Montag, 8. November 2010

Der Beginn des Kalten Krieges - eine amerikanische Perspektive

Von Stefan Sasse

Noch heute ist der Kalte Krieg eine Ära, die von Historikern erst allmählich losgelöst von den Stereotypen und Ideologien jener Zeit betrachtet werden kann. Dumpf hallen die damaligen ideologischen Frontstellungen noch heute in vielen Debatten wieder. Dieser Doppelartikel zum Kalten Krieg will gar nicht versuchen, eine objektive Beschreibung zu liefern. Stattdessen soll die Brille der USA und der Sowjetunion aufgesetzt werden, um vielleicht beim distanzierten Blick durch diese Brille Erkenntnisse zu erfahren. Dieser Teil des Doppelartikels sieht den Beginn des Kalten Krieges aus der Perspektive der USA.

Landung in Sizilien
Seit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 verlangte Stalin von den Westmächten die Eröffnung einer zweiten Front in Frankreich. Logistisch war dies jedoch nicht vor 1943, eher 1944, zu bewerkstelligen. Um dennoch Druck von der Sowjetunion zu nehmen, führten die Alliierten mehrere Operationen durch. Zum einen wurde die Sowjetunion mit Material beliefert. Stiefel, Jeeps, Munition, Panzer, Rationen - hunderte von Tonnen wurden über die gefahrvolle Nordroute nach Murmansk gebracht und so der Roten Armee entscheidend der Rücken gestärkt. Gleichzeitig unternahm man eine Landung in Nordafrika, um dem deutschen Afrikakorps das Rückgrat zu brechen. 1943 landete man in Italien und eröffnete dadurch die zweite Front. Bereits zu dieser Zeit drohte Stalin unverholen mit dem Separatfrieden mit Hitler, wenn die Alliierten nicht endlich eine wirksame zweite Front eröffneten - der Italienfeldzug fraß sich schnell fest und zog kaum deutsche Truppen ab. 

Die Alliierten planten daraufhin die Landung in der Normandie. Diese logistische Großleistung wurde von der gleichzeitig durch die alliierten Versorgungslieferungen an die Rote Armee möglich gemachte Sommeroffensive "Bagration" begleitet. Während die amerikanischen Streitkräfte die Wehrmacht in Frankreich besiegten und in einem "amerikanischen Blitzkrieg" fast bis an den Rhein gelangten, lediglich von Versorgungsschwierigkeiten aufgehalten, stoppte Stalin seine Truppen in Ostpolen. Nachdem die Warschauer Bevölkerung einen demokratischen Aufstand gegen die deutschen Besatzer entfesselte, sahen die Russen der Niederschlagung einfach zu - auf diese Art und Weise entledigten sie sich gleich der demokratischen Opposition und beraubten die polnische Exilregierung in London ihrer Basis. In Teheran hatte Stalin bereits eine Westverschiebung Polens gefordert (und erhalten), und nun schien er sich nicht einmal an Absprachen zu halten, die eine frei gewählte Regierung in Polen vorsahen.

Die "Großen Drei" in Jalte (Churchill, Roosevelt, Stalin; v.l.)
Im Januar 1945 trafen sich die "Großen Drei" Roosevelt, Churchill und Stalin zum zweiten Mal, dieses Mal in Jalta (1943 hatte man sich in Teheran getroffen) und besprachen die endgültige Kriegsstrategie. Zu diesem Zeitpunkt war offenkundig, anders noch als 1943, dass der Krieg bald siegreich ausgehen würde. Die deutsche Offensive in den Ardennen war praktisch zusammengebrochen. Die Rote Armee stand an der Oder. In Italien rückten die Alliierten langsam vor. Man vereinbarte, dass die bedingungslose Kapitulation Deutschlands das oberste Ziel sei und dass das Land danach in vier gemeinsam verwaltete Besatzungszonen gespalten würde. Die Sowjetunion würde binnen 90 Tagen nach Kriegsende mit Deutschland gegen Japan in den Krieg eintreten. Diese Zugeständnisse wurden von den Alliierten mit der endgültigen Westverschiebung Polens, der Anerkennung Titos in Jugoslawien und dem Zugeständnis von Reparationen an die Sowjetunion durch Deutschland erkauft. 

Doch bereits während der Eroberung Deutschlands zeigte sich, dass die Sowjetunion sich nicht an die Abmachungen halten würde. In den von ihr eroberten osteuropäischen Staaten wurden Satellitenregime installiert, und die Exilregierungen etwa Polens systematisch behindert und ausgeschlossen. Präsident Truman konnte durch den Abwurf der Atombomben Japan deutlich früher als vermutet zur Kapitulation zwingen, doch die Sowjetunion nutzte das Abkommen von Jalta noch aus und besetzte Sachalin und die Mandschurei. Der Fokus verschob sich jedoch nach der japanischen Niederlage deutlich auf Deutschland. Dort fand fast zeitgleich die letzte der drei großen Kriegskonferenzen in Potsdam statt. Hier wurden die früheren Beschlüsse noch einmal bekräftigt; vorher diskutierten Teilungsplänen allerdings erteilte man eine deutliche Absage. Den USA war es ein besonderes Anliegen, die Deutschen durch politische Umerziehung ("reeducation") endlich zu Demokraten zu machen. Die deutsche Industriesubstanz sollte demontiert und für Reparationen genutzt werden, auch in den westlichen Besatzungszonen. Im Gegenzug sollte die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) die westlichen Zonen mit Nahrungsmitteln versorgen. Das Abkommen entsprach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Zonen und sollte die wirtschaftliche Einheit Deutschlands sichern und den Alliierten damit größere Lasten ersparen. Generell sollte in Europa Demokratie gefördert werden; die Völker sollten sich frei ihre Regierungsformen wählen können.

Der Ostblock
Die Sowjetunion hielt sich jedoch auch nicht an diese Absprachen. Schnell installierte sie unter Walter Ulbricht ein ihr genehmes kommunistisches Regime und schaltete die verbliebenen Parteien gleich. Die Nahrungsmittellieferungen wurden verzögert oder verhindert, und so blieb dem Westen kaum etwas anderes übrig, als die Demontagen ebenso einzustellen, besonders da sich zeigte, dass die Westzonen andernfalls kaum lebensfähig wären. Bedrohlicher jedoch war noch die Installation von Satellitenregimen in den anderen osteuropäischen Staaten, die sich unter sowjetischem Druck und sowjetischer Dominanz zu einem gegen die USA gerichteten Block zusammenschlossen. Die USA sahen damit ihre bisherigen Überzeugungen auf eine harte Probe gestellt. Unter dem im April 1945 verstorbenen Roosevelt hatte man auf die Kooperation der Sowjetunion in den neu geschaffenen Vereinten Nationen gehofft, doch es zeigte sich, dass die Sowjetunion kein Garant des Weltfriedens, sondern vielmehr seine größte Störquelle war. 1946 sandte der amerikanischen Diplomat und Sowjetunion-Kenner George F. Kennan das so genannte "Lange Telegramm" nach dem Washington, in dem er Präsident Truman ausführlich seine Überzeugung darlegte, dass es sich bei der Sowjetunion um ein im Herzen aggressiv expandierendes Reich handle, das so lange seinen Einflussbereich vergrößern und unter kommunistischer Herrschaft gleichschalten würde, bis es auf entschiedenen Widerstand stieße. Diesen Widerstand konnten nur die USA liefern, und sie waren auch verpflichtet, dies zu tun. Das bedeutete aber fortgesetzte Präsenz in Europa und im pazifischen Asien und damit eine Abkehr von der traditionellen Isolationspolitik. 

1947 erklärte Präsident Truman diese Einschätzung zur offiziellen Politik der USA. "Containment", Eindämmung, wurde zum beherrschenden Topos der so genannten "Truman-Doktrin". Wo auch immer der Kommunismus zu expandieren versuchte, würden sich die Vereinigten Staaten ihm in den Weg stellen. Ein wichtiges Hilfsmittel dabei war das Atombombenmonopol, das sie besaßen und das laut Experten noch bis 1955 reichen würde. Natürlich konnten sie damals nicht wissen, dass sowjetische Spione bereits zu Zeiten des Kriegsbündnisses das "Manhattan Project" unterwandert hatten, weswegen die UdSSR bereits 1949 erfolgreich einen Sprengkopf testen konnte.

Berliner Luftbrücke
1948 wurde für Großbritannien und die USA endgültig offenkundig, dass die gemeinsame Verwaltung der Besatzungszonen unrealistisch war. Die Sowjetunion weigerte sich beharrlich, eine vernünftige Ordnung zu erhallten und boykottierte  die ständige Sitzung der Militärgouverneure. Um die Wirtschaftstätigkeit in den Westzonen wieder anzufeuern und damit nicht auf Dauer am Tropf der westlichen Volkswirtschaften hängen zu lassen, beschlossen die Westmächte die Einführung einer provisorischen deutschen Währung, der D-Mark, und boten auch der SBZ den Beitritt zur Währungszone an, um im Geist des Potsdamer Abkommens die wirtschaftliche Einheit Deutschlands zu erhalten. Erneut zeigte Stalin sein wahres Gesicht. Er ließ sämtliche Zufahrtswege nach Berlin sperren, die Stadt abriegeln und Strom und Wasservergung kappen. Dies war ihm möglich, weil die Westmächte in Potsdam gutgläubig darauf verzichtet hatten, Routen verbindlich festzuschreiben. Nur für drei "Luftkorridore" war das geschehen. Über diese "Luftkorridore" wurde Berlin dann in einer logistischen Meisterleistung ein Dreivierteljahr lang mit allem Lebensnotwenigen versorgt. Etwa 60 alliierte Piloten verloren bei der Aktion ihr Leben, doch Berlin blieb frei. Ende 1948 gab Stalin auf. 

Für die Westmächte war damit klar, dass es keine Zusammenarbeit mit der Sowjetunion geben konnte. Die deutsche Einheit musste auf eine Zeit mit günstigeren Bedingungen verschoben werden; einstweilen waren die drei westlichen Besatzungszonen eigenständig lebenstauglich zu machen. Im April 1949 gründeten die USA, Großbritannien, Frankreich, die BeNeLux-Staaten, Portugal und andere west- und südeuropäische Staaten die NATO, ein Defensivbündnis zum Schutz vor sowjetischer Aggression. Damit war die amerikanische Militärpräsenz in Europa institutionalisiert und die Freiheit gesichert. Mitte 1949 wurde die Bundesrepublik Deutschland als demokratischer Staat aus den drei Zonen gegründet; nur Wochen später zog die Sowjetunion nach und erreichtete in der SBZ eine kommunistische Satelliten-Diktatur. In der BRD begann kurz darauf das durch die Etablierung der Freien Marktwirtschaft entfesselte Wirtschaftswunder und band die Deutschen nachhaltig an die Demokratie.

Stalin
Im 1950 beginnenden Koreakrieg zeigte sich einmal mehr die Richtigkeit von Kennans These. Stalin unterstützte den Angriffskrieg Kim Il-Sungs auf Südkorea, und nur die vereinte Macht der UNO konnte die kommunistische Aggression ihre Schranken weisen. Unter Eindruck der ständigen militärischen Bedrohung beschlossen die USA, dass Deutschland wiederbewaffnet werden müsse, um seinen Teil zur Verteidigung der Freien Welt gegen den Ostblock beizutragen. Gleichzeitig unterstützte man die europäischen Vereinigungsbestrebungen und die deutsch-französische Aussöhnung als Eckpfeiler dieser Politik. Mitten die in die Verhandlungen für das europäische Verteidigungsprojekt platzten 1952 die so genannte Stalin-Note, in denen dieser die deutsche Einheit mit freien Wahlen unter der Bedingung einer Neutralisierung Deutschlands anbot - ein eindeutiges Ablenkungsmanöver, das glücklicherweise von Adenauer entschieden abgelehnt wurde. Eine echte Chance war es nie, denn wenn Deutschland neutralisiert war, war auch die amerikanische Militärpräsenz auf dem Kontinent gefährdet - und damit die Existenz eines freien Europa, das wie ein neutrales Deutschland zwangsläufig unter sowjetische Dominanz fallen musste.
Da das europäische Verteidigungsprojekt 1954 im französischen Parlament scheiterte - ein Reflex alter nationalistischer Ängste - wurde die Bundesrepublik 1955 in die NATO aufgenommen und damit dauerhaft auch militärisch in das Westbündnis eingebunden. Da Stalins Ambitionen, auch das restliche Europa an die Sowjetunion anzubinden gescheitert waren, gründete er kurz darauf den Warschauer Pakt als Militärbündnis des Ostblocks, dem sich anzuschließen auch die DDR gezwungen wurde. Die Blockbildung war damit abgeschlossen und die Kampflinien des Kalten Krieges in Europa bis zum Mauerfall zementiert.
Bildnachweise: 
Landung - Signal Corps (gemeinfrei)
Große Drei - US government phorographer (gemeinfrei)
Ostblock - Mosedschurte (GNU 1.2)
Luftbrücke - USAF (gemeinfrei)
Stalin - Margarete Bourke-White (CC-BY-SA 3.0)

2 Kommentare:

  1. Kleine Korrektur: Spanien war nicht Gründungsmitglied der NATO, u.a. wg der Franco-Diktatur, sondern Portugal. Spanien wurde erst 1982 Mitglied.

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