Von Stefan Sasse
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterscheidet sich noch Jahrzehnte nach seiner erstmaligen Rezeption immer noch drastisch von dem des Zweiten. Während dessen Beginn, seine Verursacher und die Abläufe praktisch zweifelsfrei festlegen, unterlief der Ausbruch des Ersten Weltkriegs immer wieder Änderungen in der Perzeption. Legte der Versailler Vertrag noch die alleinige Kriegsschuld Deutschlands fest, geriet dieses Bild bereits während der 1920er und 1930er Jahre ins Wanken, als der englische Premier verkündete, alle Mächte seien „in den Krieg hineingeschlittert“. Mit diesem Kompromiss konnten alle Beteiligten leben, und entsprechend aufgerührt wurden die trüben Gewässer denn auch, als in den 1960er Jahren Fritz Fischer die nach ihm benannte Kontroverse ins Leben rief und die Schuld des Kriegsausbruchs allein bei der Expansionspolitik der Reichsleitung suchte. Sein umfangreiches Werk würde späteren Untersuchungen aber nicht mehr standhalten, da er es – methodisch äußerst fragwürdig – nicht nur einzig und allein auf deutsche Quellen stützt und dem Ausland quasi keine Rolle beimisst, sondern auch, weil einige seiner Hauptquellen erst nach Kriegsausbruch veröffentlicht worden waren, wie etwa die Kriegszielliste von September 1914, und dazu noch gegen den Willen der Reichsleitung.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs unterscheidet sich noch Jahrzehnte nach seiner erstmaligen Rezeption immer noch drastisch von dem des Zweiten. Während dessen Beginn, seine Verursacher und die Abläufe praktisch zweifelsfrei festlegen, unterlief der Ausbruch des Ersten Weltkriegs immer wieder Änderungen in der Perzeption. Legte der Versailler Vertrag noch die alleinige Kriegsschuld Deutschlands fest, geriet dieses Bild bereits während der 1920er und 1930er Jahre ins Wanken, als der englische Premier verkündete, alle Mächte seien „in den Krieg hineingeschlittert“. Mit diesem Kompromiss konnten alle Beteiligten leben, und entsprechend aufgerührt wurden die trüben Gewässer denn auch, als in den 1960er Jahren Fritz Fischer die nach ihm benannte Kontroverse ins Leben rief und die Schuld des Kriegsausbruchs allein bei der Expansionspolitik der Reichsleitung suchte. Sein umfangreiches Werk würde späteren Untersuchungen aber nicht mehr standhalten, da er es – methodisch äußerst fragwürdig – nicht nur einzig und allein auf deutsche Quellen stützt und dem Ausland quasi keine Rolle beimisst, sondern auch, weil einige seiner Hauptquellen erst nach Kriegsausbruch veröffentlicht worden waren, wie etwa die Kriegszielliste von September 1914, und dazu noch gegen den Willen der Reichsleitung.
In den 1970er Jahren versuchte Hans-Ulrich Wehler mit der These vom „Sonderweg“ dann einen neuen Ansatz zu finden, der mehr auf Kultur und Mentalität beruhte, der jedoch das Problem aufweist, reichlich willkürlich England und Frankreich als Normalfall festzulegen und Deutschland daran zu messen. Zuletzt konnte in den 1990er Jahre Niall Ferguson Furore machen, indem er einen beträchtlichen Teil der Kriegsschuld bei der britischen Regierung suchte, die sich seines Erachtens nach einfach heraushalten und den Weltkrieg so zu einem reinen Kontinentalkrieg hätte werden lassen sollen, den Deutschland wohl gewonnen hätte. Nun liegt von Dieter Hoffmann „Der Sprung ins Dunkle“ vor, ein Zitat nach Bethmann Hollweg, der damit die Geisteslage der Reichsleitung umschrieb. Hoffmann hat sich durch unzählige Akten, Notizen, Tagebucheinträge, Memoranden, Artikel und andere Dokumente der Zeit gearbeitet, um eine komplette Neubewertung des Kriegsausbruchs vornehmen zu können. Dabei herausgekommen ist etwas, das man wohl am besten mit „Fischer reloaded“ umschreiben könnte.
Erneut findet Hoffmann nämlich den Hauptteil der Kriegsschuld bei der deutschen Politik, die recht zielstrebig auf eine Eskalation des Konflikts hinarbeitete. Das besondere an Hoffmanns Abfassung ist, dass er im Gegensatz zu Fischers allzu simpler Beweisführung nicht nur die Situation in den anderen großen Nationen jener Zeit – England, Frankreich, Russland, Österreich-Ungarn – und deren Aktionen und Reaktionen mit einbezieht, sondern auch eine deutlich schärfere Differenzierung von ziviler und militärischer Struktur im Reich beschreibt. Demzufolge gab es nicht den einen großen Kriegsplan, sondern stattdessen eher ein dumpfes Betreiben der Militärs, die sich, kaum an die zivile Konstitution des Reiches gebunden, von übermächtigen Feinden umringt sahen und dementsprechende Schritte zur Sicherheit des Reiches ergreifen wollten. Den Dogmen der Zeit gemäß, in denen Offensive alles und Defensive nichts war (wie radikal sollte sich das im Krieg ändern!) konnte eine Kriegsplanung daher nur auf eine Offensive mit schnell folgender Entscheidungsschlacht hinauslaufen. Das Militär übernahm mehr und mehr das Ruder und trieb das Reich dann mit dem unflexiblen, auf die politischen Gegebenheiten keine Rücksicht nehmenden Schlieffen-Plan und seiner Nachfolger in den Albtraum des Zweifrontenkrieges.
Doch die Entente ist in dieser Sicht nicht der Bund der Gerechten, der von einem aggressiven Deutschland attackiert wird. Stattdessen zeigt Hoffmann ähnliche Gedankengänge auch bei Franzosen und Russen auf: der Bau der strategischen, einzig und allein gegen Deutschland gerichteten Eisenbahnen in Russisch-Polen, die Angriffspläne der Franzosen gegen das Elsass und Süddeutschland (Plan XIV), aggressive Zeitungsartikel, Revanchedenken, Bücher, die Kriegsszenarien ausmalen. Hoffmann zeigt dabei auch auf, dass in all diesen Staaten ambivalente Gefühle herrschten und verschiedene Gruppen verschiedene Ziele verfolgten; die frühere „Wilhelmstraße“, die allein handelt, existiert in dieser komplizierte, vielschichtigen Welt nicht mehr.
Ungelöst bleibt allerdings trotz genauer Darstellung der Gegensatz zwischen den verzweifelten Friedensbemühungen der Monarchen und der zivilen Regierungen, ihr drängendes Streben nach Verhinderung der Katastrophe, mit der Existenz eines Plans für den gewollten Krieg. Letztlich hoffte jede Seite, dass die andere doch nachgeben würde und man einen diplomatischen Teilerfolg davontragen würde. Dass dies nicht geschah, dass letztlich doch Millionenarmeen auf den Schlachtfeldern Europas gegeneinander aufmarschierten, ist die große Tragik, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts.
Dieter Hoffmanns Buch weist einen methodisch fundierten Schritt zur weiteren und tieferen Analyse mit den Ursachen des Ersten Weltkriegs. Vollständig schlüssig scheinen die Folgerungen, die er aus seiner Recherche zieht, allerdings nicht in allen Fällen. Trotzdem ist das Buch gut geschrieben, übersichtlich gegliedert (auch wenn die tausende von Absätzen etwas gewöhnungsbedürftig sind) und für jeden an der Materie interessierten Leser absolut interessant.
>> Ungelöst bleibt allerdings trotz genauer Darstellung der Gegensatz zwischen den verzweifelten Friedensbemühungen der Monarchen und der zivilen Regierungen, ihr drängendes Streben nach Verhinderung der Katastrophe, mit der Existenz eines Plans für den gewollten Krieg.
AntwortenLöschenIch finde, dass das eigentlich ganz gut erklärt wird, ganz den Worten Gordon Craig folgend, die Preußische Armee sei ein Staat im Staate. Im Buch wird das so erklärt, dass die Militärs in Deutschland ein politisches Eigenleben entwickelt zu haben schienen. Somit hat sich die Regierung im Reich viel mehr deren Plan angeschlossen, unabhängig von eigenen etwaigen Détente-Bestrebungen.
Interessant finde ich die Bemerkung, die Monarchen bemühten sich um Frieden. Betrachtet man das Bestreben Wilhelms II. zur Weltpolitik oder die expansiv-imperialistische Politik des Zaren, kann davon nicht gerade die Rede sein.
Naja, ein martialisches Auftreten und Kriegsbereitschaft sind schon zwei Paar Stiefel.
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