen Befreiung hatte. Bald waren die Japaner in einen blutigen Krieg in China verstrickt, in dem Gräuel begangen wurden, die selbst heute noch den Atem stocken lassen.

Gedenkstätte des Nanking-Massakers
Als die japanischen Truppen nach einer mehrtägigen Belagerung 1937 in Nanking eindrangen, einer chinesischen Millionenmetropole, deren Evakuierung die nationalchinesische Führung trotz der Aussichtlosigkeit einer Verteidigung unter Todesstrafe untersagt hatte - eine Analogie sowohl zu den Barbareien Stalins wie Hitlers im Ostkrieg - wüteten sie mehrere Tage lang grausam und ungehemmt in der Stadt. Frauen wurden so oft vergewaltigt, bis sie allein an den Verletzungen des Vorgangs verbluteten, wurden mit Bajonetten aufgespießt und aufgeschlitzt, Babys wurden gegen Wände geworfen oder auf Bajonetten hochgehoben - und das war nur ein Teil der Gräuel. Die Taten, die die Japaner in Nanking verübten, lassen noch heute den Atem stocken und sollen hier nicht in weiteren blutigen Details geschildert werden. Auffällig ist aber der ethnisch motivierte Hass, mit dem die japanischen Soldaten vorgingen und geradezu planmäßig die weibliche Bevölkerung "durchvergewaltigten", ein unglaublich altes Thema: der Sieger verstärkt so nicht nur die Schande des Verlierers, der offensichtlich seine Frauen nicht zu schützen in der Lage war; er "übernimmt" auch die Gewalt über dessen Genpool. Dieses Motiv findet sich durch die gesamte Geschichte und wird uns im Völkermord der Tutsi und Hutu ebenfalls wieder begegnen, doch selten fand es so konzentriert und von überragender Brutalität geprägt statt wie in Nanking.

Im September 1945 hielt die Welt für drei Wochen den Atem an, in denen keine Kämpfe stattfanden. Danach ging es weiter. Während in Afrika die Entkolonialisierung einsetzte, die oft genug nach Abzug der Kolonialtruppen mit Gewalt endete, bekämpften sich im Nahen Osten Araber und Juden bis aufs Messer, schlachteten sich in der indisch-pakistanischen Grenzregion Hindus und Moslems gegenseitig ab und führten die Vietnamesen ihren Unabhängigkeitskampf zuerst gegen Frankreich, dann gegen die USA und die ganze Zeit über auch gegen sich selbst. Während General McArthur im Koreakrieg 1951 verlangte, Atombomben auf China zu werfen, warfen die USA im Vietnamkrieg tonnenweise das hochgiftige Entlaubungsmittel "Agent Orange" ab, das noch heute Missbildungen hervorruft, und verbrannten ganze Dörfer mit Napalm. Als sie den Krieg auf Laos und Kambodscha ausweiteten, konnten in der entstehenden Destabilisierung die Roten Khmer die Macht in Kambodscha übernehmen, denen die zweifelhafte Ehre gebührt, den relativ größten Völkermord des 20. Jahrhunderts und möglicherweise der Weltgeschichte verübt zu haben: eine Million von insgesamt drei Millionen Kambodschanern fand innerhalb weniger Jahre den Tod in den Dschungeln Kambodschas, verhungert, an Seuchen krepiert oder von den halb wahnsinnigen Roten Khmern mit Macheten, Steinen und bloßen Händen ermordet. Noch heute spricht man von den "killing fields", wenn man die Stätten des kambodschanischen Massenmords meint.

Tutsi-Flüchtlingscamp Zaire
Die 1980er Jahre sahen einige in der Öffentlichkeit wenig beachtete, aber deswegen nicht weniger blutige Ethnokriege in Afrika. Auch hier metztelten sich ethnische Gruppen gegenseitig hin, teils mir primitivsten Gerätschaften. Der grausame Höhepunkt neben den Metzeleien in Uganda war aber Völkermord von Ruanda, der das späteteste Nachspiel europäischer Kolonialpolitik darstellt, die viele der afrikanischen und asiatischen Völkermorde zu verantworten hat. Die Deutschen und später die Belgier hatten, gemäß des altrömischen Mottos "Teile und Herrsche", die Bevölkerung Ruandas, die eine starke ethnische Durchmischung aufwies und das bisher nicht als Problem kennengelernt hatte, diese in zwei Gruppen eingeteilt, die teils ethnisch, teils sozial definiert wurden: die Hutus und die Tutsis. Die Tutsis waren dabei die kleine, maximal 15% umfassende Herrschaftsschicht, die Hutus die rund 75% umfassende Mehrheit der Beherrschten. Galten anfangs noch soziale Kriterien wie der Besitz, wurde bald nach Aussehen willkürlich eine ethnische Grenze festgelegt. Obwohl (oder vielleicht weil) es starke ethnische Durchmischungen gab, brach 1994 fast unvermittelt ein etwa 100tägiges Morden aus, in dem die seit der Entkolonialisierung plötzlich herrschenden Hutu die Tutsi hinwegzumorden begannen, die sich mit Gegenmordaktionen rächten. Das Töten beschränkte sich aber nicht auf die jeweilige ethnische Gegenseite, sondern umfasste auch Gemäßigte der eigenen Seite, die sich gegen das Morden stellten. Neben der unglaublichen Brutalität jener Morde fällt hier auf, dass das sexuelle Element wieder eine große Rolle spielt - die Männer, selbst Junge, werden ermordet, während die Frauen unterschiedlos des Alters vergewaltigt werden. Es findet sich wieder das Element von der Herrschaft selbst über das Blut des Gegners.

Die Auflösung Jugoslawiens in zahlreiche Nationalstaaten und deren gewissermaßen verspäteten Versuch, ethnisch reine Nationalstaaten zu werden (war doch die Welt bereits auf dem Weg in die Globalisierung und die Auflösung des Nationalstaats), brachte die ethnische Gewalt zurück nach Europa. Hilflos sahen UN-Truppen zu, wie in Bosnien und Herzegowina Muslime ermordet wurden. Es war dies das letzte große Massaker des 20. Jahrhunderts. Es ist umstritten, ob Serbien gegenüber den Kosovoalbanern tatsächlich selbst einen Völkermord plante, bevor die NATO dem 1999 ein Ende setzte. Es blieb hier bei den immer noch schrecklichen Vertreibungen. Doch warum war das 20. Jahrhundert von dieser unglaublichen Masse an Barbarei geprägt, dieser enthemmten Gewalt, die so viele Todesopfer forderte?

Holocaust-Mahnmal in Berlin
Überraschend ist, in wie vielen dieser Konflikte Ethnien eine Rolle spielten. Selbst die Massaker, die Stalin an den Kulaken im Namen des Kommunismus beging, weisen einen überraschenden ethnischen Einschlag auf. Auch die Sowjetunion versuchte sich an einer "Russifizierung" und verfolgte als unzuverlässig geltende, weil oftmals separat lebende Ethnien. Doch die größten ethnisch motivierten Massaker fanden gerade nicht in Ländern statt, in denen ethnische Minderheiten separiert und stigmatisiert lebten. Tutsi und Hutu wiesen am Vorabend des ruandischen Völkermords 1994 einen hohen Anteil von Mischehen auf und waren ohnehin nicht wirklich voneinander zun trennen, ja, die Trennung basierte auf der Willkür der Kolonialherren. Keine Gruppe war so vollständig assimiliert, so bereit, fast vollständig in der "Gastnation" aufzugehen wie die Deutschen Juden. Die Zahl der Mischehen erreichte fast 50%, praktizierende Orthodoxe gab es praktisch nicht, und der Laizismus war beherrschender als die Thora. Die Juden waren in Deutschland äußerlich nicht zu unterscheiden und wichen auch sozial nicht übermäßig von der deutschen Bevölkerung ab, obgleich sie in bestimmten Berufen tatsächlich überproportional vertreten waren (etwa im Journalismus oder Rechtsgewerbe), was aber dadurch kompensiert wurde, dass sie in anderen wie der Offizierslaufbahn effektiv gar nicht vorkamen.

Und doch war es gerade Deutschland, das deutlich weniger antisemitisch war als etwa Frankreich oder Großbritannien oder die ungleich aggressiv-antisemitischen Polen, Weißrussen, Rumänen und Ukrainer, die nicht von ungefähr zumindest zeitweise gemeinsame Sache mit den Nazis machten. Dass es gerade hier zu dem furchtbarsten Massenmord des europäischen 20. Jahrhunderts kam, überrascht. Die Motivation wird klarer, wenn man die bürokratische Natur des Holocaust betrachtet, die fabrikmäßige Effizienz, die kalte Emotionslosigkeit, mit der die Nazi-Schergen ihn ausführten. Es ist mehr eine Laune der Geschichte, dass sich die Endlösung ausgerechnet gegen due Juden richtete. In ihrer Natur hätte sie auch jede andere Bevölkerungsgruppe treffen können, nur waren es eben die Juden, auf die Hitler seinen Hass gerichtet hatte und die in Deutschland vorhanden waren. Das Personal der Endlösung hätte mit der gleichen Effizienz auch "minderwertige" muslimische Integrationsverweigerer bearbeiten können.

Es ist das Konzept der Rasse, der Überlegenheit der einen gegenüber der anderen und der Möglichkeit der Einstufung eines jeden Menschen in eine Rasse, die die meisten Gemetzel des 20. Jahrhunderts ermöglicht hat. Es ist das unheilvollste Erbe, das der Nationalismus des 19. dem 20. Jahrhundert hinterlassen hat, eine Perversion des ursprünglichen Gedankens, aber nichts desto trotz real und tödlich wie nichts zuvor. Man muss sich stets vor Augen halten, dass keine Zivilisation die Menschen vor diesen Barbareien schützen konnte, ja, es waren gerade die höchstzivilisierten Gesellschaften ihrer Region, die diese Morde oftmals verübten. Deutschland war führende Wirtschaftsmacht Europas und Zentrum der Wissenschaft Europas, als die Nazis es in düstere Barbarei versinken ließen. Es war nicht die zaristisch-bäuerliche, sondern kommunistisch-industrialisierte Sowjetunion, die Massaker an der eigenen Bevölkerung verübte. Es war das eigentlich recht erfolgreiche Ruanda, das von Gewaltorgien verheert wurde. Es war Japan, die industrielle Vormacht ganz Asiens, die brutalste Gewalt ausübte. Die Rätsel um die Natur dieser Massenmorde ist immer noch nicht vollständig aufgeklärt. Es ist aber wichtig sich mit ihnen zu befassen und zu versuchen zu verhindern, dass jemals wieder ein solches Gemetzel möglich wird. Dies ist die Aufgabe eines jeden Einzelnen, jeden Tag aufs Neue.

Weiterführende Literatur:
Niall Ferguson - Krieg der Welt


Bildnachweise:
Straßenbahn - Urheber unbekannt, gemeinfrei
Irische Soldaten - Royal Engineers No 1 Printing Company (Public Domain)
KZ Birkenau - Bundesarchiv (CC-BY-SA)
Gedenkstätte Nanking - Dr. Meierhofer (GNU)
Tutsi-Camp - Gemeinfrei
Holocaust-Mahnmal - K. Weißer (CC-by-sa 2.0/de)
 

14 Kommentare:

  1. Sehr geehrter Herr Sasse!

    Fürs erste verzeihen Sie mir mein schlechtes Deutsch bitte!

    Und gleich zur Sache:
    Der russische Bürgerkrieg wurde zwischen Bolschewisten und s.g. Weisser Bewegung geführt, - unter denen so gut wie keine "Zaristen" waren.
    "Maschinengewehren hinter der Linie" im Bürgerkrieg - woher haben Sie das gekriegt? Fronten waren, wenn überhaupt, äusserst beweglich, und so was war auch organisatorisch und technisch unmöglich.
    Morde im Heizkessel ist nur eine Legende, durch nichts belegt, und nochmals technisch kaum vorstellbar mit damaligen Lokomotiven.
    Den Kulaken war ihr Hab und Gut entnommen, sie wurden verhaftet, nach Sibirien verbannt oder ins Arbeitslager - viele starben so vom Hunger und so weiter - düstere Geschichte. War das aber ein Massaker? Und noch mehr, weist das einen "überraschenden ethnischen Einschlag" auf?
    Können Sie das irgendwie belegen?

    AntwortenLöschen
  2. Sehr geehrter Herr Sasse, wenn man schon einen Geschichtsblog betreibt, sollte man sich doch etwas an die Fakten halten. Hunderttausende Hereros können gar nicht gestorben, da sie nicht existiert haben. Die Gesamtzahl der Hereos betrug höchstens 100.000 1904. Dies macht die Angelegenheit moralisch nicht unbedingt besser, allerdings sollte man trotzdem sauber bei den Fakten bleiben und nicht von Riesenzahlen fabulieren. Außerdem sollte erwähnt werden, daß dieses Vorgehen im Reichtstag und in der Öffentlichkeit stark kritisiert worden ist. Was den totalen Krieg betrifft, so war er seitens des 3. Reiches, hinsichtlich seiner Mobilisierung bei weitem nicht so total, wie ihn die Propagand Goebbels in hinstellte. Es gibt hierzu eine Reihe deutscher und angelsächsischer Literatur. Vor allem die Mobilisierung von Frauen war gegenüber der des 1. Weltkrieges schwächer entwickelt. Fremdarbeiter statt weiblicher Arbeitskraft war das Motto (um nicht in der Volksgunst abzurutschen).

    AntwortenLöschen
  3. @Alex: Die Maschinengewehre wurden von Ferguson in dem unten verlinkten Buch erwähnt; wo die technische Unmöglichkeit sein soll verstehe ich ehrlich gesagt nicht, wo doch die Dinger einfach aufgestellt werden konnten, wohin man gerade ging. Ich weiß wegen der Heizkesselmorde nur noch, dass ich das mal gelesen habe; wo, wüsste ich leider gerade nicht. Wenn Sie mir einen Beleg dafür haben, dass es eine Legende ist, nehm ich das gerne wieder raus. Der ethnische Einschlag bei den Kulaken wurde ebenfalls von Ferguson postuliert; ob der Begriff Massaker passt? Ich denke schon.
    @Anonym: Stimmt, die Verluste werden auf 65.000 beziffert. Wird korrigiert.
    Was den Totalen Krieg angeht: kommt drauf an, wie man das definiert. Es geht ja nicht nur um die reine Mobilisierung der Volksmassen, um im Jargon zu bleiben, sondern vor allem um die völlige Entgrenzung des Krieges und die Aufhebung des Unterschieds zwischen Zivilist und Soldat, wie sie etwa Ludendorff, Miterfinder des Totalen Kriegs, gefordert hat.

    AntwortenLöschen
  4. Sehr guter Artikel. Gut geschrieben, nicht zu detailliert und nicht eurozentrisch.

    Noch 2 Anregungen:

    1. Vielleicht noch einen Hinweis auf das Massensterben der Indianer durch europäische Krankheiten. Ein Völkersterben von mind. 50 Mio im 16. Jh., aber eben noch nicht gewollt herbeigeführt. Um zu verdeutlichen, dass es Völkersterben schon vorher gab -der fanatische Wille war im 20. Jh. neu.

    2. "Konzentrationslager" ist
    a) heute irreführend, nimm da doch "concentration camps" und
    b) ham das schon die Spanier 1896 in Kuba gemacht und waren das Vorbild für die Engländer.

    LG, Moe

    AntwortenLöschen
  5. Danke! Aber die Indianer gehören nicht ins 20. Jahrhundert...

    AntwortenLöschen
  6. Sehr geehrter Herr Sasse, den Link zum Buch von Verguson habe ich einfach übersehen, muss mich schon wieder bei Ihnen entschuldigen.
    Für mich ist dieser Ferguson nur ein Pop-Historyker, zumindest was die russische Geschichte betrifft.
    Massaker z.B. hat keine juristische Definition, landläufig aber wird angenommen, dass es hier um die gezielte Tötung, Vernichtung bestimmten Gruppen über relativ kurze Zeit geht. Wenn man Massaker im schier erweiterten Sinne nimmt (also auch Verbannung, Verhaftung, Umsiedlung, Arbeitslager, auch Zwang in Kolchose zu gehen, dazu noch entsprechende Zahlen ausser Acht lässt), dann geht auch das Kulakenmassaker in Ordnung.
    So auch mit den Maschinengewehren. Ob sowas im Krieg (zumal im Bürgerkrieg) funktionieren könnte? Ach egal, Hauptsache unterhaltend. Auf was stützt sich die Lüge? Es gab tatsächlich "Zagrjadotrjady" - Sperr/Schutz/Barrier/truppe. Zumindest Versuche solche Truppen zu organisieren - eine Art Militärpolizei (in der Regel gescheitert, anders als im 2 Weltkrieg, aber auch da waren keine MG hinter der Linie), die ein wenig Ordnung im Rücken schaffen sollten, auch Fahnenflucht zu stoppen, ja! Aber zur Schlacht zu zwingen?! Mit bewaffneten Menschen von allen Seiten? Maschinengewehre, wenn sie gab, bräuchte man in der Linie gegen unmittelbaren Feind, nicht hinten.
    Na gut,(erwarte ich), in Russland ist doch alles möglich, die verwendeten auch notfalls Bären beim Pferdemangel, ja ja!
    Was an Schreibeh solchen Leuten wie Ferguson schlimm ist, dass das gesamte Bild vom Bürgerkrieg verzerrt. Ein Bild der gigantischen russischen Katastrofe, einer Eruption des Volkszorns, die ihresgleichen sucht. Das Bild als Mahnung für uns heute.
    Und, die Heizkesselmorde: Bekannt ist (war) nur ein Fall - dass ein roter Held des Bürgerkrieges - Sergej Laso - so ermordet wurde, im russischen Fernost nahe Wladiwostok, von japanischen Besatzern (im 1920?) mit Hilfe der weissen Kasaken. Jetzt steht fest, dass dieses Gerücht (aus Zeiten Bürgerkriegs stammend) von der sowjetischen Propaganda unterstützt wurde, um die roten Heroen zu romantisieren.
    Ich kann nur einen Link im Internet empfehlen, leider nur auf Russisch: http://www.newsru.com/arch/cinema/29jun2004/sov_history.html.

    Uff! Ich bedanke mich für Ihr Geduld.

    AntwortenLöschen
  7. von "alex der russe"

    Sehr geehrter Herr Sasse, den Link zum Buch von Ferguson habe ich einfach übersehen, entschuldige mich bei Ihnen.
    Für mich ist dieser Ferguson nur ein Pop-Historyker, zumindest was russische Geschichte betrifft.
    Massaker hat keine juristische Definition, landläufig wird angenommen, dass es um die gezielte Tötung bestimmten Gruppen über relativ kurze Zeiz geht.Im schier erweiterten Sinne kann man natürlich auch vom Kulakenmassaker reden. Zahlen und Proportien stimmen nicht? - egal.
    Maschinengewehre hinter der Linie - unmöglich? - egal, Hauptsache unterhaltend. Auf was stützt sich die Lüge? Es gab tatsächlich "Zagrjadotrjady" - Sperr/schutz/Barrier/Truppe. Zumindest Versuche solche Truppen zu organiesieren (übrügens gescheiterte, anders als beim 2 Weltkrieg, aber auch da waren keine MG hinter Linie), die ein wenig Ordnung im Rücken schaffen sollten, auch mögliche Fahnenflucht zu stoppen, ja! Aber zur Schlacht zu zwingen? Mit bewaffneten Menschen von allen Seiten, und bei keiner in der Regel festen Front? MG, wenn sie gab, bräuchte man in der Linie gegen unmittelbaren Feind, nicht hinten.
    Na ja, (erwarte ich) in Russland ist alles möglich, die verwendeten notfalls auch Bären bei Pferdemangel, ja ja!
    Was an Schreiben solchen Leuten wie Ferguson schlimm ist, dass das gesamte Bild vom Bürgerkrieg verzerrt bleibt. Das Bild der gigantischen russischen Katastrofe, einer Eruption des Volkszorns, die ihresgleichen sucht.
    Und, die Heizkesselmorde: Bekannt ist (war) nur ein Fall - dass ein roter Held Sergej Laso so ermordet wurde im russischen Fernost von japanischen Besatzern (1920?) mit Hilfe der weissen Kasaken. Jetzt steht fest, dass dieses Gerücht (von Zeiten des Bürgerkrieges)von der sowjetischen Propaganda unterstützt wurde, um die roten Heroen zu romantisieren.
    Ich kann nur einen Link im Internet empfehlen, leider nur auf Russisch: http://www.newsru.com/arch/cinema/29jun2004/sov_history.html.

    Alex

    AntwortenLöschen
  8. Hallo Alex,
    ich kenne mich in der russischen Geschichte nicht genug aus, um das zu verif- oder falsifizieren können. Deswegen lasse ich das jetzt einfach mal so stehen.

    AntwortenLöschen
  9. Kannst du eine Quelle nennen, wo Russell (zwei L übrigens) den russischen, bolschewistischen Kommunismus verherrlicht?

    Bei dem, was ich von Russell kenne, wäre das sehr unerwartet.

    AntwortenLöschen
  10. "But the method by which Moscow aims at establishing Communism is a
    pioneer method, rough and dangerous, too heroic to count the cost of
    the opposition it arouses. I do not believe that by this method a
    stable or desirable form of Communism can be established." Russell, 1920

    (Hab den Link eingetragen.)

    AntwortenLöschen
  11. Danke für den Hinweis; Russell wurde von mir mit Shaw verwechselt, habe das korrigiert.

    AntwortenLöschen