Freitag, 27. August 2010

Folgenschwere Fehleinschätzung

Von Stefan Sasse

In der Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs erklärte Albert Speer:
In diesem Krieg der Technik entscheidet sicher die Qualität, nicht die Quantität der Waffen.
Liberty Schiff SS Carlos Carrillo
Das war, so viel ist sicher, eine eklatante Fehleinschätzung. Wenn die Entscheidung im Zweiten Weltkrieg irgendwie herbeigeführt wurde, dann durch die Quanität der Waffen, mit denen die Achsenmächte geradezu erdrückt wurden. Es waren die Massen der russischen T-34, die die Ostfront durchbrachen und den deutschen Truppen zusetzten, die 10.000 Sherman-Panzer, die die U.S. Army in Frankreich ins Feld schicken konnte, die hunderte von B17-Bombern, die Deutschland in Schutt und Asche legten und die in Wochenfrist zusammengeschweißten Liberty-Schiffe der U.S. Navy, die den Warenstrom auch auf dem Höhepunkt des U-Bootkriegs aufrecht erhielten. Dagegen waren es zu wenig Tiger-Panzer, zu wenig Flugzeuge, zu wenig U-Boote, zu wenig Treibstoff, kurz: der eklatante Mangel an allem, der den Untergang der Wehrmacht besiegelte. Dabei schien es anfangs so, als würde sich Albert Speers Diktum bewahrheiten. 

Buchbesprechung: Wolfgang Kruse - Der 1. Weltkrieg

Von Stefan Sasse
Der 1. Weltkrieg ist ein Ereignis, das für Deutschland hinter dem Zweiten deutlich verblasst. In der Erinnerungskultur spielt er keine wirklich große Rolle und wird oft genug lediglich als Scharnierstelle zwischen dem Kaiserreich und dem Zweiten Weltkrieg angesehen, gewissermaßen eine Vorstufe, bei der eines zum anderen führt. Nicht selten weiß man noch, dass es im Westen einen Grabenkrieg und am Ende "nicht Neues" gab. Doch ein tieferes Verständnis für den Ersten Weltkrieg wird zumeist von der Berichterstattung über den Zweiten verdrängt. Somit ist es nur konsequent, wenn sich Wolfgang Kruse als ausgewiesener Kenner der Materie daran macht, den Ersten Weltkrieg einem breiteren Publikum in der Reihe "Geschichte kompakt" von WBG darzustellen.


Donnerstag, 26. August 2010

Das Ende des Hopliten-Chauvinismus

Von Stefan Sasse

490 vor Christus. Nahe Athen, auf dem Feld von Marathon, sind die Perser aufmarschiert. Ihnen gegenüber versammeln sich die athenischen Soldaten. Die Stimmung ist von Angst geprägt. Die Spartaner sind noch nicht da, die Perser waren schneller. Man kann der Schlacht nicht länger ausweichen, muss ohne die gefürchteten Spartiaten antreten. Der rechte Flügel der Athener wird traditionell von den stärksten und besten Hoplitensoldaten gestellt, die in ihren schweren Bronzerüstungen mit dem von Pferdehaar gekrönten Helmen, den konisch geformten Schilden und den langen Speeren eine beeindruckende Erscheinung abgeben und in Formation langsam vorrücken, mit dem leichten Rechtsdrall, der ihren Formationen zu eigen ist.

Hopliten auf einer Vase, etwa 500 v.Chr.
Der Tag gehörte den athenischen Hopliten. Sie besiegten die persische Armee, und der Läufer, der die 42 Kilometer nach Athen zurücklegte um die Siegesnachricht zu überbringen, gilt heute noch als Begründer des Marathonlaufs. Doch wer waren diese Hopliten, die auf Vasen verewigt wurden und die in der griechischen Gesellschaft eine so entscheidende Rolle spielten? Es handelte sich dabei nicht um das Volk, das die Straßen Athens bevölkerte und später Thukydides per Ostrakaismos (das berühmt-berüchtigte "Scherbengericht") in die Verbannung schicken sollte. Es waren die Landbesitzer außerhalb Athens, die Attika bevölkerten und das fruchtbare Land bestellten, nicht die wohlhabenden Großgrundbesitzer, sondern normale Bauern, die über einen rudimentären Wohlstand verfügten. Denn Hopliten mussten ihre Ausrüstung selbst stellen, und die Kosten hierfür waren nicht unerheblich. Im Gegenzug dafür durften sie sich als die wahre Elite der Griechen fühlen, als Rückgrat ihrer Armee und Gesellschaft. Selbst die Reichen, die die Möglichkeit hatten ein Pferd zu stellen und so Kavalleriedienste zu verrichten, wählten oftmals die Profession des Hopliten, wenn es in die Schlacht ging - so groß war ihr Ruf.

Dienstag, 24. August 2010

Die DDR als Negativfolie im deutschen Geschichtsbewusstsein

Von Stefan Sasse

Wappen der DDR
Die DDR bestimmt die öffentliche Debatte heute in einem Ausmaß, wie es für einen vor über 20 Jahren so sang- und klanglos untergegangenen Staat eigentlich kaum zu erwarten wäre. Ihr Versagen wird öffentlich mit einer Penetranz erklärt, ihre Bedeutungslosigkeit derart häufig thematisiert, dass sie als Negativfolie zu bezeichnen kaum verkehrt scheint. Die DDR ist eine Monstranz geworden, die politisch missbraucht wird - von der CDU, wenn sie ihre Rote-Socken-Kampagnen gegen die Parte DIE LINKE führt, von der FDP, wenn sie jedwede soziale Reform pauschal mit "Sozialismus" etikettiert und vor der Errichtung der DDR warnt, vor der Springer-Presse, wenn sie derartige Qualifizierung noch ins Extrem steigert, und von vielen anderen, die auf diese Mystifizierung hereinfallen.

Die Rolle der DDR ist dabei die des klassischen Bösewichts. Sie wird benötigt, damit der Held - die BRD - umso strahlender dasteht. Solche Geschichten benötigen eine Schwarz-Weiß-Malung, Grauschattierungen sind unerwünscht. So entstehen Gegensätze. Freiheit hier, Unfreiheit dort. Recht hier, Unrecht dort. Individuum hier, Zwangskollektiv dort. Die Etablierung der PDS als ostdeutsche Volkspartei mit Ostalgismus ist durchaus als Abwehrreaktion auf diese Interpretation zu verstehen. Denn diese Interpretation ist eine Interpretation der Sieger, der gefühlten Sieger zumindest. Von einer Wiedervereinigung ist eigentlich kaum zu reden. Die Thematisierung der DDR steht ganz unter dem Topos des Sieges des westlichen über das östliche System, vulgo der Markt- über die Planwirtschaft - ein Sieg, der so vollständig ist wie selten einer und seither geradezu krampfhaft und beständig zelebriert wird.

Freitag, 20. August 2010

Die Schaffung der amerikanischen Verfassung - Geburtsstunde des modernen Amerika

Von Stefan Sasse

Nachdem die Articles of Confederation sich als untaugliches Mittel erwiesen hatten, um die Vereinigten Staaten zu einem funktionierenden Staatswesen zu machen, Rebellionen aufgetaucht waren, der Egoismus der Einzelstaaten und dessen Ausnutzung durch fremde Mächte wie England die Konföderation innerhalb kürzester Zeit zu ruinieren drohte und die wirtschaftliche Lage düster war, hatten Abgeordnete mehrerer Einzelstaaten 1786 zur Konferenz in Annapolis, Maryland, geladen. Auf dieser Konferenz sollte ein Programm entworfen werden, wie man die Articles überarbeiten könnte, damit einerseits die Union besser arbeitete, andererseits aber die Rechte der Einzelstaaten weiter gewahrt blieben.

Überhaupt, die Rechte der Einzelstaaten. Die Revolution war ursächlich über die Frage der Rechte der einzelnen Kolonien entfacht worden, eigenständig über ihre Angelegenheiten entscheiden zu können, ohne dass Fremde (in diesem Fall die Krone von England) hineinredeten. Für viele Amerikaner wirkte die Debatte über eine Revision der Articles nun so, als würde man gleich die nächste Zentralinstanz installieren, die sich in ihre Angelegenheiten gemischt hatte. Wozu hatte man dann überhaupt einen der verlustreichsten Kriege der USA überhaupt gekämpft? Um, wie schon in der Unabhängigkeitsdebatte gefragt worden war, "einen Tyrannen, der 3000 Meilen entfernt wohnt, gegen 3000 Tyrannen einzutauschen, die eine Meile entfernt wohnen"?

Donnerstag, 19. August 2010

Die Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika

Von Stefan Sasse

Minute-Man (Miliz der Kolonien)
Nachdem wir uns in einem vorhergehenden Artikel bereits mit der Entstehung der amerikanischen Revolution beschäftigt haben, soll dieses Mal die Entstehung der Vereinigten Staaten von Amerika das Thema sein. Bekanntlich folgte auf die Schüsse von Lexington und Concord der Beginn des Krieges, von dem Großbritannien hoffte, dass er innerhalb kurzer Zeit durch die Überlegenheit ihrer Waffen und Erfahrung gewonnen sein würde (man denke an die Ressentiments, die die britischen Soldaten gegenüber den "Amateuren" von der amerikanischen Miliz seit dem French and Indian War 1763 hegten, ohne zu bedenken, wie gut diese Amateure das riesige und unwegsame Kampfgebiet kannten). Die Einzelstaaten hatten sich zum zweiten Kontinentalkongress versammelt und berieten darüber, was nun zu tun sei. Denn tatsächlich war diese Frage keineswegs klar.

Dienstag, 17. August 2010

Fundstücke II

Von Stefan Sasse

Kennen Sie die "World Holdings" mit Sitz in Florida? Nein? Die deutsche Regierung bisher auch nicht. Von dieser Firma wurde sie aber nun verklagt, auf rund 208 Millionen Dollar, die World Holdings dem Deutschen Reich im Ersten Weltkrieg geliehen hat und die Hitler, laut den Anwälten der Firma, absichtlich nicht zurückbezahlte. Die Absurdität dieser Forderung erschließt sich einem erst wenn man sich vor Augen hält, dass die Bundesrepublik Deutschland der offizielle Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches ist, eine Behauptung, für die man jahrzehntelang einen erbitterten diplomatischen Krieg gegen die DDR gefochten hat. Das hat natürlich auch seine Schattenseiten, gehen doch nicht nur Rechts-, sondern auch Schuldtitel auf so einen Rechtsnachfolger über. Das Schicksal der Forderungen der World Holding wird nun im Gerichtssaal entschieden. World Holding argumentiert, dass Hitler die Zahlungen bewusst eingestellt habe, die deutsche Regierung, dass die Schuldscheine im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen seien. Manchmal werfen selbst winzige Ereignisse Schatten bis in die Gegenwart.

Der konstituierende Mythos der Mittelschicht

Von Stefan Sasse

Eine der zentralen Lehren, die Deutschland aus dem Fall in die Diktatur des Nationalsozialismus und die Barbarei des Zweiten Weltkriegs zog war, dass eine "Demokratie ohne Demokraten" nicht funktionieren konnte. Auf die Arbeiterbewegung musste man dabei nicht schauen: obgleich gespalten, hatte die SPD in jenen letzten Tagen der Weimarer Republik mehr Rückgrat bewiesen als alle bürgerlichen Parteien zusammen, waren die in der Sozialdemokratie und dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold organisierten Arbeiter bereit, selbst mit der Waffe in der Hand gegen die Revolution von rechts anzutreten - eine Bereitschaft, die von der SPD freilich nie auf die Probe gestellt wurde. Es war das Bürgertum, das Hitler zur Macht trug, das Bürgertum, das den Glauben in die Demokratie und Republik verloren hatte. Die unmittelbare Konsequenz musste sein, es in den neuen Staat besser einzubinden.

Freitag, 13. August 2010

Vier Irrtümer über das Mittelalter

Von Stefan Sasse

Das Mittelalter hat keinen besonders guten Ruf. Oftmals wird es sogar mit dem Prädikat "finster" versehen; assoziiert wird es gerne mit Schmutz, Armut und Rittern. Doch woher kommt das? Wer hat es überhaupt zum "Mittel"alter erklärt, also einer Periode, die zwei andere - vermeintlich bessere - verbindet. Geprägt wurde der Begriff von denen, die sich an Abgrenzung zu dieser Epoche in der so genannten "Neuzeit" wiederzufinden glaubten, also die Antike-Begeisterten Humanisten der Renaissance. In ihrer Verklärung ihrer eigenen Zeit, in deren aufstrebenden Handelsrepubliken sie vorher nicht gekannten Freiheitsduft zu atmen meinten, wollten sie sich von der als geistig eng empfundenen vorhergehenden Epoche des "Mittelalters" abheben. Dies ist ihnen gelungen; bis heute sehen wir eine lichte Neuzeit anbrechen, wenn wir an die Renaissance denken, die die Zeit enger Burgen und düsterer Klöster ablöst, in denen Bauern ausgebeutet im Schweiße ihres Angesichts auf den Äckern schufteten und Hexen auf Marktplätzen verbrannt werden.

Im Folgenden sollen vier große Irrtümer über diese Epoche, die der Einfachheit halber weiter als "Mittelalter" bezeichnet werden soll, ausgeräumt werden. Der erste betrifft das schmutzige Mittelalter ungewaschener Menschen, die in ihrem eigenen Dreck dahinvegetieren und abergläubisch den resultierenden Krankheiten entgegensehen, während sie gleichzeitig in religiöser Furcht ein keusches Leben führen und Sexualität kaum ausüben. Der zweite betrifft die Annahme, dass das Leben als mittelalterlicher Bauer in praktisch ununterbrochener Arbeit für den Grundherrn bestanden und quasi keine Freuden gekannt habe. Der dritte Irrtum befasst sich mit der Idee, dass im Mittelalter Hexen verbrannt worden wären. Der vierte Irrtum schließlich besteht darin zu glauben, die Kirche sei ein Hinderer des Fortschritts gewesen, die das Geistesleben des Mittelalters trübe gemacht habe.

Donnerstag, 12. August 2010

Die Mär vom Wirtschaftswunder

Von Stefan Sasse

Jeder Staat hat seinen Gründungsmythos. Das Deutsche Reich hatte Sedan, die Weimarer Republik den Versailler Vertrag und die Revolution von 1918/19, Frankreich die Französische Revolution, England die Glorious Revolution, die USA den Unabhängigkeitskrieg. Die UdSSR hatte die Oktoberrevolution, China hat den Langen Marsch, Vietnam den Krieg gegen Frankreich und Israel den Krieg von 1948, den es mit Palästina als Gründungsmythos teilt. Die obige Aufzählung zeigt, dass Gründungsmythen nicht immer, aber doch meist positiv sind. Was die obige Darstellung noch nicht zeigt, was aber kurz skizziert werden soll, ist, dass diese Gründungsmythen historisch nie haltbar sind und stark eine bestimmte Deutung forcieren, die wichtige Tatsachen unter den Tisch fallen lässt. Sedan ist hier noch am Ehrlichsten; die gewonnene Schlacht gegen die Franzosen und anschließend die Ausrufung des Reiches im Spiegelsaal von Versailles sind faktisch belegte Ereignisse; freilich unterscheidet sich ihre Interpretation. 

Dienstag, 10. August 2010

Fundstücke I

Von Stefan Sasse

Auf "My modern met", einem Foto-Blog, finden sich 20 gut gemachte Foto-Collagen, in denen mittels Fotoshop Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg über Bilder der heutigen Schauplätze gelegt wurden. Beim Ansehen dieser Bilder hat man das Gefühl, als würden Geister der Vergangenheit auferstehen und wieder auf den Straßen wandeln, was zwar sicherlich dem Kontrast der alten Schwarz-Weiß-Fotos und den modernen Farbaufnahmen geschuldet ist, jedoch entfalten die zerstörten Gebäude, aufgestellten Geschütze und marschierenden Soldaten auch so eine ganz eigentümliche Atmosphäre.

Bei Youtube findet sich ein besonderes Schmankerl für alle, die sich ein wenig in der modernen Internetkultur auskennen: der Zweite Weltkrieg in Kurzversion-Leetspeak. Natürlich versteht man das Video (ohne Sound übrigens) nur, wenn man neben Leetspeak auch fundierte Kenntnisse über den Zweiten Weltkrieg mitbringt und die ganzen Anspielungen versteht. Und Erfahrung in diversen Multiplayer-Spielen sollte man neben Leetspeak-Kenntnissen ebenso haben wie das Wissen, was ein IRC-Kanal ist. Hm, warum hab ich nur das Gefühl dass ich dieses Video mal im Unterricht brauchen kann...? 

Gewalteskalation im Peloponnesischen Krieg

Von Stefan Sasse

Hoplit, 5. Jahrhundert
Der Peloponnesische Krieg war der größte und längste militärische Zusammenstoß der antiken griechischen Stadtstaaten. Fast 30 Jahre lang bekriegten sich die Städte der Attika und des Peloponnes mit wechselnden Allianzen gegeneinander, geführt von den regionalen Vormächten Athen und Sparta. Wie so häufig begann der Krieg aus einem nichtigen Anlass - Athens Unterstützung für die periphere korinthische Kolonie Corcyra -, doch seine Ursachen liegen in der Rivalität der beiden großen griechischen Bündnissysteme, wie sie sich nach dem Ende der Perserkriege herausgebildet hatten: des peloponnesischen Bundes unter spartanischer und des attischen Seebunds unter athenischer Führung. Beide Hegemonen waren auf die Loyalität ihrer zahlreichen Bundesgenossen angewiesen und expandierten ihren Einflussbereich, die Athener dabei aggressiver als die Spartaner, und für neutrale Mächte wie Korinth wurde es immer schwieriger, in dieser Situation selbst einen Machtstatus zu erhalten oder auszubauen.

Sonntag, 1. August 2010

Buchbesprechung: Dieter Hoffmann - Der Sprung ins Dunkle. Oder: Wie der Erste Weltkrieg entfesselt wurde

Von Stefan Sasse



Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterscheidet sich noch Jahrzehnte nach seiner erstmaligen Rezeption immer noch drastisch von dem des Zweiten. Während dessen Beginn, seine Verursacher und die Abläufe praktisch zweifelsfrei festlegen, unterlief der Ausbruch des Ersten Weltkriegs immer wieder Änderungen in der Perzeption. Legte der Versailler Vertrag noch die alleinige Kriegsschuld Deutschlands fest, geriet dieses Bild bereits während der 1920er und 1930er Jahre ins Wanken, als der englische Premier verkündete, alle Mächte seien „in den Krieg hineingeschlittert“. Mit diesem Kompromiss konnten alle Beteiligten leben, und entsprechend aufgerührt wurden die trüben Gewässer denn auch, als in den 1960er Jahren Fritz Fischer die nach ihm benannte Kontroverse ins Leben rief und die Schuld des Kriegsausbruchs allein bei der Expansionspolitik der Reichsleitung suchte. Sein umfangreiches Werk würde späteren Untersuchungen aber nicht mehr standhalten, da er es – methodisch äußerst fragwürdig – nicht nur einzig und allein auf deutsche Quellen stützt und dem Ausland quasi keine Rolle beimisst, sondern auch, weil einige seiner Hauptquellen erst nach Kriegsausbruch veröffentlicht worden waren, wie etwa die Kriegszielliste von September 1914, und dazu noch gegen den Willen der Reichsleitung.

Der Erfolg des 20. Juli - ein Horrorszenario

Von Stefan Sasse

Nach dem Anschlag
Man stelle sich das folgende Szenario vor: das Attentat auf Hitler am 22. Juli 1944 ist erfolgreich; der größte Massenmörder der deutschen Geschichte tritt nicht in der Geisterwelt des Bunkers durch eigene Hand in der totalen Niederlage ab, sondern durch die Bombe eines Attentäters in seinem Feldhauptquartier unter, wo die Wehrmacht noch in Russland steht, in Frankreich versucht die Invasion zurückzuschlagen, die Alliierten in Italien kaum vorankommen und Norwegen fest in ihrer Hand ist. Was wäre dann geschehen?