Von Stefan Sasse
Hoplit, 5. Jahrhundert |
Die Situation erinnert mehr als nur in Grundzügen an das Europa des Jahrs 1914. Auch hier standen sich bewaffnete Bündnissysteme gegenüber, die ihren Einfluss zu erweitern suchten und den Konflikt miteinander gerne auf diplomatische Niederlagen oder an der Peripherie auskämpften und die über einen nichtigen Anlass eigentlich unzugehöriger Staaten in den Konflikt gerissen wurden. Wie auch im Ersten Weltkrieg entwickelte der Peloponnesische Krieg bald eine Eigendynamik, aus der eine immer stärkere Brutalisierung der Kombattanten und eine Auflösung bestehender Traditionen und Gesellschaftssysteme hervorging.
Der Seebund |
So mussten die reichen Bürger, die in der Lage waren die Ausrüstung zu stellen, die für den Dienst als Hoplit (der schwer gepanzerten Fußsoldaten mit Speer und Schild) notwendig war, bald erkennen, dass ihre frühere Rolle als Herrscher des Schlachtfeldes an die leicht gerüstete Infanterie und Kavallerie ging. Diese waren nicht nur in der Lage, die langsamen und schwerfälligen Hopliten in der Schlacht zu flankieren und aufzureiben, sondern konnten vor allem einem Heer auf dem Rückzug schwerste Verluste zufügen und es sogar aufreiben, wie es der 20.000 Mann starken athenischen Sizilien-Expedition geschah, als die Belagerung von Syrakus unentschieden ausging und das Heer auf dem Abmarsch von der überlegenen syrakusischen Kavallerie unablässig attackiert und aufgerieben wurde. In der Endphase des Krieges, als Athen schätzungsweise ein Drittel seiner Bevölkerung an den Krieg verloren hatte und nicht mehr in der Lage war, seine Triremen zu bemannen, mussten sogar Sklaven für die Schiffe verpflichtet werden, die dadurch ihre Freiheit erlangen konnten - vorausgesetzt, dass sie die blutigen Seeschlachten überstanden.
Bei weitem gravierender als die Änderungen in der Kriegführung, die für die herrschende Elite durchaus vergleichbar mit der Wirkung der Entwicklungen des Grabenkrieges auf die konservativ geprägten Militärführungen der Weltkriegszeit waren, war die zunehmende Brutalisierung des Krieges. Früher hatte man besiegte Feinde abziehen lassen, erlaubte ihnen, ihre Toten einzusammeln und entsprechend der Bestattungsriten zu ehren. Gefangene wurden im Allgemeinen freigekauft, getauscht oder anderweitig genutzt. Bereits zu Beginn des Peloponnesischen Krieges wurden jedoch 180 thebanische Gefangene hingerichtet, ein Akt, der damals einiges Aufsehen erregte - dies lässt darauf schließen, dass solche Tötungen ungewöhnlich waren. In der Endphase des Krieges, als Sparta die entscheidende Seeschlacht gewann, fielen ihr über 2000 athenische Gefangene in die Hände, die exekutiert wurden. In einer Zeit ohne Erschießungskommandos, in der so etwas von Hand durchgeführt werden musste, ist das daraus resultierende Blutbad und die Belastung, die dies auf die Henker ausüben musste, kaum vorstellbar.
Die Jahre des Krieges jedoch müssen für eine Brutalisierung und Abstumpfung gesorgt haben, die ihresgleichen suchte. Wenn Städte eigenommen wurden oder aufgaben wurden oftmals planmäßige Massenexekutionen durchgeführt, viele Bewohner - besonders Bürger der jeweiligen Feindstädte - wurden in die Sklaverei verkauft. Die überlebenden Athener der gescheiterten Sizilienexpedition wurden in die Steinbrüche geworfen, wo sie sich innerhalb eines halben Jahres fast zu Tode schufteten; die Überlebenden wurden in die Sklaverei verkauft. Andere griechische Bürger in die Sklaverei zu verkaufen wäre vor Kriegsbeginn noch eine geradezu unvorstellbare Tat gewesen.
Je länger der Krieg andauerte, zu desto verzweifelteren Maßnahmen griffen die Parteien, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Invasionen in unbeteiligte Staaten von Syrakus bis Persien wurden durchgeführt. Man versuchte neutrale Mächte auf seine Seite zu ziehen und war dabei zu Zugeständnissen bereit, die jedem stolzen Griechen vor dem Krieg die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätten. Als es Sparta gegen Ende des Krieges gelang, ein Bündnis mit Persien zu erlangen und so Athen den Todesstoß zu versetzen, gab es im Gegenzug dafür die dorischen Kolonien auf, für die ganz Griechenland kaum ein halbes Jahrhundert zuvor die Perserkriege geführt hatte.
Thukydides, der erste Historiker |
Wie jeder totale Krieg sorgte auch der Peloponnesische Krieg für eine Brutalisierung der Teilnehmer und ein zunehmendes Auseinanderbrechen tradierter Strukturen. Je mehr sich die Gesellschaften der griechischen Stadtstaaten einer immer größeren Ausschöpfung ihrer Ressourcen stellen mussten, desto rücksichtsloser wurden sie bei ihrer Eintreibung, sowohl gegenüber Freunden und sich selbst als auch gegenüber ihren Feinden. In zeitgenössischen Dramen und Komödien werden diese Verwerfungen thematisiert. Es finden sich Geschichten, die die Verrohung der heimkehrenden Soldaten aufzeigen, ihre Unfähigkeit, wieder ins Zivilleben zurückzukehren. Der immer stärker werdende Wunsch nach Freiden werden ebenso behandelt wie der zunehmende Fatalismus darüber, dass dieser doch nicht kommen werde. Der ständige Kriegszustand wurde zur Gewohnheit. Als der Friede nach über 30 Jahren dann dennoch endlich kam, ließ er Griechenland erschöpft zurück. Ein klarer Schnitt war kaum zu erwarten, und bald fanden sich die Städte erneut in Kämpfen gegen andere Feinde, bevor der aufsteigende Stern Makedoniens sie alle in den Strudel eines weit größeren Konflikts führte.
Weiterführende Literatur:
Lawrence A. Tritle - A new history of the Peloponnesian War
Victor Hanson - A war like no other
Raimund Schulz - Athen und Sparta
Bruno Bleckmann - Der peloponnesische Krieg
Weiterführende Literatur:
Lawrence A. Tritle - A new history of the Peloponnesian War
Victor Hanson - A war like no other
Raimund Schulz - Athen und Sparta
Bruno Bleckmann - Der peloponnesische Krieg
Alle Bilder Wikimedia Commons.
Von der Karte wird nur ne Thumbnail angezeigt wenn man draufklickt, hier gibts die große Version http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Map_athenian_empire_431_BC-en.svg
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