Von Stefan Sasse
Nachdem die Articles of Confederation sich als untaugliches Mittel erwiesen hatten, um die Vereinigten Staaten zu einem funktionierenden Staatswesen zu machen, Rebellionen aufgetaucht waren, der Egoismus der Einzelstaaten und dessen Ausnutzung durch fremde Mächte wie England die Konföderation innerhalb kürzester Zeit zu ruinieren drohte und die wirtschaftliche Lage düster war, hatten Abgeordnete mehrerer Einzelstaaten 1786 zur Konferenz in Annapolis, Maryland, geladen. Auf dieser Konferenz sollte ein Programm entworfen werden, wie man die Articles überarbeiten könnte, damit einerseits die Union besser arbeitete, andererseits aber die Rechte der Einzelstaaten weiter gewahrt blieben.
Überhaupt, die Rechte der Einzelstaaten. Die Revolution war ursächlich über die Frage der Rechte der einzelnen Kolonien entfacht worden, eigenständig über ihre Angelegenheiten entscheiden zu können, ohne dass Fremde (in diesem Fall die Krone von England) hineinredeten. Für viele Amerikaner wirkte die Debatte über eine Revision der Articles nun so, als würde man gleich die nächste Zentralinstanz installieren, die sich in ihre Angelegenheiten gemischt hatte. Wozu hatte man dann überhaupt einen der verlustreichsten Kriege der USA überhaupt gekämpft? Um, wie schon in der Unabhängigkeitsdebatte gefragt worden war, "einen Tyrannen, der 3000 Meilen entfernt wohnt, gegen 3000 Tyrannen einzutauschen, die eine Meile entfernt wohnen"?
Philadelphia Convention |
Wie so oft in der Geschichte waren diejenigen, die kühn und entschlossen handelten, im Vorteil. In diesem Fall traf das im Besonderen auf einen Vertreter der Delegation von Virginia zu, einen zu diesem Zeitpunkt noch relativ unbekannten jungen Mann namens James Madison. Selbstverständlich hatten alle Vertreter Weisungen von ihren jeweiligen Parlamenten erhalten, welches Ziel sie in der Debatte verfolgen sollten. Doch Madison kam mit einem vollständigen Konzept in die Versammlung. Damit machte er sich nicht zwingend beliebt; von den zu erwartenden Gegnern erhielt er sofort massiven Gegenwind. Was er sich eigentlich anmaße, schließlich war noch überhaupt nicht darüber geredet worden, was man überhaupt tun wolle, und er legte bereits einen Plan für eine neue Verfassung auf den Tisch! Dafür hatte die Versammlung doch gar kein Mandat! Doch die normative Kraft des Faktischen überwog. Die Chuzpe Madisons hatte Erfolg, und der so genannte Virginia-Plan wurde zur offiziellen Gesprächsgrundlage. Damit hatten die Gegner einer tiefgreifenden Revision der Articles of Confederation einen schweren Stand, obgleich sie mit dem so genannten New-Jersey-Plan schnell einen Gegenentwurf präsentierten.
Grundlegend sah der Virginia-Plan ein Zwei-Kammern-Parlament vor, ein Repräsentantenhaus und einen Senat, wobei die Repräsentanten direkt gewählte Vertreter des Volkes in der Bundesregierung und die Senatoren direkt gewählte Vertreter des Volkes der Einzelstaaten als Kontrollinstanz der Bundesregierung sein sollten. Die Amtszeiten waren auf ein Jahr begrenzt, die Wiederwahl beschränkt, um so eine Umsetzung des Volkswillens besser garantieren zu können.die Zahl dieser Repräsentanten und Senatoren sollte zu allem Überfluss auch noch anhand der Bevölkerungszahl der jeweiligen Staaten bestimmt werden. Die Unionsregierung sollte weitreichende Rechte bekommen, nicht nur das ohnehin nicht mehr angefochtene Budgetrecht mit Steuer- und Zollkompetenzen, sondern auch die Kontrolle über die Armee und im Kriegsfall der Milizen der Einzelstaaten. Dazu kam das Mandat der Gründung eines Obersten Gerichtshofs (Surpreme Court) und, am Wichtigsten, die absolute Vorrangstellung der Bundesgesetze vor denen der Einzelstaaten. Das stellte das bisherige Regierungsprinzip vom Kopf auf die Füße.
Der New-Jersey-Plan war dahingehend deutlich zurückhaltender. Von Direktwahl hielten seine Befürworter überhaupt nichts, und von den kurzen Amtszeiten erst recht nicht. Volksvertreter, die den Stürmen der schwankenden Volksmeinung gehorchten, anstatt dem Gemeinwohl und ihrem eigenen Verstand zu gehorchen? Das war ja der direkte Weg in die Anarchie! Was war von der Vision einer Republik der gebildeten, stets ihre Maßnahmen sorgfältig auf das höhere Gut hin abwägenden Männer geworden? Und die Rechte der Einzelstaaten! Welche Chance hätten die kleinen Staaten, wenn die großen - die ja nach dem Virginia-Plan viel mehr Repräsentanten und Senatoren besäßen als die kleinen - diese einfach majorisieren würden? Wenn die Union tun und lassen konnte was sie wollte, würden nicht einmal die nach diesen aufgeklärten Prinzipien gebildeten Parlamente der Staaten mehr ein Bollwerk gegen die demokratische Tyrannei sein, die das federal government entfesseln würde!
Die Delegierten verhandelten, und sie verhandelten hart. Es galt neben diesen grundsätzlichen Fragen auch Einzelinteressen abzuwägen. Bereits 1787 war deutlich, dass die Sklavenfrage über kurz oder lang ein Problem werden würde. Die kaufmännisch und manufakturell geprägten Staaten des Nordens hatten kein Interesse an der Sklaverei, sie war für sie wirtschaftlich ineffizient. Wären die Schwarzen alle Arbeiter, würde das ihren Interessen deutlich besser passen. Dem Süden hingegen waren die nördlichen Krämerseelen ein Graus, die "peculiar institution", wie die Sklaverei euphemistisch verbrämt wurde, war eines der Fundamente der Gesellschaft der Südstaaten. In einem paritätisch zusammengesetzten Kongress, wie ihn der Virginia-Plan vorsah, wären die absehbar bevölkerungsreicheren Nordstaaten in der Lage, den Süden bald furchtbar zu drangsalieren. Virginia pochte deswegen mit den beiden Carolinas und Georgia darauf, dass die Sklaven für die Berechnung der Repräsentationsverhältnisse miteinbezogen würden.
Original der US-Verfassung |
Die Vereinigten Staaten hatten damit eine allererste Feuertaufe bestanden und sich in der Fähigkeit bewiesen, die für die lange Lebensdauer ihrer Demokratie elementar sein würde: dem Kompromiss. Zwar war keiner der Beteiligten darüber wirklich glücklich, aber immerhin gab es ein Konstrukt, dem alle zustimmen konnten. Jetzt mussten sie es nur noch tun. Die Verfassung sah vor, dass alle Einzelstaaten sie ratifizieren mussten, und zwar in speziell zu diesem Zweck gewählten Konventen (ein weiterer Sieg der Anhänger des Virginia-Plans, schließlich waren die meisten Staatsparlamente durch und durch konservativ und der Verfassung daher eher abgeneigt). Wenn neun der dreizehn Einzelstaaten sie ratifiziert hatten, würde sie für diese in Kraft treten. Die Zahl neun garantierte, dass nicht nur die Nord- oder nur die Südstaaten reichen würden. Letztlich war aber allen klar, dass ohne eine Ratifizierung aller Staaten keine echte Zukunft denkbar war; die Ratifikationsschwelle war eher ein zusätzliches Druckmittel.
John Jay |
Alexander Hamilton |
James Madison |
Federalist Papers |
Ironischerweise ratifizierte New York die Verfassung zwar, jedoch erst als 11. Staat. Die von den federalists wie anti-federalists antizipierte Scharnierrolle des Staates spielte er also gar nicht, da sich viele Staaten zuvor bereits der Vorteile klar geworden waren, die die Union bot. Die Argumentation der federalists hatte gerade die kleineren Staaten überzeugt, die unter den Articles of Confederation praktisch keinen Schutz vor Majorisierung oder gar Aggression der großen Staaten gehabt hätten. Am Ende wurde die Verfassung schließlich auch von Rhode Island ratifiziert, dessen Rolle als Querulant und Unruheherd damit bald ihr Ende fand.
Ammendments 1-10, die "Bill of Rights" |
Weiterführende Literatur:
Gordon S. Wood - The American Revolution - A History
Alexander Hamilton, John Jay, James Madison - The Federalist Papers
Robert Middlekauff - The glorious cause
Charlotte A. Lerg - Die amerikanische Revolution
Udo Sautter - Die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika
Alle Bilder Wikimedia Commons.
"Doch diese Langsamkeit bedeutet auch, dass für Extreme kein Platz ist. Nie hatten rechte oder linke Extremisten in den USA eine Chance"
AntwortenLöschenAch.. Und McCarthy oder Schorsch Dubjya waren nicht extrem?
Wie viele Menschen muß man denn eingesperrt/verunglimpft/umgebracht haben, um als extrem zu zählen?
1) Nicht in dem Maße wie ein Hitler oder Stalin.
AntwortenLöschen2) Bezeichnend ist, dass das System sich von beiden gereinigt hat. McCarthy scheiterte, nachdem seine Methoden im Fernsehen einfach nur gezeigt wurden und flog bald aus dem Senat. Bush selbst ist alles, aber ganz bestimmt nicht extrem. Zig Präsidenten vor ihm haben eine ähnliche Politik gemacht, sie haben sich nur meist besser angestellt.
Nach innen mag das noch so halbwegs stimmen,auch wenn der Bürgerkrieg extrem blutig war(einmal ist kein mal, oder wie?), aber nach außen hin ist es doch weit mehr als ein bloßes Klischee, das die US-amerikanische Politik, Blut von unzähligen Unschuldigen an den Fingern kleben hat, und auch massiv gegen Demokratien vorgegangen ist.
AntwortenLöschenÜberhaupt ist das in den USA als Stabilität interpretiert wird etwas völlig anderes als es hier im Text den Anschein hat.
Ich verstehe ehrlich gesagt nicht ganz, worauf Sie hinauswollen.
AntwortenLöschenHerr Sasse versucht lediglich, seinen unterdrueckten Nationalismus als Opportunitaet darzustellen. Das passiert in diesen Tagen leider oefter und ist auch nicht mehr wirklich alternativ.
AntwortenLöschenVielen Dank fuer dieses (aus meiner Sicht - USA-Bewohner mit Deutschem und Polnischem Pass und sehr geschichtsinteressiert) relativ neutrale und milde objektive Geschichtsblog. Es hilft im Verstaendnis.
Bitte weiter so.
vielen dank für Ihren beitrag;
AntwortenLöschenmeine ansicht ist, dass in eine "objektive" bewertung von staats- und oder gesellschaftstrukturen eines landes die einschätzungen ALLER ("we, the people") einfließen sollten; so würden wir zweifelsfrei ein differenzierteres - nicht unbedingt schöneres - bild erhalten, wenn wir allein die historischen wie aktuellen erfahrungen von First Nations (native americans) und Schwarzer AmerikanerInnen einbeziehen zur betrachtung von stabilität, demokratie oder extremismus (b. hooks nennt es gar terrorismus) in den USA.